Der Regen hat endlich etwas nachgelassen an diesem frühen August-Abend in Schwerin. Mit direktem Blick auf das malerische Schweriner Schloss hat die AfD ihre Bühne aufgebaut. Es ist Wahlkampfauftakt - für den Bund und für das Land Mecklenburg-Vorpommern, das ebenfalls am 26. September abstimmt. Kein Zufall also, dass das AfD-Spitzenduo hierhergekommen ist.
"Und deshalb bitte ich beide noch mal schnell auf die Bühne, um einfach mal zu winken für die Kamera. Herzlich willkommen hier auf der Bühne, unsere beiden Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl, Doktor Alice Weidel und Tino Chrupalla."
Verhaltener Applaus für Weidels Familienbekenntnis
Winken für die Kamera. Die Liveübertragung, die Arbeit mit den sozialen Netzwerken ist wie so oft fester Bestandteil des Auftritts. Tino Chrupalla verschwindet gleich wieder hinter den Kulissen, Spitzenkandidatin Alice Weidel eröffnet ihre Rede mit einem überraschend sehr privaten Bekenntnis:
"Für mich ist Familie ein ganz besonders wichtiges Thema. Ich wusste schon früh, dass ich eine Familie haben möchte, wie ich es von zu Hause aus kenne. Und ich wusste auch, dass es für mich nicht gerade einfach werden würde. Gerade deshalb bin ich so stolz auf die Familie, die ich mit meiner Partnerin gegründet habe."
Die 42-Jährige Weidel lebt in der Schweiz in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit einer Frau, gemeinsam erziehen sie zwei Kinder, die sie bisher eigentlich aus der Öffentlichkeit heraushielten. Denn die Spitzenkandidatin steht damit durchaus in einem Spannungsverhältnis zum Familienbild ihrer Partei. Auf einem Plakat vor der Bühne steht: "Liebe. Mutter, Vater, Kinder" - mit Ausrufezeichen.
Nichts verfängt emotional wirklich beim Publikum
Die gut fünfhundert Zuschauer - unter die sich viele Parteimitglieder und Hauptamtliche gemischt haben - reagieren auf Weidels Rede mit höflichem, aber doch reserviertem Applaus, auch als sie auf das Kernthema der AfD zu sprechen kommt: Asylbewerber und ihre Ablehnung: "Jedes Jahr aber werden viele Milliarden Euro an Transferleistungen an Asylbewerber ausgegeben. Das Geld fehlt dann natürlich an den anderen Ecken."
Mehr Applaus erntet Weidel in Schwerin, als sie sich verbal an der Gruppe Gegendemonstranten abarbeitet, deren Buhrufe und Trillerpfeifen von der anderen Straßenseite zu hören sind. Weidel spricht eine ganze Reihe von Themen an: Familienpolitik, Migration, Corona und die Kritik am Klimaschutz, aber nichts verfängt emotional wirklich beim Publikum. Der Wahlkampfauftakt steht symbolhaft für die Situation der Partei: Seit das Migrationsthema in den Hintergrund gerückt ist, fehlt ihr der Fokus.
"Und nun möchte ich gern den umgezogenenen Tino Chrupalla auf die Bühne bitten, lieber Tino, wunderbar…."
Kritik an Chrupalla: abgehoben statt bodenständig
Auch Chrupallas Auftritt birgt eine Überraschung: Denn fürs Winken in die Kamera am Anfang zeigte er sich kurz in weißer Malerhose – eine Anspielung auf seine berufliche Biographie. Doch für seine Rede trägt er einen dunklen Anzug: "Ja, ich bin von einem tollen Anzug in den nächsten geschlüpft."
Der Kleiderwechsel offenbart wie im Brennglas seinen Rollenkonflikt: Denn dem ehemaligen Handwerker Chrupalla wird aus den eigenen Reihen vorgeworfen, abgehoben zu sein - statt bodenständigen Charme zu versprühen. So lasse er sich als Parteichef auf eigenen Wunsch in einem teuren 7er-BMW chauffieren, verbringe seine Zeit bei Auslandsreisen nach Moskau.
AfD-Leitmotiv: "Normalität" für Deutschland
In seiner Schweriner Wahlkampf-Rede versucht Chrupalla vehement, den Begriff der Normalität mit seiner Partei zu verknüpfen. "Deutschland, aber normal", unter diesem Slogan steht die gesamte AfD-Wahlkampagne:
"Es ist unser Leitmotiv, der Begriff, der alles in einem Wort bündelt. Normal. Wir wollen wieder Normalität in unserem Deutschland, unsere Heimat, unser Vaterland. Wir, die AfD, wollen den gesunden Menschenverstand wieder zur Geltung bringen. Das Allgemeinwohl, die Verhältnismäßigkeit und die Vernunft müssen wieder Maßstab für alle Entscheidungen in der Politik werden. Die schwarz-rot-grünen Verblendungen, Irrungen und Wirrungen haben uns lange genug Richtung Abgrund geführt."
Mitgliederzahlen stagnieren, sinkende Umfragewerte
Die Ausgangslage für den Wahlkampf ist nicht optimal. Die AfD stagniert in den Umfragen, liegt mit 10 bis zwölf Prozent knapp unter ihrem Ergebnis von 2017. Damals waren es 12,6 Prozent. Bei allen drei Landtagswahlen dieses Jahres in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt fuhr sie Verluste ein. Die AfD kann ihre Kernwählerschaft erreichen, aber kaum darüber hinaus wirken. Auch die Mitgliederzahl, stagniert bei gut 30.400.
Das ist die Ausgangslage für die AfD, die erneut ins Parlament einziehen will. Seit 2017 sitzt sie im Bundestag, es war nun ihre erste Legislaturperiode. Vier Jahre, die sowohl das Parlament, als auch die Partei verändert haben.
Rückblick in den Herbst 2017: "Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zur konstituierenden Sitzung des 19. Deutschen Bundestages." Es ist der 24. Oktober 2017. Der damals neu gewählte Bundestag kommt zu seiner ersten Sitzung zusammen. Um kurz nach halb zwölf bittet Alterspräsident Hermann Otto Solms von der FDP Bernd Baumann, den ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD, ans Rednerpult: "Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Bernd Baumann von der AfD-Fraktion…"
Gespannt blicken alle auf Baumann. Denn es ist ein kleines Stück Parlamentsgeschichte: Die AfD gehört vier Jahre nach ihrer Gründung erstmals dem Bundestag an. Drittstärkste Fraktion, Oppositionsführerin – aus dem Stand.
Duftmarken setzen durch Problematisieren
"Und, meine Damen und Herren, nehmen Sie zur Kenntnis, der alte Bundestag wurde abgewählt, in dem sie alles noch untereinander regeln und die Konkurrenz wegdrücken konnten, wie hier bei der Frage des Alterspräsidenten. Das Volk hat entschieden, nun beginnt eine neue Epoche, meine Damen und Herren!"
Gute fünf Minuten spricht Baumann damals. Es ist die erste von über 2.700 Reden, die die AfD-Fraktion während ihrer ersten Legislaturperiode halten wird. So lauten Zahlen der Bundestagspressestelle.
Im Juni 2021, kurz nach der letzten regulären Sitzungswoche gibt sich AfD-Parlamentarier Baumann zufrieden, trotz einer deutlich geschrumpften Fraktion. Von anfänglich 94 Abgeordneten sind nur noch 87 dabei. Baumann argumentiert jedoch: Die AfD sei konstruktiv, weil sie fleißig sei, und verweist auf die hohe Zahl von 77 Gesetzentwürfen und über 640 Anträgen. Man sehe sich damit im Vergleich an Platz zwei:
"Die Duftmarke setzen wir dauernd, indem wir Themen, die die anderen nicht beackern, nach vorne bringen. Problematisieren, so dass ein Erwartungsdruck seitens der Bevölkerung entsteht, beispielsweise Integrationsmängel, offene Grenzen, so dass man überhaupt etwas machen muss."
Über die AfD: "An konstruktiver Mitarbeit wenig Interesse"
Die vergangenen vier Jahre haben einiges im Parlament aufgewirbelt. "Der Ton ist rauer geworden", das ist ein Satz, der immer wieder fällt, wenn man mit Abgeordneten anderer Fraktionen über ihre Erfahrungen in den letzten vier Jahren spricht.
Es geht um Reden im Plenum wie diese von Alice Weidel im Mai 2018, ein rhetorischer Frontalangriff: "Doch ich kann Ihnen sagen, Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse, werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern."
Abgeordnete anderer Fraktionen reagierten umgehend mit Zwischenrufen, der grüne Abgeordnete Cem Özdemir meinte zu Weidel, dass Rassisten im Bundestag sitzen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erteilt Weidel einen Ordnungsruf, sie habe Frauen mit Kopftuch diskriminiert.
Es gibt eine neue verbale Härte im Plenum. Welches Fazit ziehen Abgeordnete anderer Parteien nach vier Jahre mit der AfD? "Destabilisierung, die Partei möchte unsere Demokratie, unser Parteiensystem destabilisieren", das ist das Erste, was dem CDU-Abgeordneten Marian Wendt einfällt, wenn er nach einem Fazit gefragt wird: "Sie haben an einer konstruktiven Mitarbeit wenig Interesse."
Keine Sacharbeit, keine Vorschläge - nur harrsche Kritik
Wendt ist 36 Jahre alt und hat seinen Wahlkreis in Nordsachsen, zu dieser Bundestags-Wahl tritt er nicht mehr an, will sich beruflich neu orientieren. In der letzten Legislaturperiode saß er im Innenausschuss und im Petitionsausschuss, der sich mit Bürgeranliegen befasst. Wie erlebt er die AfD abseits des Plenums, in dem, was die Bundestagsarbeit ausmacht, in den Ausschüssen, zum Beispiel dem Innen-Ausschuss, wo meist nicht-öffentlich und en Detail über Gesetzentwürfe der Regierung und Anträge der Opposition diskutiert wird?
"Sie sind natürlich präsent, sie sind da, sie sitzen auf ihren Plätzen. Von der Sacharbeit, die man von einer Oppositionsarbeit erwartet, - dass sie uns stringent kontrolliert, auch mit harschen Fragen gegenüber der Regierung auftritt im Ausschuss - am wenigsten. Es ist eher ein Vortragen ihrer Position, die sie im Parlament haben."
Nach der Flut in Rheinland-Pfalz habe es beispielsweise von mehreren Fraktionen Vorschläge zur Neuordnung des Katastrophenschutzes gegeben, von der AfD kam abseits von harscher Kritik nichts, so Wendt.
Die AfD hat das politische Klima verändert
Die AfD hat das politische Klima auch außerhalb des Parlaments verändert, schildert Wendt aus seiner sächsischen Heimatstadt Torgau. Dort sei Merkel 2017 bei einem Wahlkampfauftritt durch AfD-Anhänger aggressiv beschimpft und ausgepfiffen worden: "Und diese Wut, die ist unbeschreiblich. Und da hat man natürlich auch Angst irgendwann, ob aus diesen Worten dann auch Taten werden, was man bei Walter Lübcke schlimmer weise auch gesehen hat."
CDU-Politiker Wendt spielt damit auf den CDU-Politiker Walter Lübcke an, der 2019 von einem Neonazi erschossen wurde. Der Täter nahm im Jahr zuvor an einer AfD-Demo in Chemnitz teil und beschrieb die Kundgebung später als Tat-Auslöser. Die CDU-Fraktion im Bundestag, sagt Wendt rückblickend habe sich damals nicht richtig auf den Einzug der AfD vorbereitet. Man sei nach den harten parteiinternen Auseinandersetzungen in der Flüchtlingspolitik zu sehr mit selbst beschäftigt gewesen.
"Es geht um die Abwertung von Menschen"
In der grünen Fraktion habe man sich hingegen detailliert vorbereitet, das Verhalten der AfD zum Beispiel in den Landtagen analysiert. Es gebe mehrere Methoden und Handlungsmuster, eine davon: "Da geht es auch nicht um Rede, Gegenrede, sondern es geht um die Abwertung von Menschen. Und wir sind immer wieder konfrontiert mit dem Versuch, die Grenze des Sagbaren zu verschieben."
Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann nennt eins von vielen Beispielen, in denen die AfD Worte benutzte, die klar aus dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch kommen: "Wenn man meint, dass man ohne Widerspruch im Parlament, Doppelstaatsangehörigkeit als entartete Pässe bezeichnen kann." So hatte sich AfD-Innenpolitiker Gottfried Curio im Februar 2018 entsprechend geäußert. Es ist dieses Vokabular, dass den Bundestag verändert.
Das Ziel: Neue Aufreger produzieren
Zu den Methoden der AfD im Bundestag gehört auch, abseitige Stimmen zu Wort kommen zu lassen, bestimmten Gruppen damit geistige Nähe zu signalisieren. Sie nutzt dafür auch öffentliche Expertenanhörungen zu Gesetzen als Bühne, erinnert sich Steffi Lemke, Umweltpolitikerin der Grünen:
"Die parlamentarische Arbeit diskreditieren beispielsweise, indem Sachverständige eingeladen werden, von denen einer klar antisemitische Bezüge hat. Das ist für den politischen Diskurs in Deutschland ein No-Go. Und es passiert bei der AfD nicht zufällig, sondern absichtlich und zielt darauf ab, dass man nicht über die Klimakrise und über die Bekämpfung der Klimakrise redet, sondern einen neuen Aufreger hat."
Lemke bezieht sich auf Piers Corbyn, einen britischen Astrophysiker und Verschwörungstheoretiker, den die AfD im November 2019 als Sachverständigen eingeladen hatte. Dahinter steht, so Lemke: "Es geht ja immer darum, nach außen in die Szene der AfD hinein zu wirken, in die Unterstützer der AfD hinein wieder neue radikale extreme Parolen auszugeben."
Die AfD verschaffte Querdenkern Zutritt zum Bundestag
Die Methode das Parlament verächtlich zu machen, habe es auch in zahlreichen anderen Situationen gegeben.
Besonders im Gedächtnis geblieben ist der 18. November 2020, an diesem Tag wurde mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes die rechtliche Grundlage für die Corona-Beschränkungen gelegt. Draußen vor dem Bundestag demonstrierten Tausende - meist, aber nicht immer friedlich. Wasserwerfer kamen schließlich zum Einsatz. Mit dabei auch Mitglieder der AfD-Fraktion.
Als Besucher von AfD-Bundestagabgeordneten bekamen einige Blogger aus dem Querdenker- und rechten Spektrum Zutritt zum Bundestag, sie bedrängten auf dem Weg zur Abstimmung unter anderem CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Es sind Einschüchterungsversuche vor laufender Kamera. Auf Druck der AfD-Fraktionsspitze entschuldigten sich die Abgeordneten beim Bundestagspräsidenten. Doch wie bewertet die AfD-Fraktionsspitze rückblickend diese Konfrontation?
Co-Fraktionschefin Alice Weidel weist in einem Video der "Stuttgarter Zeitung" die Verantwortung von sich: "Ich hätte mir den gleichen Shitstorm gewünscht, als Greenpeace sich abgeseilt hat und Extinction Rebellion eine kleine Papierbombe gezündet haben. Wenn die AfD das gebracht hätte, wäre das Drama ebenso groß gewesen."
Kein Rückhalt für einen AfD-Bundestagsvizepräsidenten
Doch der Vorfall am 18. November ist nicht der einzige Anlass, bei dem Abgeordnete den neuen "rauen Ton" seit Einzug der AfD ins Parlament feststellen.
Ausdruck des gegenseitigen Misstrauens ist auch die Tatsache, dass die AfD bis zuletzt keinen Bundestagsvizepräsidenten stellt, was die Geschäftsordnung eigentlich für jede Fraktion vorsieht. Doch der Kandidat muss von der Mehrheit der Abgeordneten in geheimer Wahl bestätigt werden. Sechs AfD-Kandidaten scheiterten. Auch wenn sie immer Stimmen von anderen Fraktionen dazu bekamen, gereicht hat es nie. Ein Eilantrag der AfD deswegen beim Bundesverfassungsgericht scheiterte kürzlich, die zentrale Klage ist noch nicht entschieden.
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland geht - am Ende der Legislaturperiode angesprochen auf das Verhalten der Abgeordneten in einen Selbstverteidigungsmodus: "Also der Umgangston ist von den anderen vorgegeben worden, dass man auch Fehler macht, würde ich niemals bestreiten. Aber es ist uns von Anfang an eine derartig tiefe Ablehnung entgegengebracht worden…", so Gauland im Juni in der ARD.
Dauerthema Migration und vielseitige Positionen zu Corona
Welches Fazit ziehen nun Experten von außen nun nach der ersten Legislaturperiode der AfD im Bundestag? Kai Arzheimer ist Politikwissenschaftler der Universität Mainz und beobachtet die AfD schon lange und sieht, dass sie versucht, alles mit dem Migrationsthema zu verbinden:
"..dass immer der Bezug oder der scheinbare Bezug zur Migration hergestellt wird. Und dann gibt es noch so ein paar Nebenthemen, das sind Europa, das ist alles, was irgendwie jetzt mit grün-alternativen Lebensentwürfen oder auch nur Ideen zu tun hat. Das sind auch solche Reizworte, auf die die Partei dann reagiert."
Derzeit strauchelt die AfD, tat sich lange schwer eine einheitliche Position zu Corona zu finden und tritt auch heute noch immer wieder bei Detail-Fragen vielstimmig auf. Auf der einen Seite wurde im März die stockende Impfkampagne beklagt, auf der anderen Seite wird nun von 'Impfdruck' beziehungsweise einem 'Impfzwang durch die Hintertür' gesprochen. Die AfD hat den Umgang mit Ungeimpften zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfs gemacht und warnt vor einer Zweiklassengesellschaft.
Die ursprüngliche Überlegung der AfD, dass es nach der Pandemie viel Unmut über zum Beispiel Firmenpleiten in der Gastronomie geben würde, von der sie in der Wählergunst - quasi automatisch - profitieren könne, ging nicht auf.
Provokation, Attacke - aber ohne plausibles Gegenprogramm
Auch eigene Ansprüche hat die AfD-Fraktion nicht erfüllt, wie sie Alice Weidel in einem Video der "Stuttgarter Zeitung" formulierte: "Wir sind Oppositionsführer und es ist meine Aufgabe, Kritik zu üben, um das Blatt zu einem besseren zu wenden."
Nicht nur Kritik, sondern auch Gegenkonzepte und sich als Machtalternative anbieten, das hat die AfD nicht ausgefüllt, so Politikwissenschaftler Arzheimer: "…sondern da geht er vor allen Dingen darum, zu provozieren, die Regierung zu attackieren, ohne dass unbedingt klar wird, wie denn jetzt wirklich ein plausibles Gegenprogramm zur Koalitionspolitik aussehen würde."
Spendenaffären, Rechtsextremismusverdacht, Richtungskämpfe
Das Wahljahr startete zäh, Verluste bei drei Landtagswahlen, Spendenaffären von Alice Weidel und Jörg Meuthen führten zu empfindlichen Strafzahlungen, die Gesamtbeobachtung durch den Verfassungsschutz droht. Teile der Partei werden bereits wegen Verdachts auf Rechtsextremismus beobachtet. Richtungskämpfe zwischen sogenannten Gemäßigten und dem rechtsnationalen Ex-Flügel spalten die Partei – bis hinein in das Führungsduo aus Jörg Meuthen und Tino Chrupalla, die kaum noch gemeinsam auftreten.
Was erwarten nun potentielle Wählerinnen und Wähler von der AfD? Stimmen vom Wahlkampf im sächsischen Stolberg - hier in Sachsen liegt seit dem Gründungsjahr 2013 eine der Hochburgen der AfD: "… dass sie sich für den deutschen Bürger einsetzen. Dass sie gegen den Klimaschutz, gegen die Einwanderung was machen. Europa darf kein Vielvölkerstaat werden, in dem Sinne, so ne Union."
"Deutschland, aber normal" - Widerspruch zu Radikalforderungen
Die Partei zeigt sich widersprüchlich. Der Slogan für die Wahlkampagne "Deutschland, aber normal" steht im Widerspruch zu den teils radikalen Forderungen aus dem Wahlprogramm. Das wurde auf dem Dresdner Parteitag im April unter Mithilfe von Rechtsaußen Björn Höcke noch mal nachgeschärft und enthält die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, nach Corona-Maßnahmen nur noch auf freiwilliger Basis. Deutschland wird in dem Programm als Asylparadies bezeichnet.
Im Jahr 2021 ist wenig vom Aufbruch aus dem Jahr 2017 zu spüren. Und so baute Spitzenkandidat und Parteichef Tino Chrupalla angesichts stagnierender Umfragewerte im Interview mit der "Leipziger Volkszeitung" schon mal vor: Der Verlust von Direktmandaten, also Bundestagsabgeordneten, die die meisten Stimmen in einem Wahlkreis erringen, sei kein "Weltuntergang", so der Parteichef. Nach Optimismus klingt das nicht.