Teambesprechung beim Rechercheverbund Correctiv. Die Verifizierungsexperten von #wahlcheck17 überlegen, welche Themen es in den heutigen Newsletter schaffen – und welche nicht. Teamleiterin Jutta Kramm fragt ihr junges Team, wie die Lage ist: "Bringt mich bitte auf Stand, wie weit seid ihr?"
Christoph Brüggemeier, 30 Jahre alt, freier Journalist – unter anderem für Spiegel Online – und einer von acht Mitarbeitern bei #wahlcheck17, das zum größeren Faktencheck-Projekt "Echtjetzt" gehört, meldet sich zu Wort. "Ich habe herausgefunden, wie die Sender ihr Studiopublikum akquirieren, die Fragen wurden nicht vorher besprochen. Da kann ich ein Stück draus machen." Jutta Kramm: "Dann machst Du oben die Verschwörungstheorie, ne und danach, was Du herausgefunden hast?" "Ja."
Sind die Fragen beim Kanzler-Duell abgesprochen?
Die Entscheidung ist getroffen. Jetzt muss alles schnell gehen. Zwischen koffeinhaltigen Limonadenflaschen, Brötchentüten und Drehtabak wird eilig in die Tasten gehauen. Brüggemeiers heutiger Auftrag: Er soll zeigen, dass der Sender ZDF für die Wahlsendung "Klartext, Frau Merkel" – eine Art Bürgerforum – das Publikum nicht manipuliert und die Fragen nicht vorher mit der Kanzlerin abgesprochen hat. Ähnliche Vorwürfe hatten sich zuvor viral im Netz verbreitet. Ein Beispiel: "`Wieder bezahlte Klatscher bei Klartext, Frau Merkel!`? Eine Show sondergleichen! Casting-Agenturen bezahlen dafür Geld, dass die Leute da sitzen. Denn es soll ein bestimmter Eindruck erweckt werden, dass man glaubt, unsere politische Klasse ist richtig und gut."
Solche Verschwörungstheorien wie sie hier von Alternativ-Medien-Publizist Heiko Schrang zu hören sind, gibt es zu Hauf. Sie zu entkräften, erfordert einen langen Atem. Und ab und zu eine Tasse Kaffee.
"Kaffeetrinken kann man während der Arbeit, Pausen machen, ist momentan nicht so wirklich drin, das liegt vor allem am Zeitdruck, den wir haben. Wir haben uns ja vorgenommen jeden Tag um 15 Uhr unseren Newsletter herauszuschicken. Das heißt: Wir fangen um halb acht morgens an und sind um 15 Uhr fertig, da muss man schon ein bisschen schneller arbeiten."
Menge ist kaum zu bewältigen
Die Masse an digitaler Desinformation ist enorm – sie besteht aus unzähligen kleinen Gerüchten und Meldungen. Die Reporter von #wahlcheck17 kommen kaum damit nach, allem nachzugehen. Das Problem: Jedes Mal, wenn sie eine sogenannte Fake News übersehen, kann diese sich besonders rasant verbreiten, da andere Falschmeldungen aus dem Verkehr gezogen wurden, sagt Digitalisierungsexperte Alexander Sängerlaub von der Stiftung "Neue Verantwortung".
Gleichzeitig gibt er Entwarnung: "Die Frage ist: Lässt man nicht einfach auch die Diffusion, die Social Media jeden Tag verbreitet, einfach laufen , weil sie dazugehört, Social Media deckt etwas auf, was wir vorher nicht gesehen haben. Also zum Beispiel die gute alte Stammtischdiskussion, da haben wir vorher auch nicht reingehorcht, nun ist der Stammtisch halt nicht in der dunklen Ecke zu fünft, sondern ist bei Facebook und kann schnell seine Informationen in die Welt tragen."
Studie zu Fake-News
Sängerlaub hat an einer Studie zur Qualität von sogenannten Fake News mitgearbeitet. Dabei messen sie, welche Reichweiten Falschnachrichten erzielen. Seine Erkenntnis: "Was wir sehen, ist, dass ganz andere Sachen viel wichtiger sind, zum Beispiel Fehlleistungen im Journalismus, die meist aus dem Boulevard-Journalismus kommen, wo Zahlen falsch interpretiert werden. Und die AfD oder rechte Blogs nehmen das dankbar auf und entwickeln dann daraus Fake News Narrative."
Die gute Nachricht ist: Nur sechs Prozent der Deutschen nutzen laut Medienforschungen Social Media als Hauptnachrichtenquelle. Top-Nachrichten-Quellen sind, laut der Media Perspektiven Studie 2016 vom Hans-Bredow-Institut, zu 70 Prozent nach wie vor TV und Radio. Das Vertrauen in die klassischen Medien sind in Deutschland gut, bestätigt Sängerlaub. "Das deutsche politische System und auch das Mediensystem sind relativ gefestigt. Auch die Kandidaten der beiden großen Parteien, man hat das gesehen, gehen respektvoll miteinander um, man hat nicht die starke Polarisierung wie in Amerika, wo Trump ja auch selber im Wahlkampf auf Fakten nicht viel gegeben hat, das ist bei uns – außer bei der AfD – bei uns der Fall."
Netzgerüchte gefährden die Bundestagswahlen nicht
Kurz vor Redaktionsschluss wird Christoph Brüggemeier fertig mit seinem Artikel. Das heißt für ihn aber nicht: Feierabend sondern: Er widmet sich den laufenden Recherchen. "Wenn wir irgendwelche Bundesämter anschrieben, dann brauchen die manchmal ein paar Tage Zeit, um Zahlen zu recherchieren für uns und dadurch kann man nicht jedes Thema tagesaktuell machen und deswegen brodeln sie im Hintergrund vor sich hin und irgendwann werden sie fertig."
Vielleicht ist es auch gar nicht so entscheidend, dass jede kleine verdrehte Schlagzeile tagesaktuell oder generell beantwortet wird. Es brodelt zwar, aber es brennt noch nicht. Die Sorge, dass das Netz die Bundestagswahlen gefährdet, wird latent überdramatisiert, sagt Digitalisierungsexperte Alexander Sängerlaub. "Es gibt Fake News, vor allem im rechtspopulistischen Bereich. Aber die haben weiß Gott nicht diese Reichweiten, vor denen man vorher Angst hatte."