Das Bundesverfassungsgericht hat am 29. April 2021 entschieden, dass im deutschen Klimaschutzgesetz ausreichende Vorgaben für die Reduktion der CO2-Emissionen ab 2031 fehlen. Den Karlsruher Richtern zufolge ist das Gesetz teilweise verfassungswidrig, weil Lasten auf die Zeit nach 2030 verschoben und so Freiheitsrechte der jüngeren Generation verletzt würden. Damit reagierte das Gericht auf Verfassungsbeschwerden von Umweltorganisationen wie Protect the Planet und Greenpeace sowie eine Gruppe um die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer.
Die Bundesregierung kündigte daraufhin an, rasch ein überarbeitetes Gesetz auf den Weg bringen zu wollen. "Ich werde das so machen, dass der Klimaschutz aber die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern dass wir sie umbauen, dass wir sie modernisieren", sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Dlf. "Alle, die da jetzt noch bremsen, müssen jetzt mit an Bord." Noch in dieser Woche will sie einen neuen Gesetzentwurf vorlegen.
Schulze fordert etwa ehrgeizigere Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien. "Es muss überall vor Ort jetzt mal endlich Drive rein", so Schulze. Darüber hinaus schwebt ihr vor, die CO2-Umlage stärker auf die Vermieter zu konzentrieren und die CO2-Kennzeichnung von Pkws transparenter zu gestalten. "Damit die Leute einfach wissen, was stößt dieses Auto an CO2 aus und was ist der Vergleich zu einem klimafreundlicheren Wagen."
Am 6. Mai 2021 trifft sich Schulze mit Umweltministern und anderen Regierungsvertretern aus rund 40 Staaten virtuell zum Petersberger Klimadialog. Ziel der Veranstaltung ist es, sich über den Stand der internationalen Verhandlungen auszutauschen und die UNO-Klimakonferenz im November in Glasgow vorzubereiten.
Das Interview im Wortlaut:
Barbara Schmidt-Mattern: Frau Ministerin, machen Gerichte und die Fridays for Future-Bewegung der Bundesregierung jetzt wieder einmal vor, wie ambitionierter Klimaschutz aussehen muss?
Svenja Schulze: Zur Redlichkeit gehört ja dazu, sich mal anzusehen, wie Klimaschutz eigentlich vorangebracht wurde, und da sieht man, in den 90er-Jahren, da gab es einen Zusammenbruch der Industrie im Osten. Das hat zu massiven CO2-Reduzierungen geführt.
Danach war es eine rot-grüne Regierung, die das EEG vorangebracht hat und damit überhaupt Erneuerbare nach vorne gebracht hat. Dann war es meine Vorgängerin Barbara Hendricks, die das Pariser Klimaschutzabkommen verhandelt hat und den Kohleausstieg überhaupt das erste Mal in den Mund genommen hat. Das war nicht Herr Röttgen, das war nicht Herr Altmaier, das war nicht Herr Trittin!
"SPD war Wegbereiter für Klimaschutz"
Schmidt-Mattern: Gut, Frau Schulze. Aber ich glaube, wenn ich Sie da unterbrechen darf, die junge Generation will jetzt, glaube ich, nicht in die 90er-Jahre zurückblicken und die Versäumnisse von damals, sondern das Bundesverfassungsgericht hat ja explizit der laufenden Bundesregierung jetzt aus Union und SPD ein miserables Zeugnis ausgestellt. Wie ist da Ihre Verantwortung?
Schulze: Erst mal ist es so, dass Klimaschutz nicht erst seit kurzem stattfindet, und das muss man schon auch noch mal dazu sagen, wer eigentlich der Wegbereiter des Klimaschutzes ist, und das war bisher die SPD.
Wir haben es in dieser Regierung jetzt auch endlich durchgesetzt, dass es überhaupt ein Klimaschutzgesetz gibt. Das ist seit zehn Jahren die Forderung der SPD und wir haben es seit zehn Jahren nicht durchsetzen können. Jetzt haben wir es durchgesetzt und das Gericht sagt erst mal, dass der Mechanismus, den wir durchgesetzt haben, nämlich jedes Jahr sinkende Jahres-Emissionsmengen bis 2030 erst mal genau festgelegt, dass das genau richtig ist.
Das hat die Union übrigens als Planwirtschaft bezeichnet. Das Gericht sagt jetzt eindeutig, das ist richtig, wir müssen mehr tun nach 2030. Das finde ich gut, weil das hatte ich ursprünglich auch mal vorgeschlagen und das ist Rückenwind für das, was wir da wollen.
"Klimaschutz soll die Wirtschaft nicht abwürgen"
Schmidt-Mattern: Auf Fort- und Rückschritte der Klimapolitik der SPD kommen wir gleich noch mal zu sprechen. Sie kündigen jetzt an, in dieser Woche den Entwurf für ein überarbeitetes Klimaschutzgesetz vorzulegen. Was ist das Herzstück dieses Entwurfes?
Schulze: Im Grunde genommen sind es drei Herzstücke, weil wir brauchen mehr Generationengerechtigkeit. Das hat das Gericht eindeutig gesagt. Mehr Planungssicherheit und natürlich mehr Klimaschutz. Ich werde das so machen, dass der Klimaschutz aber die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern dass wir sie umbauen, dass wir sie modernisieren. Alle, die da jetzt noch bremsen, die müssen jetzt mit an Bord. Die müssen aufhören, auf die Bremse zu treten.
Schmidt-Mattern: Dann versuchen wir, das mal etwas konkreter in Zahlen zu fassen. Bisher ist laut Koalitionsvertrag vorgesehen, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 55 Prozent an CO2-Ausstoß einsparen muss. Um wieviel werden Sie diese Zahl jetzt hochsetzen in der Novelle?
Schulze: Die 55 Prozent - nur damit man weiß, wie man zu dieser Zahl gekommen ist -, die liegen ja daran, dass wir ein gemeinsames europäisches Ziel haben, was wir für das Pariser Klimaschutzabkommen gemeldet haben. Nun ist es uns im letzten Jahr gelungen, dieses europäische Ziel zu erhöhen. Das ist ein deutlicher Schritt nach vorne und das wird dazu führen, dass sich auch das deutsche Ziel natürlich erhöhen muss.
Der Expertenrat hat uns gesagt, das Ziel liegt zwischen 62 und 68 Prozent nach allem, was man im Moment weiß, was die EU umsetzen wird und wie das dort laufen wird. Wir errechnen jetzt, was ist ein sinnvoller Korridor, was können wir da genau nehmen, und diese Zahlen werde ich vorlegen.
"Jetzt in erneuerbare Energien einsteigen"
Schmidt-Mattern: Nennen Sie uns jetzt schon eine Zahl, wenn Sie von einem Korridor sprechen?
Schulze: Das kann ich heute leider noch nicht tun. Aber wichtig ist mir nicht nur eine Zahl für 2030, für 2040 und die Treibhausgas-Neutralität. Das muss jetzt eindeutig festgeschrieben werden. Wir haben das bis 2030 bisher getan. Dieser ganze Pfad muss schneller gehen. Da geht es übrigens nicht nur um Aussteigen, weil wir immer so gerne darüber reden, wo man überall aussteigt. Wir steigen aus Kohle, wir steigen aus Atom aus, das ist vollkommen festgelegt.
Wir müssen jetzt in erneuerbare Energien einsteigen und das macht mir schon Sorgen. Das geht zu langsam! Das muss schneller gehen. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien und es muss überall vor Ort jetzt mal endlich Drive rein.
Schmidt-Mattern: Da ist eindeutig zu wenig passiert in den letzten Jahren unter Schwarz-Rot. Das sagen auch viele Experten. Sie haben jetzt angedeutet, dass Sie sogar über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinaus schon vor 2030 die Ziele anziehen wollen. Das heißt, Sie gehen einen Schritt weiter als das höchste deutsche Gericht sogar verlangt?
Schulze: Wenn man das 2030-Ziel hochsetzt, dann kann man ja nicht erst 2029 damit anfangen, mehr zu tun, sondern dann müssen wir jetzt in diesem Jahrzehnt deutlich mehr machen, damit wir es auch wirklich hinbekommen, dann 2040, 2050 die nächsten Schritte zu gehen.
Ich finde sehr ermutigend, wenn man jetzt zum Beispiel mal nach Rheinland-Pfalz guckt, was Malu Dreyer in ihrem Koalitionsvertrag jetzt vorgelegt hat, wie sie Rheinland-Pfalz klimaneutral machen will. Wenn es solche Initiativen zum Beispiel auch in Baden-Württemberg oder in Hessen geben würde, das wäre ganz wunderbar, weil dann würden wir deutlich schneller vorankommen.
Beispiel Rheinland-Pfalz
Schmidt-Mattern: In Rheinland-Pfalz ist sicherlich vor allem auch das grün geführte Umweltministerium dafür verantwortlich, dass es jetzt vorangeht beim Klima. Bleiben wir mal bei den Grünen.
Schulze: Nein, das ist übrigens nicht der Fall. Das ist Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin, die sehr stark auch damit in den Wahlkampf gezogen ist, und das ist eine Koalition von SPD, von Grünen und von FDP, die hier gemeinsam ein Programm vorlegt, wie man ein Land, wie man Rheinland-Pfalz sehr schnell in den nächsten Jahren klimaneutral machen will. Das ist ein Land mit sehr viel Industrie und deswegen finde ich das einen wirklich mutigen Schritt, den Rheinland-Pfalz da gerade geht. Solche mutigen Schritte brauchen wir überall!
Schmidt-Mattern: Aller drei Parteien, aber nicht von Malu Dreyer allein. Darauf können wir uns sicherlich einigen. Bleiben wir kurz noch bei den Grünen. Die haben am Wochenende eine konkrete Zahl vorgelegt in Reaktion auf das Karlsruher Urteil. Sie fordern jetzt eine CO2-Einsparung bis zu 70 Prozent. Sind Sie dabei?
Schulze: Wir werden das mit unserem Expertenrat genau jetzt noch mal diskutieren, was die Zahl für 2030 ist. Aber noch mal: Wichtig ist jetzt nicht der Streit darum, wer kann die höchste Zahl nennen, sondern der Ideenstreit muss darum gehen, wie schaffen wir es, das CO2 zu reduzieren. Was sind die Maßnahmen.
Da habe ich ganz konkrete Vorschläge gemacht, den Ausbau erneuerbarer Energien zum Beispiel weiter nach vorne zu bringen, oder ich habe den Vorschlag gemacht, gemeinsam mit der Justizministerin, dem Finanzminister und dem Bauminister, dass wir die CO2-Umlage jetzt stärker auf die Vermieter konzentrieren, weil die können die Heizung austauschen, nicht die Mieter - blockiert übrigens das Wirtschaftsministerium.
Wir haben Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie man mehr Transparenz in die PKW-Kennzeichnung bekommt, damit die Leute einfach wissen, was stößt dieses Auto an CO2 aus und was ist der Vergleich dann zu einem deutlich klimafreundlicheren Wagen. Das sind alles Initiativen, die auf dem Tisch liegen, die wir sehr schnell jetzt auch machen könnten.
"Olaf Scholz tritt massiv für Klimaschutz ein"
Schmidt-Mattern: Ist denn der Koalitionspartner CDU und CSU an Ihrer Seite? Über die meiste Zeit der Legislaturperiode hinweg sind Sie da ja eher ausgebremst worden - übrigens auch in den eigenen Reihen lange Zeit.
Schulze: Na ja, in den eigenen Reihen nicht. Olaf Scholz hat massiv den Klimaschutz vorangetrieben. Wenn wir uns einmal zurückerinnern, was in anderen Krisen der Fall war, wenn man mal an die Bankenkrise denkt, da ist der Klimaschutz vollkommen in den Hintergrund geraten. Wir haben es geschafft, ein riesen Maßnahmenpaket auf den Weg zu bringen mit 54 Milliarden Euro. Es ist jetzt in dem Programm, wie wir aus der Krise rauskommen, noch mal über 40 Milliarden Euro vorgesehen. Das wird international gelobt, sogar von den Vereinten Nationen. Da kann ich mich wirklich nicht über Rückhalt beschweren.
Olaf Scholz ist da derjenige, der das massiv vorantreibt. Aber ja, in den letzten Jahren ist da zu viel blockiert worden, und deswegen ist das jetzt Rückenwind vom Gericht, was wir da bekommen.
Schmidt-Mattern: Frau Schulze, geben Sie mir noch Gelegenheit, eine Frage zu stellen. Olaf Scholz gehört natürlich auch zu denen, der noch 2018 erklärt hat, es gäbe keinerlei Überlegungen, eine neue CO2-Bepreisung einzuführen.
Jetzt, drei Jahre später, klingt das anders, aber es war nicht immer so. Kommen wir noch mal auf Ihren Koalitionspartner zurück. Bei all den Vorschlägen, die Sie jetzt machen, um die Reduktionsziele zu erreichen und auch hochzuschrauben, sind CDU und CSU da an Ihrer Seite?
Schulze: Das wird man jetzt sehen. Ich werde einen Vorschlag machen und dann wird man sehen, wer sind die Bremser und wer geht da mit voran. Ich lege das auf den Tisch. Das Gerichtsurteil ist eindeutig und ich will, dass wir das jetzt so schnell wie möglich umsetzen. Wir sind in Diskussionen und Verhandlungen mit der Union und ich kann sie nur auffordern, dieses Gerichtsurteil jetzt sehr schnell mit mir gemeinsam umzusetzen.
Schmidt-Mattern: Kohle ist auch ein Herzensthema über Jahrzehnte, gehört zur DNA der Sozialdemokraten. Viele Experten sagen jetzt auch,wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir bis 2030 aus der Kohle aussteigen. Sie stimmen, nehme ich an, zu als Umweltministerin?
Schulze: Das ist ja im Kohlekonsens schon lange verhandelt. Das ist ja das Gute an diesem Konsens, dass wir mit allen …
Schmidt-Mattern: Da steht 2038 drin!
Schulze: Nein, da steht drin, spätestens 2038, aber vorher sind zwei Evaluierungszeiträume vorgesehen und da soll jeweils geschaut werden, wie weit sind wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Wenn man früher aussteigen kann, dann steigt man früher aus, und das wird auch passieren, weil wir sind damals bei den Verhandlungen über den Kohleausstieg von einem CO2-Preis von rund 20 Euro ausgegangen. Jetzt ist der inzwischen schon bei 50 Euro.
Das wird den Kohleausstieg beschleunigen und umso wichtiger ist, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Insofern war der Kompromiss, den wir damals geschlossen haben, ein sehr, sehr kluger, dass er nämlich solche Beschleunigungen ausdrücklich vorsieht, wie sie jetzt gerade passieren.
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