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Bundestagswahl
Das Programm der SPD

Die Wahlprogramme als politische Literatur: Unsere Korrespondenten haben alle Papiere der chancenreichen Parteien gelesen und ordnen sie nach bestimmten Kriterien ein. Nicht zuletzt interessieren uns der Stil und die Ansprechhaltung. Vierter Teil: Die SPD.

Von Frank Capellan |
    Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, am 15.08.2017 im Willy-Brandt Haus in Berlin
    Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (dpa/Wolfgang Kumm)
    "Zeit für mehr Gerechtigkeit!" Schon in der Überschrift des SPD-Wahlprogramms wird das Thema aufgegriffen, das Martin Schulz seit seiner Nominierung in den verschiedensten Facetten spielt. Von Beginn an musste sich der Kanzlerkandidat dabei vorhalten lassen, es gebe doch kein wirkliches Gefühl der Ungerechtigkeit in der deutschen Bevölkerung.
    In der Einleitung zum Regierungsprogramm heißt es dazu: "Viele sagen, dass es ihnen eigentlich gut geht. Aber sie spüren auch, dass es in unserer Gesellschaft nicht überall gerecht zugeht. Sie berichten von ihren Schwierigkeiten, den Hoffnungen ihrer Eltern und Zielen ihrer Kinder. Alle eint der Wunsch nach einer gerechten Gesellschaft, die zusammenhält."
    Die Warnung vor Ungerechtigkeit im Land zieht sich wie ein roter Faden durch das 115 Seiten starke Regierungsprogramm.
    1. Die Schwerpunkte
    Gerechtigkeit, Frieden, Europa - Schlagwörter sozialdemokratischer Wahlversprechen. In der Tradition von Gerhard Schröders Nein zum Irak-Krieg versucht sich die Partei als Friedenspartei zu profilieren. Vehement wehrt sich die SPD dagegen, mehr Geld für Rüstung auszugeben.
    "Eine apodiktische Festlegung auf einen Anteil der jährlichen Ausgaben für die Bundeswehr auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes käme einer Verdoppelung gleich. Das wird es mit der SPD nicht geben!"
    Mit Blick auf Europa versucht der frühere EU-Parlamentspräsident seine Handschrift zu hinterlassen. Martin Schulz fordert mehr Solidarität bei der Flüchtlingsverteilung und setzt auf finanzielle Einbußen für Mitgliedsstaaten, die sich dem verweigern.
    2. Die Gesellschaft
    Vorfahrt für Investitionen! Ist eine Hauptforderung der Sozialdemokraten. "Es ist Zeit für mehr Familie, beste Schulen und gute Pflege", heißt es wörtlich im Programm. Milliardenüberschüsse im Bundeshaushalt geben Spielraum, glaubt die SPD und verspricht eine gebührenfreie Bildung, den flächendeckenden Ausbau guter Ganztagsangebote in den Schulen.
    Dabei will die Partei an die Zuständigkeiten der Länder herangehen und das sogenannte Kooperationsverbot wieder abschaffen, damit der Bund sofort Sanierungsprogramme anstoßen kann.
    "Wenn der Bund endlich den Gemeinden direkt helfen könnte, wenn der Bürgermeister einer Stadt das Geld unmittelbar bekommt, und - das ist ein ganz wichtiger Punkt - der Städtetag zum Beispiel sagt 'Wenn wir wissen, dass das dauerhaft in den nächsten fünf bis zehn Jahren auch kommt, das Geld' - dann haben auch die Handwerksbetriebe die Gewissheit, dass investiert wird. Das wird auch zu mehr Beschäftigung in dem Bereich führen."
    Die Sozialdemokraten drängen auf einen starken Sozialstaat und wollen vor allem mit einer Rentenreform punkten.
    "In einem ersten Schritt wird das weitere Absinken des Niveaus der gesetzlichen Rente umgehend gestoppt und bis 2030 mindestens auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent stabilisiert."
    Der Beitragssatz soll nicht über 22 Prozent steigen. Wer mehr als 35 Jahre in das Rentensystem eingezahlt hat, soll eine Rente erhalten, die mindestens zehn Prozent über dem Hartz IV Satz liegt. Bei der Krankenversicherung strebt die SPD eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber an. Angekündigt wird die Einführung einer Familienarbeitszeit: Eltern, die ihre Berufstätigkeit reduzieren, sollen ein Familiengeld von 150 Euro monatlich erhalten, bis zu zwei Jahre lang.
    "Gerade Familien mit kleinem Einkommen sollen sich eine gerechte Aufteilung von Familie und Beruf leisten können."
    3. Die Kosten
    Mit der Vorlage eines Steuerkonzeptes hat die SPD lange gezögert, jetzt präsentiert sie Pläne mit einem Entlastungsvolumen von jährlich 15 Milliarden Euro.
    "Für uns geht es um Steuergerechtigkeit. Wir wollen die mittleren und kleinen Einkommen bei Steuern und Abgaben entlasten."
    Der bisherige Spitzensteuersatz von 42 Prozent soll erst ab einem Jahreseinkommen von 60.000 Euro greifen, ab 76.000 Euro sind 45 Prozent geplant. Drei Prozent Reichensteuer kommen ab 250.000 Euro Jahresgehalt oben drauf. Da Steuersenkungen Geringverdienern nicht zugutekommen, werden für Einkommen bis zu 1.300 Euro Entlastungen bei den Sozialabgaben vorgesehen.
    Alles durchgerechnet, heißt es bei der SPD: Mehreinnahmen sollen auch durch eine Reform der Erbschaftssteuer generiert werden. Als größter Ausgabenposten schlagen die geplanten Investitionen in Infrastruktur und Bildung in Höhe von 30 Milliarden Euro für die nächste Legislaturperiode zu Buche.
    4. Die Praxis
    Mit ihrem Wahlprogramm ist die SPD für Koalitionen in alle Richtungen offen. Eine Neuauflage der Großen Koalition wäre im Grunde kein Problem, jedenfalls bringen die Sozialdemokraten keine radikalen Forderungen ins Spiel, die ein solches Bündnis unmöglich machen würden. Andererseits tut sich die Partei mit der Profilierung schwer, von der anfänglichen Ankündigung, eine echte Alternative zur Union zu bieten und eine Wechselstimmung generieren zu wollen, ist wenig geblieben.
    5. Der Stil
    Mehr als 100 Seiten freundlicher Absichten sind einfach zu viel des Guten. "Wir werden…", "Wir wollen…" , "Wir setzen auf…" - mit diesen Formulierungen beginnt nahezu jeder zweite Absatz des SPD-Wahlprogramms, das wirkt beim Lesen ermüdend.
    Zumindest aber kann man den Sozialdemokraten nicht vorhalten, unkonkret zu bleiben. Dass allerdings Fragen von Krieg und Frieden, vor allem aber die Zukunft Europas mit der Flüchtlingsproblematik erst in den letzten beiden Kapiteln thematisiert werden, ist schade und entspricht nicht der europapolitischen Kompetenz, die der Kandidat, der für dieses Programm steht, doch mitbringt!
    Das Wahlprogramm der SPD zum Nachlesen