Thielko Grieß: Die Bundeswehr bleibt länger in Afghanistan und mit mehr Soldaten. Sie ist auch im Mittelmeer, um den französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle zu schützen. Außerdem gibt es weiterhin Bundeswehrsoldaten im Nordirak, die dort Peschmerga-Milizen ausbilden. Tornados fliegen (zumindest tagsüber) über Syrien und Bundeswehrsoldaten sitzen in AWACS-Flugzeugen, um Aufklärung über der Türkei zu betreiben, und es steht der nächste Einsatz an: größer in Mali. Es gibt noch weitere Missionen, zum Beispiel vor der Küste Somalias, und diese Liste ist nicht vollständig. Die Politik schickt wieder mehr Bundeswehrsoldaten ins Ausland zu zahlreicheren Einsätzen.
Ich bin verbunden mit Thomas Wiegold, der im Netz das Blog augengeradeaus.net schreibt, und das seit vielen Jahren. Fachmann ist er für Fragen der Verteidigung und der Bundeswehr. Guten Morgen.
Thomas Wiegold: Ja! Guten Morgen aus Berlin.
Grieß: Kann die Bundeswehr diese Vielzahl von Einsätzen, so wie sie ist, verkraften?
Wiegold: Na ja, verkraften im Prinzip schon, wenn auch teilweise mit Hängen und Würgen. Man muss einfach sehen, dass über die vergangenen 20, 25 Jahre nicht nur die Größe der Bundeswehr, die Zahl der Soldaten runtergefahren wurde - das ist ja sehr offensichtlich -, sondern es wurde auch beim Material, bei dem Geld, was man da ausgegeben hat, deutlich runtergefahren. Es gibt ja diesen schönen Spruch, dass die Bundeswehr sich bemühe, zurückzukommen zu einer Vollausstattung. Das heißt, dass sie auch all die Autos, Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber hat, die sie wirklich braucht.
"Ein Großteil des Geldes geht ins Personal"
Grieß: Das müssen Sie dem Laien und dem Zivilisten Grieß bitte noch einmal erklären, Herr Wiegold. Die Bundeswehr hat ungefähr 177.000 Soldaten. Davon sitzen einige auch in der Verwaltung, das versteht sich. Der Etat beträgt weit mehr als 30 Milliarden Euro jährlich. Warum reicht das nicht?
Wiegold: Zum einen muss man sehen: Ein Großteil des Geldes geht ins Personal. Das ist bei einem personalintensiven Betrieb wie den Streitkräften nicht anders als in jedem zivilen Unternehmen, das einen großen Personalbestand hat. Und so ist auch die letzte Steigerung des Verteidigungshaushalts zu einem großen Teil in die Solderhöhung, also in gestiegene Gehälter der Soldaten gegangen. Das ist das eine.
Das andere ist, dass in den vergangenen Jahren immer mal wieder da gespart wurde, wo es nicht so richtig aufzufallen schien. Es gibt Heereseinheiten, die haben gerade mal 70 Prozent der Ausrüstung auf dem Hof stehen. Es gibt viele Flugzeuge und Hubschrauber, bei denen weniger als die Hälfte aktuell in die Luft gehen könnte, wenn es denn jetzt nötig wäre. Das sind nicht immer richtig große technische Probleme, nicht immer technische Schäden; das sind manchmal so Dinge wie es steht eine Inspektion an, aber die hat man ein bisschen aufgeschoben, weil man an irgendeiner Stelle doch sparen musste. Das ist so ähnlich, wenn Sie Ihren Gebrauchtwagen über Jahre nicht in die Werkstatt bringen und nicht zur Inspektion bringen. Dann sind Sie beim nächsten TÜV auf einmal sehr erschrocken, was da alles kaputt ist.
Grieß: Allerdings versuche ich auch nicht, einen neuen Wagen zu entwickeln, werfe dafür sehr, sehr viele Millionen, zum Teil sogar Milliarden aus dem Fenster, und dann kriege ich doch kein Material dafür. Das passiert aber bei der Bundeswehr. Die Geschichte der gescheiterten oder zumindest problematischen teuren und verspäteten Rüstungsprojekte ist wirklich lang.
Wiegold: Die ist sehr lang und die wächst auch eigentlich ständig, und es sind sehr oft Dinge, wo Deutschland oder inzwischen zunehmend auch Europa gesagt hat, ach, da müssen wir was Eigenes haben, da können wir nicht einfach bei den marktführenden Amerikanern einkaufen. Typisches Beispiel dafür sind Hubschrauber oder auch das Transportflugzeug A400M. Das wurde alles teurer, das hat alles viel länger gedauert, und da ist natürlich der Punkt, wo Verteidigungspolitik, wo Beschaffung für Streitkräfte einen anderen Aspekt bekommt und auch natürlich Industriepolitik wird. Das kann man nie so ganz trennen. Da sitzen in der jeweiligen Bundesregierung, auch in Regierungen anderer europäischer Staaten immer zwei mit am Tisch, nämlich derjenige, der für Streitkräfte zuständig ist, und derjenige, der für seine Industrie in seinem Land zuständig ist.
"Im Übungsbetrieb, im Friedensbetrieb hat diese Nachtflugfähigkeit keine große Bedeutung"
Grieß: Jetzt haben wir gestern eine Meldung gehört, Herr Wiegold, dass die Tornados, die über Syrien fliegen, nur tagsüber fliegen können und nicht nachts fliegen können, weil es eine Beleuchtung gibt im Cockpit der Tornados, und die ist so grell, dass sie die Piloten blendet, wenn man das nachts anschalten muss. Da fragt man sich: Üben die eigentlich ihre Einsätze nur tagsüber über der Eifel, oder auch mal nachts?
Wiegold: Das Problem haben Sie jetzt genau angesprochen. Im Übungsbetrieb, im Friedensbetrieb hat diese Nachtflugfähigkeit, wie das heißt, keine große Bedeutung. Das heißt, die Nutzung dieser Nachtsichtbrillen - das sind Restlichtverstärker, das sind Infrarot-Sehgeräte -, die gibt es eigentlich nur im Einsatz, wie jetzt theoretisch, weil Sie hören, da gibt es sie eben nicht, oder in der Vorbereitung auf einen Einsatz. Es gibt Tornado-Piloten, die mir sagen, sie haben zuletzt beim Einsatz in Afghanistan - und das ist jetzt über fünf Jahre her - Nachtsichtbrillen genutzt. Da muss es immer eine Sondergenehmigung geben. Der Grund ist einfach, dass diese Nachtsichtfähigkeit für die Luftwaffe offensichtlich nicht so eine große Bedeutung hat, und bei der Umrüstung der doch schon jahrzehntealten Kampfflugzeuge auf neuere Technik (das ist neue Hardware, das ist neue Software) war einfach dieser Punkt, wir müssen das anpassen an diese Nachtsichtgeräte, ganz unten auf der Liste. Der sollte irgendwann demnächst mal abgearbeitet werden. Dann kam dieser Einsatz und er ist nicht abgearbeitet, und demnächst gibt es Abklebfolie, damit bestimmte Leuchtdioden nicht so blenden.
Grieß: Na wenn sich das so leicht lösen lässt, immerhin. Sie haben das Alter der Tornados angesprochen und nun ist gestern die sogenannte militärische Luftfahrtstrategie vorgestellt worden. Spielen die Tornados da noch eine Rolle?
Wiegold: Die spielen insofern eine Rolle, als sie für das Nachfolgesystem benannt werden. Es wird darüber nachgedacht in dieser Strategie, irgendwann in 10, 15, vielleicht auch 20 Jahren die Tornados durch ein neues System zu ersetzen, und da wird sich dann die interessante oder logische Frage stellen, wird da noch ein Mensch im Cockpit sitzen, oder wird dieses Next Generation Weappon System, wie die Luftwaffe sagt, das Waffensystem der nächsten Generation ein unbewaffnetes System sein. Da ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Klar ist allerdings eins: Das wird ein Projekt, was wiederum ein Land in Europa nicht alleine wird stemmen können. Da wird man mit den Europäern Partner suchen müssen. Ob das nun sauber funktioniert, wie schnell das alles gehen kann, das ist alles noch sehr Zukunftsmusik, aber das ist die Richtung, in die die Luftwaffe schaut.
"Der Tornado ist das einzige deutsche Flugzeug für die sogenannte nukleare Teilhabe"
Grieß: Klingt nach einer potenziell teuren Strategie.
Wiegold: Auf jeden Fall! Es hängt auch damit zusammen, wenn ich das noch kurz erwähnen darf: Der Tornado, so alt er ist, ist das einzige deutsche Flugzeug für die sogenannte nukleare Teilhabe. Das heißt, innerhalb der NATO im Falle eines echten großen Krieges gegen die NATO oder auf NATO-Territorium würden deutsche Flugzeuge amerikanische Atombomben abwerfen, und dafür ist in Deutschland nur der Tornado vorgesehen, nicht das Nachfolgeflugzeug Eurofighter. Das heißt, für die Zeit, wenn der Tornado irgendwann außer Dienst gestellt wird, muss man sich auch Gedanken machen, was wird aus dieser atomaren nicht Bewaffnung, aber atomaren Teilhabe Deutschlands.
"Bei IT-Berufen tut sich die Bundeswehr schwer, mit dem zivilen Arbeitsmarkt zu konkurrieren"
Grieß: Schlagen wir noch einmal den Bogen zurück zum Beginn des Gesprächs, Herr Wiegold. Die Wehrpflicht ist bekanntlich ausgesetzt in Deutschland und die Bundeswehr muss sich auf anderen Wegen darum bemühen, dass sich junge Menschen für sie interessieren. Es laufen Werbekampagnen etc. Ist die Bundeswehr attraktiv genug? Funktioniert das zuverlässig?
Wiegold: Nun, wenn man die Zahlen sieht, die die Bundeswehr veröffentlicht, dann klingt das alles sehr gut und alles sehr schön und genügend Bewerber. Wenn man sich die tatsächliche Stärke im Moment anguckt, dann ist das alles nicht ganz so gülden. Zum Beispiel liegt die Bundeswehr bei den Berufs- und Zeitsoldaten derzeit unter der angestrebten Zahl von 170.000. Die übrigen etwas über 7.000 zurzeit sind ja sogenannte Kurzdiener, die maximal 23 Monate zur Bundeswehr gehen. Es gibt in bestimmten Bereichen Defizite. Es gibt in bestimmten Berufen Defizite. Das ist auch nichts Neues. Gerade bei IT-Berufen, die ja immer wichtiger werden für eine Hightech-Truppe, da tut sich die Bundeswehr schwer, mit dem zivilen Arbeitsmarkt zu konkurrieren. So ein IT-Fachmann verdient natürlich auf dem zivilen Markt deutlich mehr und die Bundeswehr muss sich dann überlegen, wie kriegt man diese Leute, was kann man ihnen bieten, muss man vielleicht an den Strukturen noch ein bisschen was verändern. Da sind, glaube ich, auch trotz der jüngsten Werbekampagnen noch nicht alle Dinge in die richtige Richtung gestellt.
Grieß: Thomas Wiegold haben wir gehört, Journalist, Blogger im Netz unter "Augengeradeaus.net", Fachmann für die Bundeswehr und Fragen darum herum. Danke schön, Herr Wiegold, für das Gespräch bei uns im Deutschlandfunk.
Wiegold: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.