Bundestagswahl 2021
Was die Parteien gegen Kinderarmut unternehmen wollen

Die Kinderarmut in Deutschland hat in den vergangenen Jahren zugenommen - besonders noch einmal durch die Coronakrise. Laut Verbänden, Organisationen und Wissenschaftlern wird jedoch immer noch zu wenig dagegen unternommen. Welche Auswirkungen hat das und was planen die Parteien? Ein Überblick.

    Ein Kind sitzt vor einem Plattenbau in Leipzig-Gruenau. 31. Juli 2020.
    In Deutschland haben durch Armut immer weniger Kinder Chancen auf Bildung und beruflichen Aufstieg, meint der Armutsforscher Christoph Butterwegge (IMAGO / Thomas Eisenhuth)
    Wie viele Kinder in Deutschland sind von Armut betroffen?
    Nach wie vor wächst jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut auf. Insgesamt waren das laut einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2020 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Für zwei Drittel der betroffenen Kinder und Jugendlichen sei dies ein Dauerzustand: Sie lebten mindestens fünf Jahre durchgehend oder wiederkehrend in Armut.
    Laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sind Kinder in Deutschland überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen. Demnach lag die Armutsquote von Kindern unter 18 Jahren durchgehend deutlich über der der Gesamtbevölkerung. Seit 2015 nahm die Kinderarmut wieder zu, was laut WSI vor allem auf die Flüchtlingszuwanderung zurückzuführen war.
    Die Statistik zeigt die Armutsgefährdungsquote von Kindern, bzw. den Anteil der von relativer Einkommensarmut betroffenen Kinder in Deutschland in den Jahren von 2005 bis 2019. 
    Die Armutsgefährdungsquote ist laut Quelle ein Indikator zur Messung relativer Einkommensarmut. Im Jahr 2019 lag die Armutsgefährdungsquote von Kindern in Deutschland bei 20,5 Prozent. (statista / destatis)
    Der häufigste Grund für Kinderarmut in Deutschland ist Arbeitslosigkeit der Eltern, so die katholische Hilfsorganisation Malteser. Häufig stehe aber auch nicht genug Geld zur Verfügung, weil die Eltern, vor allem Alleinerziehende, keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten für ihr Kind fänden, daher nur in Teilzeit arbeiten könnten und so schnell unterhalb der Armutsgrenze landeten. Daneben seien vor allem Kinder von Eltern mit Migrationshintergrund oder mit einem niedrigen Bildungsabschluss und Familien mit drei oder mehr Kindern von Armut betroffen.
    Insgesamt sind aktuell rund 2,8 Millionen Familien auf staatliche Leistungen zur Existenzsicherung angewiesen. 1,6 Millionen davon trotz einer Erwerbstätigkeit.
    Füsse in ramponierten Sportschuhen 
    Soziologin über Kinderarmut: "Es ist schwierig, der Armut zu entkommen"
    Deutschland ist eines der reichsten Länder der Welt – und dennoch leben hierzulande rund 2,8 Millionen Kinder in Armut. Trotz aller sozialpolitischer Maßnahmen werde die Armut regelrecht vererbt, sagt die Soziologin Carolin Butterwegge.
    Welche Auswirkungen hat Kinderarmut?
    addon Laut Armutsforscher Christoph Butterwegge haben durch Armut immer weniger Kinder Chancen auf Bildung und beruflichen Aufstieg. Viele Familien stünden unter Strom, die Gesellschaft mache viel Druck, sagte er im Dlf: "Immer stärker ist unsere Gesellschaft auf Konkurrenz und Leistung orientiert – arme Familien haben Schwierigkeiten, da mitzuhalten." Die Gesellschaft und auch die Kinderwelten drifteten auseinander. "Ob ein Kind in einem Stadtteil mit vielen Grünflächen und Einfamilienhäusern oder zwischen Wettbüros und Sonnenstudios aufwächst, macht für das ganze Leben einen Unterschied."
    Die Bertelsmann-Stiftung rechnet wegen der Coronakrise sogar mit einem deutlichen Anstieg der Armutszahlen und sieht dadurch große Probleme. Das Aufwachsen in Armut begrenze, beschäme und bestimme das Leben von Kindern und Jugendlichen – heute und mit Blick auf ihre Zukunft, heißt es in ihrem aktuellen Bericht zu Kinderarmut. Das habe auch für die Gesellschaft erhebliche negative Folgen.
    Coronavirus
    Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
    Was hat die jetzige Bundesregierung gegen Kinderarmut unternommen?
    Eigentlich müsste das Problem die Gesellschaft bewegen, meint Armutsforscher Christoph Butterwegge - jedoch sei in den vergangenen Jahren wenig dagegen unternommen worden.
    Auch laut dem Vorsitzenden des Paritätischen Gesamtverbandes Rolf Rosenbrock fällt die sozialpolitische Bilanz der aktuellen Bundesregierung bescheiden aus. Viele der selbstgesteckten Ziele seien wenig ambitioniert gewesen oder wurden verfehlt. Das gelte auch für die Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland.
    Die Corona-Pandemie hat die Lage noch verschärft, weil viele Sozialeinrichtungen schließen mussten. Und mit den geschlossenen Schulen entfiel auch das kostenlose Mittagessen für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien.
    Pastor Bernd Siggelkow (li.) teilt mit während der Corona-Pandemie Buchspenden an bedürftige Familien aus. 
    "Die Arche" zu Kinderarmut und Corona: "Es ist eine kleine Katastrophe"
    Die Pandemie habe die Gesellschaft in zwei Gruppen geteilt, denn die Armen verlören komplett den Anschluss, sagte der Leiter des christlichen Kinder- und Jugendwerks "Die Arche" und Pastor Bernd Siggelkow im Dlf.
    Zwar wurde mit den beiden Sozialschutzpaketen der Bundesregierung der Zugang zu Unterstützungsleistungen erleichtert, etwa durch einen Entschädigungsanspruch für Verdienstausfälle oder höhere Leistungen beim Kurzarbeitergeld und einem Kinderbonus von 150 Euro für Bedürftige. Aber die grundsätzlichen Probleme wurden dadurch nicht gelöst, sondern nur abgefedert.
    Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände fordern deshalb von der kommenden Bundesregierung eine eigenständige Kindergrundsicherung. Die von vielen Parteien geforderte Erhöhung des Kindergeldes hält der Armutsforscher Christoph Butterwegge nicht für sinnvoll. Viele armen Familien würden davon nicht profitieren können, weil ihnen das Kindergeld auf die Transferleistung angerechnet werde.
    Diskussionsrunde zur Kinderarmut - Welche Konzepte helfen den Jüngsten
    Was planen die Parteien?
    Grüne, SPD und Linkspartei setzen in ihren Wahlprogrammen auf eine Erhöhung des Kindergelds und versprechen mit jeweils unterschiedlichen Zuschnitten eine Kindergrundsicherung, die bisherige Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Sozialgeld bündeln soll.
    Alle drei Parteien wollen Kindern kostenlosen Öffentlichen Nahverkehr ermöglichen und einen Mindestzuschlag gewähren, der je nach Bedürftigkeit des Elternhauses steigt – und nicht auf das Einkommen der Eltern angerechnet wird.
    Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift "Für mehr hat Hartz-IV nicht gereicht" und einen halben Fahrradhelm in der Hand. Vor dem Deutschen Bundestag demonstrieren Personen der Aktion «Keine halben Sachen: Corona-Hilfen für die Ärmsten» für mehr Corona-Hilfen.
    Wahlkampfthema Hartz IV -Wie die soziale Grundsicherung die Parteienlandschaft spaltet
    Die Corona-Pandemie trifft Erwerbslose besonders hart – und die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt. So ist die Grundsicherung auch Thema im Bundestagswahlkampf.
    Die Linke fordert in ihrem Wahlprogrann zudem eine gebührenfreie öffentliche Kinderbetreuung und ein Mindestelterngeld mit einer längeren Laufzeit (12 Monate pro Elternteil).

    Mehr zu den Bundestagswahlprogrammen


    Die Union lehnt dagegen eine allgemeine Kindergrundsicherung ab. Denn würden die finanziellen Leistungen von Kindergeld, Kinderzuschlag und aus dem Bildungs- und Teilhabepaket zusammengerechnet, dann sei das bereits eine Art Kindergrundsicherung, heißt es. Dafür sollen künftig Alleinerziehende im Steuerrecht bessergestellt werden.
    Das fordert auch die FDP, die zudem die Leistungen für Kinder bündeln und staffeln will. Für die AfD soll das Kindergeld so bleiben, wie es ist. Dafür aber sollen Ausgaben für Kinder vollständig von der Steuer absetzbar sein.
    Bundestagswahl 2021 - zum Dossier
    Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)
    Quellen: Volker Finthammer, Christoph Butterwegge, WSI, Bertelsmann-Stiftung, Malteser Hilfsdienst, Isabelle Klein