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Kurz vor dem Ampel-Aus am 6. November 2024 war die Unzufriedenheit mit den Regierungsparteien groß: Die Umfragewerte für SPD, Grüne und FDP befanden sich im Dauertief. Daran hat sich bis zur Bundestagswahl wenig geändert. Die FDP muss um den Einzug ins Parlament bangen. Den Grünen gelingt es vermutlich nicht, gegenüber ihrem Wahlergebnis von 2021 (14,7 Prozent) zuzulegen.
Am meisten an den Ampel-Jahren zu tragen hat jedoch die Kanzlerpartei SPD. Sie wird den Hochrechnungen nach das schlechteste Bundestagswahlergebnis in ihrer Geschichte einfahren - und etwa nur halb so viele Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen wie die Union.
Welche Themen und Ereignisse prägten den Wahlkampf, was bewegte die Wählerinnen und Wähler – und wo konnten die Parteien punkten?
Inhalt
- SPD holt schlechtestes Ergebnis in ihrer Geschichte
- Grüne bleiben hinter SPD zurück
- FDP bangt um ihren Einzug in den Bundestag
- Die Linke und die „Taylor Swift der deutschen Politik“
- BSW – die Euphorie der Parteigründung ist endgültig verflogen
- Union profitiert von Unzufriedenheit mit Ampel-Regierung
- AfD – Die Gewinnerin des Wahlkampfs
SPD holt schlechtestes Ergebnis in ihrer Geschichte
Die Umfragen zeichnen ein düsteres Bild für die Sozialdemokraten: Laut einer Infratest-dimap-Befragung kurz vor der Wahl trauen nur noch wenig Wahlberechtigte den Sozialdemokraten zu, wichtige Aufgaben in Deutschland lösen zu können: gerade einmal 15 Prozent. Im Jahr 2021 waren es noch 28 Prozent.
Ampel-Streit und Ampel-Aus wirken nach – und stellen sich als entscheidende Faktoren bei der Bundestagswahl heraus. Aber auch sonst lief der Wahlkampf für die SPD eher holprig: Zu Beginn mit der K-Frage, ob nun Verteidigungsminister Boris Pistorius oder Kanzler Olaf Scholz SPD-Spitzenkandidat werden soll.
Dann kamen die Anschläge in Magdeburg, Aschaffenburg und München. Migrationsfragen prägten den Wahlkampf. Ein emotional behaftetes Thema, bei dem Scholz zu wenig geliefert habe, sagt Daniel Friedrich Sturm, Leiter des Hauptstadtstudios des „Tagesspiegel“. „Politik ist manchmal eben auch Emotion und manchmal eben auch Symbol. Und das zum Beispiel hat dieser Kanzler überhaupt nicht begriffen, und das ist auch ein Grund für seinen demoskopischen Niedergang.“
Olaf Scholz galt von jeher nicht als charismatischer Wahlkämpfer. Doch in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten ist kein Kanzler mit einem derart geringeren Zuspruch in eine Bundestagswahl gezogen. Gerade die für Krisenzeiten typischen Erwartungen an Regierende in puncto Entschlossenheit, Orientierungshilfe und Entscheidungsstärke hat Olaf Scholz aus Sicht vieler offensichtlich nicht erfüllen können. Waren 2021 sechs von zehn überzeugt, dass der SPD-Politiker gut durch Krisen führen kann, waren es diesmal nur noch halb so viele. Nur für jeden Fünften hat er im Rückblick als Kanzler nötige Führung gezeigt.
Daher sind die schlechten Hochrechnungsergebnisse zum Teil auch Olaf Scholz anzurechnen. Seine politische Karriere könnte nach dieser historischen Niederlage beendet sein.
Grüne bleiben hinter SPD zurück
Ampel-Aus, niedrige Umfragewerte, drei desaströse Landtagswahlen und dann noch ein Wechsel an der Parteispitze: Auch Bündnis 90/Die Grünen starteten im Krisenmodus in den Wahlkampf. Das Image als vermeintliche „Verbotspartei“ machte ihnen außerdem zu schaffen.
Immerhin: Im Gegensatz zu den Ampel-Partnern SPD und FDP können die Grünen noch einigermaßen zufrieden auf die Hochrechnungen schauen. Zwar haben sie die 14,7 Prozent aus dem Jahr 2021 den Hochrechnungen zufolge nicht erreicht. Bei allen Bundestagswahlen von 2021 lag ihr Stimmanteil aber um oder auch deutlich unter zehn Prozent.
Dabei spielte das Herzensthema der Grünen – der Klimaschutz – im Bundestagswahlkampf 2025 eine sehr viel geringere Rolle als noch bei der Wahl 2021. Damals gehörte es mit sozialer Sicherheit, Wirtschaft und Arbeit zu den drei Themen, die vor allem wahlentscheidend waren. Bei dieser Wahl standen innere und soziale Sicherheit an erster Stelle, gefolgt von Zuwanderung und Wirtschaftswachstum. Eigentlich nicht gerade die Themen, bei denen den Grünen große Kompetenz zugeschrieben wird.
„Graduelle Vorteile“ könnte Spitzenkandidat Robert Habeck den Grünen gebracht haben, analysiert Infratest dimap. Er führt in der Bewertung der Wahlberechtigten gemeinsam mit Friedrich Merz die Spitzenkandidatenliste an. „Für manche ist er Kanzler der Herzen“, so der Politologe Albrecht von Lucke. „Aber das ist er eben nur für ein Teilmilieu.“
FDP bangt um ihren Einzug in den Bundestag
Nur 2013 gelang der FDP nicht der Einzug in den Bundestag. Sonst war sie seit Gründung der Bundesrepublik immer mit dabei. Nun liegt sie den Hochrechnungen nach um die Fünf-Prozent-Hürde. Sollte der Partei der Einzug in den Bundestag nicht gelingen, werde er sich aus der Politik zurückziehen, hat der Parteivorsitzende der Liberalen, Christian Lindner, angekündigt.
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Die Liberalen wirken nach drei Jahren Ampel-Koalition in der Wahrnehmung der Bundesbürger angeschlagen – sachpolitisch, aber auch personell. Insbesondere in wirtschaftsnahen Feldern hat sich die FDP mit einer Profilierung schwerer getan als 2021, vor allem gegenüber der Union als größter Oppositionskraft.
Die enttäuschende Regierungsleistung, aber auch die Umstände des Ampel-Aus‘ – die sogenannte D-Day-Affäre – belasten das Ansehen der Liberalen. Sechs von zehn Wahlberechtigten meinen, die FDP habe in der Ampel-Koalition bewiesen, dass sie kein vertrauenswürdiger Regierungspartner sei.
Dass die FDP immer wieder eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschloss, dann FDP-Politikerinnen und -Politiker im Wahlkampf aber gemeinsam mit Union und AfD dem umstrittenen Fünf-Punkte-Plan der Unionsfraktion zu Migration zustimmten, ließ das Vertrauen der Wahlberechtigten in die Partei sicher nicht wachsen.
Die Linke und die „Taylor Swift der deutschen Politik“
Personelle Querelen und innerparteiliche Richtungskämpfe – bis hin zur Abspaltung des neuen „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) – bestimmten vor einiger Zeit noch das Bild der Partei. Die Linke war im Umfragetief. Auch im Wahlkampf sah es so aus, als würde die Partei unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben. Dann gelang ihr ein erstaunliches Last-minute-Comeback. Sie meldet einen neuen Mitgliederrekord. Die Umfragewerte stiegen. Nun kann sie den Hochrechnungen problemlos in den Bundestag einziehen.
Etliche Medien haben das auch Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek angerechnet, die durch Offenheit und eine geschickte Nutzung sozialer Medien im Wahlkampf punkten konnte. Das Nachrichtenportal T-Online spricht von der „Taylor Swift der deutschen Politik“ – auch wenn dies reichlich übertrieben sein mag, wie T-Online selbst einräumt.
Einer der ausschlaggebenderen Gründe für das überraschende Comeback der Partei ist wohl eher die Zuwanderungsdebatte, die den Wahlkampf bestimmt hat. Während alle anderen Parteien restriktivere Maßnahmen forderten, blieb Die Linke bei ihrem liberalen Angebot. Für Wahlberechtigte, die sich gegen eine Verschärfung der Migrations- und Asylpolitik aussprechen, war die Partei deswegen eine wichtige, wenn nicht sogar die einzig wählbare Alternative.
Entscheidend für das unerwartet gute Abschneiden der Linkspartei dürften außerdem ihre sozialpolitischen Forderungen sein. Knapp jeder zweite Wahlberechtigte bescheinigt der Partei, sich am ehesten um sozialen Ausgleich zu bemühen. Als zentrale Themen für den Wahlkampf hat die Linke bezahlbare Mieten und niedrigere Lebenshaltungskosten gewählt – und damit anscheinend punkten können.
BSW – die Euphorie der Parteigründung ist endgültig verflogen
Das im Januar 2024 aus einer Abspaltung der Linkspartei hervorgegangene „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) war bei den Wahlen zum EU-Parlament sowie bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg äußerst erfolgreich – und ist nun an zwei Landesregierungen beteiligt.
Doch die Euphorie der Parteigründung ist endgültig verflogen: Die Partei muss um ihren Einzug ins Parlament bangen. Parteichefin Sahra Wagenknecht hat ihre politische Zukunft an die Bundestagswahl geknüpft.
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Jeder zweite Wahlberechtigte gab an, sich von der Partei – die sozialpolitisch linke Standpunkte mit gesellschaftspolitisch konservativen Forderungen verbindet – mehr Ideen erwartet zu haben. In einem Wahlkampf, in dem so gut wie alle Parteien für eine stärkere Zuwanderungsbegrenzung plädierten, konnte das BSW sich außerdem mit rigiden Forderungen in der Migrationspolitik nicht mehr von anderen Parteien abgrenzen. Beim Einsatz für soziale Gerechtigkeit trauten die Wählerinnen und Wähler der Partei Die Linke mehr zu als dem BSW. „All ihre Themen werden viel radikaler von anderen Parteien besetzt“, so Publizist und Politologe Albrecht von Lucke.
Union profitiert von Unzufriedenheit mit Ampel-Regierung
Die Union ist einer der großen Gewinner der Bundestagswahl und stärkste Kraft im Parlament. Profitieren konnte die Partei vor allem von der großen Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung. Als damalige Oppositionspartei konnte sie sich im Wahlkampf von dem gescheiterten Regierungsbündnis abgrenzen und als Alternative darstellen. Und das, obgleich die Wahlberechtigten der CDU und CSU - als Parteien, die lange Regierungsverantwortung getragen haben - durchaus eine Mitverantwortung für die Probleme im Land geben.
Als Wahlkampfthema hob Spitzenkandidat Friedrich Merz unter anderem die Wirtschaftspolitik hervor. Der Infrates dimap-Umfrage nach eines der vier Top-Themen, die für die Bürgerinnen und Bürger wahlentscheidend waren. Da der Union traditionell die meiste Kompetenz in ökonomischen Fragen zugesprochen wird, konnte sie hier vermutlich Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen.
Auch bei außen- und verteidigungspolitischen Fragen und im Bereich der inneren Sicherheit – ebenfalls ein für viele Bürgerinnen und Bürger wahlrelevantes Thema – vertrauen die Wähler der CDU und CSU sehr viel mehr als anderen Parteien.
Spätestens seit dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg im Januar dominiert allerdings die Migrations- und Asylpolitik den Wahlkampf der Union. Sie startete äußerst umstrittene Parlamentsinitiativen für eine extreme Verschärfung der Zuwanderungspolitik – und nahm zur Durchsetzung auch AfD-Stimmen in Kauf. Ein Novum und ein Tabubruch, auf den Grüne und SPD empört reagierten und Straßenproteste folgten.
An den Umfragewerten änderte sich allerdings nicht viel. Die Union blieb bei der Sonntagsfrage bei etwa 30 Prozent. 64 Prozent der Wählerinnen und Wähler befürworteten, wie klar sich Friedrich Merz gegen irreguläre Zuwanderung ausspricht.
Unbeschränktes Vertrauen in die Union haben die Wahlberechtigten allerdings nicht – das zeigen die Daten von Infratest dimap. Und auch die Begeisterung für Unionsspitzenkandidat Friedrich Merz hält sich in Grenzen. Der Zuspruch für ihn ist geringer als für alle Kanzler-Herausforderer von Union und SPD der letzten Jahrzehnte.
AfD – Die Gewinnerin des Wahlkampfs
AfD ist der große Gewinner des Wahlkampfs. Die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall bewertete Partei wird den Hochrechnungen nach zweitstärkste Kraft im Bundestag und kann ihr Ergebnis im Vergleich zu 2021 (10,4 Prozent) fast verdoppeln.
Die Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung, aber auch die allgemeine Unzufriedenheit und Verunsicherungen angesichts außenpolitischer Krisen und schwacher Konjunktur haben der Partei Vorteile gebracht. Die Mieten und Preise steigen, und viele AfD-Wähler treibt die Sorge vor dem Verlust ihres persönlichen Wohlstands um.
Auch die drei Anschläge während des Wahlkampfs in Magdeburg, Aschaffenburg und München, bei denen die Täter aus dem Ausland stammen, spielten der AfD in die Hände. Äußerte sich 2021 gut jeder Dritte positiv zu den restriktiven Positionen der AfD beim Thema Zuwanderung, war es jetzt fast jeder Zweite. Dass die Partei in ihrem Wahlprogramm unter dem Begriff „Remigration“ eine umfassende Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund fordert und als in Teilen rechtsextrem gilt, scheint immer weniger Wählerinnen und Wähler zu stören. Infratest dimap spricht in diesem Zusammenhang von einem Normalisierungs- wie Etablierungseffekt.
Auch die Entscheidung von Unionskandidat Friedrich Merz, gemeinsam mit der AfD im Bundestag für eine extreme Verschärfung der Zuwanderungspolitik zu stimmen, habe die AfD „natürlich ungemein aufgewertet“, sagt der Politologe Albrecht von Lucke.
lkn