Groschek sagte, durch das zur Verfügung gestellte Geld könnten vorhandene Strecken an Engstellen ausgeweitet und Brücken saniert werden. 40 Prozent der bundesweiten Anti-Stau-Maßnahmen würden in Nordrhein-Westfalen umgesetzt.
Auch Bedenken von Klimaschützern wies Groschek zurück. Allein in den Ausbau des Rhein-Ruhr-Express zwischen Köln und Dortmund würden 2,5 Milliarden investiert. In der Folge seien etwa 31.000 Autos weniger auf der Straße unterwegs. Zugleich warnte er vor zu hohen Erwartungen. Man könne nicht in wenigen Jahren die Versäumnisse von Jahrzehnten aufholen, betonte er.
Der gestern beschlossene Bundesverkehrswegeplan sieht bis 2030 bundesweit Investitionen von fast 270 Milliarden Euro für Instandhaltung und Ausbau des Verkehrswegenetzes vor.
Das Interview in voller Länge:
Michael Groschek von der SPD, er ist Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen, guten Morgen, Herr Groschek!
Michael Groschek: Guten Morgen!
Kaess: Herr Groschek, wie sehr freuen Sie sich über das Geld vom Bund?
Groschek: Ich freue mich riesig darüber, weil wir ganz wichtige Projekte jetzt umsetzen können, allen voran unseren Rhein-Ruhr-Express. Dafür bekommen wir vom Bund zweieinhalb Milliarden Euro, um die Gleisanlagen auszubauen, damit dieser Express eben nicht mehr im Stau steht. Und wir haben den Löwenanteil aller deutschen Antistaumaßnahmen für Nordrhein-Westfalen bekommen, fast 40 Prozent aller nationalen Antistaumaßnahmen werden in Nordrhein-Westfalen umgesetzt. Also, für Nordrhein-Westfalen ein großer Gewinn.
"Staufreiheit wird es nie geben"
Kaess: Das heißt, ab wann wird es Nordrhein-Westfalen keinen Stau mehr geben?
Groschek: Oh, das zu prognostizieren wäre Kaffeesatzleserei, weil bei allen Ausbaumaßnahmen Stau immer wieder vorkommen wird. Staufreiheit wird es nie geben.
Kaess: Aber Sie werden einen gewissen Plan haben, nehme ich an?
Groschek: Ja, natürlich. Wir haben eine quasi Vorgabe dadurch, dass die besonderen Engpassstellen die oberste Priorität haben. Und wir werden nicht wie in früheren Jahrzehnten eine Orgie von neuen Ortsumgehungen beginnen, sondern wir werden vorhandene Strecken an den Engpassstellen ausweiten und wir werden dafür sorgen, dass kaputte Brücken sofort saniert werden, sobald Planungsrecht da ist. Das sind große, wichtige Ausrufezeichen.
Kaess: Ja, zu den Brücken kommen wir gleich noch ein bisschen genauer. Es gab gestern schon erste Ermahnungen vom Bundesverband der Deutschen Industrie, die sagen, jetzt ist immer noch kein Euro investiert, die Umsetzung muss in Zukunft schneller gehen als in der Vergangenheit. Wie wollen Sie das garantieren?
Groschek: Wir haben seit drei Jahren steigende Personalstellen in allen Planungsbereichen des Landes, wir haben einen Rekordetat für die Vergabe an private Ingenieurbüros und wir haben den Landesbetrieb Straßen, der der zuständige Organisationsbetrieb ist, so optimiert, dass er deutlich Rekordumsätze umsetzen kann. Wir werden darüber hinaus in Berlin zusammen mit anderen Bundesländern und dem Bund dafür sorgen, dass das deutsche Planungsrecht vereinfacht wird. Das ist im Moment ein Hürdenmarathonlauf, der einer Zumutung gleicht.
"Bildung statt Beton" ist keine Alternative
Kaess: Und das mag auch ein Grund sein, warum es in der Vergangenheit dazu kam, dass viele Vorhaben tatsächlich nicht realisiert worden sind. Es gab gestern diesen Appell von Bundesverkehrsminister Dobrindt an die Länder, die Projekte mehr vorzubereiten. Sind Sie vorbereitet?
Groschek: Wir haben jetzt im dritten Jahr zusätzliche Stellen ausgewiesen, wir haben einen Rekordumsatz bei den laufenden Maßnahmen, über eine Milliarde im Jahr insgesamt. Wir haben in diesem Jahr Planfeststellungsbeschlüsse in Erarbeitung von noch mal über einer Milliarde Euro. Wir, glaube ich, sind sehr gut gewappnet, um diesen Bundesverkehrswegeplan auch umzusetzen.
Kaess: Jetzt haben Sie Ihre Maßnahmen aufgezählt und dennoch sagt Bundesverkehrsminister Dobrindt, es sei schon jetzt schwer, alle Mittel auszugeben. Was machen die Länder denn falsch, wo hakt es denn?
Groschek: Man muss einfach sehen, dass über viele Jahre und Jahrzehnte zu wenig für die Planung und zu wenig für die Infrastruktur ausgegeben wurde. Es wurden überall Planstellen abgebaut bei den Ländern, beim Bund, bei zugehörigen Behörden. Das war ein riesiger Fehler, weil man dem Irrglauben aufgesessen ist, Bildung statt Beton sei die Alternative. Man hat vergessen, dass man auf Bröckelbrücken und Schlaglochpisten keine Bildungsrepublik errichten kann. Und deshalb muss jetzt umgesteuert werden, alle, einschließlich der Deutschen Bahn suchen jetzt händeringend nach qualifizierten Planungsingenieuren, das Schiff muss jetzt umgesteuert werden, das geht nicht von heute auf morgen. Aber in Nordrhein-Westfalen haben wir zusätzliche Stellen, haben Rekordetats für die Privatvergabe und diesen Kurs steuern wir weiter.
Zusätzliche Milliarden für den Verkehr
Kaess: Dann schauen wir auf ein Negativbeispiel, Sie haben es gerade vorhin schon angesprochen: die Brücken. Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen, an diesem Wochenende wird die Leverkusener Autobahnbrücke wegen Rissen gesperrt. Das betrifft zwei Autobahnen, die A 1 und die A 3. Was läuft falsch in der Planung, dass immer wieder massive Behinderungen an wichtigen Stellen wie diesen vorkommen?
Groschek: Bei der Planung ist bezogen auf diese Brücke wenn überhaupt vor Jahrzehnten was falsch gelaufen. Aber man konnte vor Jahrzehnten, als die Brücke errichtet wurde in den 60er-Jahren, eben nicht vorhersehen, welche Verkehrslasten auf ihr werden abgelastet werden, durch starke Lkw-Verkehre und zunehmende Gewichte. Heute …
Kaess: Und da konnte über Jahrzehnte hinweg auch nicht mehr gegengesteuert werden?
Groschek: Nein, man kann jetzt im Nachhinein darüber spekulieren, wann hätte eine neue Brücke geplant werden müssen. Da gibt es Regelwerke, die vorschriftengleich sagen, wann eine neue Planung sinnvoll ist und wann nicht. Der Blick zurück ist da auch müßig, wir müssen nach vorne gucken. Und in Wirklichkeit ist dem Zustand dieser Brücke auch zu verdanken, dass in Deutschland überhaupt Infrastrukturfinanzierung zum Thema wurde. Ohne diesen katastrophalen Zustand und die Möglichkeit der medialen Berichterstattung über diese Katastrophe wären viele noch gar nicht aufgewacht und das Geld wäre an anderen Stellen konzentriert worden. Erst mit diesem Brückenchaos, was nicht nur in Leverkusen ist, sondern was von Mittenwald bis Flensburg reicht, war die Möglichkeit gegeben, Milliarden zusätzlich für den Verkehr zu bekommen, aus anderen Feldern Geld abzuziehen, und da dürfen wir jetzt nicht mehr einen Kurswechsel vollziehen, sondern müssen den Kurs beibehalten über mindestens anderthalb, zwei Jahrzehnte.
Berufspendler vom Prinzip "Ölsardine in Bimmelbahn" entlasten
Kaess: Jetzt kommt die Kritik der Grünen oder auch vom Bund Naturschutz, der Klimaschutz kommt bei Dobrindts Plan zu kurz. Sehen Sie das auch so?
Groschek: Ich glaube, man muss das für Nordrhein-Westfalen wesentlich differenzierter sehen. Diesem Bundesverkehrswegeplan und damit auch Alexander Dobrindt ist zu verdanken, dass wir den Rhein-Ruhr-Express auf einem Gleisausbauniveau hinbekommen, was die Attraktivität dieses Verkehrsmittels erst zur Entfaltung bringt. Wir müssen die Berufspendler in unserem Land erlösen von dem Prinzip Ölsardine in Bimmelbahn. Dann steigt nämlich keiner zusätzlich freiwillig um vom Auto auf die Bahn. Und dieser Ausbau von zweieinhalb Milliarden durch zusätzliche Gleisanlagen wird den Rhein-Ruhr-Express wesentlich schneller und attraktiver verkehren lassen, sodass bis zu 31.000 Autos von der Straße wegkommen und Menschen bequem und komfortabel pendeln können mit einem völlig neuen Zug. Das zeigt, dass das ein großer Fortschritt ist auch unter Umweltgesichtspunkten. Und ich möchte der Umweltministerin Barbara Hendricks danken, denn ihr ist es gelungen, dass zusätzlich zu diesem Bundesverkehrswegeplan ein neuer Etatposten eingeführt wird, der die Förderung von Radschnellwegen vorsieht.
Kaess: Ja, aber Herr Groschek, Entschuldigung, wenn ich da unterbreche: Sie haben jetzt ein Projekt genannt und jetzt noch mal auf die Radwege verwiesen. Reicht das denn schon für mehr Klimaschutz?
Groschek: Nein, das ist nicht das einzige Projekt, sondern das ist das herausragende Projekt. Wir haben in Deutschland ein großes Defizit beim Schienengüterverkehr. Wir haben seit 30, 40 Jahren davon geredet auf allen Parteitagen der Republik, dass die Güter von der Straße auf die Schiene müssen. In der praktischen Politik wurde aber nichts dafür getan, im Gegenteil.
Kaess: Und die Kritiker sagen, da ändert sich auch in Zukunft nichts dran.
Groschek: Doch, wir haben ja in Nordrhein-Westfalen riesige Ausbaumaßnahmen. Wir haben die Betuwelijn, insgesamt ein Projekt von mehr als vier Milliarden Euro, die wird dafür sorgen, dass wir von Rotterdam-Hafen nach Nordrhein-Westfalen Expressgüterzüge verkehren lassen können, Wir haben Ausbaumaßnahmen in der Rhein-Sieg-Strecke und in der Ruhr-Sieg-Strecke. Das zeigt, es ist Licht am Ende des Tunnels, aber man kann jetzt in wenigen Jahren die Versäumnisse von Jahrzehnten eben nicht aufholen. Und ich kann nur an alle Kritiker dieses Bundesverkehrswegeplans appellieren: Helfen Sie mit, wenn es darum geht, dass Bagger rollen können für den Ausbau der Schiene! Denn die Bürgerinitiativen gegen den Ausbau sind schon heute gegründet.
Kaess: Sagt Michael Groschek von der SPD, er ist Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Groschek!
Groschek: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.