In einem schläfrig wirkenden Wahlkampf muss man manchmal laut werden, um sich Gehör zu verschaffen.
"Ja, wir wollen den Sozialstaat wiederherstellen. Ja, wir wollen die verdammten Agenda-Gesetze, die die Beschäftigten wehrlos machen gegenüber den Lohndrückern. Die wollen wir zurücknehmen. Und wir wollen abrüsten. Wir wollen unsere Soldaten nach Hause zurückholen. Das wollen wir alles. Und wenn wir dafür Partner haben, dann wollen wir auch regieren. Das ist doch völlig klar. Das ist doch unsere Position."
Jubel für Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht auf dem Bundesparteitag der Linken in Hannover im Juni dieses Jahres.
Jetzt, wenige Tage vor der Bundestagswahl ist es Aufgabe der vielen Direktkandidaten, diese Begeisterung im Wahlvolk auszulösen.
"Passen Sie auf! Wenn der Mindestlohn jetzt bei ungefähr 8 Euro 80 liegt, aber der wissenschaftliche Dienst des Bundestags sagt, dass das nicht armutsfest ist, dann sagt doch die Linke nicht einfach nur: Packen wir noch einen Euro rauf. Deswegen finde ich das schon reisserisch, wenn Sie sagen, die Linke fordert einfach immer nur mehr."
So viel Schmiss wie Sahra Wagenknecht hat Friederike Benda zwar nicht. Aber auch die 30-jährige Linkspartei-Direktkandidatin im eher bürgerlichen Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf will angreifen: So wie hier bei einer Podiumsdiskussion ihren Kontrahenten von der CDU, Klaus-Dieter Gröhler, der sein Mandat verteidigen will.
Gröhler - vom Typ her zugänglicher Finanzbeamter - kämpft vorrangig gegen den hippen SPD-Herausforderer Tim Renner, der gute Chancen hat, ihm das Mandat abzunehmen. Benda steht in diesem Duell abseits, auch im Auftritt unterscheidet sie sich: Die Juristin trägt einen Jeansrock, bunte Sneaker und drückt sich umgänglich aus, so wie hier bei einem Infostand der Linken, als sie erläutert, worum es ihr in dem Wahlkampf unter anderem geht:
"Ich glaub, abfischen klingt so ein bisschen sneaky, es geht aber schon darum, zu sagen, wer soziale Politik wählen will, muss die Linke wählen, eben auch in Charlottenburg-Wilmersdorf, weil die SPD das überhaupt nicht gewährleistet. Klar geht's mir darum, ehemalige SPD-Stimmen zu Linken zu machen."
Linker Feminismus
Benda hat sich an Demos gegen den Irakkrieg beteiligt und 2007 den linken Studierendenverband SDS gegründet. Seitdem ist sie auch Linkspartei-Mitglied. Die Juristin arbeitet heute für den Bundestagsabgeordneten und Fidel Castro-Anhänger Wolfgang Gehrcke und beteiligt sich immer wieder an Aktionen gegen Rassismus und für Frauenrechte, weil:
"... es mir als linke Feministin schon ein Anliegen ist, deutlich zu machen, dass linker Feminismus einerseits bedeutet, dass Frauen den gleichen Lohn bekommen, aber dass linker Feminismus eben auch die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt, und das unterscheidet mich als linke feministische Kandidatin auf jeden Fall auch von anderen."
"Ich hasse rot"
"Hast du noch ne linke Tasche dabei?"
"Nee, ich find's aber auch nicht schlimm, wenn ich keine linke Tasche trage, ich finde die hässlich!"
"Ich hasse rot, habe ich das schon gesagt? (lacht)"
"Was stimmt denn mit dir nicht?"
Ohne die tiefrote Umhängetasche ihrer Partei bricht die 30-Jährige vom Infostand auf, um an Haustüren in der Umgebung zu klingeln. In diesem Teil ihres Wahlkreises wohnen viele Alt-68er und einkommensschwache Bürger - hier erreicht die Linke auch schon einmal bis zu 20 Prozent der Stimmen.
Mit einem Parteifreund sucht Benda das Gespräch mit potenziellen Wählern:
"Guten Tag, wir sind von der Linkspartei und haben Informationen für alle Mieter. Ok - Würden Sie uns einmal aufmachen? - Dankeschön"
Im zweiten Stockwerk geht eine Tür auf. Es öffnet ein Mann in Shorts, kurzes Haar, Ende 20, etwas verschlafen: Seine Wahlentscheidung ist schon gefallen.
"Jetzt haben Sie schon gewählt. Darf ich Ihnen trotzdem 'nen Flyer von uns da lassen für zukünftige Male oder Ähnliches?"
"Darf ich Ihnen was sagen?"
"Ja!"
"Ich habe sie gewählt!"
"Das ist ja großartig!"
Der Mann erklärt, dass er zuvor die Grünen gewählt hat. Das macht Benda neugierig:
"Ohne Sie jetzt da unter Druck setzen zu wollen, mich interessiert das nur inhaltlich, was Ihre Überlegungen waren, von Grünen zu Linken zu wechseln?"
"Ich würde sagen, Arbeitspolitik. Ich bin Mechatroniker und Facharbeiter - insofern finde ich das richtig, was die Linken zur Arbeitsmarktpolitik sagen"
"Ja, das ist total schön zu hören."
Auch wenn das hinterhältig klingt - "sneaky" also - Benda schafft es anscheinend auch, Stimmen bei den Grünen abzufischen. Trotz der Zustimmung, gerade bei enttäuschten Wählern links der Mitte, weiß Benda um die realistischen Chancen auf ein Direktmandat. Wenn der Bezirk ähnlich abstimmt, wie in den vergangenen Wahlen, dann landet Friederike Benda auf Platz vier hinter CDU, SPD und Grünen.
Kaum Chancen auf ein Bundestagsmandat
Weil sie auch einen der hinteren Listenplätze hat, wird sie dem nächsten Bundestag wohl nicht angehören. Und dennoch: Sie hofft, dass ihre Partei langfristig Sympathisanten mobilisieren kann, gerade auch im schwarzen Charlottenburg-Wilmersdorf:
"Die Linke ist super aktiv im Bezirk, hat 'ne Fraktion in der BVV, aber die Linke kann denen eben auch gefährlich werden, was Stimmen angeht, das ist schon auch 'ne Ansage an die, auf jeden Fall!"
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