Bundesverfassungsgericht
Grundgesetz soll seine Schützer schützen

Wenn es um Grundrechte geht, sorgt das Bundesverfassungsgericht dafür, dass sie eingehalten werden. Doch die oberste juristische Instanz ist bisher wenig geschützt. Deswegen haben sich die Ampelparteien und die Unionsfraktion auf Reformen verständigt.

24.07.2024
    Die Barette der Verfassungsrichter liegen vor einer Verhandlung aufgereiht auf dem Tisch in einem Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
    Acht Richter pro Senat: Zukünftig soll die Zahl der Bundesverfassungsrichter und die beiden Senate im Grundgesetz verankert werden. (picture-alliance / dpa / Uli Deck)
    Die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative gehört zu den Grundpfeilern bürgerlicher Demokratien. Wo autoritäre Kräfte an die Macht kommen, greifen sie die Unabhängigkeit der Justiz an. Das könnte auch in Deutschland passieren, wie die im Januar veröffentlichten Recherchen zu einem Treffen von AfD-Politikern, Neonazis und Unternehmen aufzeigten.
    Um das Bundesverfassungsgericht besser abzusichern, haben sich das Bundesjustizministerium, die Parteien der Ampelkoalition und die Unionsfraktion zusammengetan, außen vor blieben die AfD sowie die Gruppen der Linken und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW).
    Bei den parteiübergreifenden Absprachen ist ein Papier zur „Resilienz des Bundesverfassungsgerichts“ herausgekommen. Die Änderungen sollen noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Dazu ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat und im Bundesrat nötig.

    Inhalt

    Auf welche Änderungen haben sich Ampel und Union geeinigt?

    Das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsorgan. Dieser Status ist bisher nicht umfassend im Grundgesetz verankert, sondern in einfachen Gesetzen wie dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz von 1951. Diese Bundesgesetze lassen sich mit einfacher Mehrheit im Bundestag ändern; bei Änderungen des Grundgesetzes braucht es dagegen eine Zweidrittelmehrheit.
    Nun wollen das Bundesministerium der Justiz und die Vertreter der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU „die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit des Gerichts im Grundgesetz“ absichern, wie es in einer am 23. Juli in Berlin vorgestellten gemeinsamen Erklärung heißt.
    Kern der vorgeschlagenen Absicherung des BVG sind Änderungen zweier Artikel des Grundgesetzes. Was sich in der bisherigen Geschichte des Gerichts bewährt hat, soll in die Artikel 93 und 94 aufgenommen werden. In dem gemeinsamen Papier werden folgende Punkte genannt:
    • der Status des Gerichts
    • die Amtszeit der Richter: zwölf Jahre
    • die Altersgrenze der Richter: 68 Jahre
    • die Zahl der Richter: 16
    • die Zahl der Senate: zwei
    • der Ausschluss der Wiederwahl der Richter
    • die Fortführung der Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers
    • die Bindungswirkung der Entscheidungen des Gerichts
    • die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts

    Änderungen bei der Richterwahl

    Ein weiterer Punkt ist die Wahl der Richterinnen und Richter. In anderen Ländern wie Polen oder Ungarn war die Richterernennung mit einer einfachen Mehrheit immer wieder ein Einfallstor für die Regierung, um die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben.
    In Deutschland braucht es dagegen eine Zweidrittelmehrheit. Die Richterwahl beruht somit auf einem breiten Konsens unter den in der Bundes- und Landespolitik vertretenen Parteien. Um zu verhindern, dass eine Partei, die über ein Drittel der Stimmen im Bundestag verfügt, die Richterwahl blockiert, wurde eine Lösung gefunden.
    Wie diese aussieht, erläutert Justizminister Marco Buschmann: „Dass nämlich, wenn der Bundesrat blockiert wäre, der Bundestag, wenn der Bundestag blockiert wäre, der Bundesrat als Ersatzwahlgremium einschreiten kann.“ Er fügte hinzu: „Unsere feste Überzeugung ist, dass es nicht passieren wird, dass beide gleichzeitig blockiert sind.“

    Wie könnte das Verfassungsgericht bislang lahmgelegt werden?

    Das Bundesverfassungsgericht (BVG) könnte durch zwei Methoden lahmgelegt werden. Zum einen, indem im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) festgelegt wird, wie Richter zu arbeiten haben. Das am 17. April 1951 in Kraft getretene Regelwerk kann vom Bundestag mit einfacher Mehrheit geändert werden.
    So könnte der Gesetzgeber das BVG lahmlegen, indem er die Geschäftsordnung des Gerichts ändert. Eine andere Möglichkeit wäre, dass den bisher zwei Senaten ein dritter hinzugefügt würde. Dieser könnte mit politisch willfährigen Richtern besetzt werden oder an den anderen Senaten vorbei über wichtige politische Fragen entscheiden.

    Scheinbare Kleinigkeiten mit großer Wirkung

    Auch kleine Veränderungen könnten das Bundesverfassungsgericht blockieren, erläutert Johannes Fechner, Parlamentarischer Geschäftsführer und Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion. Als Beispiel nennt er, dass alle Einträge nach Eingangsdatum abgearbeitet werden müssten oder die Vorgabe, alle Entscheidungen ausführlich zu begründen. „Das kann dazu führen, dass das Verfassungsgericht nicht mehr dazu kommt, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben“, so Fechner.
    Zum anderen könnte das Bundesverfassungsgericht lahmgelegt werden, in dem die Ernennung von Richtern blockiert wird. Denn sie werden jeweils zur Hälfte mit einer Zweidrittelmehrheit vom Bundestag und Bundesrat gewählt. Wenn eine Partei in einer der beiden Parlamentskammern mehr als ein Drittel der Stimmen hätte, könnte sie auf destruktive Weise eine Richterwahl verunmöglichen, erläutert Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

    Reichen die Änderungen aus, um das Bundesverfassungsgericht zu schützen?

    Die Beteiligten der fraktionsübergreifenden Absprache sind sich sicher, dass mit den Änderungen das Bundesverfassungsgericht gut geschützt ist. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP erklärte dazu am 23. Juli: „Es war an der Zeit, diese bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts einerseits und seiner mangelnden grundgesetzlichen Absicherung andererseits zu schließen.“ Nun habe man sich auf die „Stärkung unserer Verfassungshüter verständigt“.
    Andrea Lindholz von der CSU verweist auf den Punkt, dass sich zukünftig das Bundesverfassungsgericht selbst die Geschäftsordnung geben kann. „Das betrifft zum Beispiel das Thema, in welcher Reihenfolge Akten bearbeitet werden müssen.“ Das klinge zwar trivial, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion für Recht und Inneres, könne aber „im Zweifel sehr entscheidend sein“.
    Sie verweist dabei auf Polen, wo Gerichte in der Reihenfolge des Eingangs entscheiden sollten. Dahinter habe die Absicht gestanden, „dass das Agieren der damals regierenden PS-Partei erst einmal nicht kontrolliert werden sollte“, so die CSU-Politikerin. 
    Noch mehr Verankerung im Grundgesetz gefordert
    Johannes Fechner, parlamentarischer Geschäftsführer und Justiziar der SPD-Bundestagsfraktion, hebt das vorgesehene Wahlverfahren hervor, bei dem eine Minderheit die Ernennung von Richtern nicht blockieren kann. Außerdem unterstreicht er: „Wir verhindern, dass, wie in Osteuropa geschehen, durch Schaffung neuer Senate oder die Herabsetzung der Altersgrenze neue Verfassungsrichterstellen geschaffen werden, die mit Günstlingen besetzt werden können.“
    Nicht weit genug gehen dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter und Ex-Ministerpräsidenten des Saarlands, Peter Müller, die angestrebten Veränderungen. Er fordert, dass auch die Wahl der Richter mit einer Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz verankert wird; geplant ist, diese wie bisher im Bundesverfassungsgerichtsgesetz festzuschreiben.
    Müller sieht die Gefahr, dass sonst die Regelung wieder mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag abgeschafft werden kann. Gerade die Zweidrittelmehrheit sichere „die Unabhängigkeit und Ausgewogenheit“, so der Jurist, weil ein breiter Kompromiss gefunden werden müsse.
    Auch der Deutsche Anwaltverein fordert weitere Sicherungen. So solle das Bundesverfassungsgerichtsgesetz künftig nicht mehr mit einfacher Mehrheit im Bundestag geändert werden dürfen, auch der Bundesrat solle dafür zustimmen. Das wird auch von Peter Müller unterstützt. Schließlich liege das Bundesverfassungsgericht „in der gemeinsamen Verantwortung von Bundestag und Bundesrat“, so der ehemalige Richter.

    rzr