Bundestagswahl 2025
Wahlprogramme: Inklusion und Teilhabe

Fast acht Millionen Menschen in Deutschland sind schwerbehindert. Hinzu kommen Menschen mit Gleichstellung oder chronischen Erkrankungen. Doch im Wahlkampf spielen Inklusion und Teilhabe kaum eine Rolle. Was planen die Parteien? Ein Überblick.

    Ein Mann in einem Rollstuhl steht vor einer Treppe zu einem U-Bahnhofeingang.
    Funktionierende Fahrstühle, stufenfreie Zugänge zu Bahnsteigen, verlässliche Züge: Ein zuverlässiger, barrierefreier Personennah- und Fernverkehr sind für viele Menschen mit Behinderungen wichtig, um selbstbestimmt leben, arbeiten, wohnen und reisen zu können (picture alliance / Robert Schlesinger )
    Im aktuellen Bundestagswahlkampf spielen Inklusion und Teilhabe kaum eine Rolle – dabei betreffen diese Themen Millionen von Menschen in Deutschland. Rund acht Millionen Menschen sind hierzulande schwerbehindert, hinzu kommen gleichgestellte Personen mit einem Grad der Behinderung von 30 bis 50 Prozent und Menschen mit chronischen Erkrankungen. Viele Behinderungen entstehen durch Krankheiten – etwa 9 von 10 Fällen sind darauf zurückzuführen. Es kann also jeden treffen.
    Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke (BAG BBW) kritisiert, dass es in den Wahlprogrammen aller Parteien im Bereich der Inklusion viel Luft nach oben gebe. Es fehlten zum Beispiel konkrete Ansätze, wie etwa der Übergang von der Schule in den Beruf für Menschen mit Behinderungen besser gestaltet werden kann. Was wollen die Parteien also tun, um Inklusion und Teilhabe voranzubringen?

    Die Parteien

    SPD: Bundeskompetenzzentrum für Leichte Sprache und Gebärdensprache

    Die SPD will die Barrierefreiheit im öffentlichen und privaten Bereich ausbauen, zum Beispiel im Wohnungsbau, in der Mobilität, im Digitalen und im Gesundheitswesen. Auch private Anbieter von Dienstleistungen sollen verpflichtet werden, Barrieren abzubauen. „Wir begrüßen die Pläne von SPD und Grünen, die Barrierefreiheit bei privaten Anbietern verbindlich zu verbessern“, so die Bundesarbeitsgemeinschaft BAG BBW. Barrierefreiheit dürfe nicht auf Freiwilligkeit setzen.
    Die Sozialdemokraten möchten das Recht auf Arbeit sichern und den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt fördern. Gleichzeitig sollen Werkstätten weiterentwickelt und die Einkommenssituation der dort Beschäftigten verbessert werden. Auch Schwerbehindertenvertretungen und die politische Selbstvertretung sollen gestärkt werden.
    Die SPD will die Gebärdensprache stärker fördern: Ein Bundeskompetenzzentrum für Leichte Sprache und Gebärdensprache soll helfen, dass möglichst viele Menschen diese erlernen können – unabhängig davon, ob sie darauf angewiesen sind.
    Im Bereich Gesundheit und Rehabilitation strebt die SPD ein inklusives Gesundheitssystem an. Besonders Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sollen besser unterstützt werden, da ihre Zahl in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Zusätzlich plant die SPD, Diskriminierung zu bekämpfen. Ein Nationaler Aktionsplan Antidiskriminierung, eine modernisierte Antidiskriminierungsstelle und eine dauerhafte Anti-Rassismus-Beauftragte sollen Betroffene besser schützen und beraten.

    CDU/CSU: Mehr Teilhabe – ohne konkrete Pläne

    Auch die Union will die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen weiter stärken. In ihrem Wahlprogramm bleibt sie jedoch - ähnlich wie FDP, AfD und BSW - vage. Die genannten Parteien beschränken sich auf allgemeine Aussagen, ohne konkrete Maßnahmen oder verbindliche Ziele zu benennen.
    CDU und CSU wollen unter anderem den Zugang zu Ausbildung und Arbeit erleichtern und dabei den inklusiven Arbeitsmarkt ausbauen. Dazu sollen sowohl die Vermittlung in reguläre Jobs als auch Inklusionsbetriebe und Werkstätten gefördert werden. Auch die Gebärdensprache will die Union fördern.
    Die Gesundheitsversorgung soll barrierefreier werden. Anträge für Hilfsmittel, vor allem für Kinder, sollen einfacher und weniger aufwendig werden. Im öffentlichen Raum will die Union Hindernisse wie Barrieren in Bus und Bahn oder Probleme durch abgestellte Leihräder und -roller schneller beseitigen. Förderschulen sollen neben inklusiven Angeboten weiterhin Teil des Systems bleiben, um für alle passende Bildungswege anzubieten. Das BAG BBW bewertet das „Engagement von CDU/CSU und FDP“ als positiv, Schulen mit besonderen Schwerpunkten als integralen Bestandteil der inklusiven Bildungslandschaft zu erhalten.

    Bündnis 90/Die Grünen: Von Werkstätten zu inklusiven Unternehmen

    Die Grünen wollen, wie auch die Linke, eine ganzheitliche Inklusion in allen Lebensbereichen schaffen. Dafür möchten sie unter anderem eine Enquetekommission einrichten, in der Betroffene einbezogen werden und Vorschläge für die Inklusion erarbeiten können. Bundesgebäude sollen innerhalb von zehn Jahren barrierefrei werden, und Anbieter öffentlicher Dienstleistungen werden zur Barrierefreiheit verpflichtet, wobei kleine Unternehmen unterstützt werden sollen. Die BAG BBW lobt, dass die Grünen hier nicht auf Freiwilligkeit setzen.
    Das Werkstättensystem soll zu inklusiven Unternehmen weiterentwickelt werden, in denen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam arbeiten, Mindestlohn erhalten und Rentenansprüche erwerben. Die Grünen wollen außerdem inklusive Aus- und Weiterbildung sowie flächendeckende Beratungsstellen fördern. Die Eingliederungshilfe soll vereinfacht und der Zugang zu Leistungen beschleunigt werden.
    Damit Menschen mit Behinderung selbst über ihre Wohnform entscheiden können, sollen inklusive Wohnprojekte gefördert und die Beratung dazu verbessert werden. Hindernisse beim Wunsch- und Wahlrecht sollen abgebaut und das persönliche Budget gestärkt werden. Außerdem sollen Menschen mit Behinderung in Zukunft mehr Einkommen oder Vermögen besitzen dürfen, ohne dass ihnen dadurch Sozialleistungen gekürzt oder verweigert werden. Da Menschen mit Behinderung häufiger Gewalt erleben, wird der Schutz vor Gewalt, besonders in Einrichtungen, verstärkt.

    FDP: Praxisnahe Förderung und Arbeitsvermittlung

    Der Abschnitt zu Inklusion und Teilhabe ist im Programm der FDP recht kurz. Die Freien Demokraten fordern unter anderem mehr Barrierefreiheit im öffentlichen Raum und eine stärkere Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung.
    Sie möchte ein inklusives Bildungssystem von der Kita bis zur Berufsausbildung schaffen und dabei sonderpädagogische Inhalte in die Lehrerausbildung aufnehmen. Förderschulen hält die FDP weiterhin für notwendig, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung einzugehen. Das BAG BBW bewertet das „Engagement von CDU/CSU und FDP“ als positiv, Schulen mit besonderen Schwerpunkten als integralen Bestandteil der inklusiven Bildungslandschaft zu erhalten.
    Der Nachweis einer dauerhaften Behinderung soll nur einmal erbracht werden müssen. Außerdem will die FDP durch praxisnahe Förderung und Arbeitsvermittlung die Chancen von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

    AfD: Inklusion „mit Augenmaß“

    Auch im Programm der AfD wird nur wenig zu Inklusion und sozialer Teilhabe gesagt. Inklusion solle demnach „mit Augenmaß“ erfolgen. Die AfD setzt sich für den Erhalt der Förderschulen ein. Sie sollen der Regelfall für Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf werden, da Regelschulen eine solch umfassende Unterstützung laut AfD nicht leisten könnten.  
    Außerdem will die Partei die häusliche Betreuung Behinderter durch Angehörige besser honorieren und bürokratische Auflagen abschaffen, wie zum Beispiel die eingeschränkte Nutzung des Behinderten-PKW durch pflegende Angehörige. Behinderten in Werkstätten möchte die Partei durch „Mittelumschichtung“ den Erhalt des Mindestlohns ermöglichen. Das bedeutet, die AfD will Geld von anderen Bereichen umverteilen, statt zusätzliches Geld auszugeben.

    Die Linke: Inklusives Lernen in allen Bildungseinrichtungen

    Die Linke setzt sich für eine umfassende Barrierefreiheit ein - auch in der Privatwirtschaft. Dafür sollen unter anderem verbindliche Regeln im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) festgeschrieben werden. Ein Verbandsklagerecht im AGG soll es Antidiskriminierungsverbänden außerdem ermöglichen, auch ohne individuell Betroffene eine Klage einzureichen.
    Die Linke will inklusives Lernen in allen Bildungseinrichtungen etablieren. Förderschulen sollen umstrukturiert und sonderpädagogisches Personal flächendeckend an Regelschulen eingesetzt werden. Da Behinderungen oft erst im Laufe des Lebens entstehen, sollen Aus-, Fort- und Weiterbildungen sowie Bildung im Alter inklusiv gestaltet sein.
    Auch die Arbeitswelt will Die Linke inklusiver machen. Die Beschäftigungspflicht für Menschen mit Behinderung soll auf sechs Prozent angehoben und ein „Freikaufen“ durch Unternehmen verhindert werden. Inklusionsbetriebe sollen stärker gefördert und finanziell unterstützt werden. Die Europäische Mindestlohnrichtlinie verlangt, dass auch Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten, den Mindestlohn erhalten. In Deutschland soll das so schnell wie möglich umgesetzt werden. Auch die gesundheitliche und pflegerische Versorgung soll in der Nähe des Wohnorts der Menschen verfügbar sein. Die Linke will das zur kommunalen Pflichtaufgabe machen.

    BSW: Gesellschaftliche Teilhabe ohne Digitalisierung

    Das BSW setzt sich für eine gesellschaftliche Teilhabe ohne Digitalisierung ein. Millionen Bürger, die aufgrund ihres Alters oder ihrer bewussten Entscheidung kein Smartphone, keinen Computer oder Internetzugang besitzen, sollen laut BSW nicht vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder diskriminiert werden. Dabei sind gerade für Menschen mit Behinderung digitale Angebote wichtig für die Barrierefreiheit.
    Das Bündnis Sahra Wagenknecht fordert außerdem eine konsequentere Umsetzung der seit 2009 geltenden UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Bund und in den Ländern. „Ein Sozialstaat, der Armut verwaltet, statt Menschen zu stärken, verfehlt seine Aufgabe“, heißt es im Programm. Für eine inklusivere Arbeitswelt seien mehr Anreize zur Schaffung barrierefreier Arbeitsplätze nötig. Wie diese Anreize aussehen sollen, wird nicht genannt. Die Partei betont auch, dass sie jegliche Diskriminierung ablehne. Kitas und Schulen sollen wieder als „geborgene Schutzräume“ empfunden werden – ohne „Diskriminierung, Mobbing oder Rassismus.“

    ema, svb