Viele Menschen haben Angst davor, vor dem Tod unerträglich zu leiden, die Selbstbestimmung zu verlieren oder einer sogenannten Gerätemedizin ausgeliefert zu sein. Manchen erscheint die Sterbehilfe als Möglichkeit, Kontrolle über den eigenen Tod sicherzustellen. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts erklärte am 26. Feburar 2020 die im Strafrechtrechtsparagrafen 217 festgeschriebene Regelung für nichtig, mit der die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe gestellt worden war. Die Verfassungsrichter begründeten dies damit, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse. Ein neues Regelwerk, wie dieses Recht umzusetzen ist, wurde nicht implementiert.
Knapp ein Jahr nach dem Grundsatzurteil des Bundesverassungsgerichtes gibt einen
Vorstoß zur gesetzlichen Neuregelung
. Der Gesetzenwurf einer fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten sieht vor, unheilbar Kranken Zugang zu Medikamenten zu verschaffen, um eine Selbsttötung durchzuführen. Diese Selbsttötung soll mit einer verpflichtenden Beratung und Wartefristen verbunden sein. Die Pläne sehen vor, dass mehrere Gesetzesänderungen in einem Sterbehilfegesetz zusammengefasst werden. Im Deutschlandfunk betonte Petra Sitte (Die Linke), die den Entwurf mit erarbeitet hat: Palliativmedizinische Einrichtungen leisteten wertvolle Hilfe, um "würdevoll die letzte Phase seines Lebens zu verbringen". Doch müsste den Betroffenen eine Alternative zur Palliativmedizin geboten werden. Neben der Linken-Politikerin wird der Gesetzentwurf von den Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Karl Lauterbach (SPD) getragen.
- Was ist Beihilfe zur Selbsttötung als Sterbehilfe?
- Warum wurde Paragraf 217 des Strafgesetzbuches erlassen?
- "Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung": Was regelt § 217?
- Wer hat die Verfassungsbeschwerde erhoben?
- Nach welchem Maßstab entscheiden die Richter?
- Worüber muss das Verfassungsgericht noch entscheiden?
- Was wird außerdem als Sterbehilfe bezeichnet?
Die Grundrechte der Verfassung schützen auch die Selbstbestimmung des Menschen. Sie umfasst auch das Recht, sich selbst das Leben zu nehmen. Weil der Suizid also nicht unter Strafe steht, ist an sich nach den allgemeinen Regeln des Strafrechts auch die Beihilfe zur Selbsttötung straflos. Der Sterbewillige selbst nimmt die Handlung vor, die zum Tod führt. Die Beihilfe kann zum Beispiel darin bestehen, die todbringenden Mittel zu besorgen. In Zusammenhang mit der Sterbehilfe wird auch vom assistierten Suizid gesprochen. Dabei geht es nicht um palliative Sterbebegleitung, weil es nicht um medizinisch angezeigte Therapien geht.
Eine bestimmte Form dieser Beihilfe zur Selbsttötung, die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung", wurde 2015 mit dem Paragrafen 217 unter Strafe gestellt. Darüber entscheidet nun das Bundesverfassungsgericht.
In organisierter Form war Sterbehilfe zum Beispiel mit Exit oder Dignitas vor allem aus der Schweiz bekannt. Zu kontroversen Diskussionen kam es in Deutschland, nachdem der frühere Senator Roger Kusch eine organisierte Form der Suizidassistenz auch in Deutschland etablieren wollte. 2009 gründete sich dazu der Verein Sterbehilfe Deutschland. Unterstützung, auch mit einer speziellen Apparatur, bekamen zahlende Mitglieder. Wer eine dreijährige Wartezeit vermeiden wollte, zahlte zeitweise 7.000 Euro statt des sonst anfallenden Mitgliedsbeitrags von 200 Euro. Nach eigenen Angaben unterstützte der Verein 254 Menschen beim Suizid, zwischen 2010 und 2015. Auch einzelne Ärzte berichteten, Beihilfe zum Suizid geleistet zu haben. Ein Teil der Bundestagsabgeordneten drang auf ein Verbot, in unterschiedlichen Varianten. Andere sprachen sich dagegen aus. Abgestimmt wurde 2015 nach breiter Diskussion ohne Fraktionszwang. Ein weiteres Gesetz sollte die Palliativmedizin stärken.
Die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. "Geschäftsmäßig" heißt dabei nicht, dass Geld fließt. Es geht vielmehr darum, dass es der Täter auf Wiederholung anlegt. Dabei kann auch eine einmalige Handlung genügen, wenn es der Betreffende auch wieder tun würde. Solange sie nicht geschäftsmäßig handeln, sind Familienangehörige des Sterbewilligen von der Strafdrohung ausgenommen, ebenso Menschen, die ihm nahe stehen.
Schwerstkranke Menschen haben sich ans Verfassungsgericht gewandt, außerdem Sterbehilfevereine und Mediziner. Ein Arzt will dabei nach eigenen Angaben Suizidhilfe leisten. Andere fürchten Rechtsunsicherheit, wenn sie als Palliativmediziner Opiate zur Schmerzlinderung mit nach Hause geben oder Menschen beim "Sterbefasten" begleiten. Ob solche juristischen Gefahren bestehen, war in der mündlichen Verhandlung zum Paragrafen 217 im vergangenen April umstritten.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, warnte zu Beginn der Verhandlung im April vor falschen Erwartungen. Es gehe "nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft", sondern "allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafdrohung entgegensetzt."
Unter Sterbehilfe versteht man ganz unterschiedliche Handlungen und Sachverhalte, die Begriffe sind umstritten, werden aber noch häufig verwendet. Bei der sogenannten aktiven Sterbehilfe führt ein anderer als der Sterbewillige dessen Tod herbei - auf seinen ausdrücklichen Wunsch. Das steht in Deutschland als "Tötung auf Verlangen" nach Paragraf 216 des Strafgesetzbuches unter Strafe. Viele Palliativmediziner empfehlen, hier gar nicht von Sterbehilfe zu sprechen, sondern von einem Tötungsdelikt.
Juristen diskutieren auch Formen der Sterbebegleitung unter dem Stichwort Sterbehilfe. Um passive Sterbehilfe soll es sich handeln, wenn bei Patienten in medizinisch ausweglosen Situationen aus medizinischen Gründen auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird oder wenn sie eingestellt werden.
Das Behandlungsziel ändert sich dabei, es geht nicht mehr um Heilung, sondern um die bestmögliche Kontrolle der Symptome im Rahmen der Palliativmedizin. Auch hier wird kritisiert, der Begriff Sterbehilfe erwecke ein falsches Bild, stattdessen gehe es ums Sterbenlassen. Rechtlich maßgeblich ist der Wille des Patienten, wie er ihn zum Beispiel in einer Patientenverfügung niedergelegt hat, oder sein mutmaßlicher Wille. Lebenserhaltende Maßnahmen gegen den Willen des Patienten können eine strafbare Körperverletzung darstellen.
In dem Zusammenhang der Sterbebegleitung ist die sogenannte indirekte Sterbehilfe von eher theoretischer Bedeutung. Dabei geht es dem Behandelnden um Linderung von Leiden. Bei der dafür angezeigten Medikation nimmt er in Kauf, dass das Leben des Patienten verkürzt wird.