Bundestagswahl
Warum der Klimawandel im Wahlkampf untergeht

Temperaturrekorde brechen, Extremwetter nimmt zu – doch im Wahlkampf wird die Klimakrise kaum beachtet. Dabei sehen sie viele Wähler als größte Herausforderung. Woran liegt das? Und kann die nächste Bundesregierung den Klimaschutz weiter ignorieren?

    Am Ufer des überschwemmten Rhein in Köln. Ein Schild weist auf Lebensgefahr bei Hochwasser hin.
    Im Wahlkampf wird Klimaschutz oft als teuer dargestellt. Doch nichts zu tun wird noch teurer, zeigen Studien. Extremwetter wie Hochwasser werden in Zukunft häufiger auftreten und Milliarden kosten. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
    Hochwasser, Waldbrände, Hitzerekorde – die Folgen der Klimakrise sind längst spürbar. 2024 überschritt die globale Durchschnittstemperatur erstmals die 1,5-Grad-Schwelle im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Im Januar 2025 folgte direkt der nächste Rekord: 1,7 Grad Erwärmung. Doch im Wahlkampf zur Bundestagswahl am 23. Februar spielt der Klimawandel kaum eine Rolle. Auf den meisten Wahlplakaten sucht man vergeblich nach dem Stichwort Klima. Auch in politischen Talkshows, Interviews und sogar im TV-Duell zwischen Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) wird das Thema weitgehend ignoriert. Dabei zeigen aktuelle Umfragen: Für viele Wählerinnen und Wähler bleibt der Klimawandel eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.

    Inhalt

    Wirtschaft und Migration dominieren den Wahlkampf 2025

    Ein zentraler Grund, warum das Klimathema im Wahlkampf untergeht: Es wird von anderen Themen überlagert. Vor allem Wirtschaft und Migrationspolitik stehen derzeit im Fokus der Debatten. "Man muss zurzeit tatsächlich sagen, dass man mit dem Klimathema wahrscheinlich die Wahl nicht gewinnen kann", sagt Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
    Laut Nassehi orientieren sich Politiker in Wahlkämpfen weniger an den drängendsten Problemen als an Themen, die Wähler emotional mobilisieren. Greifbare Konflikte wie Migration oder Inflation erzeugen mehr Resonanz, während der langfristige und komplexe Klimawandel in den Hintergrund rückt. Für den Klimaschutz gibt es keine einfachen Lösungen und er geht über eine Legislaturperiode hinaus – eine Herausforderung, mit der sich die Politik schwertut, ähnlich wie bei der Digitalisierung, sagt Klimaforscherin Katja Matthes.
    Hinzu kommt, dass sich die Gesellschaft an Krisen gewöhnt hat, was es schwerer macht, die Dringlichkeit des Klimawandels ins Bewusstsein zu rücken, so Nassehi.

    Klimaschutz als Sündenbock

    Wenn Klimapolitik im Wahlkampf eine Rolle spielt, dann meist in negativer Form, meint Ottmar Edenhofer, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. „Immer dann, wenn man auf Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft verweist - da muss dann die Klimapolitik sehr oft als Sündenbock herhalten“, sagt er. Die schwächelnde deutsche Wirtschaft steht unter Druck – unter anderem durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Doch einige Akteure geben der Klimapolitik die Schuld, etwa für hohe Strompreise. In vielen Köpfen bleibt daher hängen, dass Klimaschutz vor allem Verteuerung bedeutet und den Wohlstand gefährdet – ein Narrativ, das bereits in der Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, auch Heizungsgesetz, eine Rolle spielte.
    Dazu passt die Aussage des Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, dass der Ausstieg aus Kohle- und Gasverstromung nur erfolgen dürfe, wenn dadurch nicht der Wohlstand gefährdet werde. Dabei wird laut Klimaaktivistin Luisa Neubauer ausgeblendet, dass die Klimakrise selbst die größte Bedrohung für die Wirtschaft ist. Sie verweist auf das Weltwirtschaftsforum, das Klimafolgen als größtes Risiko nennt. Allein die Flut im Ahrtal und an der Erft hat rund 40 Milliarden Euro gekostet. „Richtig guter Klimaschutz ist eine Investition in eine stabile Wirtschaft“, sagt Neubauer.

    Darstellung in den Medien

    Medien beeinflussen, wie Klimaschutz öffentlich wahrgenommen wird. So habe der Journalismus etwa in der Debatte um das Heizungsgesetz Fehler gemacht, meint Dlf-Journalistin Ann-Kathrin Büüsker. Statt sachlicher Einordnung hätten verzerrte Darstellungen dominiert, die Klimaschutz als teuer und belastend darstellten.
    Hinzu kommt die Logik der Wahlkampfberichterstattung, erklärt Soziologe Armin Nassehi: „Der Wahlkampf ist ja keine Informationsveranstaltung. Der Wahlkampf ist eine Differenzveranstaltung.“ Komplexe Themen wie CO2-Bepreisung lassen sich schwer in einfache Botschaften packen, weshalb sie in Medien oft verkürzt oder gar nicht behandelt werden. Stattdessen dominieren konfliktgeladene Themen die Schlagzeilen. Beim Kanzler-Duell und in vielen weiteren Wahlsendungen wurde das Klimathema kaum angesprochen.

    Fehlender politischer Mut und Angst vor Wählerverlusten

    Viele Parteien scheuen sich, Klimapolitik offensiv zu vertreten, aus Angst vor Wählerverlusten. Zwar enthalten die Wahlprogramme vieler Parteien die Klimaziele, doch in der Praxis wirken viele ihrer Forderungen widersprüchlich: So will die Union einerseits Klimaschutz unterstützen, andererseits aber das Heizungsgesetz abschaffen und zentrale Rahmenbedingungen für Klimapolitik wieder auflösen.
    Statt für eine sozial gerechte Klimapolitik einzutreten, die finanzielle Belastungen abfedert, nutzen Parteien die Abwehrreaktionen vieler Wähler, die Klimaschutz als teuer wahrnehmen. Die steigenden Kosten der Klimakrise, etwa durch Hochwasser, bleiben in der Debatte meist unbeachtet.
    Nach Kritik am TV-Duell der Kanzlerkandidaten, in dem Klimaschutz kaum vorkam, griffen einige Politiker das Thema plötzlich auf. Darunter FDP-Chef Christian Lindner, der sich damit von der AfD abgrenzte, aber dennoch für ein langsameres Vorgehen beim Klimaschutz plädierte. Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck machte es sogar zum Schwerpunkt seiner Rede.

    Verzögerungstaktiken und Einfluss von Lobbygruppen

    Fossile Konzerne haben ein starkes Interesse, Klimaschutz zu bremsen, und beeinflussen oft gezielt die öffentliche Meinung und die Politik. So war die Debatte um das Heizungsgesetz 2023 laut laut Lobby Control massiv von Desinformation geprägt. Die Rolle der Gaslobby spielte dabei eine zentrale Rolle.
    Laut Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber haben klassische Klimaleugner an Einfluss verloren, während Klimaschutzverhinderer erstarken. Sie stellen sich gegen die Transformation der Wirtschaft und mobilisieren gegen Windkraft, den „Heiz-Hammer“ und das vermeintliche „Verbrenner-Aus" - angetrieben von libertären Thinktanks, rechten Politikern und Konzernen.
    Besonders eng verbunden ist diese Bewegung mit der AfD, die als einzige Partei den menschengemachten Klimawandel leugnet. Doch auch FDP und CDU stehen etwa unter dem Einfluss der Autolobby und setzen auf Verzögerungstaktiken. So setzen sie etwa auf Zukunftstechnologien wie die Kernfusion, die bislang nicht existiert. Manche Politiker liebäugeln sogar mit der Rückkehr zur Kernenergie – obwohl laut Nassehi selbst die Betreiber in Deutschland kein Interesse daran haben, da sie „ökonomisch in dieser Form gar nicht mehr darstellbar ist“.

    Warum sollte Klimaschutz eine größere Rolle spielen?

    Die Erderwärmung spitzt sich gefährlich zu, immer mehr CO2 gelangt in die Atmosphäre. Kipppunkte – etwa das Auftauen von Permafrost – könnten zusätzliche Emissionen freisetzen und die Krise verschärfen.
    Extremwetterereignisse zeigen die Dringlichkeit von Klimaschutz und Anpassung. Allein im vergangenen Jahr gab es in Deutschland und Europa mehrere Hochwasserereignisse, Hitzerekorde, Ernteausfälle und in den Vorjahren teils sehr schwere Dürren. Die Folgen belasten Wirtschaft und Gesellschaft – Studien zufolge könnte der Klimawandel Deutschland bis 2050 bis zu 900 Milliarden Euro kosten. Investitionen in Klimaschutz und erneuerbare Energien sind daher nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll.
    Der Expertenrat der Bundesregierung bestätigt steigende CO2-Einsparungen, doch das reicht nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Während der Energiesektor durch den Kohleausstieg Fortschritte macht, bleiben der Verkehrs- und Gebäudebereich weiter Sorgenkinder. Um die Klimaziele bis 2030 und 2045 zu erreichen, müssten weitere Reformen folgen.

    Kann die neue Bundesregierung Klimaschutz weiter ignorieren?

    Die Union, die derzeit die meisten Stimmen in den Wahlumfragen hat, will das Heizungsgesetz abschaffen. Ein riskanter Kurswechsel, meint Klimaforscher Ottmar Edenhofer. Ein ständiges Hin und Her in der Klimapolitik würde Investoren verunsichern. Eine langfristige Planung sei entscheidend, nicht nur für Unternehmen, sondern auch für die Bevölkerung. Und: „Klimaziele müssen so formuliert sein, dass sie für die demokratische Mitte ein attraktives Programm sind“, so Edenhofer.
    Auch auf EU-Ebene wäre ein Zurückdrehen von Klimamaßnahmen riskant. „Wenn wir jetzt Flottengrenzwerte im Automobilsektor zurücknehmen, steigen die Preise im Emissionshandel zu stark“, meint Edenhofer. Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sind kein Widerspruch, solange „es klug ausgestaltet wird“, sagt er. Klimaschutz müsse außerdem sozial gerecht sein. „Soziale Ausgleichsmaßnahmen müssen sichtbar, verständlich und glaubwürdig sein, damit die Menschen Vertrauen haben“, sagt Edenhofer.
    Das deutsche Klimaschutzgesetz verpflichtet außerdem jede neue Regierung, innerhalb von zwölf Monaten ein Klimaschutz-Sofortprogramm auf den Weg zu bringen. Zwar könnte das Gesetz geändert werden, doch dann drohen Klagen und millionenschwere EU-Strafzahlungen. Denn das Bundesverfassungsgericht stellte 2021 in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz fest, dass der Staat verfassungsrechtlich zum Klimaschutz verpflichtet ist. Zusätzlich drohen Deutschland millionenschwere Strafzahlungen, falls die EU-Klimaziele nicht eingehalten werden.

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