Archiv

Bundeswehr
"Mängel haben strukturelle Ursachen"

Agnieszka Brugger hat den Forderungen nach einer Erhöhung des Wehretats eine Absage erteilt. Die Mängel bei der Bundeswehr hätten vielmehr "strukturelle Ursachen", sagte die Obfrau der Grünen im Verteidigungsausschuss im Deutschlandfunk. Die Bundesverteidigungsministerin müsse sich zudem stärker mit Personal und Ausrüstung beschäftigen.

Agnieszka Brugger im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Ein Techniker überprüft die Turbinen einer Transall-Maschine der Bundeswehr.
    Agnieszka Brugger, Obfrau der Grünen im Verteidigungsausschuss des Bundestags. (AFP / Axel Heimken)
    "Es stellt sich die Frage, ob die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gewährleistet ist", sagte Brugger. "Denn es gibt gravierende Mängel, vor allem bei den Hubschraubern." Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe mehr "deutsche Verantwortung angekündigt", sich aber im Vorfeld offenbar nicht ausreichend mit Personal und Material der Bundeswehr auseinandergesetzt.
    Die Probleme seien dabei nicht bei den Finanzen der Bundeswehr zu suchen, schließlich sei in den letzten Jahren im Wehretat eine Milliarde nicht ausgegeben worden. Es müsse stattdessen an den Strukturen gearbeitet werden. Es gebe "Probleme bei Verträgen zur Instandhaltung und zur Wartung des bestehenden Materials, aber auch für neues Material". Bestellungen der Bundeswehr kommen immer später und seien teurer als gedacht. "Es kann nicht sein, dass bei diesen Verträgen Steuerzahler und Bundeswehr das Nachsehen haben", sagte Brugger.

    Das Interview in voller Länge:

    Christoph Heinemann: "Die Ministerin habe noch nicht verinnerlicht, dass man einem Flugzeug nicht befehlen kann zu fliegen, wenn wichtige Ersatzteile fehlen." So zitiert die "Bild"-Zeitung heute einen Anonymus aus der Bundesluftwaffe. Das gilt auch für die anderen Teilstreitkräfte, also fürs Rollen auf dem Lande und die Fortbewegung zu Wasser. Viel Gerät ist kaputt!
    Am Telefon ist Agnieszka Brugger, die Obfrau der Grünen im Bundestags-Verteidigungsausschuss. Guten Tag.
    Agnieszka Brugger: Guten Tag.
    Heinemann: Frau Brugger, wie viel Abschreckung geht von einem Schrotthaufen aus?
    Brugger: Es stellt sich natürlich die Frage, ob die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr noch gewährleistet ist, angesichts der vielen Meldungen der letzten Woche, und da ist es auch so, dass der Ausschuss das auf Eigeninitiative erst beantragt hat, hier unterrichtet zu werden. Es sind wirklich gravierende Mängel vor allem bei den Hubschraubern ans Tageslicht gekommen und ich muss schon sagen, eine Ministerin, die jetzt fast ein Jahr im Amt ist und angekündigt hat, dass Deutschland jetzt mehr Verantwortung übernehmen soll, muss sich doch vorher mit der Frage beschäftigen, wie es um Material und Personal bestellt ist und ob das überhaupt möglich ist, ob man durchhaltefähig ist. Gerade bei den Fähigkeiten Lufttransport/Sanität, die sie ja immer wieder auch international anbietet, hat sie sich offensichtlich vorher kein Bild gemacht.
    "Auch für die laufenden Einsätze ergeben sich schon Probleme"
    Heinemann: Wie ist denn Ihre Antwort auf die Frage, wie einsatz- und abwehrbereit die Bundeswehr ist?
    Brugger: Es sind wie gesagt wirklich große Lücken und gravierende Mängel zutage getreten. Das betrifft vor allem die Hubschrauber. Wir hatten am Montag die Situation, dass die Fregatte Lübeck für den Atalanta-Einsatz ausläuft und die Marinehubschrauber nicht mit an Bord sind, und wir Abgeordnete wurden darüber erst an dem Tag in Kenntnis gesetzt über diesen Zustand, wo man sieht, auch für die laufenden Einsätze ergeben sich schon Probleme, insbesondere bei den Hubschraubern, bei der Fähigkeit Lufttransport, aber auch, wenn man sich den Personalzustand im Sanitätswesen anschaut, gibt es einfach sehr große Defizite und Lücken und da muss man erst mal sich ein umfängliches Bild verschaffen. Dazu war die Ausschusssitzung am Mittwoch ein erster Anfang, aber auch da sind noch lange nicht alle Fragen geklärt und noch lange nicht alle Fragen wirklich auch transparent beantwortet worden.
    Heinemann: Die Ministerin verweist ja unter anderem auf die Schlamperei der Industrie, mit dem Blick auf die unendliche Geschichte des Transportflugzeuges A400M. Bilden die gegenwärtigen Schwierigkeiten ein Zwischentief, oder ist die Bundeswehr strukturell kaputt?
    Brugger: Ich glaube, dass es schon für diese zahlreichen Probleme auch strukturelle Ursachen gibt, weshalb Frau von der Leyen jetzt eigentlich ein Gesamtkonzept für den Bereich Beschaffung und Materialerhalt auf den Tisch legen müsste. Dazu gehören natürlich auch Probleme bei den Verträgen. Es scheint, offensichtlich große Defizite zu geben bei den Verträgen auch zur Instandhaltung und zur Wartung des bestehenden Materials, aber natürlich auch bei den Beschaffungsprojekten für die Zukunft. Da sehen wir, es wird immer teurer, es kommt immer später als ausgemacht und entspricht dann auch nicht dem geforderten Leistungsumfang. Also muss man hier, glaube ich, auch ganz grundsätzlich Konsequenzen ziehen und es kann nicht sein, dass bei diesen Verträgen der Steuerzahler und natürlich auch die Bundeswehr immer das Nachsehen hat. Da, muss ich sagen, sehe ich auch noch nicht, dass Frau von der Leyen eine wirkliche Antwort präsentiert, nachdem sie den zuständigen Staatssekretär vor über einem halben Jahr gefeuert hat und ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, dessen Auftrag dann aber schnell sehr zusammengeschrumpft ist.
    Agnieszka Brugger, verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion
    Brugger: "Also scheinen eigentlich nicht die Finanzen das Problem zu sein, sondern es gibt eher strukturelle Ursachen." (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Heinemann: Stimmen denn die Prioritäten der Ministerin, erst die Wohlfühlkasernen schaffen, statt alles Geld für Instandsetzung und Beschaffung auszugeben?
    Brugger: Die Ministerin muss sich natürlich nach der Aussetzung der Wehrpflicht mit der Frage beschäftigen, wer kommt mit welcher Qualifikation und Motivation zur Bundeswehr. Deshalb ist es auch wichtig, dass sie sich dem Thema Attraktivität gewidmet hat. Aber gerade wenn sie selbst zu Jahresanfang die Botschaft rausgibt, wir brauchen jetzt eine neue deutsche Verantwortung in der Welt, dann muss man sich im Vorfeld damit auseinandersetzen, was haben wir, was ist einsatzfähig, was ist auch von Personal und Material her möglich. Das hat sie nicht getan und ich sehe auch nicht, dass jetzt wirklich diese Probleme strukturell angegangen werden. Der nächste Fall ist ja schon wieder das Engagement bei der Ebola-Krise. Auch da gab es schöne Ankündigungen, den großen Freiwilligen-Aufruf, aber unheimlich viele Fragen sind noch offen und die nächste Transall-Maschine ist wieder auf dem Weg dahin aufgrund von technischen Pannen in Gran Canaria zwischengelandet. Also da gibt es viel zu tun und damit muss man sich eher gestern als morgen beschäftigen.
    "System offensichtlich von Missmanagement und Intransparenz gekennzeichnet"
    Heinemann: Das alles hat eine Vorgeschichte. Die Grünen haben ja zusammen mit der SPD die Bundeswehr in Auslandseinsätze geführt, 1999 der Kampfeinsatz im Kosovo. Hätte man damals nicht mit dem Paradigmenwechsel auch den Wehretat deutlich erhöhen müssen?
    Brugger: Ich kann auch die Forderungen, die jetzt ja sehr stark aufkommen, nach der Erhöhung des Wehretats wirklich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich halte das für völlig unverantwortlich, Geld in ein System zu stecken, das offensichtlich von Missmanagement und Intransparenz gekennzeichnet ist. Es sind ja auch in den letzten Jahren immer über eine Milliarde Euro nicht ausgegeben worden. Also scheinen eigentlich nicht die Finanzen das Problem zu sein, sondern es gibt eher strukturelle Ursachen, die in den ganzen Prozessen zu suchen und zu finden sind. Darauf muss man Antworten geben.
    Ich glaube auch, dass natürlich die Bundeswehr sich in den letzten Jahren in einem permanenten Reformzustand auch vor dem Hintergrund der Auslandseinsätze befindet. Da gab es natürlich auch richtige Weichenstellungen und Entscheidungen. Aber gerade auch die letzte Bundeswehrreform unter de Maizière hat ja dazu geführt, dass man das Prinzip Breite vor Tiefe eingeführt hat, wir erhalten alle Fähigkeiten in unzureichender Quantität, in mangelnder Qualität. Das kann so nicht funktionieren und deshalb muss auch die Bundeswehrreform korrigiert werden.
    Heinemann: Agnieszka Brugger, die Obfrau der Grünen im Bundestags-Verteidigungsausschuss. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Brugger: Sehr gerne - auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.