Eine Verlängerung des Mandats sei zwar immer nur für ein Jahr möglich - Arnold würde allerdings einer Verlängerung "bis auf Weiteres" zustimmen. Die Entscheidung sollte vor Auslaufen des Mandats im Januar getroffen werden.
Die Soldaten vor Ort bestätigten, dass es ein großer Fehler wäre, den Norden Afghanistan jetzt zu verlassen, so Arnold. Eine Verlängerung des Einsatzes sei nicht nur wirtschaftlich wichtig für die Region, sondern sende auch ein wichtiges Signal an die afghanische Bevölkerung. Einen Kampfeinsatz schließt er aus: "Die Bundeswehr hat dafür keine Fähigkeiten," sagte er. Auch sei die Mission nur mit den Partnern vor Ort möglich.
Eine Verstärkung der deutschen Truppen hält Arnold nicht für nötig: Der Einsatz sei mit 850 Soldaten zwar "etwas auf Kante genäht", für Beratung und Ausbildung sei das aber ausreichend. Das Konzept der Mission werde sich nicht ändern.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Jetzt beschäftigt uns Afghanistan. Die Vereinigten Staaten haben gestern in Washington erklärt und begründet, dass sie ihren Abzug aus Afghanistan, den Abzug der Truppen, den Abzug der Mission dort verlangsamen wollen. Es sollen die Truppen länger bleiben als bislang gedacht, auch über den absehbaren Amtswechsel im Weißen Haus hinaus. Noch einige Fakten dazu: Zurzeit sind rund 10.000 amerikanische Soldaten im Land. Die sollen im Wesentlichen auch im nächsten Jahr bleiben. 2017 soll dann noch etwa gut die Hälfte der Soldaten in Afghanistan sein. Das ist eine Kehrtwende dessen, was lange versprochen worden war im Weißen Haus. Am Telefon mitgehört hat Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD. Herr Arnold, guten Morgen.
Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Grieß.
Grieß: Muss man sich Sisyphos als glücklichen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan vorstellen, der jetzt länger bleiben darf?
Arnold: Die Soldaten sagen mir alle, wenn wir mit denen in Afghanistan reden, es wäre jetzt ein großer Fehler, wenn wir Deutschen den Norden jetzt verlassen würden. Weil die empfinden schon, dass die Stadt, in der sie stationiert sind, Masar-e Sharif, mit diesem großen zivilen und militärischen Flughafen, so was wie ein Stabilitätsanker im Norden ist, und sie sagen, die Afghanen brauchen noch unsere Unterstützung. Sie brauchen Beratung und Ausbildung und sie brauchen auch die technische Infrastruktur, die wir an dem Flughafen bereitstellen und sichern können. Deshalb sind die Soldaten wahrscheinlich froh, dass Obama jetzt so entschieden hat, und sie hoffen auch, dass wir Deutschen noch länger bleiben.
"Instabile Lage erfordert neues Nachdenken"
Grieß: Sisyphos war auch glücklich mit dem, was er tat. Für Sie von Berlin aus betrachtet ergibt das einen Sinn?
Arnold: Ja, ich halte es für notwendig. Es ist nämlich nicht nur praktisch sehr, sehr wichtig, dass dieser Flughafen sicher bleibt. Der hat eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für den ganzen Norden des Landes. Es ist auch eine Botschaft an die afghanische Gesellschaft. Die Taliban erzählen denen ja im Augenblick, wir verjagen jetzt voll die verbliebenen westlichen Soldaten, dann ziehen wir die Regierung in Kabul und ihre Helferlein im Land zur Rechenschaft, und wenn die Afghanen jetzt sehen würden, wir würden tatsächlich abziehen, dann würden sie diese Geschichte der Taliban glauben und es würde natürlich in deren Köpfen schon was verändert. Ihre Sorgen würden noch deutlich wachsen, wenn sie dies sehen müssten.
Grieß: Gestehen Sie ein, Herr Arnold, dass die Bundeswehr zu früh abgezogen worden ist?
Arnold: Nicht so ohne Weiteres, weil mein Eindruck in den letzten Jahren nicht mehr war, dass wenn wir noch ein, zwei Jahre länger mit dem Kampfauftrag, mit einem großen Kontingent dort im Norden bleiben, dass darüber die Situation zu verbessern ist. Die Afghanen hatten zumindest quantitativ ihre Sicherheitskräfte aufgebaut. Wir waren auch da schon in einer Beratungsphase. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass man dies wesentlich verbessert über einen größeren Zeitraum. Aber dass man sie ganz alleine lässt, das konnte ich mir damals auch nur bedingt vorstellen.
Grieß: Nun ist es aber trotzdem getan worden und jetzt muss man zurückrudern und bleibt bei dieser Mission.
Arnold: Ja, das ist sicherlich so. Aber es ist ja kein Fehler, wenn man klüger wird und natürlich auch ein Stück weit dies lage- und entwicklungsabhängig macht, und es ist ja schon so, dass die Ereignisse auch in Kundus in den letzten Wochen, aber insgesamt eine instabile Lage in vielen Regionen neues Nachdenken erfordert.
"Bundeswehr hat nicht die Fähigkeiten für einen Kampfeinsatz"
Grieß: Ich wollte gerade sagen, Herr Arnold, das Klügerwerden in Berlin hat in Afghanistan etliche Menschenleben gekostet.
Arnold: Nein, im letzten Jahr zum Glück, muss man sagen, nicht. Aber insgesamt hat es über 50 Menschenleben gekostet, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Das kann man allerdings bei aller Tragik auch herumdrehen. Wenn Afghanistan jetzt verloren würde, die Taliban dort wirklich ihr Schreckensregime wieder einrichten könnten, dann würden auch viele Soldaten und die Angehörigen fragen, all die Opfer, waren die jetzt wirklich umsonst. Deshalb müssen wir alles tun, damit dieser Einsatz am Ende auch soweit abgeschlossen werden kann, dass die afghanischen Sicherheitskräfte in ihrem Land tatsächlich selbst die Verantwortung übernehmen können, und so weit sind sie nun sichtbar noch nicht. Sie brauchen Unterstützung, Beratung und technische Hilfe.
Grieß: Das klingt sehr nett, sehr freundlich, als eine gute Mission. Das klang so ähnlich auch, als die erste Afghanistan-Mission nach 2001 dann begonnen hatte. Können Sie denn versprechen, dass das kein Kampfeinsatz wird?
Arnold: Die Bundeswehr hat nicht mehr die Fähigkeiten, einen wirklichen Kampfeinsatz dort zu führen. Die Bundeswehr ist auch nicht alleine im Norden. Es geht nur zusammen mit den Partnern. Wenn die nach Hause wollen, könnten wir das als Deutsche auch nicht mehr leisten. Die Bundeswehr wird dann noch einen Kampfeinsatz zusammen mit ihren Verbündeten führen müssen, falls internationale Menschen evakuiert werden müssen, falls Geisellagen entstehen, aber die Bundeswehr wird nicht mehr Seite an Seite mit den afghanischen Soldaten und Polizisten kämpfen. Dies wird nicht mehr gehen und das ist auch nicht mehr gewollt. Ich glaube im Übrigen auch, dass es nicht mehr notwendig ist. Bei allen Problemen sieht man schon, dass die Afghanen im normalen Fall auch mit schwierigen Lagen umgehen können. Sie können die Lagen nicht verhindern, aber sie können damit umgehen.
Grieß: Herr Arnold, als vor Kurzem die Taliban Kundus eingenommen hatten, da sind die auch nicht durch gutes Zureden und Beratung wieder aus der Stadt verschwunden.
Arnold: Ja, aber die Taliban [gemeint sind wohl die Afghanen, Anm. d. Red.] haben mit westlicher Unterstützung es schon geschafft, diese Stadt wieder zu befreien. Und dass es überhaupt so weit gekommen ist, ist natürlich ein gravierender Fehler auch in der Aufklärung bei den Afghanen gewesen. Da sieht man auch, was ihnen in Wirklichkeit noch fehlt: Nicht so sehr das Kämpfen, das können sie schon, aber sich gut vorbereiten auf einen Einsatz, strategische Konzepte anlegen, sich organisieren, da brauchen sie unsere Hilfe und Beratung.
"Es wird definitiv keinen Kampfauftrag mehr geben können"
Grieß: Wenn kämpfen, dann eher die anderen?
Arnold: Ja, das ist so. Die Afghanen sind für ihr Land verantwortlich und wir beraten sie dabei und die afghanischen Soldaten und Polizisten müssen die Einsätze alleine bewältigen. Dies ist das Konzept, weil früher oder später ist der Punkt immer so. Wir können ja nicht ewig in Afghanistan bleiben. Die Afghanen müssen das Land selbst in die Hand nehmen und da sind sie durchaus auf einem Weg. Sie haben schwierige Lagen, insbesondere auch in Kabul, tatsächlich auch geschafft.
Grieß: Aber es wird mehr Soldaten betreffen, der Einsatz wird größer?
Arnold: Den Eindruck habe ich nicht, dass er größer wird. Er ist zwar ein bisschen auf Kante genäht, unsere 850. Es hängt immer auch davon ab, was liefern unsere Partner für Masar-e Sharif. Er muss aber nicht größer werden, weil das Konzept, dass es eine Beratungs- und Unterstützungsmission ist, eine Ausbildungsmission, dieses Konzept wird sich nicht verändern. Es wird definitiv keinen Kampfauftrag mehr geben können.
Grieß: Wird es denn einen neuen Abzugstermin geben?
Arnold: Der Bundestag verlängert ja üblicherweise die Mandate um ein Jahr. Nach dieser Erfahrung, dass wir gesehen haben, es war vielleicht nicht so glücklich, zu sagen, das war's dann, glaube ich, ist es klug, dass man ein Jahr verlängert und rechtzeitig wieder schaut und wieder diskutiert, was sinnvoll ist. Es macht ja keinen Sinn, auch wenn man mal auf die Situation in der Welt schaut, woanders in fragilen Staaten jetzt früher zu sagen, wir müssen dort helfen, damit diese Staaten nicht in die Hände von Terroristen fallen, und gleichzeitig sehenden Auges Afghanistan so verlassen, dass die Risiken nicht mehr kontrollierbar sind. Das würde nicht zusammenpassen.
Grieß: Ab sofort heißt es regierungsamtlich, die Bundeswehr bleibt bis auf Weiteres in Afghanistan?
Arnold: Ich bin Abgeordneter, ich bin nicht die Regierung. Aber wenn die Regierung einen entsprechenden Antrag vorlegt, würde ich meiner Fraktion empfehlen, dem zuzustimmen.
Grieß: Wenn das so da drinsteht, bis auf Weiteres?
Arnold: Ja, ja klar.
"Werden und sollten im Dezember neu entscheiden"
Grieß: Und das ist klug, sagen Sie, weil alle anderen auch so planen, die NATO insgesamt?
Arnold: Es war logisch, dass ohne die Amerikaner so eine Entscheidung nicht möglich ist. Obama hat jetzt entschieden. Ich gehe jetzt davon aus, dass die NATO-Gremien dies auch weiter so umsetzen und dass wir im engen Gespräch mit unseren Partnern - es sind ja auch Mongolen, es sind Georgier, es sind Skandinavier und viele andere mehr dabei -, dass diese Allianz dann auch mit uns im Norden zusammenbleibt, weil jeder liefert unterschiedliche Fähigkeiten, die aber notwendig sind.
Grieß: Letzte Frage, Herr Arnold, ganz kurze Antwort bitte: Die Entscheidung darüber kommt sehr bald?
Arnold: Die Entscheidung wird sicherlich vor Ende des Mandates kommen. Das Mandat endet im Januar. Also wir werden und sollten dann im Dezember neu entscheiden.
Grieß: Allerspätestens. - Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD. Danke schön für das Gespräch.
Arnold: Danke auch, Herr Grieß.
Grieß: Einen schönen Tag!
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