Wie reagiert die Börse auf das Wahlergebnis?
An einem Faktor lassen sich meistens relativ schnell Reaktionen ablesen: am Euro-Kurs. Hier ist zu erkennen, wie die wirtschaftliche Stärke Deutschlands in der Euro-Zone nach einer Wahl eingeschätzt wird. Der Euro bleibt weitgehend stabil - man weiß ja auch aus europäischer Sicht nicht viel. Doch mit Blick auf den Aktienhandel sieht es zum Handelsstart um 9 Uhr nach deutlich steigenden Kursen aus. Hier gibt es ein Aufatmen.
Was ist der Grund für das Aufatmen an den Finanzmärkten?
Die Stellungnahmen sind inhaltlich fast gleichlautend,
sagt Günther Hetzke aus der Dlf-Wirtschaftsredaktion
. Ein wirtschaftspolitischer Linksschwenk ist vom Tisch, so Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der V. P. Bank, ist der Ansicht, dass das größte Risiko aus Finanzmarktsicht ausgeräumt sei: ein rot-grün-rotes Bündnis. Ähnlich sieht das der Chefvolkswirt von Bankhaus Lampe, Alexander Krüger, der von einem rot-grün-roten Schreckgespenst sprach, das jetzt vertrieben sei.
Ist das die Haltung in der deutschen Wirtschaft insgesamt?
Das geht tatsächlich Hand in Hand. Besonders deutlich hatte sich schon vor der Bundestagswahl der Verband der Familienunternehmer geäußert, der beklagte, dass Deutschland auf schwere Zeiten zusteuere angesichts einer drohenden Belastung für die Wirtschaft durch rot-rot-grün. Deshalb hatte der Verband an alle Arbeitnehmenden appelliert, eine Koalition aus rot-rot-grün zu verhindern. "Die meisten Wähler wissen, welche verheerenden Folgen rot-rot-grün für die Familienbetriebe und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehabt hätte. Steuererhöhungen wie eine Vermögenssteuer oder eine verschärfte Erbschaftsteuer würden die treffen, die das Rückgrat unserer Wirtschaft und Gesellschaftsordnung bilden", heißt es in der Stellungnahme.
Diese ist kein Einzelfall. Die Erleichterung über das, was nicht geht, zieht sich wie ein roter Faden durch sehr viele Stellungnahmen vonseiten der Wirtschaft ebenso wie die Warnung vor wochenlangen Koalitionsverhandlungen. Was die inhaltlichen Forderungen betrifft, hat sich gegenüber der Zeit vor der Wahl nichts geändert: Klimaschutz, Energiewende, solide Staatsfinanzen, aber auch Digitalisierung, ebenso Renten oder Pflegereform, das sind aber die bekannten Positionen, die auch heute genannt werden.
Was sagt der Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher?
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, rechnet damit, dass noch in diesem November eine neue Regierung gebildet werde. In den letzten 70 Jahren sei die Dringlichkeit nie größer gewesen, Reformen und Änderungen herbeizuführen als jetzt, sagte Fratzscher im Dlf. Diese Dringlichkeit könne niemand leugnen, das müssten auch die politischen Parteien erkennen. Daher habe er die Hoffnung, dass schnell Einigkeit bei der Regierungsbildung erzielt werde und losgelegt werden kann, "denn die Arbeit kann nicht warten wie beim letzten Mal - ein halbes Jahr ohne Bundesregierung. Deshalb erwarte ich, dass im November eine neuer Bundeskanzler ins Amt kommt", so Fratzscher.
Die Dringlichkeit sei so groß, "weil wir jetzt realisieren, dass bei Klimaschutz, bei der digitalen und sozialen Transformation keine vier Jahre oder zwei Jahre Zeit bleiben zu sagen, wir schauen mal, wie wir das machen", erklärte Fratzscher. Die politisch Verantwortlichen müssten jetzt sagen, wie sie vorgehen wollten. Wenn man beispielsweise das Klimaziel 2030 einhalten wolle, müsste die Bundesregierung in kürzester Zeit einen klaren Fahrplan vorlegen.
Was fordert die Wirtschaft von der neuen Regierung?
Ganz gleich, ob Landwirte Banken, Handels oder Handwerksverband - aus allen Wirtschaftsbereichen kommt der Wunsch nach schnellen Entscheidungen an die Politik. Im Fokus haben Wirtschaftsvertreter dabei vor allem die Energiewende.
BDI-Präsident Siegfried Russwurm drückt dabei aufs Tempo: "Wir müssen die Energiewende schaffen. Wir müssen aber gleichzeitig ein erfolgreiches Industrieland bleiben. Wir müssen unseren Export stärken, wir müssen in der Digitalisierung aufholen. Jetzt kommt es darauf, anders zu übersetzen in konkrete Maßnahmen in einem zügigen Aufbruch ein eine Verschlankung des Staates, schnellere Genehmigungen."
Ganz oben auf der Prioritätenliste sieht sich die Energiewirtschaft. "Wir brauchen schnellstmöglich eine Koalition für Klimaschutz und Energiewende", sagt Kerstin Andreae vom Branchenverband BDEW. Sie fordert den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren und die Abschaffung der EEG-Umlage, um grünen Strom billiger zu machen und den schnellen Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft.
Der Handel verweist auf die Schieflage vieler Innenstädte, will zielgenaue und einheitliche Pandemie-Regeln statt Lockdowns. Die Bauern erwarten schnelle Entscheidungen, um Strukturbrüche zu vermeiden. Der Bankenverband erinnert wiederum an Investitionen in die Digitalisierung oder gegen den Klimawandel. Finanzieren lasse sich das alles nur mit starken Banken. Die Versicherer, gebeutelt durch Hochwasserschäden in Milliardenhöhe, mahnen eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel an.