Von den 1.253 abgegebenen Stimmen entfielen auf Steinmeier 931 - und damit 300 mehr, als erforderlich gewesen wären, um die Wahl zum Bundespräsidenten gleich im ersten Wahlgang zu gewinnen. 103 Stimmberechtigte enthielten sich, 14 Stimmen wurden für ungültig erklärt. Frank-Walter Steinmeier nahm die Wahl an.
In einer ersten Ansprache hob der SPD-Politiker die besondere Rolle Deutschlands in einer "schweren Zeit" hervor. "Ist es nicht wunderbar, dass dieses Land für viele auf der Welt ein Anker der Hoffnung geworden ist?" Deutschland mache anderen Mut, "nicht weil alles gut ist in unserem Land, sondern weil wir gezeigt haben, dass es besser werden kann". Gleichwohl, unterstrich Steinmeier, sei auch Deutschland "nicht unverwundbar". Deshalb müsse es darum gehen, gemeinsam das Fundament demokratisch-freiheitlicher Werte zu verteidigen. "Lasst uns mutig sein. Dann ist mir um die Zukunft nicht bange."
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Steinmeier zur Wahl. Sie sei überzeugt, dass er ein hervorragender Bundespräsident sein werde. Sie traue ihm zu, Deutschland in schwierigen Zeiten zu begleiten.
Lammert: Warnung an die USA
Nach einer ökumenischen Morgenandacht in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Bundesversammlung im Reichstag eröffnet. In seiner Rede betonte er die historische Bedeutung und gesellschaftliche Aufgabe des Bundespräsidentenamtes - und sprach eine eindringliche Warnung in Richtung der USA aus: "Wer Abschottung anstelle von Weltoffenheit fordert und sich sprichwörtlich einmauert, wer statt auf Freihandel auf Protektionismus setzt und gegenüber der Zusammenarbeit der Staaten Isolationismus predigt" und "Wir zuerst" zum Programm erkläre, dürfe sich nicht wundern, wenn es ihm andere gleichtäten, sagte Lammert. Zugleich warnte er vor fatalen Nebenwirkungen einer solchen Politik für die internationalen Beziehungen, wie sie aus dem 20. Jahrhundert bekannt seien.
Weiter sagte Lammert, nicht etwa die Werte des Westens stünden in Frage - sie hätten nichts von ihrer Gültigkeit verloren. "Wohl aber unsere Haltung - zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und den Prinzipien der repräsentativen Demokratie". Die Herausforderungen wie der Umgang mit den Migrationsströmen oder im Kampf gegen Terrorismus und Klimawandel könnten nicht von Nationalstaaten allein bewältigt werden, mahnte Lammert. Dies gelte für jedes einzelne europäische Land, "ebenso aber auch für unser großes Partnerland jenseits des Atlantiks".
Lammerts Dank an den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck beantwortete die Bundesversammlung mit lang anhaltendem Applaus. Gauck sei es "auf überzeugende Art und Weise" gelungen, sich für das Gemeinwesen einzusetzen, sagte der Bundestagspräsident.Gauck und seine Vorgänger hätten "wichtige Beiträge als Seismographen des gesellschaftlichen Bewusstseins und als Impulsgeber geleistet". Auch Lammert erhielt großen Beifall für seine halbstündige Rede.
Prominente und Politiker
Das Staatsoberhaupt wird von der Bundesversammlung bestimmt. Sie tritt nur zu diesem Zweck zusammen, in der Regel alle fünf Jahre. Die Bundesversammlung besteht aus den 630 Abgeordneten des Bundestags und ebenso vielen Vertretern der Bundesländer, also insgesamt 1260 Mitgliedern.
Unter den von den Ländern bestimmten Wahlleuten sind auch Prominente aus Kultur und Sport wie Carolin Kebekus, Hape Kerkeling, Joachim Löw und Iris Berben.
Frank-Walter Steinmeier war als Kandidat der Großen Koalition ins Rennen gegangen. Neben ihm traten vier weitere Kandidaten an. Die Linke hatte den Armutsforscher Christoph Butterwegge nominiert, er erhielt 128 Stimmen. Für die AfD kandidierte der Vize-Bundesvorsitzende der Partei, Albrecht Glaser (42), und für die Freien Wähler der Richter Alexander Hold (25). Die Piratenpartei schickte Engelbert Sonneborn (10) ins Rennen, den Vater von Martin Sonneborn, der die Satirepartei "Die Partei" mitbegründete.
Steinmeier ist der erste Sozialdemokrat im höchsten Staatsamt seit Johannes Rau (1999 bis 2004). Steinmeier gilt als einer der beliebtesten Politiker in Deutschland. In einer aktuellen Emnid-Umfrage im Auftrag der "Bild am Sonntag" trauen ihm fast zwei Drittel der Befragten zu, ein guter Bundespräsident zu werden.
(bor/am)