Auf dem Bundesparteitag der AfD in Dresden Anfang April hatte sich noch einmal deutlich gezeigt, wie gespalten die Partei zwischen dem sogenannten gemäßigten Lager um Parteichef Jörg Meuthen und dem radikalen Lager um Björn Höcke ist. Dort beschloss die Partei, dass sie wieder mit zwei Kandidaten ins Rennen gehen will, wie schon 2017.
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Nach langen Debatten sollten die Mitglieder über das Spitzenduo abstimmen. Das Ergebnis wurde am 25. Mai bekannt gegeben. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel und Co-Parteichef Tino Chrupalla wurden als Spitzenduo gewählt. Die Entscheidung gilt auch als eine Richtungsentscheidung der AfD. Die Partei selbst sieht das anders.
An der Befragung vom 17. bis zum 24. Mai haben rund 14.800 Mitglieder der AfD teilgenommen, das sind nur rund 48 Prozent der Wahlberechtigten. Für Weidel und Chrupalla votierten 10.462 Mitglieder – das entspricht einem Anteil von gut 71 Prozent. Das zweite Bewerber-Team, die eher unbekannten Joana Cotar und Joachim Wundrak, kam auf rund 27 Prozent.
Damit bestätige sich, was Beobachterinnen und Beobachter erwartet hatten. Auch Dlf-Hauptstadtkorrespondentin Nadine Lindner, war davon ausgegangen, "dass es am Ende Weidel und Chrupalla werden". Die beiden seien unbestritten das bekanntere Team mit größerer politischer Macht: Chrupalla ist Co-Parteichef, Weidel ist Fraktionsvorsitzende, stellvertretende Parteivorsitzende auf Bundesebene und Landesvorsitzende in Baden-Württemberg - und sie hat Erfahrung im Bundestags-Wahlkampf.
Joana Cotar und Joachim Wundrak galten auch innerhalb der AfD als unbekannter. Wundrak ist ehemaliger Luftwaffengeneral, Cotar digitalpolitische Sprecherin im Bundestag. Sie betrachten sich selbst als gemäßigt und zählen zum Lager von Parteichef Meuthen.
Tino Chrupalla sieht in der Mitgliederwahl allerdings keine Richtungsentscheidung. Der neue Spitzenkandidat der Afd will zusammen mit Weidel die gesamte Partei repräsentieren. Man sei in der Lage, alle Strömungen zu vereinen, sagte Chrupalla im Deutschlandfunk.
Eigentlich wollte Co-Parteichef Meuthen beide Lager in einem Spitzenduo abbilden, um die Zerrissenheit der Partei zumindest bis zur Wahl etwas abzumildern. Die als gemäßigt geltende Cotar sollte demnach eigentlich als Zweckgemeinschaft mit Chrupalla antreten, um eine Balance zwischen den beiden Parteiflügeln herzustellen. Doch Chrupalla lehnte diesen Kompromiss ab. Darüber sei Cotar sehr enttäuscht und seit dem Parteitag in Dresden zudem ziemlich verärgert gewesen, so
Lindner aus dem Dlf-Hauptstadstudio in "Deutschlandfunk - Der Tag"
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"Das haben Kollegen berichtet aus einem parteiinternen Chat, dass sie sich dort sehr über die Angehörigen des Flügels beziehungsweise Ex-Flügels aufgeregt hat, weil sie gesagt hat: 'Die haben da in Dresden so einen Durchmarsch gemacht und haben uns quasi überhaupt nix gegönnt.' Sie hat das auch als Vertrauensbruch wahrgenommen."
Chrupalla bildete lieber ein Tandem mit Weidel. Diese hatte hingegen auf dem Parteitag zunächst noch erklärt, sie wolle nicht als Spitzenkandidatin antreten, was sie mit Verfahrensfragen begründete. Wenige Wochen später gab es dann doch noch einen Richtungswechsel.
Trotz der unterschiedlichen Ausrichtungen sei der innerparteiliche Wahlkampf erstaunlich schal verlaufen, so Korrespondentin Lindner. Es habe keine wirkliche Duellsituation gegeben "nur unterschliedliche kleine Online-Formate der jeweiligen Teams". Für die Mitglieder sei es am Ende wohlmöglich gar nicht so einfach gewesen, sich zu entscheiden.
Weidel und Chrupalla sind politische Schwergewichte und stehen dem früheren, vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften "Flügel" um Höcke nahe. Weidel hatte sich früher für einen Ausschluss von Höcke aus der AfD eingesetzt, ihren Kurs später aber geändert. Chrupalla ist neben Meuthen einer der beiden Parteichefs der AfD. Der als ehrgeizig geltende gelernte Malermeister aus der Lausitz wurde auf Listenplatz eins der sächsischen Landesliste für die Bundestagswahl gewählt. Als Co-Parteichef sieht er sich als die Stimme des Ostens. Beide treten äußerst dominant auf, mit provokanten Aussagen, rhetorisch giftig.
Weidel führte die AfD schon 2017 als Spitzenkandidatin an der Seite von Alexander Gauland in die Bundestagswahl. Es gibt allerdings innerparteiische Kritik an Weidel. Und trotz des selbstbewussten medialen Auftretens werde sie unter Bundestagsabgeordneten als Fraktionsvorsitzende teilweise als eine "Katastrophe" bezeichnet, berichtet Dlf-Hauptstadkorrespondentin Lindner: "Sie führt nicht richtig, sie taucht in vielen Situationen ab. Und so aus journalistischer Beobachtung muss ich schon sagen, dass ich mir von der Fraktionsvorsitzenden eigentlich auch mehr inhaltlichen Input wünsche, gerade in so einer Situation wie der Corona-Pandemie." Weidel übe zwar Fundamentalkritik, trete dann aber bei Pressekonferenzen oder in Reden im Plenum nicht so in Erscheinung, wie es sein müsse, so Lindner.
Das gelte ein wenig auch für Chrupalla. "Auch da vermisse ich wirklich an einigen Stellen seinen inhaltlichen Input. Geradez zum Thema Ostdeutschland. Ich habe das Gefühl, das bleibt an einigen Stellen wirklich schwach. Und einige, die so ein bisschen über den lästern, die sagen: Naja, er liest quasi die Sprechzettel ab, die ihm andere - unter anderem Gauland - vorher aufgeschrieben haben."
Wundrak und Cotar bildeten das zweite Spitzenkandidaten-Team. Sie betrachten sich selbst als gemäßigt und zählen zum Meuthen-Lager. "Doch auch Joana Cotar kann ganz schön austeilen in ihrer Kritik", betont Dlf-Hauptstadt-Korrespondentin Lindner.
Cotar ist Bundestagsabgeordnete aus Hessen, wo sie auf Listenplatz zwei gewählt wurde. Erst seit vergangenem Herbst ist sie Mitglied des Bundesvorstands, nachgerückt für Andreas Kalbitz, den die Partei wegen dessen früherer Mitgliedschaft in der neonazistischen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) ausgeschlossen hatte. Cotar wird als digitalpolitische Sprecherin unter den Kollegen als eher unauffällig beschrieben. Wundrak ist als ehemaliger Generalleutnant bei der Bundeswehr, beziehungsweise bei der Luftwaffe, offensichtlich der ranghöchste Soldat, der bei der AfD im Moment Parteimitglied ist. Er wurde in Niedersachsen auf Listenplatz eins gewählt.
Cotar und Wundrak stehen laut Dlf-Hauptstadt-Korrespondentin Lindner dafür, wie viele ihrer westdeutschen Vertreter die AfD gerne sehen: "Fachpolitisch versiert, mit Nähe zu hochrangigen Militärs, angriffslustig gegenüber der Bundesregierung - aber immer noch moderat genug, um anschlussfähig an breite Wählerschichten zu sein."
Quellen: Nadine Lindner, Dlf, dpa, og