Christine Heuer: Guten Morgen.
Agnieszka Brugger: Guten Morgen.
Heuer: Wissen Sie seit gestern Abend mehr über den Fall Franco A. als vorher?
Brugger: Es gibt ja eine Reihe von Details, die gestern auch schon in der Presseberichterstattung aufgetaucht sind, beispielsweise Unregelmäßigkeiten bei der Munition am Standort des betreffenden Soldaten. Es gab dann auch Auszüge aus dem Gutachten und aus dieser wirklich erschreckenden Masterarbeit. Über all diese Details haben wir gesprochen, aber es bleiben natürlich auch nach wie vor noch sehr viele Fragen offen. Da wollen wir weiter informiert werden und hoffen auf schnelle Antworten, um wirklich auch ein belastbares Gesamtbild zu bekommen.
Heuer: Eine dieser Fragen stelle ich Ihnen jetzt, nämlich die, ob es ein rechtsradikales Netzwerk um Franco A. gab oder nicht. Da haben wir von Teilnehmern des Treffens heute Früh Unterschiedliches gelesen.
Brugger: Das ist, glaube ich, auch eine der ganz entscheidenden Fragen. Das wäre natürlich das absolute Horror-Szenario, wenn es dort in irgendeiner Form ein Netzwerk gegeben hätte, das sich da abgesprochen hat, das möglicherweise gewaltsame Anschläge geplant hat. Auch die Frage, warum eigentlich diese Doppelidentität als syrischer Flüchtling, was war da der genaue Hintergrund. Die sind nach wie vor noch offen. Mich hat so ein bisschen verwundert, woher eigentlich dieser Begriff gestern so schnell aufgetaucht ist.
Heuer: Welcher? Netzwerk?
Brugger: Netzwerk, genau. Man hatte den Eindruck, das kam irgendwie schon auch von Seiten des Ministeriums. Da ist man dann aber meiner Wahrnehmung nach gestern wieder ein Stück weit zurückgerudert. Aber auch da bleiben wir natürlich dran, denn dieses Horrorszenario wollen wir natürlich nicht realisiert wissen. Wir wollen alle Fakten auf dem Tisch haben, um diesen Vorfall dann natürlich auch endgültig bewerten zu können.
Heute ist schon klar, es sind wirklich auch schreckliche Fehler passiert. Ein ungeheuerlicher Fehler ist, dass man diese Masterarbeit, wo dieses menschenfeindliche, rechtsextremistische, verschwörungstheoretische Gedankengut des betreffenden Soldaten sehr deutlich nachzulesen war, wie das ignoriert werden konnte, wie diese Hinweise nicht weitergegeben werden konnten. Das ist für mich völlig unerklärlich und das ist für mich auch unverzeihlich.
"Es ist ihr nicht gelungen, eine andere Fehlerkultur umzusetzen"
Heuer: Ursula von der Leyen versteht das ja auch nicht so richtig. Aber mit ihrer Kritik lenkt sie von dem Fall auch wieder ein bisschen ab. Kann das sein, dass wir über die Äußerungen der Ministerin vielleicht nicht genug Aufmerksamkeit bislang gerichtet haben auf die Sache selbst, nämlich dass es Rechtsradikale, möglicherweise rechtsradikale Terroristen gibt in der Bundeswehr?
Brugger: Ich erwarte von der Ministerin nicht globale Pauschalkritik, wo man ja sehr schnell den Eindruck hat, dass es ihr vor allem um ihre eigene Darstellung, um ihre eigene Verteidigung geht und nicht so sehr darum, hier wirklich die Lösungen zu suchen und die Aufklärung in den Vordergrund zu stellen. Ich erwarte von einer Ministerin mehr Seriosität, mehr Selbstkritik und weniger Selbstprofilierung an dieser Stelle.
Heuer: Haben Sie sie gestern Abend vielleicht ein bisschen so erlebt, wie Sie das gerne hätten?
Brugger: Nein, ich habe nicht eine Ministerin erlebt, die sagt, ja, Führung, die fängt ganz oben an und da muss ich mir auch selber die Frage stellen, habe ich eigentlich alles richtig gemacht. Ich glaube auch, dass diese ganzen Vorfälle auch etwas damit zu tun haben, dass es Versäumnisse und Fehler gab. Die Ministerin hat ja schon sehr früh angekündigt, sie möchte eine andere Fehlerkultur in der Bundeswehr. Es ist ihr nicht gelungen, das umzusetzen. Und auch das, wo sie dann versucht hat, gestern noch mal in der Presse nachzusteuern. Die Aussage, die Sie auch gerade eingespielt haben, sie hätte vielleicht früher tiefer graben sollen, das ist mir zu wenig. Ich glaube, eine Ministerin muss sich da auch selber fragen, wie nach über drei Jahren in ihrem Bereich so etwas geschehen kann und was da auch an eigenen Versäumnissen und Fehlern da ist.
Heuer: Also funktioniert die Führungsebene nicht nur vor Ort nicht, sondern auch in Berlin nicht?
Brugger: Ich möchte mal nur ein Beispiel nennen. Auch bei der ganzen Affäre um das G36 ging es ja um diese andere Fehlerkultur. Das ist ja auch ein Umstand, der bei aller Unterschiedlichkeit die Fälle Pfullendorf, Illkirch, Sondershausen, Bad Reichenhall ja miteinander verbindet, wo auch klar wird, dass es hier Hinweise auf Missstände gab, und die nicht wirklich weiterverfolgt wurden. Dass Probleme insgesamt schöngeredet werden. Das ist etwas, was auch die Soldatinnen und Soldaten immer wieder an uns selbst herantragen. Und zum Beispiel aus der G36-Affäre wollte die Ministerin ein besseres Compliance ermöglichen. Ein Ergebnis davon war der Entwurf, der scheint auch jetzt abgeräumt zu sein, der nicht zu Unrecht mit dem Stichwort Maulkorberlass versehen wurde, wo man auch den Eindruck hatte, nein, so unbequeme Sachen, so viel Kritik möchte die Ministerin auch selbst gar nicht hören.
"Ich wünsche mir mehr Selbstkritik"
Heuer: Sie hatten gestern Abend in dem Gespräch mit Ursula von der Leyen ja Gelegenheit, die Politikerin Ursula von der Leyen wirklich genauer zu beobachten. Wie nervös ist sie?
Brugger: Das ist immer natürlich eine Interpretationsfrage. Ich habe gestern eine sehr gefasste Ministerin erlebt. Ich, wie gesagt, wünsche mir da schon mehr Selbstkritik, auch die Einsicht, dass eigene Fehler da sind. Man kann doch als verantwortliche Ministerin nicht so tun, als ob das alles nichts mit der eigenen Amtsführung zu tun hätte, und immer wieder nur an harschen Worten die Schuld von sich wegschieben. Ich glaube, so wird man auch der großen Verantwortung und auch der Schwere dieser Vorfälle nicht gerecht.
Heuer: Agnieszka Brugger, die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.