Jasper Barenberg: Versorgungslücken in der Bundeswehr machen seit Jahren Schlagzeilen. Mal ging es um Mängel an den neuen Truppentransportmaschinen A400M, mal um Schutzwesten, um Nachtsichtgeräte, selbst warme Unterwäsche ist Mangelware und zuletzt wurde berichtet, dass keines von sechs U-Booten einsatzbereit ist und nur ein Bruchteil von über 100 Kampfjets vom Typ Eurofighter. Die Liste ließe sich fortsetzen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gibt sich entschlossen, gegenzusteuern, gegenüber dem Finanzminister, gegenüber Olaf Scholz hat sie schon klargemacht, dass sie die geplanten höheren Ausgaben für lange noch nicht ausreichend hält. Das untermauert die CDU-Politikerin jetzt noch mit Plänen für eine grundlegende Richtungsänderung, demnach sollen die Verteidigung von Land und von Bündnis künftig wieder aufgewertet werden gegenüber der Ausrichtung vor allem auf Auslandseinsätze. Am Telefon ist Egon Ramms, General a.D. des Heeres, bis zu seiner Pensionierung einer der höchsten deutschen Soldaten in der NATO. In dieser Funktion war er unter anderem Vorgesetzter von fünf Befehlshabern des internationalen Afghanistan-Einsatzes ISAF. Guten Morgen, Herr Ramms!
Egon Ramms: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Hat die Bundesregierung die Bundeswehr in den letzten Jahren heruntergewirtschaftet?
Ramms: Die Bundeswehr hat für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben in den letzten 15, vielleicht sogar 20 Jahren nicht genug Geld gehabt. Und eine der kritischsten Ecken ist die Ecke gewesen nach 2010, als die Bundeswehr praktisch in die heutigen Strukturen eingeführt worden ist und hier der Schwerpunkt ausschließlich auf das Thema Auslandseinsätze gelegt worden ist.
Barenberg: Aber war das nicht damals, sagen wir mal, strategisch gesehen die richtige Entscheidung, zu sagen, mehr und mehr nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes muss sich die Bundeswehr vor allem zu einer Einsatzarmee entwickeln, die auch beim internationalen Krisenmanagement mitmachen soll?
"Moral der Truppe zurzeit weit, weit unten"
Ramms: Einsätze waren damals Standard, Einsätze sind heute Standard, finden auch weiter statt. Aber wir hatten im Jahre 2008 den Heroinkrieg, wir hatten im Jahre 2010 ein neues strategisches Konzept der NATO, welches im Prinzip, wie die Schlagzeilen heute lauten, sagt, dass die Bündnisverteidigung wieder gleichrangig neben weltweite Einsätze gestellt wird. Offensichtlich hat damals Deutschland, im Jahre 2010, bei einem Konzept, wo es selber zugestimmt hatte, nicht richtig zugehört.
Barenberg: Das war also aus Ihrer Sicht damals ein schwerer Fehler mit fatalen Folgen für die Truppe?
Ramms: Ja, die Aussage ist so richtig. Denn vor allen Dingen ist die Entscheidung mit Blick auf die Auslandseinsätze und den Schwerpunkt auf Auslandseinsätze unter finanziellen Gesichtspunkten gefällt worden. Der Verteidigungsetat wurde weiter gekürzt. Und von daher hat man sich unter finanziellen Gesichtspunkten darauf konzentriert, weil man hier höhere, längere Vorbereitungszeiten hat und [die] keinen so hohen Einsatzbereitschaftsstand in der Truppe verlangen wie Landes- und Bündnisverteidigung.
Barenberg: Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hat hier im Deutschlandfunk vor zwei Monaten geklagt, die Einsatzbereitschaft der Truppe und das, was Harald Kujat die Moral der Truppe genannt hat, all das sei so schlecht gewesen wie eigentlich noch nie. Geben Sie ihm recht?
Ramms: Ob es nicht früher schon mal schlechter gewesen war, die Frage kann ich nicht beurteilen. Ich überblicke nur, ich sage mal, etwa 45 Jahre der Bundeswehrgeschichte. Aber richtig ist die Feststellung, dass diese Einsatzbereitschaft und dadurch auch die Moral der Truppe zurzeit wirklich weit, weit unten ist.
Bedarf liegt zwischen "30 und 35 Milliarden Euro"
Barenberg: Was hören Sie denn, wenn Sie mit aktiven Soldaten heute reden, wenn es um dieses Stichwort Moral geht? Also das Thema Wertschätzung mit Blick auf natürlich die erforderliche bestmögliche Ausrüstung von Soldaten?
Ramms: Ein Teil der Dinge, die heute passieren, auch mit der mangelhaften Einsatzbereitschaft des Großgerätes, die Sie ja gerade zu Beginn angesprochen haben, wird den Soldaten angelastet, obwohl die Soldaten für dieses Thema überhaupt keine Verantwortung tragen. Die Tatsache, dass man in seiner Kompanie, in seinem Bataillon nicht mehr richtig üben und ausbilden kann, dass man Schwierigkeiten hat und die Soldaten einen, ich sage das mal, mit traurigen Augen anschauen, weil bestimmte Ausrüstungsgegenstände auch der persönlichen Ausrüstung nicht da sind, führt einfach dazu, dass die Stimmung in der Truppe sinkt, das ist der eine Teil dabei, und dass man sich halt eben auch bei allen Ausbildungsvorhaben schwertut. Und eine Truppe, die in der Gesellschaft nicht die entsprechende Anerkennung genießt, wird sich immer nicht wohlfühlen. Und von daher ist auch da für die Politik eine Menge zu tun.
Barenberg: Für wie groß halten Sie den Nachholbedarf, jetzt wo wir über einen höheren Etat reden und darüber, dass die Verteidigungsministerin jetzt auch noch eine Reform anstoßen will?
Ramms: Also dieses Dort-Reinreden, dieses Dort-konkrete-Zahlen-Nennen halte ich für schwierig. Aber ich gehe mal davon aus, dass wir irgendwo einen Bedarf haben mit Blick auf die nächsten zehn Jahre, mehr Bedarf haben auf die nächsten zehn Jahre, der in der Größenordnung zwischen 30 und 35 Milliarden Euro liegen wird.
Barenberg: Das ist eine Menge.
Ramms: Jawohl.
Barenberg: Die ist so geschrumpft worden, die Bundeswehr, dass jetzt quasi ganz viel neu aufgestockt oder neu aufgebaut werden muss?
Ramms: Nein, das sehe ich eigentlich nicht so, es wird sicherlich ergänzende Strukturelemente geben. Ich denke beispielsweise mit Blick auf die Verteidigung an das Thema Artillerie, ich denke an das Thema Pioniere und dergleichen mehr, die wieder in eine andere Stärke gebracht werden müssen. Möglicherweise brauchen wir auch da eine oder andere Kampftruppenbataillon, also Panzer oder Panzergrenadiere mehr. Aber das ist nicht so viel, wie man glaubt. Der entscheidende Kostenfaktor hierbei ist einmal der Teil Personal, Stichwort Attraktivität, die Leute müssen gerne zur Bundeswehr kommen, dazu gehört auch die gesellschaftliche Anerkennung, und der zweite Teil ist halt eben, dass die Bundeswehr in weiten Teilen nur noch mit 70 Prozent des Materials ausgestattet war, das sie tatsächlich benötigte. Und diese Lücke muss gefüllt werden, damit wieder ein vernünftiger Ausbildungsbetrieb stattfindet und auch die Soldaten im täglichen Dienst wieder zufriedener werden.
"Streitkräfte wieder einsatzfähig machen"
Barenberg: Wie verstehen Sie denn sozusagen den Ausblick der Verteidigungsministerin, die ersten Eckpunkte für diese Gleichwertigkeit von Landesschutz und Bündnisschutz, im Vergleich zum Krisenmanagement in der Welt? Ist das eine richtige strategische Grundausrichtung?
Ramms: Ich sprach vorhin vom strategischen Konzept der NATO in 2010, die NATO hat in 2010 so entschieden. Warum die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2011 anders entschieden hat, habe ich auch gesagt, das lag an den finanziellen Gründen. Das heißt, wenn wir wie andere NATO-Partner auch auf diesen Level, den wir früher mal gehabt haben, wieder zurückkommen wollen, dann geht es nicht ohne Investitionen. Und da die Bundeswehr so stark bespart worden ist, ergibt sich die relativ hohe Summe damit. Und diese muss eingesetzt werden, um die Streitkräfte schlicht und einfach wieder einsatzfähig zu machen.
Barenberg: Das heißt auch sozusagen, die Ansage der Ministerin, dass da noch sehr viel mehr Geld nötig sein wird, die teilen Sie uneingeschränkt. Sie haben von einer Größenordnung von 30 bis 35 Milliarden in den nächsten Jahren gesprochen. Nun sagt die SPD-Partei- und -Fraktionschefin Andrea Nahles, da muss sie vor einer Aufrüstungsspirale warnen. Was antworten Sie ihr?
Ramms: Der Begriff Ausrüstung in diesem Zusammenhang, Streitkräfte, für die das Parlament, also auch Frau Nahles verantwortlich ist, diesen Begriff Aufrüstung zu gebrauchen, halte ich für völlig falsch und der geht auch völlig an der Zielsetzung vorbei, weil der Begriff Aufrüstung in der deutschen Gesellschaft und sicherlich auch bei anderen Politikern eine bestimmte Vorstellung auslöst, die mit dem Thema Vollausstattung der Soldaten zur Ausbildungsbefähigung, zur Verteidigungsbefähigung im Prinzip nichts zu tun hat. Das heißt, auch hier schwingen schon wieder, ich nenne das mal: populistische Aussagen mit, die letztendlich eine Stimmung im Lande befördern sollen, die nicht den Tatsachen entspricht und die auch nicht die Stimmung sein sollte, mit der diese Gesellschaft gegenüber ihren Soldaten umgeht.
"Das geht den Soldaten an die Substanz"
Barenberg: Zum Schluss unseres Gesprächs, Herr Ramms: Wir haben über die Moral der Truppe gesprochen, über die Einsatzfähigkeit und Einsatzbereitschaft. Ist die Bundeswehr bereit für wieder Jahre großer Reformen?
Ramms: Ich sehe das nicht als eine so große Reform an, sondern ich sagte, es geht um Auffüllung von Material, es geht möglicherweise um die eine oder andere Struktur. Auf der anderen Seite gebe ich Ihnen recht, die Bundeswehr hat im Zeitraum von 1991 bis 2017 sechseinhalb umstrukturierende Reformen hinter sich gebracht, auch das geht den Soldaten an die Substanz.
Barenberg: Sagt Egon Ramms, General a.D. des Heeres. Danke für das Gespräch heute Morgen!
Ramms: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.