Das Bundesverfassungsgericht wacht über die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Grundrechte. Damit das Karlsruher Gericht diese Aufgabe auch in Zukunft so erfüllen kann wie in den vergangenen Jahrzehnten, haben es Union, SPD, Grüne und FDP nun besser abgesichert als bisher und im Bundestag mit Zweidrittelmehrheit einige Grundgesetz-Änderungen beschlossen. Auch Die Linke unterstützte das Gesetz. AfD und BSW lehnten es ab.
Hintergrund für die Reform sind Befürchtungen vor dem politischen Einfluss rechtspopulistischer und autoritärer Kräfte – ein Blick nach Ungarn und Polen zeigt, wie das Justizsystem eines Landes in Bedrängnis geraten kann, wenn die Regierung es gezielt schwächen will.
Was beinhaltet die Reform des Bundesverfassungsgerichts?
Das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsorgan. Dieser Status war bisher nicht umfassend im Grundgesetz verankert.
Das ändert sich nun: Die zwölfjährige Amtszeit der Richter, der Ausschluss einer Wiederwahl sowie die Altersgrenze von 68 Jahren werden nun in der Verfassung festgeschrieben. Diese und andere Vorgaben zu Status, Struktur und Arbeitsweise des Gerichts regelte bislang das Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Das aber kann mit einfacher Mehrheit geändert werden, anders als das Grundgesetz. Hier ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig.
Auch die Festlegung auf 16 Richter und zwei Senate wird künftig in der Verfassung stehen. Damit die Arbeitsfähigkeit des Gerichts in keinem Fall gefährdet ist, wird dort auch festgehalten, dass ein Richter seine Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers weiterführt.
Das Gleiche gilt für die Geschäftsordnungsautonomie, also den Grundsatz, dass das Bundesverfassungsgericht seine inneren Angelegenheiten selbst regeln darf. Das bedeutet unter anderem, dass die Richter selbst entscheiden können, in welcher Reihenfolge sie Akten bearbeiten. Das soll verhindern, dass Politiker bestimmte Entscheidungen des Gerichts hinauszögern können.
Änderungen gibt es auch bei der Richterwahl: Die Hälfte von ihnen wird im Bundestag, die andere Hälfte im Bundesrat gewählt. Das soll grundsätzlich auch so bleiben. Notwendig ist jeweils eine Zweidrittelmehrheit. Das garantierte bislang, dass die Parteien in der Regel politisch gemäßigte Juristinnen und Juristen vorschlugen.
Um bei möglicherweise veränderten Mehrheitsverhältnissen in der Zukunft zu verhindern, dass es zu einer Sperrminorität und zu Blockaden bei der Richterwahl kommt, haben sich SPD, Union, Grüne und FDP auf einen Ersatzwahlmechanismus geeinigt. Falls es keine Zweidrittelmehrheit gibt, kann das Wahlrecht vom Bundestag auf den Bundesrat übergehen und umgekehrt.
Wie hätte das Verfassungsgericht ohne Reform lahmgelegt werden können?
Es gab mehrere Szenarien, die diskutiert wurden. So hätte ein Angriff auf das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel über das Bundesverfassungsgerichtsgesetz erfolgen können.
Das am 17. April 1951 in Kraft getretene Regelwerk kann vom Bundestag mit einfacher Mehrheit geändert werden. Schon eine Änderung der Geschäftsordnung des Gerichts – so wie die mögliche Vorgabe, alle Fälle nach Eingangsdatum abzuarbeiten oder alle Entscheidungen ausführlich zu begründen - hätte ernsthafte Folgen haben und zur Blockade führen können.
Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, die zwei Senate durch einen dritten zu ergänzen und diesen mit politisch willfährigen Richtern zu besetzen – oder die Ernennung von Richtern zu blockieren. Diese werden jeweils zur Hälfte mit Zweidrittelmehrheit vom Bundestag und Bundesrat gewählt. Wenn eine Partei hier oder dort mehr als ein Drittel der Stimmen hat, hätte sie auf destruktive Weise eine Richterwahl verhindern können.
Warum wurde die Reform jetzt beschlossen?
Hintergrund waren Sorgen, AfD und BSW könnten bei den vorgezogenen Neuwahlen zum Bundestag dort eine Sperrminorität, also mehr als ein Drittel aller Stimmen, erreichen. Damit hätten die Änderungen im Grundgesetz nur mit Unterstützung einer Partei, die nicht der demokratischen Mitte zugerechnet wird, erfolgen können.
Juristen hatten gefordert, die geplante Reform trotz des Endes der Ampel-Regierung zeitnah zu verabschieden. Dieses Vorhaben sei „von so herausragender Bedeutung für den Rechtsstaat, dass alle demokratischen Parteien sich dafür einsetzen müssen, die Reform noch vor den angestrebten Neuwahlen zu beschließen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von acht Verbänden, unter ihnen der Deutsche Richterbund, der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer.
Welche Beispiele gibt es für das Behindern oder die Instrumentalisierung von Obersten Gerichten in Demokratien?
Wenn autoritäre Parteien an die Macht kommen, gehen sie meist gegen demokratische Institutionen vor. Die Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt haben in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ Merkmale dafür zusammengetragen. Demnach werden in einem ersten Schritt „Schiedsrichter“ wie Gerichte attackiert; anschließend werden dann neue Regeln etabliert.
Beispielhaft dafür war das Vorgehen der PiS-Regierung in Polen oder der Staatsumbau in Ungarn unter Viktor Orbán. Aber auch die von Benjamin Netanjahu geplante Justizreform in Israel zielt auf eine Schwächung des Rechtsstaates ab. In den USA hat Donald Trump von Entscheidungen des Supreme Courts profitiert, dessen politische Ausrichtung er einst selbst maßgeblich durch die Besetzung von Richterposten bestimmt hatte.
PiS in Polen: Umbau der Justiz
In Polen hatte die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) während ihrer Regierungszeit (2015 – 2023) die Justiz in ihrem Sinne umgebaut und ihre Eigenständigkeit in vielen Bereichen beschnitten. So wurde unter anderem die Geschäftsordnung des Obersten Gerichtshofs geändert, eine Disziplinarkammer eingesetzt, die Eigenständigkeit des Generalstaatsanwalts beschränkt und das Rentenalter für Richter heruntergesetzt, um genehme Juristen einzusetzen.
Die Europäische Union reagierte darauf mit einem Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Der Europäische Gerichtshof urteilte, die Reformen verstießen gegen EU-Recht. Die seit Dezember 2023 amtierende Regierung von Donald Tusk hat angekündigt, die Justizreform wieder rückgängig zu machen.
Ungarn: Einschränkung der Selbstverwaltung
Seit 2010 ist in Ungarn die Partei Fidesz an der Macht. Seitdem wurde auch hier die Unabhängigkeit der Justiz attackiert. So wurde etwa das Verfassungsgericht in seinen Zuständigkeiten beschränkt und ein nationales Justizamt geschaffen, um die richterliche Selbstverwaltung einzuschränken. Die EU reagierte mit einem Rechtsstaatsverfahren gegen das Land.
Israel: Oberstes Gericht als Kontrollinstanz
Weil es in Israel keine Verfassung gibt, ist das Oberste Gericht eine wichtige Kontrollinstanz. Doch Premierminister Benjamin Netanjahu will die Rechte der Richter beschränken - im Januar 2023 leitete er eine Justizreform in die Wege.
Der Umbau des israelischen Rechtssystems zielt vor allem darauf ab, die Gerichtsbarkeit des Landes zu schwächen und die Macht von Parlament und Regierung zu stärken. Gegen das Vorhaben gab es immer wieder Massenproteste. Kritiker sehen die Demokratie in Israel gefährdet. Einen Teil der Reform hat das Oberste Gericht im Januar 2024 gekippt.
USA: Supreme Court mit Rechtsdrall
Wie die Politik in Demokratien Einfluss auf die oberste Gerichtsbarkeit nehmen kann, zeigt sich schließlich auch in den USA. Dort hatte Donald Trump während seiner ersten Amtszeit als US-Präsident dem Supreme Court einen Rechtsdrall verpasst, indem er frei werdende Richterposten mit strikt konservativen Kandidaten besetzte.
Das hat sich für ihn ausgezahlt: Vor dem Hintergrund der ehemals zahlreichen Prozesse gegen Trump kam ihm der Supreme Court zu Hilfe. Das Oberste Gericht der USA entschied, dass ehemalige Präsidenten für offizielle Handlungen im Amt vor Strafverfolgung geschützt sind. Der Beschluss des Gerichts hatte wesentliche Auswirkungen auf einige der Verfahren gegen Trump und wird auch immense Bedeutung für künftige Präsidenten haben.
ahe