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Bundeswehr
"Kein Grund an den Prinzipien der Inneren Führung zu rütteln"

Trotz des Bundeswehr-Skandals gibt es für den Generalinspekteurs der Bundeswehr, Volker Wieker, keinen Grund, die Prinzipien der Inneren Führung zu reformieren. Anders verhalte es sich mit der Frage, wie diese Prinzipien beherzigt würden. Hier gebe es durchaus Anlass für eine Überprüfung, sagte Wieker im Dlf.

Volker Wieker im Gespräch mit Rolf Clement |
    Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker
    Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker (dpa picture alliance/ Klaus-Dietmar Gabbert)
    Rolf Clement: Herr General Wieker, die Bundeswehr hat ein aufregendes halbes Jahr hinter sich. Es hat sich viel ereignet, vor allen Dingen im Inneren. Wie bewerten Sie das jetzt? Wo steht die Bundeswehr heute?
    Volker Wieker: Ja, Herr Clement, in der Tat blicken wir auf ein bewegtes halbes Jahr, dessen Verlauf auch deswegen für mich sehr bedauerlich ist, weil darüber die wirklichen Errungenschaften dieser Legislaturperiode ein wenig aus dem Blick geraten.
    Das, was Sie ansprechen, an Stimmungslage in der Bundeswehr nahm ja seinen Anfang im Rahmen eines Interviews, das die Bundesministerin dem ZDF gab. Sie nahm darin zu aktuellen Vorkommnissen Stellung und versäumte es in Ihrer Kritik, diese nun nur auf die genannten Fälle zu beschränken, sodass sie in der Bundeswehr sehr pauschal wahrgenommen wurde. Das wurde dann von vielen Seiten befeuert.
    Etwas zu kurz gekommen ist mir dabei der Umstand, dass sie dieses Versäumnis sofort einsah und sich unverzüglich, sowohl öffentlich als auch vor der Truppe auf allen Ebenen dafür entschuldigte und ihre Bemerkungen richtigstellte. Das muss man dann auch anerkennen und daraus mitnehmen, dass es uns selbst auch allen gut zu Gesicht steht, wenn wir uns etwas freimütiger zu unseren Unzulänglichkeiten und Fehlern bekennen.
    Jedenfalls erwächst daraus mehr menschliche Größe als aus reflexhafter Selbstrechtfertigung. Denn die Bundeswehr sind ja nicht nur jene, die sich in jüngerer Zeit prominent zu Wort gemeldet haben, sondern auch all die, die sich eben nicht äußern, weil sie sich schämen oder weil sie öffentliche Bloßstellung fürchten. Es sind diejenigen, die solchen Ausbildungspraktiken ausgesetzt waren – Mobbing, Verstößen gegen die Sicherheitsbestimmungen, Herabsetzung – und darunter natürlich leiden.
    Clement: Aber, wenn man durch die Truppe reist, dann stellt man fest, dass es immer noch eine große Vertrauenslücke gibt zwischen dem Soldaten vor Ort und hauptsächlich der politischen Führung, aber auch ein bisschen Ihnen gegenüber. Stellen Sie das auch fest?
    Wieker: Natürlich wird auch das zum Ausdruck gebracht. Es ist aber eher ein diffuses Gefühl, das natürlich auch durch die mediale Begleitmusik erheblich befeuert wurde. Deswegen suche ich auch, wo immer möglich, den direkten Dialog mit der Truppe, weil er am besten geeignet ist, Dinge in den rechten Rahmen zurechtzurücken.
    "In der Debatte um Tradition geraten mir die Begriffe noch ein wenig zu sehr durcheinander"
    Clement: Es gibt im Prinzip zwei Ebenen. Das eine ist ja der gesamte Bereich der Inneren Führung, der jetzt in der Debatte steht, aber besonders steht auch die Tradition im Fokus sozusagen der Überlegungen. Es gibt Überlegungen, erste Pläne für eine Neufassung, eine Überarbeitung, wie auch immer, des Traditionserlasses. Wo stehen wir da im Moment?
    Wieker: Ja, in der Debatte um Tradition geraten mir die Begriffe noch ein wenig zu sehr durcheinander. Denn wir müssen doch unterscheiden zwischen unserer Geschichte, einem ehrenvollen Gedenken aller Kriegsopfer und der Tradition. Tradition ist doch etwas, das ganz bewusst auf Ereignisse, auf Persönlichkeiten, auf Begebenheiten fußt, weil es sinnstiftend und handlungsleitend für kommende Generationen sein soll. Deswegen kann auch die Wehrmacht als Ganzes natürlich nicht traditionsstiftend sein, weil sie einem Unrechtsregime diente. Das stigmatisiert aber in keiner Weise die Wehrmachtsangehörigen. Und davon sind doch fast alle Familien in Deutschland in der einen oder anderen Weise betroffen.
    "Die Wehrmacht als Ganzes kann natürlich nicht traditionsstiftend sein"
    Die Übersichtsaufnahme zeigt am 3. Mai 2017 den Aufenthaltsraum, dem sogenannten Bunker, des Jägerbataillons 291 der Bundeswehr in Illkirch bei Straßburg. Dort war der terrorverdächtige Oberleutnant Franco A. stationiert.
    Einzeltaten innerhalb der Wehrmacht, zum Beispiel jener Mitglieder, die im Widerstand waren, seien für die heutige Bundeswehr durchaus traditionsstiftend, sagte General Volker Wieker im Dlf. (dpa / picture alliance)
    Clement: Das heißt, Sie würden Menschen aus der Wehrmacht, die der Wehrmacht gedient haben, heute als traditionswürdig bezeichnen?
    Wieker: Nein, das habe ich nicht gesagt. Die Wehrmacht als Ganzes kann natürlich nicht traditionsstiftend sein. Aber die herausragende Einzeltat, die Angehörigen des Widerstandes sind natürlich auch für kommende Generationen traditionsstiftend, wenn sie in Streitkräften dienen.
    Clement: Es wird in der Diskussion sehr viel gesagt: 'Jawohl, wir müssen jetzt auch akzeptieren, dass zur Geschichte der Bundeswehr auch die NVA gehört.' Gibt es von dort etwas, was Sie als traditionswürdig übernehmen würden?
    Wieker: Die NVA ging ja in Teilen in der Bundeswehr auf. Wir haben also auch in der Bundeswehr viele Angehörige, die vormals in der NVA gedient haben. Und natürlich gibt es auch dort den einen oder anderen – ich möchte hier als Beispiel vielleicht einen Hauptmann anführen, der die Herausgabe von Waffen und Munition kurz vor der Wiedervereinigung untersagte, weil er nicht eskalierend beitragen wollte. Und das ist natürlich ehrenwürdig und sollte auch bei uns Geltung erhalten.
    Clement: Und dann wird diskutiert, die Bundeswehrzeit, die 60 Jahre Bundeswehr, die auch jetzt natürlich schon eine eigene Tradition entwickelt hat, die ja in zwei Bereiche zerfällt, in die Bereiche zu Zeiten des Kalten Kriegs, wo die Bundeswehr praktisch hauptsächlich die Hauptaufgabe war, zu verhindern, dass irgendwas passiert, und jetzt, wo sie gestaltend in Operationen mitwirkt. Wie stellen Sie sich vor, dass man so etwas dann in eine Traditionspflege einwebt?
    Wieker: Das ist ja das Wesentliche unserer gegenwärtigen Überlegung. Es geht ja nicht darum, den bestehenden Traditionserlass in Bausch und Bogen zu reden. Ganz im Gegenteil, es geht darum, ihn zu erweitern – ihn zu erweitern um die eigene Geschichte.
    Wenn wir auf 60 Jahre Bundeswehr blicken und diesen Zeitraum einmal vor das Aufstellungsdatum der Bundeswehr legen, dann landen wir im Jahr 1895. Dann schauen wir auf drei Armeen – die Kaiserliche, die Reichswehr und die Wehrmacht. Wir schauen auf zwei Weltkriege mit ihren verheerenden Folgen für den Kontinent. Und das muss uns doch Anlass genug sein, nun auch unsere eigene 60-jährige Geschichte in den Blick zu nehmen und die traditionsstiftenden Merkmale daraus zu benennen.
    Clement: Aber damit die Bundeswehr das leben kann, dass der Soldat vor Ort auch die Tradition empfinden kann, braucht er Ereignisse, braucht er Personen aus dieser Zeit.
    Wieker: Ja.
    Clement: Suchen Sie danach? Sind Sie schon fündig geworden? Können Sie uns ein paar Anhaltspunkte geben, wie dieser Prozess stattfindet?
    Wieker: Die gibt es schon in großer Breite. Denken Sie nur an die Gründergeneration der Bundeswehr. Denn natürlich haben wir, sowohl militärisch wie auch politisch, eine große biologische Schnittmenge mit der Wehrmacht. Es waren aber gerade diese Persönlichkeiten, die auf der Grundlage ihrer gerade auch schlechten Erfahrung in der Wehrmacht Streitkräfte in der Demokratie etablierten. Von der Himmeroder Denkschrift, über die Wehrverfassung, über die Prinzipien der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Sie haben diese Grundsätze gegen auch große Widerstände in den eigenen Reihen durchgesetzt. Das ist in besonderer Weise anerkennenswert und fand natürlich auch internationale Wertschätzung.
    Denken Sie nur an meinen ersten Vorgänger, General Heusinger, der nach seiner Amtszeit zum ersten "Chairman des Military Committee", damals noch in Washington, ernannt wurde. Das ist schon ein großer Ausdruck von Respekt, den man ihm gegenüberbrachte. Aber eben auch die "Kielmanseggs", die "Baudissins", die "de Maizières" – all das eine Gründergeneration, die einen außerordentlichen Respekt verdient.
    Aber dann eben auch die Bundeswehr im Kalten Krieg – mit den großen REFORGER-Übungen. Eine Zeit, als sich mehr als zwei Millionen bewaffnete Soldaten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gegenüberstanden. Über die Armee der Einheit – und wir haben eben darüber gesprochen, welche Persönlichkeiten dort Erwähnung finden können, aber auch die Standorte, die dort hin platziert wurden. Denken Sie an die Offiziersschule des Heeres in Dresden. Dann die Armee im Einsatz, von Belet Huen in Somalia, über Afghanistan, den Balkan, bis heute nach Mali. All das ist schon in besonderer Weise traditionsstiftend.
    Clement: Aber festmachen an bestimmten Personen können Sie die Einsatzzeit oder wollen Sie die Einsatzzeit nicht?
    Wieker: Doch, natürlich.
    Clement: Ja?
    Wieker: An Personen, an Ereignissen, an Begebenheiten. Nur, das muss aufgearbeitet werden. Und das ist nach meiner Einschätzung bisher noch nicht hinreichend geschehen.
    Clement: Deswegen braucht man etwas mehr Zeit als ursprünglich geplant war für diesen Prozess?
    Wieker: Ja, es geht darum, diese ganze Geschichte einmal so aufzuarbeiten, dass sie auch für den Angehörigen einer Einheit, einer Teileinheit, eines Verbandes an einem Standort, irgendwo in Deutschland greifbar wird.
    "An den Prinzipien der Inneren Führung erkenne ich keinen Reformbedarf"
    Clement: Gibt es denn darüber hinaus im Bereich Innere Führung einen Reformbedarf? Oder aber ist das, was wir in diesem halben Jahr erlebt haben, Versagen von Einzelnen?
    Wieker: Nein, an den Prinzipien der Inneren Führung erkenne ich keinen Reformbedarf. Denn sie sind ja wertebasiert und Werte sind universell uns zeitlos. Es ist die Verpflichtung aller Soldatinnen und Soldaten auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es ist die Bindung soldatischen Handelns an Recht und Gesetz. Und es ist die Anerkennung des Gewissens als moralische Instanz. All das zusammen löst ja ein wenig das Spannungsverhältnis zwischen dem militärischen Prinzip von Befehl und Gehorsam und den Rechten als Staatsbürger auf. Und von daher werde ich natürlich in keiner Weise zulassen, dass an diesen Prinzipien gerüttelt wird.
    Etwas anders verhält es sich mit der Frage: Wie werden diese Prinzipien heute beherzigt und vorgelebt? Und das bedarf in der Tat einer Überprüfung angesichts der jüngeren Vorkommnisse, die man ja in der Tat auch nicht mehr als Einzelfälle bezeichnen kann. Denn ich erhalte ja täglich Meldungen über solche Verstöße.
    Daher möchten wir uns mit der Frage auseinandersetzen: Was hält uns eigentlich tatsächlich davon ab, diese Grundsätze so vorzuleben, wie wir es uns alle wünschen? Und dazu möchten wir uns, ganz unten beginnend auf der Kompanie-Ebene, bis in die oberen Hierarchien hinein unterhalten: Was hindert euch daran, Innere Führung richtig vorzuleben? Was können wir unternehmen, um dieses Bewusstsein wieder ins rechte Licht zu rücken?
    Clement: Man hat ja manchmal den Eindruck, dass, wenn so was passiert, auch das Meldeaufkommen größer wird, zumindest das Meldeaufkommen, was hier im Ministerium bei der Ministerin und bei Ihnen ankommt. Haben Sie das Gefühl, dass das so ist, dass wir jetzt mehr Leute haben, die sich in der Spitze melden? Sie wurden ja auch aufgefordert: 'Schreibt Briefe bis in die politische Leitung hinein.' Dass hier jetzt Dinge anlanden, die früher einfach unten erledigt worden sind?
    Wieker: Das will ich gar nicht mal sagen. Tatsächlich ist ein erhöhtes Meldeaufkommen – das ist auch nicht nur ein Gefühl, sondern das ist ja eine tatsächliche Feststellung – auch Ausdruck einer größeren Sensibilität in der Truppe. Und vielleicht ist es auch so, dass wir Dinge jetzt zur Meldung bringen, bei denen in früheren Zeiten auch einmal weggeschaut wurde. Das ist durchaus etwas sehr Positives und wird auch anerkannt.
    Es ist für mich viel mehr dann eben auch Anreiz genug, uns genau mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, wie ich sie eben erörtert habe.
    Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk heute der Generalinspektor der Bundeswehr, Volker Wieker. Herr Wieker, in diesem schwierigen Bereich, den wir jetzt ausgelotet haben, was würden Sie denn einem Kameraden, einem Generalskameraden empfehlen, der aufgefordert wird, sich öffentlich zu äußern?
    Wieker: Ich würde ihm raten – und das habe ich immer getan –, sich dann auch so zu äußern, wie er es für richtig hält.
    Clement: Also, durchaus eine Bandbreite zulassen?
    Wieker: Ja, natürlich.
    "Ich kann in keiner Weise Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft erkennen"
    Deutsche Soldaten der EUTM Mali am 07.05.2013 bei der Ausbildung der malischen Pioniere in Koulikoro (Mali).
    Die Bereitschaft, in den Einsatz zu gehen, sei bei den Bundeswehrsoldaten weiterhin hoch, sagte General Volker Wieker. (picture alliance / dpa / HF Falk Bärwald)
    Clement: Ist das, was wir an Klima besprochen haben, eigentlich für die Bundeswehr einsatzgefährdend?
    Wieker: Nein. Natürlich wirkt eine solche Stimmungslage auf die Motivation. Aber ich kann in keiner Weise Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft erkennen. Ich habe noch vor Kurzem mit meinem georgischen Kollegen die Truppe in Afghanistan besucht. Erst vor einigen Wochen war ich in Niger und in Mali und noch in der vorletzten Woche bei unserem Einsatzverband im Rahmen der Enhanced Forward Presence in Litauen. Die Soldatinnen und Soldaten leisten einen herausragenden Dienst dort. Und ich kann überhaupt keine Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft erkennen.
    Clement: Sie haben gerade einige Einsatzorte genannt. Gehen Sie denn davon aus, dass Flugoperationen von Jordanien aus beginnen können?
    Wieker: Die entscheidende Frage ist gar nicht mal, wann wir den Einsatz von Jordanien aus bestreiten, sondern wie es uns gelingt, die Lücke der Bereitstellung unserer Fähigkeiten, Betankung und Aufklärung, so gering wie möglich zu machen. Das wird bei den Tankern sehr schnell gelingen. Da sprechen wir von einigen Tagen. Bei den Aufklärungsflugzeugen wird es aber einer erheblichen und umfangreichen Verlegung bedürfen.
    Diesen Zeitraum versuchen wir auf ein Minimum zu beschränken, sodass ich davon ausgehe, dass wir sicher Ende September, Anfang Oktober die Aufklärungseinsätze von Jordanien aus bestreiten werden.
    Clement: Das ist für jemanden, der von außen da draufguckt - da muss ein Verband umziehen unter Einsatzbedingungen, in einer Einsatzarmee und das dauert über zwei Monate -, schwer nachvollziehbar.
    Wieker: Nicht ganz, wenn Sie bedenken, was ich eingangs sagte. Es geht ja nur um die Lücke in der Bereitstellung der Fähigkeit. Der Beginn Anfang Oktober oder Ende September aus Jordanien heraus heißt ja nicht, dass wir bis dahin keine Einsätze mehr aus Incirlik fliegen. Die werden wir, solange es eben geht, von dort aus tätigen, sodass wir dann in einem Zuge – und das wird dann ein überschaubarer Zeitraum sein – die Fähigkeit aus Jordanien bereitstellen.
    "Wir werden die Grundmobilisierung der Streitkräfte einleiten"
    Schützenpanzer des Typs Marder werden am 21.02.2017 auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr (Bayern) auf einen Zug verladen. 
    Mehr Planstellen, mehr Material, Modernisierung: General Volker Wieker zieht eine positive Bilanz der aktuellen Entwicklung der Bundeswehr-Ausstattung. (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Clement: Sie haben gerade eingangs in der ersten Antwort darauf hingewiesen, dass sehr viel Positives in dieser Legislaturperiode durch die aktuelle Diskussion eigentlich untergeht. Ziehen Sie mal positive Bilanz.
    Wieker: Ja. Zunächst einmal möchte ich die sozialen Verbesserungen ansprechen, die wir für alle Soldatinnen und Soldaten erreichen konnten. Die Planstellenanhebungen, die Neuregelung der Zulagen, eine dauerhafte Regelung des Umzugsrechtes, den Status einsatzgleicher Verpflichtungen, ähnlich wie die Einsätze abfinden zu können. All das sind schon Errungenschaften, die sich sehen lassen können.
    Hinzu dann die großen Trendwenden. Personal, Finanzen, Material. Das erste Mal wachsen Streitkräfte wieder. Und das setzt uns in die Lage, die Schere zwischen Auftrag und Ressourcen wieder ein wenig zu schließen. Wir werden und haben bereits damit begonnen, eine auftragsgerechte Ausstattung der bestehenden Strukturen zu erreichen. Und wir werden die Grunderneuerung der Streitkräfte einleiten.
    Die Grunderneuerung – maßgeblich verursacht durch den Modernisierungsstau bei der Landmobilität – geschützt und ungeschützt –, beim strategischen Lufttransport, bei der mobilen taktischen Kommunikation, bei der Erneuerung der Flotte. Also, mithin eine Perspektive, die sich wirklich sehen lassen kann und die, wenn Sie mich zu Beginn der Legislaturperiode gefragt hätten, in keiner Weise absehbar war. Natürlich auch befördert durch die sicherheitspolitische Entwicklung in unserem Umfeld. Aber eben auch organisiert und möglich gemacht durch Mehrheiten im Parlament, also mit breiter parlamentarischer Unterstützung.
    Clement: Sie haben es angesprochen. Da hat sich die sicherheitspolitische Lage verändert. Wie beurteilen Sie das denn im Moment? Wie stark sind unsere östlichen Nachbarn zum Beispiel immer noch bedroht oder im Bedrohungsgefühl aus Russland?
    Wieker: Daran hat sich in der jüngeren Vergangenheit nichts Wesentliches geändert. Gerade in der vorvergangenen Woche in Litauen konnte ich spüren, wie eine Vornepräsenz der alliierten Kräfte dort wirkt. Die Begeisterung, kann man sagen, mit der unsere Soldaten dort empfangen wurden, und die herzliche Aufnahme erinnerte mich ein wenig an das geteilte Berlin im Kalten Krieg, als alle regierenden Bürgermeister größten Wert auf die alliierte Präsenz in der geteilten Stadt legten.
    Clement: Es gehört auch zur sicherheitspolitischen Lage, dass die Terrorbedrohung sich verändert hat. Da kommen immer wieder Diskussionen auf, inwieweit die Bundeswehr sich auch im Inneren daran beteiligen kann. Im Frühjahr gab es eine Übung, "Getex", wo das zum ersten Mal getestet wurde, wie die Bundeswehr sich einfügen kann in katastrophische Lagen. Man hört so aus dem Bereich der Innenpolitiker, dass es da bei der Bundeswehr noch ein bisschen Nachholbedarf gibt, dass vor allen Dingen die Entscheidungen zu lang dauern, dass es zu schwierige Wege bei der Bundeswehr gibt. Sehen Sie das auch so?
    Wieker: Ja, zunächst einmal bin ich dankbar, dass wir diese Übung überhaupt durchführen konnten. Gerade aus den Reihen derer, die Sie eben nannten, gab es ja auch den einen oder anderen Widerstand.
    Nun haben wir geübt und daraus entstanden natürlich auch eine Menge "Lessons Learned", die wir nun auswerten und umsetzen. Sie beginnen in der Weiterentwicklung der Verfahren, in der Zusammenarbeit mit der Bundespolizei und der Polizeien der Länder, setzen sich dann fort über eine verbesserte Ausstattung unserer gesamten Verbündungsorganisationen, bis in die Länder hinein und münden schließlich in die zeitgerechte Bereitstellung von Ressourcen, bei einem Ereignis, das mit keiner großen Vorwarnzeit eintritt und sofortiges Handeln erfordert.
    Clement: Wenn wir mal die Einsätze der Bundeswehr uns angucken, dann gibt es viele, über die in der deutschen Öffentlichkeit kaum noch gesprochen wird. Manche wissen gar nicht mehr, dass das überhaupt noch stattfindet. Kosovo, der Antipirateneinsatz vor Somalia, der Einsatz vor dem Libanon. Die werden immer mal wieder erwähnt, wenn sie verlängert werden. Sind die alle noch nötig? Wer wird da überall noch militärisch gebraucht?
    Wieker: Ja, eine ganz wesentliche Erkenntnis aus unseren Einsätzen lautet ja, von Anbeginn das, was wir tun, nachhaltig anzulegen. Wenn Sie sich erinnern, waren zu Beginn des Einsatzes zum Beispiel auf dem Balkan, im Kosovo fast 12.000 Soldaten eingesetzt. Heute sprechen wir noch von 600. Das heißt, über einen Zeitraum von nunmehr 17 Jahren eine kontinuierliche Abnahme, aber eben eine immer noch bestehende Präsenz, die dem sicherheitspolitischen Rahmen dort vor Ort insgesamt gerecht wird.
    Gegenwärtig gibt es eine Roadmap zum Abbau der Kräfte bis zum Ende des Jahres und eine sogenannte Minimalpräsenz, die danach noch erforderlich sein wird. Das zeigt eben durchaus auch den Erfolg dieses Einsatzes, auch über einen so langen Zeitraum, der dann eben überführt werden kann in eine sehr minimale Präsenz vor Ort.
    "Auf militärischer Ebene spüren wir den Wechsel in der Administration eigentlich nicht"
    Das Archivbild zeigt mehrere Kampfjets der Bundeswehr in Incirlik. Sie werden von orangenem Licht angestrahlt.
    Trotz der Unstimmigkeiten mit der Türkei und der Truppenverlegung von Incirlik nach Jordanien bestehe auf militärischer ebene noch immer eine pragmatische Zusammenarbeit, sagte General Volker Wieker im Dlf. (dpa / Bundeswehr)
    Clement: Herr Wieker, ich habe noch eine Schlussfrage. Wir haben in verschiedenen Bereichen politische Schwierigkeiten. Wir haben sie mit der Türkei. Wir haben sie mit den USA. Welche Auswirkungen hat das auf die militärische Zusammenarbeit mit diesen beiden Ländern?
    Wieker: Nun, ich fange mal mit den Vereinigten Staaten an. Dort spüren wir auf militärischer Ebene den Wechsel in der Administration eigentlich nicht. Das mag damit zusammenhängen, dass die Akteure selbst die gleichen sind und nicht gewechselt haben. Es ist aber auch Ausdruck einer gewachsenen Zusammenarbeit über Jahrzehnte eines gegenseitigen Vertrauens, das auch nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird, und zwar von beiden Seiten nicht.
    Mit der Türkei verhält es sich etwas anders. Sie erinnern sich, dass es ja im Wesentlichen um eine politische Auseinandersetzung ging, als auf der Grundlage der Armenienbefassung im Deutschen Bundestag die Türkei das Junktim herstellte zu einem Besuchsverbot deutscher Truppen in der Türkei. Das war in keiner Weise tolerierbar und führte zu der Reaktion der Verlegung, wie sie nun ansteht.
    Darunter besteht auf militärischer Ebene durchaus noch eine sehr pragmatische Zusammenarbeit. Vielleicht auch deswegen, weil sich das Militär noch recht gut daran erinnert, dass wir es waren damals, vor nicht allzu langer Zeit, die mit der Bereitstellung von Flugabwehrsystemen die Türkei vor einer Bedrohung syrischer Kurz- und Mittelstreckenraketen schützten. Wir kooperieren auch noch auf dem Flaggschiff in der Ägäis. Dort haben wir ein türkisches und ein griechisches Verbindungskommando mit an Bord. Und diese Zusammenarbeit möchten wir – auch von beiden Seiten, jedenfalls ist das meine Wahrnehmung – bis heute auch nicht gefährden.
    Also, man muss, glaube ich, hier sehr stark trennen zwischen der politischen Entwicklung und dem, was wir weiterhin als militärisch geboten betrachten. Insofern, denke ich, bindet das das ganz gut ab.
    Clement: Herr Wieker, herzlichen Dank für dieses Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.