Die Kultur spielt im Wahlkampf eher eine untergeordnete Rolle - auch in diesem Jahr. Gleichzeitig ist der Wert der Kultur noch nie so häufig beschworen worden wie in den vergangenen Corona-Monaten. Kultur ins Grungesetz - ja oder nein? Bezahlbare Kultur für alle? Wie sieht es mit kultureller Bildung aus, mit Diversität, mit Erinnerungskultur? Das sind die Vorhaben und Vorstellungen der sechs größten Parteien im Bundestagswahlkampf 2021.
Zwei kulturpolitische Hauptthemen gebe es für die SPD, sagt Martin Rabanus, der kulturpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag:
Soziale Sicherung von Kulturschaffenden
Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass man zwar die abhängig Beschäftigten leidlich gut habe schützen können, nicht aber die Solo-Selbstständigen, die unstet und kurzfristig Beschäftigten – sie seien bis auf die Grundsicherung "durchgereicht" worden, so Rabanus. Hier müsse man "institutionell und strukturell besser werden".
Für kurzfristig und unstet Beschäftigte seien Zugänge in die bestehenden sozialen Sicherungssystemen relativ einfach zu erreichen, für die Solo-Selbständigen aber nicht. Hier brauche es "neue Ideen", vorstellbar sei, die Künstlersozialkasse um eine Arbeitslosenabsicherung für Krisensituationen zu erweitern. Auch will die SPD Mindestgagen und Ausstellungshonorare fest etabliert sehen – um Freischaffende dadurch besser abzusichern.
Kultur ins Grundgesetz und Kooperationsverbot
Das zweite kulturpolitische Hauptthema der SPD betrifft die Frage, wie die kulturelle Grundversorgung bundesweit und bestmöglichst zu organisieren sei.
Die regelmäßig stattfindenden kulturpolitischen Spitzengespräche will die Partei "zu einem bundesweiten Kulturplenum weiterentwickeln, indem neben Kommunen, Ländern und Bund auch Kulturproduzentinnen und -produzenten, ihre Verbände und die Zivilgesellschaft vertreten sind". So soll ein "neuer Kulturkonsens über die Aufgaben und Verfahren der Kulturpolitik, ein kulturelles Bündnis der Vielfalt und Freiheit" erarbeitet werden. Kultur soll als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. Der Bund müsse mehr machen als sich "um die Museumsinsel und kulturelle Leuchttürme zu kümmern", sagt Rabanus. Das Kooperationsverbot, das dem Bund untersagt, sich in die Kulturpolitik der Länder einzumischen, will die SPD nicht antasten.
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Der kulturpolitische Grundton der Union ist eindeutig: Weiter so wie bisher! Man werde die "erfolgreiche Kulturpolitik konsequent fortsetzen", heißt es im Wahlprogramm - "in den Kommunen, den Ländern und vor allem im Bund". Mit dem Erreichten zeigt man sich zufrieden und doch bleibt aus Sicht der kulturpolitischen Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Elisabeth Motschmann, sehr vieles noch zu tun.
Grundsicherung der Kulturschaffenden
Die Corona-Pandemie habe die Defizite bei der Grundsicherung der Kulturschaffenden gezeigt, "die Teilhabe an den sozialen Sicherungssystemen" müsse "etwas Selbstverständliches" werden, so Motschmann – konkrete Pläne gebe es dazu aber noch nicht.
Kulturförderung
Um die Folgen der Corona-Pandemie zu mildern, soll das Programm "Neustart Kultur" fortgeführt, soll die Kultur- und Kreativwirtschaft intensiver noch gefördert werden als bisher. Daneben werden die bestehenden Kulturförderprogramme fortgesetzt.
Kulturföderalismus oder Bundeskulturministerium?
Von einem "Bundeskulturministerium" ist im Wahlprogramm der Union nicht die Rede. Der deutsche Kulturföderalismus mit seinem "historisch gewachsenen Reichtum an regionalen Identitäten" wird gepriesen als "bereichernde Kraft der Vielfalt, die es zu wahren gilt". Gleichwohl spricht die kulturpolitische Sprecherin der Union, Elisabeth Motschmann, in erstaunlich offenen Worten davon, dass man sich ein Bundeskulturministerium sehr wohl vorstellen könne, auch die jetzige Kulturstaatsministerin Monika Grütters "würde sich freuen, wenn es dahin käme".
Erinnerungskultur
Auch die laufenden Projekte der Erinnerungskultur sollen weiterentwickelt werden, die "Provenienzforschung vor allem zum NS-Kunstraub wie auch zur Kulturgutentziehung während der SED-Diktatur und des Kolonialismus" soll einen kulturpolitischen Schwerpunkt bilden.
Die Künste seien von zentraler Bedeutung für die Selbstreflexion der Gesellschaft, den Zusammenhalt und die Persönlichkeit der und des Einzelnen, heißt es im Wahlprogramm der Grünen.
Kulturförderung
"Partizipativ, inklusiv und geschlechtergerecht" soll die öffentliche Kulturförderung der Grünen sein, dazu gehört auch eine Frauenquote etwa bei der Besetzung von Intendanzen. "Alle Kulturformen und -sparten", die freie Szene ebenso wie institutionell geförderte Kultureinrichtungen, sollen die gleiche Wertschätzung erfahren; zu den Kulturangeboten soll jede und jeder "einfachen Zugang" haben.
Kultur ins Grundgesetz
Damit Kultur und kulturelle Bildung "endlich selbstverständlicher Teil der Daseinsvorsorge" werden, wollen die Grünen "krisenfeste Strukturen" schaffen und Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern.
"Mehr Kooperationen" aber keine Aufhebung des Kooperationsverbots
Bei der Finanzierung von Kultureinrichtungen und-projekten streben die Grünen "mehr Kooperationen" zwischen Bund, Ländern und Kommunen an; eine explizite Forderung, das Kooperationsverbot aufzuheben, findet sich im Wahlprogramm der Grünen nicht, auch nicht die Idee eines Bundeskulturministerium.
Soziale Absicherung von Kulturschaffenden
Zur sozialen Absicherung der Kulturschaffenden wollen die Grünen "prekäre Arbeitsverhältnisse in privaten und insbesondere öffentlichen Kulturinstitutionen überwinden". Die Künstlersozialkasse soll "finanziell gestärkt", die Mitgliedschaft auch für jene ermöglicht werden, "die nur zeitweise für Produktionen versicherungspflichtig angestellt sind". Für die Dauer der Corona-Pandemie wollen die Grünen Kulturschaffenden ein Existenzgeld von monatlich 1.200 Euro zahlen, perspektivisch soll Solo-Selbstständigen der Zugang in die Sozialversicherungssysteme erleichtert werden.
Erinnerungspolitik
In ihrer Geschichts- und Erinnerungspolitik wollen die Grünen den Nationalsozialismus und die "SED-Diktatur" "weiter konsequent aufarbeiten". Eine "zentrale Erinnerungs- und Lernstätte" soll "die Kontinuitäten des Kolonialismus ins Bewusstsein rücken" und so eine gesellschaftliche Debatte über das koloniale Erbe Deutschlands fördern.
Für eine Partei, die sich generell für einen "schlanken Staat" ausspricht, findet sich im Wahlprogramm der FDP eine erstaunliche Bereitschaft zur Kulturförderung. Diese sei "keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft unseres Landes", denn das "Neue und Originelle" sei "oft jenseits der selbsttragenden Vermarktung" zu finden.
Kulturförderung
Um der "Kultur- und Kreativwirtschaft" zu helfen, will die FDP "Förderprogramme auch für kleinere Unternehmen und Solo-Selbstständige" öffnen; Förderanträge sollen vereinfacht, Online-Livestreams von der Rundfunklizenzpflicht befreit werden.
Soziale Absicherung von Kulturschaffenden
Zur sozialen Lage der Kulturschaffenden findet sich im kulturpolitischen Teil des FDP-Wahlprogramms nichts.
Man habe lange darüber diskutiert, einige dieser Überlegungen seien in die allgemein gehaltenen Abschnitte zu Arbeits- und Sozialthemen eingeflossen, sagt Hartmut Ebbing, der kulturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Klar sei, dass für Kulturschaffende grundsätzliche Dinge völlig neu geregelt werden müssen. Für sie gebe es keine wirkliche Arbeitslosenversicherung. Und: Die Kategorien angestellt/selbstständig/scheinselbständig seien vom Gesetzgeber immer noch nicht klar definiert worden. Diese Frage werde von der Politik den Gerichten überlassen – das müsse sich ändern.
Auswärtige Kulturpolitik
Besonders wichtig ist der FDP auch die auswärtige Kulturpolitik. So will sie etwa einen "National Trust Europe" gründen: einen EU-weiten Kulturfonds zum Schutz des europäischen Kulturerbes, der als Dachorganisation europäische Denkmalschutzeinrichtungen fördern und miteinander EU-weit vernetzen soll. Nach dem Vorbild des "National Trust" in Großbritannien finanziert "zu großen Teilen über Mitgliedsbeiträge, Einnahmen aus Eintritten und gewerblichem Betrieb" soll die Institution sich eines Tages selbst tragen.
"Die Linke" steht für einen breiten Kulturbegriff, ihr Wahlprogramm betont soziokulturelle Zentren, "partizipative Freiräume für Kinder und Jugendliche", eine kommunale Kultur- und Vereinsförderung sowie eine urbane Clubkultur.
Für "Die Linke" sollen "Kunst und Kultur" "helfen, unterschiedliche Perspektiven auf unser gesellschaftliches Miteinander sowie auf Missstände zu werfen", um damit "solidarisch die Bedingungen für alle Menschen zu verbessern". Auch die großen Museen, die Staatstheater, die Opernhäuser haben in diesem Konzept ihren Platz, sie sollen sich aber ihrem Publikum deutlich intensiver zuwenden als bisher.
Kultur ins Grundgesetz, Aufhebung des Kooperationsverbots und Schaffung eines Bundeskulturministeriums
Das Staatsziel Kultur soll im Grundgesetz festgeschrieben werden. Das bestehende Kooperationsverbot, das dem Bund untersagt, sich in die Kulturpolitik der Länder einzumischen, soll aufgehoben werden. Dazu gehört die Forderung nach einem Bundeskulturministerium - das sich inhaltlich nicht einmischen, aber die kulturwirtschaftlichen Rahmenbedingungen setzen soll.
Soziale Absicherung von Kulturschaffenden
Bei der Gleichstellung der Kulturschaffenden und um ihre soziale Lage im Blick zu behalten, sei der Bund unerlässlich, doch hier habe die Bundesregierung "versagt": Die soziale Lage vieler Kulturschaffender sei "desolat". Entsprechend will die "Linke" "unstetig Beschäftigte und Solo-Selbstständige" in die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung einbeziehen, für Lockdown-Geschädigte ist eine Monatspauschale von mindestens 1.200 Euro vorgesehen.
Erinnerungspolitik
In ihrer Geschichts- und Erinnerungspolitik will die "Linke" die Geschichte beider deutscher Staaten als "gemeinsame Geschichte" vermitteln – und sich dabei "an den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft orientieren" und "die Leistung der Millionen von Gastarbeitern" angemessen würdigen.
Im Mittelpunkt des kulturpolitischen Programms der AfD stehen die Begriffe "Identität" und "deutsche Leitkultur". Die deutsche Identität sei "geprägt durch unsere deutsche Sprache, unsere Werte, unsere Geschichte und unsere Kultur", heißt es im Wahlprogramm, unsere Kultur sei "eng verbunden mit dem Christentum, der Aufklärung, unseren künstlerischen und wissenschaftlichen Werken".
Deutsche Leitkultur versus Multikulturalismus
Die "deutsche Leitkultur" beschreibe "unseren Wertekonsens, der für unser Volk identitätsbildend ist". Der "Multikulturalismus" wie der "Kulturrelativismus" würden zu einem "Neben- und Gegeneinander von Parallelgesellschaften" ohne gemeinsame Werte führen, in einer "derart fragmentierten Gesellschaft" würden "Konflikte entstehen, die kaum noch beherrschbar" seien.
Kulturhoheit der Bundesländer
Das AfD-Wahlprogramm betont die Kulturhoheit der Bundesländer. Die kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes will die AfD "begrenzen".
Erinnerungspolitik
In der Geschichts- und Erinnerungspolitik plädiert die AfD insbesondere dafür, sich "nicht nur auf die Tiefpunkte unserer Geschichte" zu konzentrieren, sondern "auch die Höhepunkte im Blick" zu haben.
Mit Blick auf die deutsche Kolonialzeit wendet sich die AfD gegen "aggressive Versuche einer ideologisch geprägten, moralisierenden Umdeutung der Geschichte, die sich an der Schleifung von Denkmälern und Umbenennung von Straßen" festmache. Der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Marc Jongen, argumentiert: In der Kolonialzeit seien zwar Verbrechen begangen worden, sie sei aber "keine bloße Verbrechensgeschichte". Die moderne Staatlichkeit vieler der ehemals kolonialisierten Länder sei erst mit der Kolonialzeit entstanden, "jahrhundertelange Gewaltgeschichten – Stichwort Versklavung" seien "in dieser Zeit beendet" worden.