Bundestagswahl 2021
Was im Wahlprogramm der Grünen steht

Mehr Klimaschutz, ein schnellerer Kohleausstieg, mehr Investitionen, aber auch höhere Schulden: Die Grünen wollen mit ihrem Programm zur Bundestagswahl ihren Anspruch auf das Kanzleramt untermauern. Die wichtigsten Inhalte – und Knackpunkte.

Annalena Baerbock (r), Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, kommen zur Vorstellung des Entwurfs des Grünen-Wahlprogramms für die Bundestagswahl. Über das Wahlprogramm stimmt der Parteitag im Juni ab.
Die beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, bei der Vorstellung des Entwurfs des Wahlprogramms ihrer Partei für die Bundestagswahl (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Die Grünen möchten wieder regieren. 16 Jahre lang waren sie in der Opposition, lediglich von 1998 bis 2005 gehörten sie der Bundesregierung an. Damals waren sie Juniorpartner der SPD. Dieses Mal rechnen sie sich Chancen aus, das Kanzleramt zu erobern, und haben Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin bekanntgegeben.
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock steht hinter einem Mikrofon.
Dafür steht die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock
Die Grünen schicken Annalena Baerbock ins Rennen um das Kanzleramt. Sie wird vor allem für ihre präzise Sprache, die fachliche Versiertheit und ihr Verhandlungsgeschick gelobt.
Am 13. Juni hat die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen das Programm mit dem Titel "Deutschland. Alles ist drin" verabschiedet. Die Delegierten votierten mit 98 Prozent dafür. Zuvor hatte es über 3.000 Änderungsanträge gegeben, die überwiegend abgelehnt wurden.

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Was fordern die Grünen?
Die Forderungen der Grünen konzentrieren sich vor allem auf Klimaschutz- und soziale Themen. Die Kernpunkte sind:
Klima
Geplant ist ein "Klimaschutz-Sofortprogramm". Das Klimaziel soll angehoben werden: 70 Prozent weniger Treibhausgase im Jahr 2030 als 1990. Derzeit liegt das Ziel bei 65 Prozent. Der im Januar eingeführte CO2-Preis für Verkehr und Wärme soll 2023 bereits 60 Euro (derzeit 25 Euro) pro Tonne betragen. Um vor allem Geringverdiener und Familien zu entlasten, soll ein Energiegeld an alle Bürger zurückfließen. Die Grünen wollen sich "dafür einsetzen", dass der Kohleausstieg 2030 "vollendet" wird (derzeit 2038).
Steuern
Um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, soll der Grundfreibetrag der Einkommensteuer erhöht werden. Zur Finanzierung steigt der Spitzensteuersatz für hohe Einkommen in zwei Stufen um drei und um sechs Prozentpunkte. Ab einem Einkommen von 100.000 Euro für Alleinstehende (200.000 Euro für Paare) läge der Spitzensteuersatz bei 45 Prozent und ab einem Einkommen von 250.000 (500.000) Euro bei 48 Prozent. "Zusätzlich werden hohe Managergehälter oberhalb von 500.000 Euro nicht mehr zum Abzug als Betriebsausgaben zugelassen", heißt es in dem Programm.
Zudem soll eine Vermögenssteuer für Vermögen von mehr als zwei Millionen Euro pro Person eingeführt werden, die jährlich ein Prozent betragen und den Ländern für die Finanzierung von Bildungsaufgaben zugute kommen soll. Um zum Beispiel Aktienanleger zu entlasten und hingegen Menschen mit hohen Zinseinkommen und Spekulationsgewinnen stärker zu besteuern, wollen die Grünen die Abgeltungssteuer für Kapitalerträge abschaffen – stattdessen werden diese Einkommen dann wieder progressiv besteuert, so der Plan.
Außerdem sollen vegane Milchalternativen steuerlich mit Milchprodukten gleichgestellt werden und den reduzierten Mehrwertsteuersatz bekommen.

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Soziales
Die Regelsätze von Hartz IV, von der früheren rot-grünen Bundesregierung eingeführt, sollen als Sofortmaßnahme um mindestens 50 Euro angehoben werden. Später soll das gesamte System vollständig durch eine Garantiesicherung ersetzt werden, welche auf Sanktionsmaßnahmen verzichtet.
Außerdem gehen die Grünen mit der Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro in den Wahlkampf. Ein Antrag aus den Reihen der Delegierten, 13 Euro als Ziel ins Wahlprogramm zu schreiben, wurde abgelehnt. Eine Kindergrundsicherung soll bisherige Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Sozialgeld bündeln.
Bildung
Schulen sollen laut Wahlprogramm zu "Unterstützungsorten für die ganze Familie" werden und hauptberufliche IT-Administratoren bekommen. Zusätzliches Geld soll zudem für die Kooperation von Schulen mit lokalen Akteuren wie Vereinen oder Musikschulen fließen.
An den Hochschulen wollen die Bündnisgrünen eine "nachhaltige, klimagerechte und barrierefreie Modernisierung" ermöglichen, deren IT-Infrastruktur durch eine Digitalisierungspauschale stärken. Im akademischen Mittelbau soll es mehr unbefristete Stellen geben, die Tarifsperre aufgehoben und das Tenure-Track-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses weiter entwickelt werden. Insgesamt solle es künftig auf allen Ebenen einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent geben.
Das BAföG wollen die Bündnisgrünen gänzlich umstricken und zu einer Grundsicherung für alle Studierenden und Azubis machen. Studien- und Verwaltungsgebühren an staatlichen Hochschulen sollen gestrichen werden.
Verkehr
Das Programm sieht vor, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden. Der Kauf emissionsfreier Autos soll über ein Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer gefördert werden. Pendlerinnen und Pendlern mit niedrigem Einkommen soll ein "Fonds für Transformationszuschüsse" beim Umstieg auf ein emissionsfreies Auto helfen.
Auf deutschen Autobahnen soll ein Tempolimit, genannt "Sicherheitstempo", von 130 Stundenkilometern gelten. Ein massiver Ausbau der Bahnverbindungen soll Kurzstreckenflüge bis 2030 überflüssig machen. Ebenfalls ist ein Ausbau des Radwegenetzes geplant. Alle Radwege sollen sich "durch hohe Qualität und eine gute Beschilderung auszeichnen", heißt es im Programmentwurf.
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Wirtschaft und Finanzen
Die Grünen wollen die Schuldenbremse im Grundgesetz umbauen, um über Kredite zusätzliche jährliche Investitionen von 50 Milliarden Euro zu finanzieren – in schnelles Internet, Spitzenforschung, klimaneutrale Infrastrukturen, Ladesäulen, Ausbau der Bahn, emissionsfreie Busse, moderne Stadtentwicklung.
Rente
Die staatlich geförderte private Altersvorsorge nach dem Modell der Riester-Rente soll durch einen "öffentlich verwalteten Bürgerfonds" ersetzt werden. Zudem streben die Grünen eine sogenannte Bürgerversicherung an. In einem ersten Schritt dorthin sollen unter anderem nicht abgesicherte Selbstständige in die Rentenversicherung aufgenommen werden, denen ansonsten Altersarmut drohe. Aber auch Abgeordnete sollen in die gesetzliche Rentenversicherung integriert werden.
Wohnen
Die Grünen wollen den Anstieg der Wohnkosten mit einem bundesweiten Mietendeckel eingrenzen, der "Mietobergrenzen im Bestand" ermöglicht. Reguläre Mieterhöhungen sollen bei 2,5 Prozent im Jahr innerhalb des Mietspiegels gedeckelt werden.
Integration
Migranten, die bisher nur einen vorübergehenden Duldungsstatus haben, bekommen nach fünf Jahren Aufenthalt ein sicheres Bleiberecht.
Sicherheitspolitik
In der Sicherheitspolitik lehnen die Grünen das "willkürliche" NATO-Zwei-Prozent-Ziel ab, wonach Mitgliedsstaaten mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für den Militäretat ausgeben sollen.
Die Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr lehnen die Grünen hingegen nicht mehr kategorisch ab, wenn sie Soldaten in Einsatzgebieten schützen sollen. Ein Antrag, mit dem bewaffnete Drohnen weiter abgelehnt wurden, unterlag in der Abstimmung sehr knapp mit 343 gegen 347 Stimmen.
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Was sagen die Grünen selbst über ihre Pläne?
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CDU, CSU und SPD seien "erlahmt und müde" nach all den Jahren in der Großen Koalition, sagte der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck. Das Erscheinungsbild der Republik sei "saturiert, müde, wandlungsunlustig, ja mittelmäßig". Das grüne Gegenmittel: "eine Vitaminspritze für dieses Land" – womit er den Entwurf für das Wahlprogramm meinte.
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Eine Minderheit in der Partei hätte sich allerdings schärfere Positionen gewünscht. Der "Fridays for Future"-Klimaaktivist Jakob Blasel, der für die Grünen in den Bundestag will, hatte in einem Änderungsantrag eine deutliche Verschärfung der Klimaziele verlangt. Ein CO2-Preis von 60 Euro sei viel zu günstig, argumentierte er. Blasel hatte eine Erhöhung von 80 Euro und danach eine jährliche Steigerung von 15 Euro pro Jahr gefordert, doch der Antrag wurde abgelehnt.
Dass viele verschärfende Änderungsanträge auf dem Parteitag abgelehnt wurden, sei kein Zeichen für schwindende Basisdemokratie, sagte Claudia Roth (Grüne), Vizepräsidentin des Bundestags im Deutschlandfunk. Das beschlossene Programm habe ambitionierte Ziele für den Klimaschutz, sei aber gleichzeitig realistisch. Man müsse sich erreichbare Ziele stecken.
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Wie beurteilen andere das Wahlprogramm der Grünen?
Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen sprach von einem "Fahrplan in den 'Öko'-Sozialismus". Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger nennt das Wahlprogramm ein "wildes Sammelsurium aus höheren Steuern, zusätzlichen Regulierungen, mehr Abgaben". So werde der Umbau zu einer nachhaltigeren Wirtschaft nicht funktionieren. Es brauche Investitionen, die aber auch erwirtschaftet werden müssten. Das Programm der Grünen werde jedoch nicht für Dynamik und Beschäftigung, sondern für mehr Belastungen und Barrieren sorgen.
Aber auch aus der entgegengesetzten politischen Richtung kam Kritik: Der Naturschutzbund NABU vermisst im Programm ein Moratorium für den Autobahnneubau.
Den Grünen gehe es um einen "sozial-ökologischen Umbau" des Landes, erklärt Dlf-Hauptstadtkorrespondent Klaus Remme. Wichtigstes Thema sei die Klimapolitik. Wer die geplante Verschärfung des Klimaziels nicht mitgehen wolle, sei für die Grünen nicht koalitionsfähig. Gleichzeitig setze man die Forderungen bewusst kompromissbereit, denn das Ziel sei klar: Die Partei wolle die politische Führung im Land übernehmen. "Das wird die großen Auschläge nach links in Richtung Radikalität wegnehmen", meint Remme.
Das Wahlprogramm sei klar auf die politischen Linien der Vorsitzenden Baerbock und Habeck zurückzuführen, sagte Remme. Zielgruppe sei dabei die gesamte Breite der Gesellschaft und nicht nur die grüne Kernklientel.
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Agrarwende, Finanzwende, Verkehrswende: Veränderung sei notwendig, betonte Robert Habeck, Co-Chef der Grünen, im Dlf und forderte Investitionen.
Die Parteiführung sei sehr klar darin, so Remme, dass sie sich gegen einen zu radikalen Kurs stemme und vertrete diese Linie auch direkt und offen. Ob höherer CO2-Preis oder frühererer Ausstieg aus den Verbrenner-Motoren - die Parteispitze habe sich immer mit klaren Worten dagegen ausgesprochen und eine Verschärfung des Programms erfolgreich verhindert.
Trotz des Kompromisskurses gebe es aber Knackpunkte, die in Koalitionsverhandlungen kritisch werden könnten, meint Remme. So würde die Union nicht ohne Weiteres bei den geplanten Milliardeninvestitionen mitspielen, da diese kreditfinanziert werden sollen. Dazu sei eine Grundgesetzänderung notwendig und das sei ein "veritables Problem", so Remme.
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Quellen: Klaus Remme, dpa, rtr, AFP, tei, pto
Bundestagswahl 2021 - zum Dossier
Das Wichtigste zur Bundestagswahl im Überblick (Deutschlandradio / imago images / Alexander Limbach)