Regierungsbildung
Wie es nach der Wahl jetzt weitergehen könnte

Das Ergebnis steht noch nicht abschließend fest, aber klar ist: Schwierige Gespräche stehen bevor. Welche Koalitionen es geben könnte, ist offen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und FDP-Chef Christian Lindner stehen vor dem politischen Karriereende.

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) bei der "Berliner Runde" im Fernsehen am Wahlabend.
    Ihren Parteien stehen nach dieser Bundestagswahl schwierige Gespräche bevor: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) bei der "Berliner Runde" im Fernsehen am Wahlabend. (picture alliance / photothek.de / Thomas Imo)
    Die Union liegt laut Hochrechnungen bei der Bundestagswahl klar vorn. Die AfD wird erstmals zweitstärkste Kraft. Die drei Parteien der im November zerbrochenen Ampelkoalition müssen Verluste hinnehmen.
    Bundeskanzler Olaf Scholz erleidet mit seiner SPD eine historische Wahlniederlage – die Sozialdemokraten werden aber wahrscheinlich für die Regierungsbildung gebraucht. Die Grünen bleiben hinter ihrem Ergebnis von 2021. Die Linke schafft nach einem erstaunlichen Comeback klar den Einzug in den Bundestag.
    Das BSW muss zittern - es wird laut Hochrechnungen sehr knapp, ob die neue Partei die Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann. Möglicherweise muss das vorläufige endgültige Endergebnis abgewartet werden. Es geht nach Berechnungen der Forschungsgruppe Wahlen beim BSW um wenige tausend Stimmen, ob es für den erstmaligen Einzug in den Bundestag klappt oder nicht. Die FDP wird laut Hochrechnungen aus dem Bundestag ausscheiden.

    CDU/CSU: Stärkste Partei, aber schwächer als Merkel

    Die Union zieht an der SPD deutlich vorbei und wird wieder stärkste Kraft im Bundestag. Es sieht alles danach aus, dass CDU/CSU nach ihren Zugewinnen die Oppositionsbänke wieder verlassen können. Aber Kanzlerkandidat Friedrich Merz bleibt laut Hochrechnungen unter 30 Prozent. Dieses eher schwache Ergebnis macht nicht nur die Regierungsbildung schwieriger, sondern dürfte auch zu parteiinternen Debatten führen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte Mitte Februar noch gesagt, die Union müsse „deutlich über 30 Prozent“ kommen. Merz betonte das Ziel, bis Ostern eine Regierung zu bilden.
    Bereits vor der Wahl hatte es Kritik gegeben, weil Merz im Wahlkampf Stimmen der AfD bei Anträgen zur Asylpolitik in Kauf genommen hatte. Diese Entscheidung hat offenbar im Endspurt der Kampagne nicht geholfen, vielmehr wurde linke Wähler mobilisiert - und möglicherweise ein Teil der Unionswähler, die einst Angela Merkel unterstützt hatten, verschreckt. Apropos Merkel: Wenn sich die Hochrechnungen bestätigen, bleibt Kandidat Merz deutlich unter dem schlechtesten Bundestagswahlergebnis der Ex-Kanzlerin von 2017 (32,9 Prozent). Es sieht nach dem zweitschlechtesten Unions-Resultat bei den Bundestagswahlen seit 1949 aus.
    Merz steht nun vor der äußerst schwierigen Aufgabe, angesichts des komplizierten Wahlergebnisses eine Koalition zu bilden. Es dürfte nicht einfach sein, die bei der Wahl abgestraften Sozialdemokraten als Juniorpartner zu gewinnen. Bürgergeld, Rente, Mindestlohn – gerade in der Sozialpolitik gibt es große Differenzen zwischen Union und SPD. Auch die Schuldenbremse ist ein kontroverses Thema. Zumal unklar ist, ob die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes zustande zu bringen wäre.
    Je nach Abschneiden des BSW braucht Merz sogar zwei Koalitionspartner - also SPD und Grüne. CSU-Chef Markus Söder hatte eine Koalition unter Beteiligung der Grünen mehrfach strikt abgelehnt. Union plus Rot-Grün - das dürfte wenigen in der Union gefallen. Bleibt am Ende nur eine Minderheitsregierung? Auf die Union kommen komplizierte Debatten zu.

    AfD: Rekordergebnis ohne Koalitionsoption

    Die AfD ist erstmals in ihrer Geschichte zweitstärkste Kraft bei einer Bundestagswahl geworden. Laut Hochrechnungen kann die Partei ihr Ergebnis von 2021 in etwa verdoppeln. Kanzlerkandidatin Alice Weidel forderte sofort nach Schließung der Wahllokale zum wiederholten Male eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei. Auch wenn CDU-Chef Merz sein Versprechen einhält, auf keinen Fall mit der AfD zu koalieren, könnte der politische Einfluss der Rechtsaußen-Partei weiter steigen. Die AfD dürfte weiter versuchen, die Union unter Druck zu setzen - mit dem Ziel, die CDU zu jagen und zu zerstören.
    Abzuwarten bleibt, ob Merz wie jüngst beim Thema Asyl und Migration erneut Anträge ins Parlament einbringt, die eine Mehrheit mit AfD-Stimmen im neuen Bundestag erzielen könnten. Die AfD wird erneut versuchen, einen Vizepräsidenten im Bundestag zu stellen - bisher ist sie damit immer an der Mehrheit im Parlament gescheitert. Die Debatte um die „Brandmauer“ wird weitergehen. Die AfD ist laut Verfassungsschutz ein rechtsextremer Verdachtsfall. Mehr als 100 Abgeordnete der anderen Parteien wollen ein Verbotsverfahren gegen die AfD.

    SPD: Historisch schlechtes Abschneiden

    Für die SPD ist es das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Beobachter rechnen damit, dass dies das Karriereende für Bundeskanzler Olaf Scholz bedeutet. Einem möglichen Kabinett Merz will er nicht als Minister angehören. Am Wahlabend hielt Scholz eine Rede im Willy-Brandt-Haus, die nach Abschied klang. Er gratulierte CDU-Chef Merz und räumte die schwere Niederlage ein.
    Bundeskanzler Olaf Scholz geht vor dem Logo seiner Partei, der SPD, von der Bühne
    Kanzler Scholz (SPD) räumte seine Niederlage ein. Der Auftrag zur Regierungsbildung liege bei CDU-Chef Friedrich Merz. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Scholz kündigte zudem an, dass nicht er, sondern andere SPD-Politiker in mögliche Gespräche mit Unions-Kanzlerkandidat Merz gehen. Gehandelt werden bereits Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger als Parteichefin. Und auch Verteidigungsminister Boris Pistorius könnte eine noch wichtigere Rolle einnehmen. Co-Parteichef Lars Klingbeil, der einen "Generationenwechsel" in der SPD anmahnte, soll neuer Fraktionschef im Bundestag werden. Der bisherige Amtsinhaber Rolf Mützenich kündigte seinen Rückzug an.
    Einfach dürften mögliche Gespräche nicht werden, zumal die Distanz zwischen SPD und Merz seit der Eskalation der Debatte über die "Brandmauer" zur AfD im Bundestag im Wahlkampf größer geworden ist. Außerdem ist denkbar, dass die SPD-Basis einem möglichen Koalitionsvertrag erst per Mitgliederentscheid zustimmen muss. Ohnehin könnte es Rufe aus der Mitgliederschaft geben, in die Opposition zu gehen. Nach der Bundestagswahl 2017 hatte es fast ein halbes Jahr gedauert bis die Koalition aus Union und SPD sich offiziell formierte und die Kanzlerwahl stattfand. Damals hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Druck auf die SPD ausgeübt, erneut mitzuregieren.
    Aufgrund der außenpolitischen Verwerfungen könnte der Druck auf die SPD steigen, schnell eine Regierung unter Führung von Merz zu bilden. Ein Machtfaktor sind die im Bundestag dezimierten Sozialdemokraten weiterhin, auch weil sie im Bundesrat stark vertreten sind. Die SPD ist an 12 von 16 Landesregierungen beteiligt. Zudem bleiben Bundeskanzler Scholz und sein Kabinett geschäftsführend weiter im Amt, solange kein neuer Bundeskanzler gewählt ist.

    Grüne: Weiter mit oder ohne Habeck?

    Robert Habeck ist als Kanzlerkandidat gescheitert. Er gab sich am Wahlabend aber dennoch positiv. Die Grünen hätten sich "rausgekämpft" aus dem Umfragetief, nachdem die Ampel auseinandergebrochen sei, sagte Habeck. Bei Umfragen hätten die Grünen damals bei zehn Prozent gelegen. Andererseits räumte er ein, dass man von mehr geträumt hatte. Wer sein Gesicht und das Wort "Bündniskanzler" auf das Münchner Siegestor projizieren lässt, muss sich daran messen lassen, wenn er bei der Wahl auf Platz vier landet, wie sich am Abend abzeichnete. 
    Laut Hochrechnungen liegen die Bündnisgrünen auch hinter dem Ergebnis von 14,8 Prozent, das Annalena Baerbock 2021 nach einem an Pannen reichen Wahlkampf eingefahren hatte. Zwar erreichen die Grünen wohl das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte - aber die Ansprüche waren in den vergangenen Jahren gewachsen.
    Nun stellt sich die Frage, wie es mit der Partei weitergeht. Bleibt Noch-Wirtschaftsminister Habeck an Bord oder wird es eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung geben? Unklar ist, ob die Grünen möglicherweise bei der Regierungsbildung gebraucht werden. Auch davon dürfte abhängen, ob und wie die politische Karriere von Habeck weitergeht. Die Grünen-Basis dürfte einer Zusammenarbeit mit der Union gerade bei den Themen Migration und Klima kritisch gegenüberstehen.

    Linke: Erfolgreiches Comeback

    Die Linke überspringt laut Hochrechnungen deutlich die Fünf-Prozent-Hürde und legt kräftig zu. Damit schafft die Partei, die Ende 2024 noch bei drei bis vier Prozent gelegen hatte, ein bemerkenswertes Comeback. Gerade bei jungen Wählerinnen und Wählern schnitt die Partei stark ab.
    Ein Grund für den Aufschwung der Partei könnte in der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD in der Asylpolitik liegen. Danach nahm der Linken-Wahlkampf richtig Fahrt auf. Die Linke hatte nie gegen Verschärfungen in der Migrationspolitik gestimmt. Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek zeigte sich "unfassbar glücklich". Es sei richtig gewesen, sich auf das Thema Soziales zu konzentrieren. Man werde auch künftig für bezahlbaren Wohnraum und ein gerechtes Steuersystem eintreten.
    Bei der Regierungsbildung spielt die Linke aber keine Rolle. Spitzenkandidatin Reichinnek, die im Wahlkampf zum Social Media Star geworden war, hatte auch immer wieder erklärt, dass man eine starke Opposition sein wolle.

    FDP: Desaster für die Liberalen und Lindner

    Zum zweiten Mal nach 2013 scheitert die FDP laut übereinstimmenden Hochrechnungen von ARD und ZDF an der Fünf-Prozent-Hürde. Ex-Finanzminister Christian Lindner kündigte am Wahlabend an, "aus der aktiven Politik" auszuscheiden. Nun muss sich die FDP einen neuen Vorsitzenden suchen. Zwei Namen, die immer wieder gehandelt werden: Konstantin Kuhle und Johannes Vogel, beides bisherige Bundestagsabgeordnete vom eher sozialliberalen Flügel. Beide stehen aber innerparteilich in der Kritik, auch weil sie im Januar nicht für das "Zustrombegrenzungsgesetz" gestimmt haben. Ihr Kurs wird von der eher wirtschaftsliberal dominierten FDP-Basis eher nicht getragen.
    In jedem Fall muss sich die FDP nun in der außerparlamentarischen Opposition neu aufstellen. 2025 scheiterten die Liberalen nach dreieinhalb Jahren Ampel. 2013 war die FDP nach vier Jahren schwarz-gelber Koalition aus dem Parlament gefallen. Nun muss die Partei über Länder und Kommunen neu aufgebaut werden, falls die Liberalen nicht von der politischen Bühne verschwinden wollen.
    Bei den Liberalen dürfte es jetzt harte innerparteiliche Debatten über die Ursachen des Absturzes geben. Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die FDP noch 11,5 Prozent geholt. Nun hat sie sich mehr als halbiert. Lag es am Ampel-Aus, das die Freien Demokraten mit einem umstrittenen „D-Day“-Papier angeblich gezielt vorbereitet hatten? Oder war es ein Fehler, überhaupt gemeinsam mit SPD und Grünen zu regieren und dabei viele Kompromisse (Bürgergeld, Mindestlohn) zu machen, die FDP-Stammwähler verschreckten?

    BSW: Durchstarten oder Karriere-Aus für Wagenknecht?

    Laut Hochrechnungen wird es äußerst knapp für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Möglicherweise schafft das BSW aus dem Stand den Einzug in den Bundestag - oder es scheitert hauchdünn an der Fünf-Prozent-Hürde. Die neue Partei hatte bereits bei der Europawahl 2024 und bei drei ostdeutschen Landtagswahlen Erfolge feiern können. Bei einem Bundestags-Einzug des BSW würde die Regierungsbildung noch einmal schwieriger werden.
    Die anderen Parteien wollen mit Wagenknecht nicht koalieren. Gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik gilt die BSW-Co-Vorsitzende als politisch isoliert. Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel bezeichnet Sahra Wagenknecht wie die AfD als „die Stimme Putins auf deutschem Boden“.
    Für Wagenknecht dürfte ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde das Ende ihrer politischen Laufbahn bedeuten. Außerparlamentarische Opposition ist wahrscheinlich nicht das Richtige für die Ex-Linken-Politikerin. Völlig offen wäre dann, wie es mit der nach Wagenknecht benannten Partei weitergeht, die nur eine kleine Anzahl von handverlesenen Mitgliedern aufgenommen hatte. Das BSW ist in Brandenburg und in Thüringen an den Landesregierungen beteiligt. Parteichefin Mohamed Ali sagte am Wahlabend: "Wir machen in jedem Fall weiter." Wagenknecht nahm am Wahlabend nicht an der TV-Runde der Spitzenkandidaten bei ARD und ZDF teil.

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