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Bundeswehr
"Es gibt hohle Strukturen"

Der Wehrexperte Rainer Arnold (SPD) hat den von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigten Stopp der Ausmusterung von Kampfpanzern begrüßt. Angesichts des Ukraine-Konflikts sei es vernünftig, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu stärken, sagte er im Deutschlandfunk.

Rainer Arnold im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Wehrexperte der SPD, Rainer Arnold
    Der Wehrexperte der SPD, Rainer Arnold (imago / Christian Thiel)
    Die Truppe habe zum Teil "hohle Strukturen", die nur auf dem Papier bestünden. Das müsse korrigiert werden. Arnold erklärte weiter, Deutschland müsse zum Motor einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik werden. Auch bei der schnellen Einsatztruppe der Nato sei es wichtig, dass Deutschland Verantwortung übernehme.
    Verteidigungsministerin Von der Leyen hatte angekündigt, funktionstüchtige "Leopard 2"-Panzer nicht auszumustern, wie es in der Bundeswehr-Reform von 2011 vorgesehen war. Stattdessen solle überlegt werden, wie das noch vorhandene Material in bestehende Strukturen integriert werden könne.
    Das Vorgehen sei jedoch nicht als "Kettenrasseln" gegenüber Russland zu verstehen, sagte Arnold. Zunächst einmal gehe es dabei um eine Korrektur der Bundeswehrreform an Stellen, wo Fehler offensichtlich seien. Außerdem seien Panzer in heutigen militärischen Auseinandersetzungen nicht mehr so wichtig, wie sie es beispielsweise noch zu Zeiten des Kalten Krieges gewesen seien: "In einem heutigen Konflikt würden keine Panzerschlachten mehr geführt werden," so Arnold.
    Außerdem gehe es auch um eine Verantwortung innerhalb der Nato: Das Bündnis müsse deutlich machen, dass es zusammenstehe und stark sei. "Das hat was mit Glaubwürdigkeit zu tun," so Arnold. Nur wenn die Nato Stärke demonstriere, könne verhindert werden, dass es überhaupt zu einem militärischen Einsatz des Bündnisses komme: "Die Nato muss sichtbar machen, dass sie die Fähigkeiten real hat, damit wir sie nie brauchen."
    Außerdem komme Von der Leyen mit ihrer Ankündigung einem Wunsch der europäischen Partner nach, im Bereich der Sicherheitspolitik mehr gemeinsam zu organisieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Berlin 1961, Checkpoint Charlie: Russische Panzer rollen an die Grenze, die Amerikaner reagieren.
    "The United States Berlin Command responds quickly as our own tanks are dispatched to the area."
    Dobovisek: Auch die USA schicken ihre Panzer, nur wenige Meter stehen sie voneinander entfernt. Die Geschütztürme aufeinander gerichtet, bereit zum Schuss.
    "They face the soviet armor only a hundred yards away. Finally the soviets will withdraw. We will pull our tanks back. It is a grim game of point, counterpoint. One thing is certain: we will keep fate with free Berlin and stand up for our rights there."
    Dobovisek: Die Rhetorik Kalter Krieger damals, und immer wieder eine Rolle spielten natürlich die Bombe, aber eben auch Panzer, als sich Ost und West noch entlang des Eisernen Vorhangs gegenüber standen, jederzeit bereit für einen umfassenden Bodenkrieg. Und genau hierfür stehen die Panzer. Kein Wunder also, dass im Zuge diverser Bundeswehrreformen im Laufe der vergangenen 25 Jahre die deutschen Panzerverbände zurückgefahren oder gar aufgelöst worden sind. Das soll sich im Angesicht der Ukrainekrise ändern, meint Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und hat ganz neue Pläne für den Kampfpanzer Leopard II:
    Ursula von der Leyen: Wir werden also Leo II nicht in andere Länder abgeben oder verschrotten, sondern sie behalten für den Grundbetrieb und den Ausbildungsbetrieb, und können damit schon unsere Löcher füllen.
    "Kreml schreckt im Zweifelsfall nicht vor Straftaten zurück"
    Dobovisek: Löcher wie das Panzerbataillon im niedersächsischen Bergen, das mit 44 Panzern und bis zu 700 Soldaten reaktiviert werden soll. Am Telefon begrüße ich Rainer Arnold. Er ist verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Arnold.
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Zunächst die Frage: Bestärkt Sie der Mord an dem russischen Oppositionellen Boris Nemzow an der harten Haltung gegenüber Russland und Moskau, eben auch mit Signalen wie den beschriebenen?
    Arnold: Unserer Haltung ist ja auf der einen Seite, Sie sagen hart, gegenüber dem Vorgehen des Kremls, des völkerrechtswidrigen Vorgehens. Und wir wissen, dass im Kreml eine Autokratie herrscht, die vor Straftaten im Zweifelsfall auch nicht zurückschreckt und das Völkerrecht bricht. Und der Mord an diesem Oppositionellen ist natürlich sehr, sehr traurig. Und in der Vergangenheit hat man leider immer wieder erlebt, dass auch Journalisten zum Beispiel tot aufgefunden wurden. Und man hat nicht den Eindruck gehabt, dass die russische Regierung alles tut, um die Mörder dingfest zu machen. Wenn Herr Putin den Tod bedauert, wie er gestern gesagt hat, dann kann er ja zeigen, dass die Straftäter hinter Schloss und Riegel gesetzt werden.
    Dobovisek: Gehen Sie trotzdem von einem politischen Mord aus?
    Arnold: Wir können das, glaube ich, jetzt aus der Ferne nicht beurteilen. Die Vermutung liegt nahe, aber mit Sicherheit können wir das nicht sagen.
    Dobovisek: Kommen wir zurück zu den Panzern. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sagt uns diese Woche, der Zivilschutz sei auf einen Angriff auf Deutschland nicht vorbereitet und spricht von fehlenden Sirenen und Bunkern. Ursula von der Leyen, wir haben es gehört, reaktiviert jetzt Panzerverbände. Sind wir wieder mittendrin in der Rhetorik des Kalten Krieges?
    Arnold: Nein. Wir sollten da auch nicht wieder hinkommen. Unsere Haltung gegenüber der russischen Aggression bleibt eine klare, auch die Sanktionen, die wir Europäer gemeinsam tragen. Und auf der anderen Seite ist es ja gerade Deutschland, das immer wieder die Türen zur Diplomatie offen hält. Aber bei der Ansage der Verteidigungsministerin geht es ja nicht nur um diese Panzer in Bergen, sondern es geht darum, die Bundeswehrreform überall dort zu korrigieren, wo Fehler nun wirklich offensichtlich sind. Und ich kann das nur begrüßen, zumal sie ja viele Dinge jetzt entschieden hat, die meine Fraktion bereits von einem Jahr gefordert hat. Und insofern ist man da auf einem richtigen Weg. Es heißt, man macht sich ehrlich, schaut genau, hat man Fähigkeit nur auf dem Papier, oder sind die real einsatzfähig. Und die Bundeswehr hat an einigen Stellen sogenannte hohle Strukturen, also Papierfähigkeiten, die nicht wirklich verfügbar sind. Und wenn man dies jetzt korrigiert, zum Beispiel den Bestand an Großgerät wieder auf 100 Prozent erhöht, nicht 70 Prozent, wie ihr Vorgänger entschieden hat, ist das ein vernünftiger Weg.
    "Sichtbar machen, dass die Nato Fähigkeiten hat"
    Dobovisek: Nun ist es aber ein Unterschied, ob Sanitätsverbände wieder aufgebaut werden oder Panzer, 44 Stück in diesem Bataillon in Bergen in Niedersachsen. Panzer sind für Bodenkrieg gedacht und ausgelegt und damit auch irgendwie ein Relikt des Kalten Krieges. Also es ist das Signal, um das es geht. Kommt das zur Unzeit?
    Arnold: Also es kommt nicht zur Unzeit, sondern die NATO hat ja –
    Dobovisek: Also ist es doch gewollt.
    Arnold: Bitte?
    Dobovisek: Also ist es doch gewollt und ein bestimmt gesetztes Signal?
    Arnold: Ja, es ist deshalb gewollt, weil die Nato sich natürlich wieder stärker an den Kern des Bündnisses erinnert, nämlich Artikel fünf, die gemeinsame, die kollektive Selbstverteidigung, und die Nato auch eine sogenannte Speerspitze einrichtet und Deutschland wichtige Verantwortung da übernimmt. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, das ist dann eher ein bisschen zufällig - natürlich sind 225 Kampfpanzer, wie sie in der Struktur der Reform von Herrn de Maizière vorgesehen sind, für ein so großes Land wie Deutschland nicht eine vernünftige Zahl. Und natürlich ist auch –
    Dobovisek: Machen 44 Panzer da den Unterschied?
    Arnold: Das wollte ich gerade sagen. Sie verändern die Welt nicht wirklich, aber es hat auch was mit Übungsbetrieb, es hat was mit Glaubwürdigkeit zu tun. Wenn wir an Artikel fünf der Nato wieder stärker erinnern, geht es da im Kern darum, sichtbar zu machen, dass die Nato diese Fähigkeiten auch real hat, und zwar deshalb, damit wir sie nie brauchen. Die Nato muss so stark sein, damit wir diese Stärke nie einsetzen müssen. Das ist das Entscheidende. Und der zweite Grund, und der ist Zufall: Es gibt eben einen großen Wunsch der europäischen Partner, die europäische Sicherheitspolitik mehr gemeinsam zu organisieren, und ich wünsche mir sehr, dass Deutschland zum Motor einer vertieften gemeinsamen Sicherheitspolitik wird. Und wenn jetzt Partner wie die Niederländer, möglicherweise auch noch weitere kleine Partner sagen, lasst uns das zusammen mit den Deutschen machen, ein weiteres Panzerbataillon zu organisieren, dann ist das ein Schritt, der unabhängig von der Ukraine-Krise in die richtige Richtung führt, nämlich als Vision eine vertiefte europäische gemeinsame Sicherheitspolitik hat.
    "Panzer haben nicht mehr den Stellenwert"
    Dobovisek: Aber dennoch, auch wenn Sie sagen, es hat nichts direkt mit der Ukraine-Krise zu tun, dieses Panzerbataillon wieder aufzubauen - ganz ehrlich: Die Waffenruhe, sie hält momentan, Russland, na ja, bewegt sich nicht besonders stark, aber vielleicht wäre es auch an der Zeit, eben die Ketten der Panzer in diesem Moment nicht rasseln zu lassen.
    Arnold: Nein, das ist kein Rasseln der Ketten. Wenn die Nato deutlich macht, das Bündnis hält zusammen - und es ist wichtig, der Kreml darf nicht den geringsten Zweifel daran haben, dass, wenn er nun an einem Nato-Partnerland zündeln würde, die Nato ein Bündnis ist, das entschlossen sein wird. Darum geht es. Wenn man mal genau schaut, wie die Ketten in Russland rasseln, wie an der Grenze der Nato Übungen abgehalten werden, wie an der Grenze der Nato Flüge von Militärmaschinen stattfinden, bis hin zu Großbritannien, dann ist doch ganz klar, wer hier die Muskeln wirklich spielen lassen will. Und im Übrigen, Panzer haben in der Tat nicht mehr den Stellenwert, auch militärisch nicht mehr den Stellenwert wie zur Zeit des Kalten Krieges. Sie sind schon noch notwendig, aber Konflikte würden heute nicht mehr als große Panzerschlacht geführt.
    Dobovisek: Deutschland als Speerspitze in der Nato, so haben Sie es vorhin gesagt, Herr Arnold - gegen Russland?
    Arnold: Nein. Die Nato richtet eine Speerspitze ein. Das bedeutet, dass bisher vorhandene Fähigkeiten, die aber bis zu 90 Tage brauchen würden, um einsatzfähig zu sein, so verändert werden, dass sie in kürzerer Zeit eingesetzt werden können. Ein kleiner Teil davon innerhalb von drei bis sechs Tagen. Und weil Deutschland bei dieser sogenannten Nato-Response-Force - die hatten wir auch in der Vergangenheit schon - schon an der Reihe wäre in diesem Jahr, hat es sich angeboten, dass bei diesem neuen Konstrukt der Speerspitze Deutschland jetzt für wenige Monate die Verantwortung übernimmt. Es ist eine Zeit, in der sich dieses neue System, ein verändertes System, einpendeln soll und eingeübt wird.
    "Auftrag, Fähigkeiten und Geld sind nicht im Einklang"
    Dobovisek: Und dafür, lassen Sie mich raten, Herr Arnold, braucht die Bundeswehr mehr Geld?
    Arnold: Es ist schon so, dass, wenn man genau schaut, der Auftrag der Bundeswehr angesichts der Veränderungen in der Welt, insbesondere auch mit vielen kleinen Ausbildungsmissionen, wo wir andere Staaten stärken wollen, selbst mit dem Terror in ihrem Land umzugehen, also der Auftrag der Bundeswehr, die Fähigkeiten der Bundeswehr und das vorhandene Geld, das ist im Augenblick nicht im Einklang. Das hört sich merkwürdig –
    Dobovisek: Mit Blick auf die Uhr, Herr Arnold, fassen wir es kurz - Sie brauchen mehr Geld?
    Arnold: Das hört sich merkwürdig an, weil wir in den letzten Monaten und in den letzten Jahren das Geld gar nicht ausgegeben haben. Aber wenn jetzt die Großgeräte zugeliefert werden, muss Herr Schäuble das Geld, das er zurückerhalten hat, auch wieder auf den Bundeswehretat drauf schlagen.
    Dobovisek: Die Nachrichten kommen. Rainer Arnold von der SPD - vielen Dank!
    Arnold: Ich bedanke mich auch. Schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.