Katrin verteilt Geschirr im Speisesaal der Seniorenresidenz Nieder-Olm. Erst die Teller, daneben das Besteck, dann ein Glas mit Saft. Danach greift die 26-Jährige, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, zu den Frotteetüchern.
"Lätzchen sagen wir nicht, wir sagen Kleiderschutz. So, da brauchen wir keinen, so einmal auf den Platz. Dass unsere Bewohner sich nicht dreckig machen. Hallo, Frau Heller! So."
Für Katrin ist das heute Routine. Als sie 2009 als Stationshilfe anfing, brauchte sie noch viel Hilfe. Die bekam sie etwa vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Mainz, das den Job vermittelt hat. Die junge Frau ist schwerbehindert und hat kognitive Einschränkungen. Die Förderschule hat sie ohne Abschluss verlassen. Aus Bewerbungen im Hotelbereich wurde deshalb nichts. Sie hätte in die Behindertenwerkstatt gehen können, so wie 300.000 andere Menschen. Doch: "In drei Werkstätten habe ich ja Praktikum gemacht. Und ich sage mal einfach so: Ich persönlich bin zu stark, sage ich jetzt mal so - und ich habe gesagt: Werkstatt: ungern."
Abschreckende Bürokratie
Am sogenannten ersten Arbeitsmarkt hat nur ein Viertel der deutschen Unternehmen schon mal Azubis mit Behinderung eingestellt. Und das, obwohl es staatliche Zuschüsse zum Lohn gibt – und auch dann, wenn etwas umgebaut werden muss. Doch die Leistungen müssen bei verschiedenen Ämtern beantragt werden und sind meist auf ein bis drei Jahre begrenzt. Das schreckt viele Firmen ab. Anders die Werkstätten: Sie bekommen pauschal für jeden Mitarbeiter Geld.
"Hallo Frau Straub!" - "Hallo." – "Wie geht es Ihnen?" - "Gut." – "Gut. Ist ganz schön kalt geworden, nicht?"
Katrin hatte Glück, dass sie in Rheinland-Pfalz zur Schule ging. Sie profitiert dort vom sogenannten "Budget für Arbeit". Wer einen Menschen mit Anspruch auf einen Werkstattplatz einstellt, kann seit 2007 bis zu 70 Prozent der Lohnkosten erstattet bekommen.
Teilhabegesetz soll Arbeitschancen steigern
Mit dem geplanten Bundesteilhabegesetz soll es so ein Budget für Arbeit ab 2017 erstmals bundesweit geben. Das könnte mehr Menschen Chancen am ersten Arbeitsmarkt verschaffen. Katrins Chef Joachim Schmöckel hat das Budget die Entscheidung erleichtert: "Ich denke, das Budget für Arbeit gibt auch einem Arbeitgeber eine gewisse Sicherheit, mit Minderleistungen fair und anständig umzugehen."
Behindertenvertreter mahnen, man müsse die Firmen besser über die neuen Möglichkeiten aufklären. Denn selbst in Rheinland-Pfalz, wo es das Budget schon länger gibt, sind darüber nur 300 Arbeitsplätze entstanden.
Es geht auch anders
"Zehn Euro 19 bitte."
Im CAP-Markt Bottrop gehören Menschen mit Handicap selbstverständlich zum Team. Der Laden ist einer von 800 Integrationsbetrieben. Diese staatlich geförderten Unternehmen besetzen mindestens ein Viertel der Stellen durch behinderte Menschen. Das Teilhabegesetz rückt solche Alternativen zur Werkstatt jetzt stärker in den Mittelpunkt: Menschen mit Handicap sollen bei der Jobsuche mehr Auswahl haben. Zuletzt hat der Bundestag für die Integrationsbetriebe ein Zusatzbudget von 150 Millionen Euro bis 2017 aufgelegt. Eine dauerhafte Anschlussfinanzierung steht noch aus.
Nadine Glowig ordnet die Milchprodukte. Bevor die gelernte Hauswirtin 2008 in den CAP-Markt kam, fand sie mit ihrer Lernbehinderung lange keinen Job. Der Markt beschäftigt doppelt so viele Mitarbeiter wie ein normaler Supermarkt. Deshalb finden Leute wie Glowig hier genügend Raum: "Zum Beispiel, wenn Herr Weber mir eine Aufgabe gibt und ich habe die jetzt nicht sofort ganz verstanden. Dann kann ich fünf Mal hinkommen und fragen. Und er erklärt's mir auch fünf Mal. Das ist in anderen Lebensmittelläden - neee."