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Bundeswehr
"Eine richtig große Baustelle"

Deutschland übernehme mehr Verantwortung in der Welt, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im DLF. Die Einsätze der Truppe häuften sich. Deswegen zeigten sich die Mängel bei der Ausstattung. Von der Leyen betonte, der gute Ruf der Armee stehe auf dem Spiel.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
    Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (AFP / CLEMENS BILAN)
    "Das ist eine richtig große Baustelle", sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Probleme bei der Ausstattung der Bundeswehr ließen sich jedoch nur mittelfristig lösen. Vor allem bei der Beschaffung neuer Rüstungsgüter gebe es einen erheblichen Investitionsstau. Daher werde es in der kommenden Woche noch "einmal richtig ungemütlich", wenn der Expertenbericht über die Ausstattung der Bundeswehr vorliege, sagte von der Leyen.
    Dennoch verteidigte die Ministerin ihren Kurs, sich nach ihrem Amtsantritt erst einmal um die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber gekümmert zu haben. Es könne keine Einsätze ohne hervorragende Soldaten geben. Nach der Abschaffung der Wehrpflicht müsse sich die Bundeswehr als Arbeitgeber in der freien Wirtschaft behaupten. Deutschlands Armee genieße in der Welt einen exzellenten Ruf, den es zu verteidigen gelte. Deswegen führe kein Weg daran vorbei, die Mängel bei der Bundeswehr zu beseitigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es sind brisante Zeiten für die Bundeswehr. Sie beliefert die kurdischen Kämpfer im Nordirak mit Waffen. Die stellen sich wiederum dort den Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates entgegen. Auch beim Kampf gegen Ebola soll die Bundeswehr mithelfen. Derzeit plant das Verteidigungsministerium eine Luftbrücke mit vier Transall-Maschinen nach Westafrika. Unterdessen häufen sich die Berichte über den massiv schlechten Zustand des Materials der Bundeswehr und die kritischen Stimmen werden immer lauter. Deutlich wurde das Problem auch, als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen letzte Woche zu einem Überraschungsbesuch in den Nordirak kam. Die von Deutschland zugesagte militärische Hilfe für die kurdischen Kämpfer gegen die Terrororganisation Islamischer Staat, die sollte schon vor der Ministerin eingetroffen sein. Aber die Ausbilder saßen in Bulgarien fest wegen einer defekten Maschine, und die Waffen für die kurdischen Kämpfer waren wegen eines technischen Defekts des Transportflugzeugs auch noch nicht da. Und sie ist jetzt am Telefon: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen von der CDU. Guten Morgen.
    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Frau von der Leyen, wie unangenehm war das für Sie beim Besuch im Nordirak, dass die Waffen wegen technischer Defekte noch nicht geliefert waren?
    Von der Leyen: Nun, die Waffen sollten durch ein niederländisches Transportflugzeug gebracht werden. Das hatte den technischen Defekt. Das zeigt also, dass auch andere Nationen mit diesem Alltagsübel zu kämpfen haben.
    Kaess: Aber die deutschen Ausbilder saßen wegen deutschem defekten Material fest.
    Von der Leyen: Aber die Ausbilder saßen fest und deshalb das Grundproblem ist da. Das müssen wir jetzt auch konsequent angehen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass, als ich im Nordirak war, die Kurden, Präsident Barsani, ausgesprochen dankbar sind, dass Deutschland so engagiert hilft. 600 Tonnen transportierten wir da an Waffen und Munition rüber. Dieses Land, diese Gruppe dort auch im Krieg weiß das zu schätzen, dass wir uns so einsetzen.
    "Im Grundbetrieb zu sehr runtergefahren"
    Kaess: Aber gerade bei diesem Vorfall, wie können Sie denn dann zu dieser Einschätzung gelangen, dass bei den laufenden Einsätzen die Bundeswehr voll einsatzfähig ist?
    Von der Leyen: Ja. Bei den laufenden Einsätzen ist die Bundeswehr - das sehen wir an den 17 weltweit stattfindenden Einsätzen - voll dabei und eine hoch anerkannte Armee, übrigens auch von unseren internationalen Verbündeten hoch geschätzt und unverzichtbar. Aber weil so viel zurecht in die laufenden Einsätze in den letzten Jahren investiert worden ist, zum Beispiel Afghanistan - am Anfang waren die Soldaten wenig geschützt, inzwischen sind sie hoch geschützt, hoch modern ausgerüstet; das ist gut so -, ist aber in den letzten Jahren der Unterbau weniger beachtet worden, einfach beiseitegeschoben worden. Und das zeigt sich an drei Feldern, nämlich erstens: die Wehrpflicht ist ausgesetzt worden. Das heißt, man hat mal eben den Nachwuchs gekappt, ohne wirklich vorgesorgt zu haben. Deshalb investieren wir im Augenblick so viel Kraft in die Attraktivität der Bundeswehr. Zweitens: Die Rüstungsbeschaffung, also die neuen Projekte kommen zu spät, sie sind zu teuer. Das ist die Debatte, die wir in den letzten Monaten geführt haben und wo nächste Woche das Gutachten kommt. Das wird noch mal ungemütlich. Aber drittens zeigt sich jetzt auch, dass im Grundbetrieb zu sehr runtergefahren worden ist. Das heißt, Ersatzteile sind zu wenig bestellt worden, Instandsetzung und Wartung, und da staut es sich. Und jetzt, wo Deutschland mehr Verantwortung übernimmt, mehr Einsätze notwendig sind, weil die Herausforderungen international so sind, zeigt sich das eben.
    Kaess: Sie haben gerade das gute Image der Bundeswehr angesprochen. Steht das denn auf dem Spiel, wenn es zu weiteren Defekten kommt, wie das jetzt gerade erst wieder gekommen ist, wenn das wieder passiert?
    Von der Leyen: Wir arbeiten hart daran, dass unser guter Ruf fortgesetzt erhalten bleibt. Aber ich will ganz deutlich sagen: Probleme, die sich über Jahre aufgestaut haben, die lassen sich natürlich nicht auf einen Schlag lösen. Nichtsdestotrotz: Das sind auch zum Teil Probleme, mit denen andere auch zu kämpfen haben. Ich will es nicht kleinreden, das ist eine richtig große Baustelle, die wir hier zu bearbeiten haben, möchte aber dennoch in Relation setzen, dass die deutschen Soldatinnen und Soldaten hoch anerkannt sind international und wir deshalb auch immer wieder gefragt werden. Unsere Lufttransportfähigkeiten, unsere Sanität, unsere Ausbildungsfähigkeiten, unser Einsatz in Nordafghanistan, all das sind Punkte, da kann keiner auf die deutsche Bundeswehr verzichten, und deshalb müssen wir so hart an den Problemen, die wir auch haben, arbeiten.
    "Beim Nachwuchs viel stärker investieren"
    Kaess: Frau von der Leyen, Sie haben gerade gesagt, die Probleme haben sich über Jahre aufgebaut. Warum ist Ihnen das zu Beginn Ihrer Amtszeit nicht klar gewesen, oder klar geworden, schnell klar geworden?
    Von der Leyen: Ja, weil jeder natürlich das kennt, dass Probleme sich nicht laut anmelden, sondern dass man zunächst einmal auch den Gesamtblick sich verschafft. Und was mir sofort klar wurde ist zum Beispiel, dass wir beim Nachwuchs viel stärker investieren müssen. Sonst wird die Armee stärker schrumpfen, als wir das eigentlich wollen. Denn um die jungen Leute, die qualifizierten, wirbt die gesamte deutsche Wirtschaft, und wir müssen mindestens ein so attraktiver Arbeitgeber sein, wie viele andere auch.
    Dann kam als zweites die Riesenbaustelle Rüstungsbeschaffung, also die neuen Waffensysteme. Und noch mal: Das wird nächste Woche noch mal deutlich werden, dass dort seit Jahren auch sich Probleme aufgestaut haben, zu spät, zu teuer. Wir warten auf das Großflugzeug A400M seit vier Jahren. Wir haben Hubschrauber, die mit fünf, sechs Jahren Verspätung nicht kommen. Deshalb wird jetzt der Blick auf diese dritte Baustelle erst deutlich. Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, dass man diese ganzen Punkte jetzt beherzt angeht. Das wird mich die gesamte Legislaturperiode beschäftigen. Da mache ich mir keine Illusionen. Aber es hilft nichts, da muss man ran.
    Kaess: Aber hätte nicht die eine Baustelle vor der anderen kommen müssen? Denn ist nicht die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr einfach viel wichtiger als die familienfreundlichen Reformen?
    Von der Leyen: Sie können keinen Einsatz fahren ohne Soldatinnen und Soldaten. Man braucht gutes Material, man braucht aber auch hervorragende Soldatinnen und Soldaten. Und wenn die nicht da sind, läuft gar nichts mehr. Insofern verteidige ich auch immer die Tatsache, dass wir mit diesen Soldatinnen und Soldaten, die wirklich auch alles riskieren und für uns geradestehen in diesen Einsätzen, dass wir im Grundbetrieb hier zu Hause sie mindestens so gut stellen wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch. Das muss für mich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber sie müssen auch gut geschützt sein, und deshalb muss die Ausrüstung - das ist die Rüstungsbeschaffung - hervorragend sein und das Material, das man im Grundbetrieb hat. Das ist Üben, das ist Ausbilden, das ist auch miteinander in Übungen gehen. Dieses Material im Grundbetrieb, da müssen wir besser werden, da steht zu wenig zur Verfügung.
    "Im Einsatz ist das hoch moderne Material"
    Kaess: Aber das ist ja genau die Frage. Ist es denn überhaupt noch verantwortungsvoll, die Soldaten mit diesem Material in den Einsatz zu schicken?
    Von der Leyen: Noch mal: Im Einsatz ist das hoch moderne Material. Aber ich will Ihnen ein Beispiel nennen, warum es so staut.
    Kaess: Warum kam es dann zu Defekten, zum Beispiel jetzt bei der Waffenlieferung in den Nordirak?
    Von der Leyen: Ja, weil die Geräte, die zum Beispiel aus Afghanistan wiederkommen, zu lange in der Warteschleife sind, durch die sie durch müssen, eine Art TÜV, bevor sie dann wieder in den Grundbetrieb gehen. Oder das, was wir an Transportmaterial, an Transportflugzeugen haben, hier im Grundbetrieb hoch belastet ist. Wir warten lange schon auf die neuen Großraumflugzeuge A400M, wie gesagt Jahre Verspätung. Solange die nicht da sind, muss man mit den alten Transall weiterfliegen. Und wenn man da nicht genügend Ersatzteile hat, dann muss eben eine Transall am Boden stehen, weil das Ersatzteil nicht da ist. Und für die Ersatzteile ist wichtig zu wissen: Die kauft man nicht im Laden. Die müssen bestellt werden und das dauert Monate, wenn nicht ein bis zwei Jahre, bis diese Produktion hoch genug läuft. Deshalb ist es so schwierig, so schnell zu reagieren, sondern das ist ein Problem, das man nur mittelfristig lösen kann.
    Kaess: Das Verteidigungsministerium plant ja derzeit eine Luftbrücke mit diesen Transall-Maschinen nach Westafrika im Kampf gegen Ebola. Können Sie denn garantieren, dass in einem Notfall, zum Beispiel wenn ein Rücktransport nötig wird wegen einer Ebola-Infektion, nicht wieder mehrere Maschinen hintereinander ausfallen?
    Von der Leyen: Ja. Deshalb müssen wir unsere Kräfte auch gut einteilen.
    Kaess: Aber meine Frage war, ob Sie es garantieren können.
    Von der Leyen: Schauen Sie, das ist das, woran wir hart arbeiten. Wir müssen deshalb auf solche kritischen Punkte, sollte so ein Fall eintreten, alles darauf konzentrieren. Das ist auch richtig, die Konzentration auf den Einsatz. Aber dann muss für den Grundbetrieb einiges zurückgefahren werden, und da brauchen wir in der jetzigen Zeit, wo die alte Transall noch fliegt und der neue A400M nicht da ist, eine Übergangslösung, dass wir nämlich parallel mit anderen dazugemieteten Flugzeugen im Grundbetrieb die Transall entlasten, dass diese bewährte, aber betagte Transall nicht so sehr viel, ich sage mal, Durchschnittsaufgaben fliegen muss, sondern vor allem in die kriegerischen Gebiete, wo geschützte Flugzeuge rein müssen, die auch Beschuss abwehren können. Das kann die Transall.
    Kaess: Frau von der Leyen, wir haben nur noch ganz kurz Zeit, aber ich möchte auf den Punkt noch mal eingehen. Wenn ich Sie richtig verstehe: Sie können das nicht garantieren, obwohl diese Luftbrücke eigentlich schon startet?
    Von der Leyen: Wir müssen das garantieren und deshalb die Konzentration auf - Sie haben mich eben gefragt nach der Frage der Evakuierung, wenn jemand erkrankt ist. Das müssen wir garantieren. Das muss einfach dazugehören. Da ist im Augenblick international fast keine Nation bis in die Spitze bei Schwerinfektiösen in der Lage. Deshalb rüsten wir im Augenblick Flugzeuge um. Aber weil es unser Ziel ist, dieses garantieren zu wollen - das ist ein kritischer Engpass -, muss man zusehen, dass man im Grundbetrieb, wenn man zum Beispiel humanitäre Güter transportiert, die durchaus auch 24 Stunden oder 48 Stunden warten können, mit anderen zugemieteten Flugzeugen fliegt. Das ist sozusagen die Routine. Gleichzeitig muss ich aber jetzt die Weichen stellen, dass dieser Engpass, den wir offensichtlich haben, gar keine Frage, in Materialerhalt, Bewirtschaftung und Instandsetzung, Ersatzteile, auf die Dauer behoben wird. Das heißt, wir müssen da die Produktion des Nachschubs rauffahren.
    Kaess: Sagt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen von der CDU. Danke für dieses Interview.
    Von der Leyen: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.