Die SPD kommt im neuen ZDF-"Politbarometer" auf 30 Prozent und ist damit nur noch knapp hinter der Union (34 Prozent). SPD-Kandidat Martin Schulz zieht in der Kanzlerpräferenz an Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) vorbei - nur noch 38 Prozent wollen demnach lieber Merkel als Regierungschefin, 49 Prozent bevorzugen Schulz.
Es sei noch nicht klar, ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Erscheinung handle, sagte Manfred Güllner, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Allerdings sei "eindeutig, dass die SPD durch den Wechsel von Sigmar Gabriel zu Martin Schulz Auftrieb bekommen hat". Als 1998 Oskar Lafontaine Gerhard Schröder in der SPD den Vortritt lassen musste, habe es einen "ähnlichen Schrödersog" gegeben, der bis zur Wahl angehalten habe. Der Unterschied zu 1998 sei aber, dass die SPD trotz der Zunahme in den Wahlpräferenzen heute nicht als die Partei gelte, der man es zutraue, die Probleme zu lösen.
Schulz werde trotz EU-Erfahrung als jemand von außen wahrgenommen
Schulz habe den Vorteil, dass er als jemand von außen außerhalb des Establishments wahrgenommen werde, obwohl er seit Jahren zum politischen Establishment in der EU-Politik gehört habe. Dieses Bild könne durch die CDU-Vorwürfe ins Wanken geraten, dass Schulz' Berater Engels in den Genuss vorteilhafter Vertragskonditionen gekommen sei. Bisher würden diese Anschuldigungen von der Bevölkerung allerdings als "Nickligkeiten" gesehen.
Dass die SPD sich auf das Thema soziale Gerechtigkeit konzentriere, hält Güllner aber für falsch. "Damit hat die SPD noch keine Wahlen seit 1949 gewonnen. Da muss noch etwas hinzu kommen. Davon wird auch abhängen, ob der Schulz-Hype ein Strohfeuer bleiben wird."
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Martin Zagatta: Martin Schulz als Kanzlerkandidat beflügelt auch weiterhin die Umfragewerte des Sozialdemokraten – und wie: Die SPD kann so stark zulegen wie noch nie eine Partei im Politbarometer des ZDF. Sie kommt nach den Zahlen von gestern Abend auf 30 Prozent, liegt nur noch knapp hinter der Union. Und Schulz zieht demnach klar an Merkel vorbei und ist jetzt sogar der beliebteste Politiker in Deutschland.
- Manfred Güllner ist der Chef des Meinungsforschungsinstituts FORSA und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Güllner!
Manfred Güllner: Ja, einen schönen guten Morgen!
Zagatta: Herr Güllner, diese Zahlen sich ja in etwa mit denen Ihres Instituts. Hat dieser jetzt schon etwas andauernde Höhenflug der SPD denn tatsächlich schon etwas zu sagen? Ist das schon mehr als eine Momentaufnahme?
Güllner: Tja, wir können immer noch nicht endgültig sagen, ob das eine Momentaufnahme oder ein Strohfeuer ist, ob es wieder vorübergeht, aber es ist ganz eindeutig, dass die SPD durch den Wechsel von Gabriel zu Schulz einen Auftrieb bekommen hat. Bei uns sieht es ja so aus, dass in den letzten 14 Tagen die SPD um zehn Punkte zugenommen hat, von 21 auf jetzt 31 Prozent. Das ist nicht so, dass das nicht auch schon mal vorgekommen wäre. Wenn Sie an Schröder 1998 denken, als Herr Lafontaine ihm den Vortritt lassen musste, obwohl er ja bis heute glaubt, dass er der größte Politiker aller Zeiten ist, da gab es einen ähnlichen Schröder-Sog, der dann auch bis zur Wahl angehalten hatte. Jetzt müssen wir abwarten, weil es noch einen Unterschied zu '98 gibt, nämlich dass die SPD trotz der Zunahme in den Parteipräferenzen und der Wahlabsicht noch immer nicht als eine Partei gilt, der man auch zutraut, die Probleme in Deutschland zu lösen. Ich glaube, davon wird es abhängen, ob dieser Schulz-Anstieg und der Anstieg der SPD von Dauer ist oder wieder zurückgehen wird.
Zagatta: Ja, jetzt hat aber Martin Schulz, was persönliche Werte angeht, nicht nur aufgeholt, sondern Merkel nach diesen Zahlen von gestern auch deutlich überholt. Gibt es da so etwas wie eine Merkel-Dämmerung, doch etwas Unzufriedenheit mit einer Kanzlerin, die eigentlich unangefochten galt?
"Die kommen jetzt alle mit Martin Schulz zurück"
Güllner: Bei den persönlichen Werten gibt es einen kleinen Dissens zwischen den Werten, die Sie gerade zitiert hatten und unseren: Bei uns liegen die beiden gleich auf. Aber nichtsdestotrotz hat Schulz hier deutlich bessere Werte als sie Sigmar Gabriel hatte. Und ich glaube, was wir hier auch nicht übersehen dürfen, dass es eine große Erleichterung darüber gibt, dass Gabriel nicht mehr die führende Figur in der SPD ist, weil er doch viele daran gehindert hat, die früher mal SPD gewählt haben und gerne die SPD wieder wählen wollten, der SPD die Stimme zu geben. Die kommen jetzt alle mit Martin Schulz zurück. Aber er hat ja noch keine richtigen politischen Konturen. Ich bin ein bisschen vorsichtig, ob man schon von einer Kanzlerin- und einer Merkel-Dämmerung reden kann oder ob doch hier noch eine Änderung stattfindet, weil eben Schulz im Augenblick nur als jemand gesehen wird, der von außen kommt. Also nicht aus dem Berliner politischen Establishment. Aber nun, wenn man dann merkt, dass er eigentlich ja im Zentrum des europäischen politischen Establishments in Brüssel kommt, dann kann sich auch das wieder ein bisschen wenden.
Zagatta: Es gibt ja jetzt schon auch Vorwürfe gegen Martin Schulz, er soll zum Beispiel diese Reisegeld-Tricksereien im Europaparlament selbst mitgetragen haben. Stört so etwas die Wähler, kann das diese Kampagne – die SPD setzt ja auf dieses Gerechtigkeitsthema –, kann das das noch ins Wanken bringen. Oder steht er da so quasi ähnlich wie Trump in den USA so ein bisschen drüber, weil er als Nicht-Establishment ja betrachtet wird, wie wir in den vergangenen Tagen öfter mal gehört haben?
"In Augen vieler Menschen einfach Nickeligkeiten"
Güllner: Alles, was jetzt so diskutiert wird, auch von Teilen der Union ja lanciert wird, das sind, ich sage mal, in den Augen vieler Menschen einfach Nickeligkeiten. Das wissen wir aus der Vergangenheit, etwa als man immer versucht hat, Joschka Fischer irgendwas anzuhängen aus der Vergangenheit. Das prallte immer ab. Da, glaube ich, wird sich das zunächst nicht negativ auswirken. Aber was natürlich passieren kann, ist das, was wir gerade schon diskutiert haben, dass dieser Nimbus, dass er von außen kommt, dadurch ein bisschen ins Wanken geraten kann. Wenn man sieht, aha, der hat ja da auch mit – in Anführungszeichen – "gemauschelt". Das andere, was Sie angesprochen haben, nämlich das Thema soziale Gerechtigkeit, das halte ich nach allem, was ich in den Wahlen, auch den historischen Wahlen, in der Bundesrepublik seit '49 beobachtet habe, für falsch, dass die SPD jetzt so schwerpunktmäßig nur oder in erster Linie auf die soziale Gerechtigkeit setzt. Damit hat die SPD noch keine Wahlen seit 1949 gewonnen. Da muss etwas mehr hinzukommen. Und das wird auch darüber entscheiden, ob der Schulz-Hype jetzt ein Strohfeuer ist oder von Dauer sein wird.
Zagatta: Herr Güllner, wenn die SPD zulegt, und so wie das aussieht, der Linken und auch den Grünen die Stimmen wegnimmt, ist dann Rot-Rot-Grün überhaupt eine Machtperspektive?
Güllner: Rot-Rot-Grün kann natürlich möglich sein, wenn die SPD zuwächst und nicht den Grünen und der Linkspartei zu viel Stimmen wegnimmt. Noch würde es nicht ausreichen, aber das sind ja nur wenige Prozentpunkte. Und das könnte durchaus noch reichen, wenn alles das eintritt oder nicht eintritt, was wir bisher diskutiert haben. Nur, wir müssen auch sehen, dass diese von den Parteien immer angesprochene Machtoption von den Wählern gar nicht für so wichtig gehalten wird. Die denken nicht in Koalitionsarithmetiken. Die wählen die Partei, von der sie glauben, dass sie ihre Interessen vertritt, dass man sie wählen kann, dass sie kompetent ist, dass sie glaubwürdig ist. Und denken nicht in solchen Machtoptionen.
Zagatta: Die "Bild"-Zeitung empfiehlt Martin Schulz, wenn er Kanzler werden will, dann müsse er sein Äußeres verändern. Also wenn er das Gesicht – das ist so dort zu lesen –, wenn er das Gesicht Deutschlands werden wolle, dann solle er seinen Bart abrasieren. Was sagt der Meinungsforscher dazu?
"Schulz sollte den Rasierpinsel weglassen"
Güllner: Ja, das ist immer ... Kommen dann immer irgendwelche Imageberater oder, noch schlimmer, irgendwelche Friseure, die sich für befugt halten, sich über so etwas zu äußern. Das bekommt einem meist schlecht, wenn man durch Äußeres versucht, sein Image oder sein Bild zu verändern. Da sollte Schulz, glaube ich, den Rasierpinsel und das Rasiermesser lieber weglassen und so bleiben wie er ist.
Zagatta: Aber gegen Scharping damals hat die CDU ja auch Wahlkampf gemacht mit dem Slogan "Politik ohne Bart". Das würden Sie Frau Merkel also nicht empfehlen?
Güllner: Nein, also ich glaube, Merkel sollte überhaupt keinen persönlichen Wahlkampf gegen Schulz führen. Sie hat ja auch mit ihm zusammengearbeitet. Und das würde ihr auch schlecht bekommen. Wenn man noch mal an Scharping denkt, Scharping war ja nun jemand, der hatte weder Sympathien bei den Menschen, noch hat man ihm Kompetenz zugetraut, und das mit und ohne Bart. Man hat ja damals auch versucht also die SPD etwas menschlicher zeigen zu lassen, da wurde Scharping als Baby auf dem Schafsfell gezeigt. Das hat ihm eher geschadet als genutzt.
Zagatta: Sagt der Meinungsforscher Manfred Güllner, der Chef des Meinungsforschungsinstituts FORSA. Herr Güllner, ich bedanke mich für das Gespräch!
Güllner: Okay!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.