Nach wie vor wächst jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut auf. Insgesamt waren das laut einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2020 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Für zwei Drittel der betroffenen Kinder und Jugendlichen sei dies ein Dauerzustand: Sie lebten mindestens fünf Jahre durchgehend oder wiederkehrend in Armut.
Laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind Kinder in Deutschland überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen. Demnach lag die Armutsquote von Kindern unter 18 Jahren durchgehend deutlich über der der Gesamtbevölkerung. Seit 2015 nahm die Kinderarmut wieder zu, was laut WSI vor allem auf die Flüchtlingszuwanderung zurückzuführen war.
Der häufigste Grund für Kinderarmut in Deutschland ist Arbeitslosigkeit der Eltern, so die katholische Hilfsorganisation Malteser. Häufig stehe aber auch nicht genug Geld zur Verfügung, weil die Eltern, vor allem Alleinerziehende, keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind fänden, daher nur in Teilzeit arbeiten könnten und so schnell unterhalb der Armutsgrenze landeten. Daneben seien vor allem Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund oder mit einem niedrigen Bildungsabschluss und Familien mit drei oder mehr Kindern von Armut betroffen.
Insgesamt sind aktuell rund 2,8 Millionen Familien auf staatliche Leistungen zur Existenzsicherung angewiesen. 1,6 Millionen davon trotz einer Erwerbstätigkeit.
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Laut Armutsforscher Christoph Butterwegge
haben durch Armut immer weniger Kinder Chancen auf Bildung und beruflichen Aufstieg. Viele Familien stünden unter Strom, die Gesellschaft mache viel Druck, sagte er im Dlf: "Immer stärker ist unsere Gesellschaft auf Konkurrenz und Leistung orientiert – arme Familien haben Schwierigkeiten, da mitzuhalten." Die Gesellschaft und auch die Kinderwelten drifteten auseinander. "Ob ein Kind in einem Stadtteil mit vielen Grünflächen und Einfamilienhäusern oder zwischen Wettbüros und Sonnenstudios aufwächst, macht für das ganze Leben einen Unterschied."
Die Bertelsmann-Stiftung rechnet wegen der Coronakrise sogar mit einem deutlichen Anstieg der Armutszahlen und sieht dadurch große Probleme. Das Aufwachsen in Armut begrenze, beschäme und bestimme das Leben von Kindern und Jugendlichen – heute und mit Blick auf ihre Zukunft, heißt es in ihrem aktuellen Bericht zu Kinderarmut. Das habe auch für die Gesellschaft erhebliche negative Folgen.
Eigentlich müsste das Problem die Gesellschaft bewegen, meint Armutsforscher Christoph Butterwegge - jedoch sei in den vergangenen Jahren wenig dagegen unternommen worden.
Auch laut dem Vorsitzenden des Paritätischen Gesamtverbandes Rolf Rosenbrock fällt die sozialpolitische Bilanz der aktuellen Bundesregierung bescheiden aus. Viele der selbstgesteckten Ziele seien wenig ambitioniert gewesen oder wurden verfehlt. Das gelte auch für die Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland.
Die Corona-Pandemie hat die Lage noch verschärft, weil viele Sozialeinrichtungen schließen mussten. Und mit den geschlossenen Schulen entfiel auch das kostenlose Mittagessen für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien.
Zwar wurde mit den beiden Sozialschutzpaketen der Bundesregierung der Zugang zu Unterstützungsleistungen erleichtert, etwa durch einen Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle oder höhere Leistungen beim Kurzarbeitergeld und einem Kinderbonus von 150 Euro für Bedürftige. Aber die grundsätzlichen Probleme wurden dadurch nicht gelöst, sondern nur abgefedert.
Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände fordern deshalb von der kommenden Bundesregierung eine eigenständige Kindergrundsicherung. Die von vielen Parteien geforderte Erhöhung des Kindergeldes hält der Armutsforscher Christoph Butterwegge nicht für sinnvoll. Viele armen Familien würden davon nicht profitieren können, weil ihnen das Kindergeld auf die Transferleistung angerechnet werde.
Grüne, SPD und Linkspartei setzen in ihren Wahlprogrammen auf eine Erhöhung des Kindergelds und versprechen mit jeweils unterschiedlichen Zuschnitten eine Kindergrundsicherung, die bisherige Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Sozialgeld bündeln soll.
Alle drei Parteien wollen Kindern kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr ermöglichen und einen Mindestzuschlag gewähren, der je nach Bedürftigkeit des Elternhauses steigt – und nicht auf das Einkommen der Eltern angerechnet wird.
Die Linke fordert in ihrem Wahlprogrann zudem eine gebührenfreie öffentliche Kinderbetreuung und ein Mindestelterngeld mit einer längeren Laufzeit (12 Monate pro Elternteil).
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Die Union lehnt dagegen eine allgemeine Kindergrundsicherung ab. Denn würden die finanziellen Leistungen von Kindergeld, Kinderzuschlag und aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zusammengerechnet, dann sei das bereits eine Art Kindergrundsicherung, heißt es. Dafür sollen künftig Alleinerziehende im Steuerrecht bessergestellt werden.
Das fordert auch die FDP, die zudem die Leistungen für Kinder bündeln und staffeln will. Für die AfD soll das Kindergeld so bleiben, wie es ist. Dafür aber sollen Ausgaben für Kinder vollständig von der Steuer absetzbar sein.
Quellen: Volker Finthammer, Christoph Butterwegge, WSI, Bertelsmann-Stiftung, Malteser Hilfsdienst, Isabelle Klein