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Bundeswehr-General a.D. zum Syrien-Einsatz
"Es wird eher länger als kürzer"

Die Bundeswehr muss sich wohl auf einen längeren Einsatz in Syrien einstellen. Das zeigten die Erfahrungen aus früheren Einsätzen, sagte der Bundeswehr-General a.D. Karl-Heinz Lather im Deutschlandfunk. Deutsche Bodentruppen in Syrien sehe er dagegen nicht.

Karl-Heinz Lather im Gespräch mit Bettina Klein |
    Der General a.D. Karl-Heinz Lather auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2009. Damals war er Stabschef im militärischen NATO-Hauptquartier in Mons.
    Der General a.D. Karl-Heinz Lather auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2009. Damals war er Stabschef im militärischen NATO-Hauptquartier in Mons. (picture alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Lather sieht den Einsatz auch ohne ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates "hinreichend begründet". In der NATO herrsche eine klare Haltung. "Die Generäle sagen unisono, dass auch militärisch etwas gegen den IS unternommen werden muss", erklärte Lather.
    Die Luftangriffe seien ein Teil, "der mithilft, zu erreichen, was die Welt will". Einen Einsatz deutscher Soldaten am Boden sehe er nicht, sagte Lather. Langfristig könne er sich jedoch Einsatzkräfte am Boden vorstellen, um das Land zu stabilisieren und wieder aufzubauen. Zunächst aber halte er die Strategie für richtig, die Oppositionskräfte zu stärken. "Wenn man stabilisieren und wieder aufbauen will, sind auch Kräfte am Boden nötig. Das müssen aber keine Kampftruppen sein."
    Die Diskussion darüber, ob es sich in Syrien um einen Einsatz im "Krieg" handele, wertete Lather als einen Streit um Worte. "Formaljuristisch, völkerrechtlich sind wir nicht im Krieg, weil das bedeuten würde, dass wir den IS als Staat anerkennen. Im Moment bekämpfen wir eine Terrororganisation. Wir wenden das Recht auf kollektive Selbstverteidigung an." Frankreich habe auf Grundlage des EU-Vertrags von Lissabon um Unterstützung gebeten.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview:
    Bettina Klein: Wir segnen Fried- und Friedenszeiten, aber so leicht sind die irgendwie nicht zu haben. Wir merken es: Die Debatte rund um den Bundeswehreinsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat geht deutlich weiter. Wir haben gerade den Grünen-Politiker Tobias Lindner gehört im Interview, der seine Bedenken deutlich gemacht hat. Jetzt begrüße ich am Telefon General a.D. Karl-Heinz Lather. Er war Stabschef im NATO-Hauptquartier in Europa. Guten Morgen, Herr Lather.
    Karl-Heinz Lather: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Wie sehen Sie es denn? Sind Sie denn als ehemaliger Militär uneingeschränkt für diesen Bundeswehreinsatz?
    Lather: Ich bin noch sehr viel im Bündnis unterwegs, weil ich dort noch eine Mentorentätigkeit habe und weiß also, was im Bündnis gedacht wird.
    Klein: Und was wird gedacht?
    Lather: Im NATO-Bündnis. Aber das ist ja nicht die Frage hier an dieser Stelle. - Nein, ich bin durchaus positiv, was den Einsatz angeht. Er scheint mir hinreichend begründet. Es fehlt natürlich das Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, weil die Weltpolitik so ist, wie sie ist, aber ich glaube, wir haben eine hinreichende Begründung, dort in der Unterstützung der doch relativ großen Koalition gegen den Islamischen Staat dabei zu sein.
    Militärs wollen etwas gegen den IS unternehmen
    Klein: Mal eins nach dem anderen, Herr Lather. Sie sprachen gerade davon, Sie wüssten, was im Bündnis gesprochen wird und gedacht wird.
    Lather: Ja.
    Klein: Was wird denn gedacht?
    Lather: Es ist das Bündnis insgesamt oder die Alliierten jedenfalls, die Offiziere und Generale, Admirale, mit denen ich dann dort zusammentreffe, sind doch relativ uni sono der Auffassung, dass auch militärisch etwas gegen den islamischen Staat unternommen werden muss.
    Klein: Was ist denn mit dem Argument, dass wir kein Mandat vom UNO-Sicherheitsrat haben und im Grunde genommen keine weltweite Koalition, sondern nur die im Augenblick einzelner Staaten des Westens?
    Lather: Es sind ja sehr viele. Ich glaube, der Entwurf der Bundestagsresolution spricht von 68. Das weiß ich gar nicht so ganz im Einzelnen. Aber das sind ja schon mal sehr, sehr viele Staaten, die sich engagieren in dieser Koalition. Ich glaube, man muss den militärischen Teil als einen sehen, der mithilft, dass das erreicht wird, was eigentlich die Weltgemeinschaft schon will. Denn auch diejenigen, die die Resolution letztlich verhindern, sind in dem konkreten Kampf mit dabei.
    Klein: Aber es ist ein unterstellter Wille, dem kein wirkliches UNO-Mandat zugrunde liegt?
    Lather: Das ist richtig.
    Klein: Und das hat in anderen Fällen dazu geführt - Stichwort Irak -, dass man eine solche Beteiligung abgelehnt hat.
    Lather: Das ist richtig. Es hat aber auch dazu geführt, dass man einen Einsatz wie im Kosovo und über dem früheren Jugoslawien damals aus ähnlichen Gründen heraus in der Abwesenheit eines Mandats durchgeführt hat.
    Klein: Wir hören noch mal kurz in ein Argument hinein, das von der Opposition auch morgen noch einmal vorgebracht werden wird, das wir hier gerade vom Grünen-Politiker Tobias Lindner gehört haben.
    O-Ton Tobias Lindner: "Ich verstehe nicht, warum das im Hauruck-Verfahren binnen einer Woche durchs Parlament muss. Wenn man gegen den IS militärisch vorgeht, dann hat man damit noch nicht das Gesamtproblem in der Region gelöst, und das muss man politisch lösen."
    "Man ist dabei die politische Strategie festzulegen"
    Klein: Herr Lather, was ist mit dem Argument, dass es im Augenblick an einer politischen Strategie und der Überlegung, was danach kommt, fehlt?
    Lather: So wie ich es sehe ist man ja dabei, diese politische Strategie festzulegen. Man handelt also sehr schnell in der Unterstützung insbesondere unseres Partners Frankreich. Das ist ja der Auslöser des beschleunigten Verfahrens. Und gleichzeitig wird in Wien mit all denen, die dort Akteure sind, verhandelt und versucht, das zu tun, was natürlich notwendig ist, nämlich die politische Lösung, auch die wirtschaftliche Destabilisierung, der Aufbau des Unterbrechens der Finanzströme etc. All diese Dinge passieren zeitgleich. Und wir haben natürlich, ausgelöst durch das, was in Syrien passiert, diese riesige Flüchtlingswelle, die nach Europa hineinschwappt und ja nicht aufhört oder aufgehört hat.
    Klein: Was ist mit dem Argument, dass man daran zweifelt, dass die Bundeswehr auch technisch in der Ausrüstung dem überhaupt gewachsen ist? Die Berichte wurden zwar einerseits dementiert vom Ministerium gestern, aber lassen sich ja nicht so einfach unter den Tisch kehren.
    Lather: Ja gut. Das was jetzt eingesetzt wird, sind Tornados mit der entsprechenden Bodenausstattung, die dazugehört, also dem gesamten technischen Bereich, der das ermöglicht. Aus der Osttürkei werden die wohl im Wesentlichen fliegen. Es ist ein Tankflugzeug, was dazukommt, es ist eine Fregatte, die mit zu dem französischen Flugzeugträger als Geleitschutz tritt. Das sind alles Dinge, wo man keine hundertprozentige Einsatzbereitschaft braucht. Aber die Elemente, die eingesetzt werden, werden voll einsatzbereit sein.
    "Wir bleiben länger als kürzer dort"
    Klein: Müssen wir uns aber auch darauf einstellen - denn dieses Argument gibt es inzwischen auch -, dass ein Jahr im Grunde genommen überhaupt niemals ausreichen wird, so wie es im Kabinettsbeschluss drinsteht, sondern man muss sich auf zehn Jahre wahrscheinlich einstellen, was diesen Einsatz angeht? Muss die Bundeswehr sich darauf auch einrichten?
    Lather: Ob es denn zehn Jahre sind, wie der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes wohl gesagt hat, das weiß ich nicht. Ich gehe aber auch davon aus, aus der Erfahrung bisheriger Einsätze, dass wir eher länger als kürzer dort bleiben werden. Es ist ja üblich, dass die Mandate Jahr um Jahr beschlossen werden und auch immer auf die Jahresfrist festgelegt werden. Insofern wäre ich da offen am Ende. Ich kann heute nicht deutlich sagen, dass es nur ein Jahr dauert.
    Klein: Mission creep sagen die Amerikaner dazu. Das heißt, man stellt sich auf etwas ein, wo man überhaupt nicht weiß, wann wir da wieder rauskommen und was immer wieder und immer aufs Neue verlängert wird.
    Lather: Mission creep würde bedeuten, dass wir am Boden in den Einsatz gehen. Das sehe ich noch nicht. Ich glaube, da ist die Strategie ganz richtig, dass wir, wie wir es im Augenblick im Nordirak und in der Ausbildung der Peschmerga tun, diese Kräfte befähigen, die Bodenoperationen zu führen. Aber letztlich würde ich auch das nicht ausschließen, denn wenn man die Region, mal angenommen, ISIS kann wesentlich geschwächt werden, dann befrieden und stabilisieren will und dann auch ein Stück weit wieder aufbauen will, dann werden andere Kräfte sicherlich am Boden auch notwendig sein. Ob das Militär ist, das will ich mal offenlassen. Im Augenblick steht das, glaube ich, nicht zur Debatte.
    Klein: Aber es gibt ja außer Ihnen auch andere Militärexperten, die genau das sagen: Es wird ohne Bodentruppen am Ende nicht gehen.
    Lather: Richtig.
    "Es ist die Frage, welche Bodentruppen es sein werden"
    Klein: Also stellt man sich besser bei Zeiten darauf ein, dass das kommen muss, von wem auch immer die gestellt werden. Die Bereitschaft ist ja im Augenblick eigentlich gleich null.
    Lather: Es ist die Frage, welche Art von Bodentruppen das dann sind, ob es denn Bundeswehr ist - bleiben wir mal bei Deutschland -, oder andere Nationen sind. Sicher sehen wir dort in der Region schon heute Spezialkräfte verschiedener Nationen. Die Aufklärung findet ja nicht nur durch den Tornado aus der Luft statt, sondern sie findet auch sehr stark am Boden statt.
    Klein: Herr Lather, schauen wir noch mal ein bisschen auf die Debatte allgemein. Wir haben in Deutschland in den letzten Tagen auch eine große Sorge gesehen, dass sich die Bundeswehr in eine Art Kriegseinsatz stürzt, der in hohem Tempo durch den Bundestag durchgebracht wird. Nächste Woche schon sollen Tornados fliegen. Halten Sie das für ungerechtfertigt und für ein deutsches Problem, oder ist es gerade auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte geboten, da mit besonderer Vorsicht heranzugehen?
    Lather: Nein, wir sind ja immer eigentlich vorsichtig. Die Debatte darüber, ob wir uns beteiligen oder nicht, ist ja auch älter als diese 14 Tage. Sie ist jetzt natürlich ganz stark beschleunigt worden durch das, was in Paris geschehen ist an schrecklichen Dingen. Aber die UN-Resolutionen, die viele auffordern, das ihnen Mögliche zu tun in der Region, die sind ja länger vorhanden und wir haben uns da und dort vielleicht schon ein bisschen weggeduckt in der Verantwortung, an die Seite der Amerikaner, Franzosen, Briten und anderer zu treten, die ja in der Region bereits tätig sind.
    "Völkerrechtlich sind wir nicht in einem Krieg"
    Klein: Herr Lather, ist das jetzt ein Krieg? Sollen wir es Beteiligung an einem Krieg nennen? Oder ist das nach Ihrer Ansicht ein überflüssiger Streit um Worte?
    Lather: Das ist nach meiner persönlichen Bewertung ein Streit um die Worte. Ein Land wie Frankreich - der Präsident Hollande hat das ja gesagt - fühlt sich im Krieg. Formaljuristisch, völkerrechtlich sind wir wahrscheinlich nicht in einem Krieg, weil das bedeuten würde, dass wir den Islamischen Staat als Staat anerkennen. Diese Ehre wollen wir dem Islamischen Staat wohl gar nicht tun. Wir bekämpfen also eine Terrororganisation im Augenblick, zum großen Teil mit militärischen Mitteln.
    Wort Kriegseinsatz macht IS zum Staat
    Klein: Aber ein Argument ist ja auch, dass sich die UNO-Charta ja auf das Verhältnis zwischen Staaten bezieht und man damit im Prinzip den sogenannten Islamischen Staat als Staat bezeichnet und damit ja auch aufwertet und damit im Grunde genommen ihm zu einem möglicherweise großen ideologischen Erfolg verhilft.
    Lather: Das ist richtig. Deswegen warnen ja auch manche davor, diesen Einsatz Kriegseinsatz zu nennen oder Krieg zu nennen. Bei uns kommt unsere verfassungsrechtliche Frage dazu. In dem Moment, wo wir von Krieg reden und der Bundestag dieses beschließt, haben wir eine neue Führungsorganisation. Dann wird die Bundeskanzlerin die Befehlshaberin der Einsätze. Das ist ja unsere Sonderlage, die wir in Deutschland haben. Ich glaube, auch deswegen schrecken wir davor ein wenig zurück.
    Und das zweite ist, dass das Völkerrecht ein Konstrukt post Zweiter Weltkrieg ist, nach dem Zweiten Weltkrieg ist und davon ausgeht, dass solche Auseinandersetzungen zwischen Staaten stattfinden. Das tun sie an dieser Stelle nicht.
    Klein: Und dennoch, meinen Sie, können wir dieses Völkerrecht dann anwenden?
    Lather: Wir wenden den Artikel 51 der UN-Charta an, das Recht auf kollektive Selbstverteidigung, und wir wenden etwas an, was wir relativ jung haben. Das ist der Artikel 42, ich glaube, der Absatz sieben oder Satz sieben des EU-Vertrages ...
    Klein: ... des EU-Vertrages von Lissabon.
    Lather: ..., auf dessen Grundlage Frankreich uns ja gebeten hat, teilzunehmen.
    "Anschlagsgefahr kann ich nicht vollständig ausschließen"
    Klein: Noch kurz abschließend, Herr Lather. Wie groß ist die Gefahr, die ja auch heraufbeschworen wird oder benannt wird von den Kritikern dieses Einsatzes, dass man im Grunde genommen mit diesen Angriffen dem IS weiter Kämpfer zuführen wird und auch die Anschlagsgefahr in Deutschland sich erhöhen wird?
    Lather: Kann ich nicht vollständig ausschließen, weil es sicherlich auch in der Zukunft junge Leute geben wird, die dort ihr Abenteuer und ihre Erfüllung suchen. Aber ich glaube, es geht im Wesentlichen darum, die Führungsorganisation, Strukturen und Möglichkeiten, auch die Bewaffnung und die Infrastruktur des Islamischen Staates so weit wie möglich zu reduzieren.
    Klein: Im Interview im Deutschlandfunk heute Morgen bei uns General a.D. Karl-Heinz Lather, ehemaliger Stabschef des NATO-Hauptquartiers in Europa, zur gegenwärtigen Diskussion über den Bundeswehreinsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat. Herr Lather, herzlichen Dank für das Interview.
    Lather: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.