Wichtig sei jetzt, den europäischen Emissionshandel wieder auf feste Füße zu stellen. Da dieser momentan nicht mehr funktioniere, führe das dazu, dass Kohlekraftwerke bei der Stromproduktion Gaskraftwerke verdränge. Zertifikate müssten vom Markt genommen werden.
Um die ehrgeizigen Klimaziele in Deutschland zu erreichen, kündigte sie außerdem einen Nationalen Aktionsplan an.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Die weit überwiegende Mehrheit der Fachwelt ist sich sicher: Auf der Erde wird es wärmer, und das sei überwiegend von uns Menschen gemacht. Milliarden über Milliarden Tonnen an Kohlendioxid werden in die Luft gepustet, und das heizt eben das Klima an. Bis Ende nächsten Jahres wollen sich die Staaten auf ein Abkommen einigen, in dem sie sich verbindlich verpflichten, mehr zum Schutz des Klimas zu tun. In Bonn wurde jetzt eine Konferenz eröffnet, die den Schlussgipfel 2015 in Paris vorbereiten will.
Den Klimawandel zu stoppen, ist eine Aufgabe für Generationen. Im Augenblick ist das Thema bei uns vielleicht etwas in den Hintergrund gerückt. Vielleicht liegt das auch daran, dass bisher alle Klimagipfel und Konferenzen eher einem Schneckenrennen glichen, und so wahnsinnig spannend ist das für das Publikum dann natürlich auch nicht mehr. – Barbara Hendricks von der SPD ist Bundesumweltministerin, nimmt an der Konferenz in Bonn teil. Guten Morgen, Frau Hendricks!
Barbara Hendricks: Guten Morgen!
Meurer: Haben Sie auch den Eindruck, die Deutschen werden ein wenig desinteressiert am Klima?
Hendricks: Nein, das kann ich so nicht sagen. Erstens sind wir doch in Deutschland auch innerhalb von Europa diejenigen, die die ehrgeizigsten Ziele haben, die wir auch verfolgen. Wir wollen ja eine Minderung des CO2-Ausstoßes bis 2020 um 40 Prozent erreichen. Die Europäische Union hatte 20 Prozent versprochen und will jetzt bis 2030 40 Prozent erreichen. Wir sind also, wenn man so will, zehn Jahre ehrgeiziger als die Europäische Union, und wir tun auch alles dafür, um es zu machen. Es ist aber auch wirklich so, dass alle diejenigen, die am Klimaschutz interessiert sind, das auch von Deutschland erwarten, weil wir wirklich immer vorangeschritten sind innerhalb von Europa und weil Europa auch ein Beispiel geben muss für die Welt.
Meurer: Jetzt zeigen die Zahlen aber seit ungefähr zwei Jahren, Frau Hendricks, dass Deutschland wieder mehr Kohlendioxid freisetzt. Sind wir doch nicht mehr die Musterknaben beim Klimaschutz?
Hendricks: Ja, da haben wir in der Tat ein Problem. Das hat nichts mit der Energiewende im engeren Sinne zu tun, sondern das hat damit zu tun, dass der europäische Emissionshandel nicht mehr funktioniert, dass einfach die Verschmutzungszertifikate zu preiswert sind. Und das wiederum hat dazu geführt, dass Kohlekraftwerke Gaskraftwerke aus dem Markt verdrängen. Gleichzeitig nimmt natürlich der Anteil der erneuerbaren Energien immer zu, aber wir werden ja auf absehbare Zeit auch noch fossile Brennstoffe für die Produktion von Kohle brauchen, und da muss es unser Ziel sein, innerhalb dieses Mixes der fossilen Brennstoffe dem Gas wieder mehr zum Durchbruch zu verhelfen, um die Kohle zurückzudrängen.
Meurer: Frau Hendricks, haben Sie eine Idee, wie Sie das machen wollen? Da hängen ja auch ein paar ziemlich fundamentale Interessen hinter der Kohleverstromung.
Hendricks: Ja natürlich! Es gibt zwei wesentliche Punkte. Der eine Punkt ist, tatsächlich den europäischen Emissionshandel wieder auf feste Füße zu setzen, also die Verschmutzungsrechte teurer zu machen. Dafür müssen wir Zertifikate aus dem Markt nehmen. Wir haben damit begonnen, 900.000 werden durch das sogenannte Backloading aus dem Markt genommen. Es müssten aber zwei Millionen sein und dann auch dauerhaft.
Meurer: Das klingt ziemlich kompliziert. Was ist das, Backloading?
Hendricks: Ja! Das bedeutet, dass das Verschmutzen, also der CO2-Ausstoß einfach teurer wird. Und wenn der CO2-Ausstoß teurer wird, dann kann die Kohle nicht mehr die Gaskraftwerke verdrängen. Dann ist das Produzieren von Strom aus Gas wieder günstiger und dann aus Kohle teurer. Das ist ein Schritt.
Dann müssen wir höchst wahrscheinlich auch in unserem Strommarkt dafür sorgen, dass wir zwar für die Sicherheit der Stromversorgung Kraftwerke im Hintergrund haben, denen wir dann wahrscheinlich eine Gebühr dafür zahlen, dass sie noch da sind, aber nicht produzieren. Auf diese Weise könnte man die Kohlekraftwerke auch zurückdrängen.
Meurer: Sie setzen auf den Emissionshandel, Frau Hendricks. Das würde ja den Verbraucher zunächst einmal nicht unmittelbar betreffen.
Hendricks: Richtig.
Meurer: Jetzt planen Sie einen sogenannten Nationalen Aktionsplan. Was genau haben Sie da vor?
Hendricks: Sehen Sie, ich habe meinen Ressortkollegen sozusagen erste Leitlinien geschickt. In denen ist eine Aufnahme dessen drin, was zurzeit stattfindet. Und wenn wir unsere Klimaschutzziele, die wir bis 2020 uns vorgenommen haben, erreichen wollen, müssen wir mehr tun, als wir bisher getan haben. Wenn wir so weitermachen wie bisher, erreichen wir eine Emissionsminderung von 33 Prozent. Wir haben uns aber 40 Prozent vorgenommen. Diese Lücke müssen wir durch verschiedene Maßnahmen füllen. Das ist zunächst mal die Verantwortung aller derjenigen, in deren Bereich sozusagen dieses geschehen kann: in meinem Bereich zum Beispiel die energetische Sanierung des Gebäudebestandes. Ich bin ja auch für das Bauen zuständig, wie Sie wissen. In anderen Bereichen wie Verkehr, Landwirtschaft, Stromproduktion, Handel, Gewerbe, Dienstleistungen haben wir noch große Potenziale, die wir auch kurzfristig heben können.
"Manche Dinge sind in Deutschland äußerst unbeliebt"
Meurer: Welche Potenziale sind das?
Hendricks: Ja, eben diese sieben Prozentpunkte Lücke füllen sozusagen. Das ist ein CO2-Ausstoß von 85 Millionen Tonnen, der uns da jetzt noch fehlt, und da müssen wir was tun.
Meurer: Ich tue mich noch ein bisschen schwer, mir vorzustellen, was kann der Handel dazu beitragen, zum Klimaschutz.
Hendricks: Es ist zum Beispiel im Handel durchaus auch so, dass noch nicht alle Kühlhäuser, sagen wir mal, wirklich optimiert sind. Es ist natürlich auch in Handelsgesellschaften und Handelsgeschäften zu überprüfen, wie viel Strom verbrauche ich denn zum Beispiel durch die Beleuchtung der Schaufenster, die ich habe, bin ich da schon optimiert. Es sind noch viele kleine Punkte, die dazu beitragen. Natürlich ist der industrielle Bereich auch sehr wichtig, aber der hat eigentlich schon sehr viel von sich aus getan. In den kleineren Unternehmen sind auch die Produktionsabläufe noch nicht so optimiert, wie es sein könnte. Die großindustriellen Strukturen haben aus eigenem Interesse schon viel getan, aber die vielen Kleinen sind noch nicht alle da, wo sie hingehören. Einfaches Beispiel: Haben schon alle Friseure überprüft, ob ihre Warmwasserbereitung wirklich vernünftig und günstig ist? – Das hört sich jetzt blöd an, aber es ist natürlich ein Zusammenspiel von ganz vielen kleinen und großen Aufgaben, die wir uns gemeinsam vornehmen können und auch vornehmen sollen.
Meurer: Das ist ja durchaus auch bei dem einen oder anderen mit Opfern verbunden. Friseure müssen da ein bisschen Geld ausgeben, investieren. Was sind denn, verraten Sie uns das, die dicksten Bretter, an denen Sie im Moment bohren?
Hendricks: Nun, wir sind da im Gespräch mit den Ressortkollegen und wir haben auch in dieser Woche einen Aufschlag gemacht mit den Ländervertretern und morgen treffen sich die gesellschaftlichen Gruppen, die daran interessiert sind, auch mit uns zu diesem Thema. Wir sind im Prinzip erst bei dem Aufschlag, den wir über den Sommer fertigmachen wollen, und wir wollen im Oktober/November im Kabinett beschließen, wie wir diese Lücke unseres eigenen Vorhabens sozusagen schließen, damit wir auf der Konferenz in Lima, die Ende des Jahres stattfindet, das auch dartun können, was wir machen, und wir unsere Vorreiterrolle behalten. Ich selber gebe jetzt bisher nicht sozusagen anderen Ressortkollegen vor, Du musst in Deinem Bereich das und das tun, sondern die sind zunächst verantwortlich, selber Vorschläge zu erarbeiten. Das ist eine Aufgabe des gesamten Kabinetts. Deswegen wird es auch einen Kabinettsbeschluss im Herbst dazu geben. Und dicke Bretter, das wissen Sie selber: Manche Dinge sind in Deutschland äußerst unbeliebt, das ist klar. Aber dazu äußere ich mich jetzt nicht, weil es dann immer gleich als Ankündigung gilt.
Meurer: Das ist in den USA mit den dicken Brettern ähnlich. Obama will es jetzt angehen, auch da mit den Kohlekraftwerken. Wenn ich Sie richtig interpretiere, was ich die letzten ein, zwei Tage gelesen habe, halten Sie das nicht für den ganz großen Durchbruch auf US-Seite. Warum nicht?
Hendricks: Na ja, ich bin schon sehr zufrieden, dass dieser Aufschlag kommt. Es macht ja doch wirklich einen Schwung in die internationalen Verhandlungen und es ist auch so, dass sich dann andere Länder wie zum Beispiel China oder so nicht mehr bequem hinter den Vereinigten Staaten verstecken können. Deswegen ist das wichtig als Signal. Es ist vom Umfang her noch nicht so sehr überzeugend. Wir müssen es ja vergleichen mit dem, was wir uns vorgenommen haben in Europa. Die Vereinigten Staaten wollen im Verhältnis zu 2005 reduzieren, wir alle anderen reduzieren im Verhältnis zu 1990. Deswegen sind die Zahlen nicht vollständig vergleichbar und etwas weniger ehrgeizig, als wir in Europa sind, auf jeden Fall. Gleichwohl: Ich bin sehr froh, dass es diesen Aufschlag gibt, denn das bringt wirklich Bewegung in die Verhandlungen, und ich bin auch zuversichtlich, was die Pariser Konferenz Ende des nächsten Jahres anbelangt, dass wir da anders als vor fünf Jahren in Kopenhagen wirklich einen richtigen Durchbruch erreichen werden.
Meurer: In Bonn berät eine internationale Klimakonferenz den weiteren Gang der Dinge. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD sprach mit uns. Danke, Frau Hendricks, auf Wiederhören!
Hendricks: Auf Wiederhören!
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