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Bundestagswahl 2021
Sport als Randthema

Klima, Corona, Steuern, Pflege, Digitalisierung: In jedem Wahlkampf gibt es bestimmte Themen, die Konjunktur haben und Wähler und Wählerinnen am meisten interessieren. Der Sport gehört trotz 90.000 Sportvereinen in Deutschland fast nie dazu – auch nicht in diesem Wahlkampf.

Von Mathias von Lieben | 25.09.2021
Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl, steht mit einem Boxhandschuh beim Besuch des Boxclub Traktor Schwerin im Boxring zwischen den Boxern Kevin Boakye-Schumann (r) und Deniel Krotter (l).
Wahlkampftour von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
"Ein idealer Start in den Tag ist für mich, wenn ich die Möglichkeit habe, das versuche ich zwei bis drei Mal die Woche zu machen, morgens noch zu joggen."
Ende Juli spricht SPD-Kanzlerkandidat Olaf dann doch mal über Sport, beim Interviewformat "Brigitte Live". Darüber hinaus hat Sport oder sogar Sportpolitik im Wahlkampf jedoch weder bei Scholz noch bei Unions-Mann Armin Laschet oder Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock eine Rolle gespielt. Warum nur?

"Sport eher als Randthema"

"Es gibt eine Fokussierung ganz klar auf Klima und soziale Themen. Vielleicht haben die Sportpolitiker*innen nicht die lauteste Stimme", so die Kurz-Analyse von Erhard Grundl, der für die Bundestagsfraktion der Grünen Mitglied im Sportausschuss ist.
"Sport wird in der Tat im Wahlkampf eher als Randthema gesehen", glaubt auch Eberhard Gienger, sportpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion.

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Und sein Pendant von den Sozialdemokraten, Mahmut Özdemir, sagt: "Man darf das nicht immer daran messen, wie oft und laut man schreit. Sondern auch daran messen: Was will eine Partei tatsächlich tun für den Sport?"
Dazu hilft ein Blick in die Wahlprogramme: CDU, Grüne, FDP und Linke haben ihre sportpolitischen Vorstellungen in eigenen, unterschiedlich großen Unterkapiteln zusammengefasst. Bei der SPD verteilt sich der Sport über verschiedene Kapitel. Und bei der AfD taucht der Sport insgesamt nur an zwei Stellen auf: Das Waffenrecht für Sportschützen soll lockerer werden und der Pflicht-Schwimmunterricht soll auch für muslimische Schüler gelten.

Das konkreteste sportpolitische Programm haben dabei die Grünen

Mit Blick auf die Inhalte stellt sich aber die Frage: Was sind die großen Themen des Sports in den Programmen - und bei welchen besteht Einigkeit? SPD-Sportpolitiker Özdemir nennt einen Aspekt: "Naja, dass der Sport als Kitt der Gesellschaft mit all seinen wertvollen Funktionen Menschen zusammenzubringen, auch die notwendige Wertschätzung erhält und prominent in der nächsten Bundesregierung platziert wird."
Prosa zur gesamtgesellschaftlichen und demokratiestärkenden Funktion des Sports mit all seinen gelebten Werten ist – die AfD ist bei allen Folgepunkten stets ausgenommen - bei allen Parteien zu finden: der Breitensport soll entsprechend mehr gefördert, ehrenamtliches Engagement gestärkt – und die von der Pandemie teils schwer getroffenen Vereine besser unterstützt werden.
Annalena Baerbock (r), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, kommen zur Vorstellung des Entwurfs des Grünen-Wahlprogramms für die Bundestagswahl. Über das Wahlprogramm stimmt der Parteitag im Juni ab.
Das steht im Wahlprogramm der Grünen
Mehr Klimaschutz, ein schnellerer Kohleausstieg, mehr Investitionen, aber auch höhere Schulden und sozialer Ausgleich – die wichtigsten Inhalte der Grünen zur Bundestagswahl im Überblick.
Und neben der wichtigen gesundheitlichen Funktion des Sports betonen alle, wie grundlegend eine gute und niedrigschwellige Sport-Infrastruktur sei. Das konkreteste sportpolitische Programm haben dabei die Grünen.
Sportpolitiker Erhard Grundl: "Ich glaube das Wichtigste ist, dass wir Sport als Daseinsvorsorge begreifen. Daseinsvorsorge, das umfasst Sanierung und Modernisierung der Sportstätten, das umfasst die Zugänglichkeit zu Sportvereinen, zu sportlicher Betätigung für alle gesellschaftlichen Gruppen, für alle Menschen."

Sanierungsstau bei Sportstätten und Schwimmbädern

Heißt auch: mehr Inklusion in der Vereinsarbeit und mehr Barrierefreiheit in künftig moderneren Sportstätten. Der Deutsche Olympische Sportbund taxiert den Sanierungsstau bei Sportstätten und Schwimmbädern allerdings deutschlandweit auf rund 31 Milliarden Euro.
Dazu FDP-Sportpolitiker Reginald Hanke kürzlich im MDR: "Die Schwimmbäder, das lässt mir keine Ruhe. Die Schwimmbäder müssen saniert werden."
Grüne und FDP fordern daher finanzielle Entlastung durch den Bund bei den kommunalen Altschulden, die Linken um Sportpolitiker André Hahn ein Investitionsprogramm: "Zehnmal eine Milliarde, also zehn Jahre lang jeweils eine Milliarde für Sportstätten. Dann sind ja immer noch nicht alle Schäden beseitigt. Aber der Bund muss da unterstützen."

Konsens ist, dass der Bund den Spitzensport weiter unterstützen soll. Alleine in diesem Jahr stellt er fast 300 Millionen Euro zur Verfügung. Die Grünen fordern bei der Geldverteilung mehr Transparenz und weniger Medaillen-Fixierung, die Linke will die gesamte Spitzensportreform überprüfen.
Doch alle Parteien wollen zugleich die Rahmenbedingungen für Athletinnen und Trainier verbessern und Stützpunkte modernisieren. Dass vieles davon mehr Geld kostet, dazu bekennt sich auf Nachfrage nur Unions-Sportpolitiker Gienger: "Auch hier wird eine Unterstützung nötig sein, die über das hinausgeht, was momentan zur Verfügung gestellt wird."

Rückt der Sport ins Kanzleramt?

Alle Parteien außer der AfD erkennen auch das Thema sexualisierte, physische und psychische Gewalt im Sport an. Den Vorschlag vom Verein Athleten Deutschland, mit einem Zentrum für Safe Sport eine unabhängige Stelle für dieses Thema zu schaffen, unterstützen sowohl Union und Grünen konkret, aber auch SPD, FDP und Linke können sich das vorstellen.
Linken-Politiker Hahn: "Natürlich wollen wir alle sicheren Sport. Wir wollen uns das angucken, ob das ein geeigneter Weg sein kann und dann werden wir uns dazu positionieren."
Positioniert haben sich die Parteien bereits dazu, dass der Sport einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann- zum Beispiel durch eine energetische Sanierung von Sportstätten. Doping, Korruption und Manipulation wollen ebenfalls alle stärker bekämpfen, FDP, Grüne und Sozialdemokraten zudem E-Sport als gemeinnützig anerkennen.
Insgesamt finden sich in den Wahlprogrammen viele zentrale inhaltliche Punkte, die sich auch der DOSB wünscht, sagt Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker: "Aber entscheidend wird natürlich jetzt nach der Wahl, wenn es darum geht ein Regierungsprogramm zu formulieren, das dann auch die Leitplanke ist für die neu Legislaturperiode. Und dort ist es für uns von besonderer Bedeutung, dass unsere Forderungen dort ihren Platz finden."
Dazu gehört laut Rücker unter anderem, dass der Sportetat für den Spitzensport weiter ansteigt. Dass der DOSB mit den Querelen um den scheidenden Präsidenten Alfons Hörmann eine Mitschuld an der mangelnden Sport-Präsenz im Wahlkampf trägt, glaubt Rücker nicht: "Ich erinnere mich an die letzte Wahl. Ich erinnere mich auch an frühere Wahlkämpfe, da war der Sport nie besonders präsent und hatte keinen großen Stellenwert. Insofern würde ich da keinen Zusammenhang erkennen wollen."
Vielleicht wird dem Sport aber durch eine SPD-Forderung demnächst ganz automatisch zu mehr Bedeutung verholfen: Sie will ihn im Kanzleramt verorten.
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Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)