Haushaltskrise
Ein Urteil und seine Folgen

Gelder zur Bewältigung der Corona-Krise hätten nicht in den Klimafonds fließen dürfen, so urteilte das Bundesverfassungsgericht. Was bedeutet der Richterspruch für den Klimaschutz, den geplanten Haushalt und die Bürger?

    Stehende Männer und Frauen in roten Roben.
    Urteil setzt Regierung unter Druck: Die Richter am Bundesverfassungsgericht haben 60 Milliarden aus dem Klima- und Transformationsfonds gestrichen. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    60 Milliarden Euro muss Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aus dem Klima- und Transformationsfonds streichen. So haben es die Richter des Bundesverfassungsgerichts am 15. November entschieden. Ein Urteil, das den Haushalt, die Umwelt- und Klimapolitik sowie die Ampelkoalition unter Druck setzt.
    Als Konsequenz aus dem Urteil hat der Bundesfinanzminister eine Haushaltssperre ausgerufen. Lindner erklärte zudem, dass der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds zum Jahresende geschlossen wird und die staatlichen Strom- und Gaspreisbremsen dann auslaufen.
    Um den Haushalt 2023 verfassungsrechtlich abzusichern, stimmte das Kabinett am 27.11. für einen Nachtragshaushalt und leitete damit erste Schritte für die erneute Aussetzung der Schuldenbremse ein. Am 1.12. brachte Finanzminister Lindner den Nachtragshaushalt für 2023 in den Bundestag ein.
    Für den Haushalt 2024 sucht die Ampel-Koalition nach einem Kompromiss, Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) sagte seine Reise zum Weltklimagipfel nach Dubai ab. Es fehlen 17 Milliarden Euro.
    Strittig ist vor allem die Frage, ob 2024 erneut die Schuldenbremse ausgesetzt werden soll oder nicht, die FDP pocht auf Einsparungen. Sie denkt dabei an den Sozialbereich und beispielsweise eine Aussetzung der geplanten Erhöhung des Bürgergelds. Die Grünen haben den Abbau von klimaschädlichen Subventionen vorgeschlagen.

    Inhalt

    Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?

    2020 und 2021 beschloss der Bundestag mehrmals, zur Bewältigung der Folgen der Coronapandemie neue Schulden aufzunehmen. Das war trotz der geltenden Schuldengrenze möglich, denn es handelte sich um eine besondere Krisensituation. Dafür wurde ein sogenanntes Sondervermögen eingerichtet.
    Sondervermögen, derzeit gibt es 29 beispielsweise für die Aufrüstung der Bundeswehr, werden getrennt vom übrigen Bundesvermögen verwaltet. Zum Corona-Sondervermögen zählten auch die 60 Milliarden Euro, über deren Verwendung das Bundesverfassungsgericht Mitte November urteilte.
    Die 60 Milliarden Euro waren als Kreditermächtigung im Nachtragshaushalt 2021 mit dem Zweck der Pandemiebekämpfung vorgesehen. Doch wurden die vorgesehenen Kredite nicht abgerufen, sondern von der Ampelkoalition im Februar 2022 rückwirkend auf den sogenannten Energie- und Klimafonds (EKF), den heutigen Klima- und Transformationsfonds (KTF), übertragen. Mit dem Geld sollten unter anderem Maßnahmen zur Energieeffizienz in Gebäuden gefördert und das Schienennetz ausgebaut werden.
    Die Unionsfraktion im Bundestag sprach sich gegen die Verschiebung aus - und wandte sich an das Bundesverfassungsgericht. Mit Erfolg. Die Richter erklärten das Vorgehen für verfassungswidrig. Die Folge: Die in den KTF umgebuchten 60 Milliarden Euro stehen der Bundesregierung nicht zur Verfügung.

    Haushaltssperre: Das sind die Folgen des Urteils

    Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 15. November zunächst eine Ausgabensperre für den Klima- und Tranformationsfonds (KTF) verhängt.
    Wenig später weitetet Lindner die für den KTF verfügte Haushaltssperre auf nahezu den gesamten aktuellen Etat für 2023 aus. Konkret wurden die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen gestoppt. Verpflichtungsermächtigungen erlauben es, für kommende Jahre Zahlungsverpflichtungen einzugehen, etwa für langfristige Projekte. Von der Sperre ausgenommen wurden Verfassungsorgane wie Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht.
    Das Karlsruher Urteil hat aber noch größere Auswirkungen für die Finanzplanung der Ampel. So betrifft es nach Einschätzung der Bundesregierung offenbar auch den 200 Milliarden Euro schweren Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF). Denn der WSF wurde in ähnlicher Weise wie der Klimafonds mit Krediten ausgestattet.
    Im Deutschlandfunk bestätigte Lindner das Aus für den WSF: Der Fonds werde zum 31. Dezember dieses Jahres geschlossen, es würden daraus keine Auszahlungen mehr erfolgen. Damit laufen laut Lindner auch die staatlichen Strom- und Gaspreisbremsen zum Jahresende aus. Die Energiehilfen wurden bisher aus dem Fonds finanziert.
    Um nach dem Karlsruher Urteil einen Verfassungsbruch abzuwenden, hat das Bundeskabinett am 27.11. einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 auf den Weg gebracht. Für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds seien 43,2 Milliarden Euro an Krediten vorgesehen, teilte das Bundesfinanzministerium. Weitere 1,6 Milliarden an Krediten seien für den Aufbauhilfefonds für die Gebiete der Hochwasserkatastrophe 2021 vorgesehen. Insgesamt werde die reguläre Kreditobergrenze der Schuldenregel im Jahr 2023 damit laut Ministerium um 44,8 Milliarden Euro überschritten.
    Ein Nachtragshaushalt ist eine nachträgliche Veränderung eines bereits beschlossenen Etats. Voraussetzung dafür ist, dass der Bundestag eine außergewöhnliche Notlage erklärt. Damit kann die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden. Es wäre das vierte Mal in Folge. Die Union kündigte an, die Begründung der Notlage sehr sorgfältig zu prüfen und dann zu entscheiden, wie sie im Parlament abstimmt.
    Angesichts der Haushaltskrise wird zudem über eine Reform der Schuldenbremse debattiert. Während Stimmen aus der SPD sich für die Abschaffung der Schuldenbremse aussprachen, gab es aus der FDP vor allem Überlegungen, bei Ausgaben, etwa im Sozialbereich, zu kürzen. Finanzminister Lindner (FDP) etwa mahnte einen rigiden Sparkurs an. Eine Reform der Schuldenbremse wie von SPD und Grünen gefordert lehnt er ab.
    Auf Länderebene gibt es dagegen durchaus Sympathien für eine solche Reform. Offen zeigten sich die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen, Reiner Haseloff und Michael Kretschmer sowie die SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil (Niedersachsen), Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Anke Rehlinger (Saarland).

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    Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die Klimapolitik?

    Der Finanzplan des Klima- und Transformationsfonds (KTF) sieht bis 2027 insgesamt 211,8 Milliarden Euro vor. Der Fonds finanziert sich zwar auch aus eigenen Mitteln wie der nationalen CO2-Bepreisung und dem ETS-Emissionshandel. Diese reichen derzeit aber bei Weitem nicht aus, um alle Projekte zu finanzieren. Durch das Karlsruher Urteil stehen für die Fonds-Vorhaben nun 60 Milliarden Euro weniger zur Verfügung: Für 2024 fehlen 20 Milliarden Euro, die verbleibenden 40 Milliarden fehlen in den folgenden Jahren.
    Damit stehen zahlreiche größere Zukunftsprojekte auf dem Prüfstand. Dazu gehören die im KTF vorgesehenen Subventionen für energieintensive Branchen, um zu grünem Wasserstoff zu wechseln.
    Auch könnte beim Ausbau des Wärmenetzes, der Elektromobilität oder der Modernisierung der Deutschen Bahn gekürzt werden. Hinzu kommen strategische Investitionen beispielsweise in Chipfabriken. Auch diese sollten aus dem KTF kommen.

    Welche Vorschläge haben Ökonomen?

    Auch Ökonomen sind sich uneins, woher das Geld für die großen Klimaprojekte kommen könnte. Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf spricht sich für eine Reform der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen aus. Die deutsche Schuldenquote sei im internationalen Vergleich der Industriestaaten sehr niedrig. Man sei in einem „entscheidenden Zeitraum“.
    Für das Erreichen der Klimaziele bis 2030 und der Transformation der Wirtschaft müssten gewaltige Investitionen geschultert werden. „Da passt es nicht dazu, wenn der Bundeshaushalt viel restriktiver ist als so ziemlich jedem anderen Land in dieser Welt.“
    Die Ökonomin und sogenannte Wirtschaftsweise Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht bei Diskussionen über die Schuldenbremse derzeit wenig Spielraum. Dafür haben sich die Parteien teilweise zu sehr auf ihre Position festgelegt.
    Ihrer Meinung nach könnte Geld für die Zukunftsprojekte der Ampelkoalition durch eine schnellere Erhöhung der CO2-Steuer, die Abschaffung des Dieselprivilegs oder die Einführung eines Klima-Solis in den Staatshaushalt fließen. „Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen“, so Schnitzler. "Sich gegen alles zu sperren, das ist schwer zu verstehen in schwierigen Zeiten.“

    nm, rzr, tmk