Clement: Herr Bartels, Sie sind jetzt rund 100 Tage im Amt. Wie gefällt Ihnen das neue Amt?
Bartels: Es ist ein einzigartiges Amt in Deutschland und auch international und extrem spannend einer Zeit, wo sich sicher politisch doch einiges verändert, die Bundeswehr noch in der Umstrukturierung steckt und ich, glaube ich, von diesem Amt aus doch einiges auch dafür tun kann, dass der Dienst für die Soldaten in der Bundeswehr besser werden kann.
Clement: Was sind denn die Haupteingaben in diesem Jahr, die Sie jetzt schon wahrgenommen haben?
Bartels: Der letzte große Berg waren Problem bei der Beihilfe, also Krankenkosten, die Abrechnung hat sich enorm verzögert wegen Umorganisation, durch die letzte Bundeswehrreform, das ist jetzt abgearbeitet. Im nächsten Jahr, nehme ich an, werden wir einen Berg bekommen wegen der neuen Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union, die dann auch in der Bundeswehr komplett umgesetzt werden muss. Ein völliger Paradigmenwechsel, eine Veränderung, die auch Mentalitäten in der Truppe verändern müsste, Umgang mit der Ressource "Arbeitszeit" wird pfleglicher werden müssen. Also es ist nicht mehr ohne Ende Zeit da; es sind Menschen, die mit Ihrer Zeit planen wollen und in Zukunft auch planen können sollen. Das wird besser, aber wie genau das organisiert sein soll, darüber wird jetzt noch in den einzelnen Teilstreitkräften heftig diskutiert. Ich bin mal gespannt. Ich rechne damit, dass es da zum nächsten Mal knirscht.
Es muss nachgesteuert werden
Clement: Da ist die Bundeswehr noch nicht ausreichend vorbereitet, nach Ihrer Einschätzung?
Bartels: Nicht wirklich. Also, das geht ja los von Arbeitszeiterfassungsgeräten bis hin zu der Organisation von Dienst- und Übungsplänen.
Clement: Sie haben gerade angetippt, dass die Bundeswehr ja in einem Umstrukturierungsprozess ist, in einer neuen Bundeswehrreform. Nun haben sich, seitdem diese Reform geschrieben ist, die sicherheitspolitischen Rahmendaten ja schon wieder verändert: Russland-Ukraine-Krise, NATO-Speerspitze, um einige Stichwörter zu nehmen. Muss man da schon wieder planerisch nachsteuern?
Bartels: Nachsteuern in jedem Fall. Die letzte Reform von 2011 war ja ausschließlich finanzpolitisch getrieben, das war eine Spar-Reform, es sollte Geld gespart werden. Die Bundeswehr wurde kleiner, die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, der damalige Verteidigungsminister sagte zu, große Milliardenbeträge im Haushalt nochmal einsparen zu können. Spätestens nach den Ereignissen des letzten Jahres und der neuen Unsicherheit, die wir in Osteuropa erleben, aber auch nach alldem was wir im Süden, also in der südlichen Peripherie Europas erleben mit dschihadistischem Terrorismus und Vertreibungen von Menschen aus ihren Ländern, kann man nicht sagen, dass die Welt ruhiger oder sicherer geworden ist. Sondern es sind neue Gefahren entstanden, zum Teil welche, die ein bisschen aussehen wie alte. Deshalb ist das Thema "kollektive Verteidigung in Europa" wieder eines, was in der NATO, in der Europäischen Union und dann natürlich auch in Deutschland und für die Bundeswehr diskutiert wird. Auf dem Weg zu einem neuen Weißbuch, das nächstes Jahr ja veröffentlicht werden soll, sind das die großen Themen. Also die Wiederherstellung der Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung und die volle Ausstattung der Bundeswehr, also weg von den hohlen Strukturen, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Vollausstattung ist keine Aufrüstung
Clement: Reicht es aus, das ins Weißbuch zu schreiben? Braucht die Bundeswehr weitere neue Planungsgrundlagen?
Bartels: Also, man muss das nicht nur ins Weißbuch schreiben, sondern zum Beispiel auch in den Haushalt. Es wird Geld kosten, wenn man von den hohlen Strukturen weg will und wieder 100 Prozent Ausstattung, also die Ausstattung, die in den Strukturen der Bundeswehr eigentlich da sein sollte, haben will. Die 100 Prozent braucht man, um ausbilden zu können, um zu üben und um Material zu haben für Auslandseinsätze, wie wir sie jetzt kennen, Out-of-Area-Einsätze mit relativ kleinen Kontingenten. Aber bisher oder nach der letzten Reform war die Ansage: Der eine Verband leiht dem anderen, wenn er in den Auslandseinsatz geht, dann hat er selbst zwar nichts mehr zum Üben, wenn er mal üben will, leiht er sich es vom dritten Verband. Also diese Mangelwirtschaft in der Bundeswehr ist der heutigen sicherheitspolitischen Lage nicht mehr angemessen und im Übrigen, das ist auch nicht attraktiv für Soldaten, die ja ihren Dienst tun wollen, die ja ausbilden und üben wollen.
Clement: Bei der Sperrspitzen-Übung, die vor der Sommerpause stattgefunden hat, musste der Verband, der da hin geht, aus 56 anderen Einheiten Material zusammenholen. Ist die Bundeswehr unter den Voraussetzungen überhaupt bündnisfähig in Moment?
Bartels: Die gute Nachricht ist: Das ist ja noch die Testphase der NATO Response Force, also der sehr schnellen Eingreiftruppe dieser NATO Response Force. Und Deutschland hat auch sehr zu Recht gesagt: Wir sind vorne mit dabei; wir üben mal mit als Erste, wie das geht. Und dass man das nötig hat, zu üben, und dass man dabei Erkenntnisse gewinnt, das haben wir jetzt gerade gesehen. Also diejenigen, die das geplant haben, sind sehr bewusst in ihren Mängelanzeigen. Also wenn sie sagen: Das alles fehlt, das sagen sie ja nicht, um zu sagen: Die Bundeswehr taugt nichts, sondern: Wir bräuchten das jetzt mal. Wir brauchen die volle Ausstattung aller Verbände. Das Gerät ist ja da, aber es musste eben zusammengeborgt werden aus der ganzen Bundeswehr und das kann kein Dauerzustand sein.
Die Mangelwirtschaft muss abgeschafft werden
Clement: Wie hoch schätzen Sie den Nachrüstungsbedarf, sag ich mal, um auf diese 100 Prozent zu kommen?
Bartels: Ich kann da keine Summe nennen, aber es werden Milliarden sein über die nächsten Jahre. Wir haben nach der letzten Bundeswehrreform diese Vorgabe, dass 70 Prozent des Großgeräts ausreichen sollen, also 70 Prozent der Panzer, 70 Prozent der Schützenpanzer, 70 Prozent der Artilleriesysteme. Zum Teil ist das Material inzwischen auch schon abgegeben, das heißt, es ist nicht mehr da, zum Teil ist es noch da. Da hat der Inspekteur des Heeres - sehr zu Recht -, der neue Inspekteur, als Erstes Weisung erteilt, jetzt nichts mehr abzugeben. Also nichts außer Dienst zu stellen, was man noch brauchen kann und vor allem nicht, bevor das Neue nicht da ist. Denn die Bundeswehr - und das ist vielleicht auf Ihre letzte Frage der zweite Teil der Antwort -, die Bundeswehr ist ja in der guten Lage, dass sie in fast allen Bereichen gerade in einer Phase der Modernisierung ist, überall kommt neues Gerät. Also die Modernisierung muss nicht erst beschlossen werden, die ist beschlossen und sie läuft - mit allen Krankheiten, Kinderkrankheiten, die neues Gerät hat, mit allen Verzögerungen, Verteuerungen, Einführungsproblemen, vom A400M, dem großen Transportflugzeug, bis zum Schützenpanzer Puma. Das ist bestellt, das kommt - zum Teil nicht in der richtigen Stückzahl. Aber dieses Problem hat die Bundeswehr nicht, wie einige andere Armeen in Europa das haben, dass sie mit wirklich sehr altem Gerät in die Zukunft gehen. Also die Bundeswehr ist im Modernisierungsprozess, aber das hat alles sehr lange gedauert und wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Man hat in den letzten zwei Jahrzehnten das Gefühl gehabt, es ist ja nichts eilig, es ist nicht existenziell. Für die Out-of-Area-Einsätze, also Balkan, Afghanistan, Mali, kann man das Gerät immer zusammenbekommen, das ist auch State of the Art, das ist modern, da haben die anderen nichts Besseres. Aber für die ganze Bundeswehr war eben keine Eile geboten, es musste nicht schnell gehen. Das hat sich jetzt geändert. Die Zeitpläne müssen synchronisiert werden, es muss beschleunigt werden und die Lücken müssen wieder gefüllt werden. Also da, wo man in der Vergangenheit dachte, man kann die Mangelwirtschaft systematisieren, muss man die Mangelwirtschaft jetzt wieder abschaffen.
Die Modernisierung der Streitkräfte läuft
Clement: Wo würden Sie denn die Prioritäten setzen vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man nicht alles Geld auf einmal bekommt für eine 100-prozentige Ausstattung? Wo brennt es am meisten?
Bartels: Also das muss erst mal das Ministerium klären. Die Mängelanzeigen sind auch im letzten Jahr im Verteidigungsausschluss schon sehr deutlich gemacht worden. Da hatten wir mal eine Diskussion über die Klarstandsrate bei den Hauptwaffensystemen, und da konnte man sehr gut sehen, wo es fehlt. Aber es geht mit kleinem Gerät los: Von der Nachtsichtbrille über den Poncho bis zur Ausrüstung mit Handwaffen. Das ist alles nicht so teuer, das kostet nicht das Gleiche wie ein Eurofighter oder ein A400M, sondern das sind überschaubare Beträge für Gerät, das technisch schon abgenommen ist, das man nur beschaffen muss. Also da sind die ersten Lose geliefert, aber eben keine volle Ausstattung. Wenn man das jetzt mal priorisiert, würde man schon schnellen Effekt haben und würde übrigens auch schaffen, den Verteidigungshaushalt komplett auszuschöpfen. Auch ein Problem der letzten paar Jahre, dass noch nicht mal das Geld, das zur Verfügung stand, ganz ausgegeben wurde. Man hatte einerseits die großen Löcher und andererseits Geld über. Das hat Frau von der Leyen erkannt und ihre Staatssekretäre arbeiten daran. Teuer sind die Großprojekte A400M, Tiger, NH-90, Puma, die neuen Fregatten, das neue Luftverteidigungssystem - alles bestellt und auch sinnvoll. Das ist die Modernisierung der Bundeswehr in der Mitte Europas, auf die andere ja auch gucken. Also das ist sozusagen der gute Teil der Nachricht. Der Schlechte ist: Es ist alles noch nicht fertig und es ist zeitlich nicht gut synchronisiert und wird am Ende möglicherweise teurer, als ursprünglich gedacht. Das Rüstungswesen ist einer der Gegenstände dieser neuen Spitze im Ministerium, mit denen die sich auseinandersetzen, was sie nochmal grundlegend reformieren wollen. Keine neue Reform der Bundeswehr - da nur nachsteuern -, aber das Rüstungsmanagement muss, glaube ich, sehr grundlegend reformiert werden.
Clement: In der übernächsten Woche wird der Deutsche Bundestag den Haushalt beraten. Das, was Sie gerade schon beschrieben haben an Forderungen, ist das abgebildet im neuen Haushalt?
Bartels: Also der jetzige Haushaltsentwurf für 2016 sieht eine deutliche Steigerung vor, die aber im Wesentlichen Gehaltssteigerungen und Besoldungsverbesserungen abdeckt - 800 Millionen Euro allein dafür. Das Attraktivitätsprogramm, das in diesem Jahr beschlossen worden ist, mit nochmal etwa 300 Millionen. Das sind gute Signale. Also es ist ja besser, als wenn man Gehaltssteigerungen erwirtschaften müsste aus einem Haushalt, der gleich bleibt - also das wird zusätzlich abgedeckt -, aber für Investitionen, für die Vollausstattung der Bundeswehr ist noch gar keine Vorsorge getroffen.
Keinen Grund, weniger für Verteidigung auszugeben
Clement: Vor einem Jahr hat die NATO beschlossen, mit Zustimmung der Bundesregierung - denn sonst wäre es ja nicht zu dem Beschluss gekommen -, dass man zwei Prozent des Bruttosozialprodukts ausgeben sollte für die Sicherheit, für die jeweiligen Streitkräfte - wir liegen bei unter 1,2 Prozent.
Bartels: Das ist so. Und ich glaube, das Problem wird inzwischen auch in der Bundesregierung gesehen, dass man jedenfalls in der Quote Verteidigungshaushalt zu Wirtschaftsleistung des Landes, also zum Bruttosozialprodukt, nicht noch zurückfallen darf. Also genau ist jetzt für den Haushalt 2016 die Quote 1,17 Prozent - Verteidigungsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt -, das sollte man die nächsten Jahre dann mal mindestens halten, vielleicht ein bisschen stärker werden, Richtung 1,2 Prozent. Das ist dann noch weit entfernt von den zwei Prozent, die die NATO vereinbart hat. Und übrigens, manche Staaten erfüllen das ja. Frankreich ist bei 1,8, die USA sind bei 3,6 Prozent - da wollen wir gar nicht hin und das ist auch nicht nötig. Zwei Prozent wird Deutschland nicht wirklich anstreben, aber noch weiter zurückfallen bei der Quote gegenüber der Wirtschaftsleistung, das sollte man nicht. Wir haben eine erfreuliche Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Es gibt keinen vernünftigen Grund zu sagen: Wir werden immer weniger für Verteidigung ausgeben, wenn wir gleichzeitig sagen: Die sicherheitspolitische Lage hat sich geändert. Unsere osteuropäischen Nachbarn erwarten Solidarität von Deutschland, so wie sie, also unsere westeuropäischen Partner über Jahrzehnte Solidarität mit Deutschland geleistet haben. Also wir sind dazu verpflichtet formal, aber auch politisch und moralisch. Und ich glaube, was die Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften angeht, unsere Soldaten können erwarten, dass die Bundeswehr vernünftig ausgestattet ist.
Clement: Im Interview der Woche im Deutschlandfunk heute der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels. Herr Bartels, Sie sind Anwalt der Soldaten. Das, was wir gerade besprochen haben, das sind sehr politische Themen. Wie stark spiegelt sich das denn in Ihren Gesprächen mit den Soldaten wider, gerade die Frage der Ausrüstung? Also die Frage der Ausstattung der Bundeswehr, wie stark spiegelt sich das wider auch in den Eingaben?
Für die Soldaten muss mehr getan werden
Bartels: In den Gesprächen bei den Truppenbesuchen ist das Thema Ausrüstung ein ganz dominierendes, neben den individuellen Fragen, also Versetzung, Beförderung, Einplanung, Familienfreundlichkeit. Also das sind immer große Themen sowieso, aber ein aktuelles Großthema ist die Frage der Ausrüstung, ist die Mangelverwaltung, die mit der letzten Bundeswehrreform ja zum System erhoben worden ist. Da muss man wieder von weg und da sagen mir auch Soldaten eigentlich in jeder Runde: Bleiben Sie da dran! Ich habe mir das vorgenommen als erstes großes Thema, also das Thema Vollausstattung der Bundeswehr. Das ist nicht Aufrüstung, sondern das ist nur: 100 Prozent von dem, was da sein sollte, muss dann auch da sein - und dann werden trotzdem nur 70 Prozent da sein, weil auch ein Teil in der Wartung ist. Aber wenn sie nur 70 Prozent haben, da haben sie weniger als 50 Prozent am Ende auf dem Kasernenhof stehen, mit dem ausgebildet und geübt werden kann. Also das ist für die Zufriedenheit von Soldaten in ihrem Dienst von mitentscheidender Bedeutung, dass sie Ihren Dienst überhaupt tun können. Und die andere Hälfte von Attraktivität machen dann die sozialen Aspekte aus, also die Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Nicht so oft umziehen müssen, nicht so oft versetzt werden und schon gar nicht, weil eine neue Bundeswehrreform am grünen Tisch einen neuen Standort erfindet, an den man dann umzieht, um da das Gleiche zu tun, was man bisher getan hat. Also darauf zu achten, dass die Planbarkeit des Lebens von Soldaten wieder etwas besser wird, das ist der große andere Punkt, der mit Attraktivität zu tun hat. Kostet auch Geld, aber ist auch eine Frage der Mentalität und der Organisation - Arbeitszeit ist ein Punkt dabei. Wenn Sie sehen, also das Attraktivitätsprogramm, das jetzt beschlossen wurde in einer Größenordnung von 300 Millionen, das ist nicht der riesige Betrag, es wird trotzdem begrüßt von den Soldaten. Aber die sagen auch: Das kann es jetzt noch nicht gewesen sein, da muss mehr und da kann auch mehr. Man kann mehr für Zeitsoldaten tun, also zum Beispiel ihre Nachversicherung in der Rentenkasse irgendwann mal ersetzen durch eine eigenständige Pensionsleistung. Also Stichwort ist da die Portabilität von Versorgungsbezügen, also von Versorgungsansprüchen. Also das, was man verdient hat in zwölf oder 16 Jahren, das als Pension ausgezahlt bekommen und nicht gegenüber dem Berufssoldaten so viel schlechter gestellt zu sein, indem man nachversichert wird in der Rentenkasse. Das ist jetzt verbessert worden mit höheren Beträgen, aber es ist noch nicht das, was Soldaten sich eigentlich wünschen.
Bundeswehr ist attraktiv
Clement: Die Bundeswehr muss sich jetzt auf dem Arbeitsmarkt behaupten. Sie hat keine Wehrpflichtigen mehr, die sozusagen "zwangsweise" ein einberufen werden und so zum "Schnupperdienst" verurteilt werden, um es mal salopp auszudrücken - sie müssen sich jetzt am Arbeitsmarkt behaupten. Ist die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber?
Bartels: Es gibt da eine ganz zwiespältige Beobachtung. Einerseits stelle ich fest, dass viele Zeitsoldaten die Bundeswehr doch so gut finden, dass sie gerne Berufssoldaten werden würden. Also die Bewerbungen von Zeitsoldaten für das Verhältnis des Berufssoldaten liegen weit über dem Bedarf. Also der Binnenarbeitsmarkt scheint attraktiv zu sein. Gleichzeitig sagen Soldaten in einer Umfrage des Bundeswehrverbandes auf die Frage: Würden Sie denn Familienangehörigen und Bekannten, die Sie gerne mögen, raten, zur Bundeswehr zu gehen, also den gleichen Weg zu gehen, den Sie gegangen sind? Und da hat doch eine Mehrheit gesagt, sie würden das heute nicht raten. Also an dem Zweiten muss man arbeiten, das Bild, das Soldaten selber davon haben, wie attraktiv ihr Beruf in der Gesellschaft erscheint. Es mag sein, dass sie es für sich dann doch durchhalten und die positiven Aspekte sehen, aber sie sind nicht immer bereit, also auch dafür zu werben. Das wäre mal das Erste, dass die Soldaten selbst die Werbeträger sind für eine attraktive Bundeswehr, dass die sagen: Mir gefällt das gut und ich kann es auch jedem empfehlen. Und dann muss das Ministerium sich nochmal in der Nachwuchswerbung ein bisschen zusätzlich anstrengen, eine Werbelinie finden, die vernünftig ist. Die in erster Linie nicht mit Karriere und Abenteueraspekten wirbt, sondern sehr realistisch an junge Leute appelliert, etwas zu tun, was nicht alltäglich ist, was kein Job wie jeder andere ist, aber was man sich zutrauen muss. Also eher eine Frage an die jungen Leute: Traust du dir das zu, als: Das alles kannst du an Karriere machen. Ich glaube, so denken junge Leute nicht mit 18, 19, 20 - also an die Karriere, die sie dann mit 56 gemacht haben werden -, sondern sie wollen etwas Sinnvolles tun, das auch fordernd ist. In dem Sinne werben. Die eigentliche Rekrutierungsorganisation, glaube ich, kann auch noch schlagkräftiger werden. Da vergeht oft viel zu viel Zeit zwischen dem ersten Kontakt, den jemand zur Bundeswehr aufgenommen hat und der letzten Entscheidung, ob er oder sie nun genommen wird oder nicht. Wenn wir 16 Karrierecenter in der Bundesrepublik haben - also früher Kreiswehrersatzämter, heute Karrierecenter, das sind ja nicht mehr viele -, aber nur an acht Standorten überhaupt gemustert werden kann, dann heißt das, dass jemand, der in Kiel sich bewirbt, wo nicht gemustert werden kann, der kann allen Papierkram da schon erledigen, muss dann trotzdem nochmal nach Hannover fahren, um sich da von Ärzten begutachten zu lassen. Das ist keine vernünftige Organisation der Nachwuchswerbung.
Bei der Marine viele Stellen unbesetzt
Clement: Also Umsteuern, sowohl in der Werbung, wie auch in der Rekrutierungsart.
Bartels: Genau.
Clement: Haben Sie denn das Gefühl, dass die Bundeswehr das richtige Personal in ausreichender Menge hat?
Bartels: Also die Bewerberlage ist unterschiedlich nach Laufbahn. Für Offiziere gibt es in allen Teilstreitkräften bisher genügend Bewerber - das ist attraktiv. Bei den Portepeeunteroffizieren - also Feldwebel/Bootsmänner - fehlt es vor allem an technischen Berufen, also die werden händeringend gesucht. Und bei den Mannschaften ist es unterschiedlich. Das Heer sagt, sie kriegen noch, was sie brauchen - die Marine kriegt es nicht. In der Marine ist im Moment das höchste Fehl, also die höchste Zahl von Vakanzen/unbesetzten Dienstposten im täglichen Betrieb. Fast ein Viertel, was nicht so besetzt sein kann, wie es müsste, da ist noch erheblicher Steuerungsbedarf. Und ich glaube, eine Richtung, in die das gehen muss, und die bisher viel zu wenig betrachtet wurde, ist, dass man sich jetzt ja nicht mehr nur an die jungen Männer wendet, sondern Männern und Frauen können in allen Laufbahnen und in allen Verwendungen gleichberechtigt Dienst tun. Ich habe von der 1. Panzerdivision, mit 19.000 Soldaten, eine Zahl gerade mitgebracht von einem Truppenbesuch, die ich hocherstaunlich fand: 1.000 weibliche Soldaten in der Division. Wie viele davon sind Berufssoldaten? 32. Das heißt, diese Grenze zwischen Zeitsoldaten und Berufssoldaten ist für Frauen auch noch mal eine, nicht nur die Frage: Gehen sie überhaupt in die Bundeswehr, sondern bleiben Sie dann dabei. Und das kann auch daran liegen, dass der Zeitpunkt, wo man sich entscheiden muss, ob man sich bewirbt als Berufssoldat, vielleicht doch immer noch mit existenziellen Familiengründungssituationen zusammenfällt, die von Frauen anders bewertet werden, als von Männern. Darauf muss sich ein Arbeitgeber Bundeswehr in Zukunft einstellen.
Clement: Wir laufen in eine demographische Situation hinein, die ja auch kritisch werden kann für die Bundeswehr. Ist sie darauf vorbereitet?
Anteil von Frauen noch zu gering
Bartels: Ja, viel von dem, was heute getan wird, wird ja begründet mit der Demographie, also mit den immer kleiner werdenden Jahrgängen, aus denen die Bundeswehr schöpfen kann. Deshalb sind die Verpflichtungszeiten länger geworden, deshalb ist der Anteil von Berufssoldaten größer geworden und die Wehrpflicht eben nicht mehr die Grundlage der Rekrutierung. Ich glaube, dass dieses Argument manchmal vielleicht zu stark gezogen wird. Denn wenn man die eine Hälfte eines Jahrgangs gar nicht wirklich anspricht - die Frauen -, dann verschenkt man hier auch Engagement, Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der Bundeswehr, was nicht nötig wäre. Aber es ist richtig, dass wir in den nächsten Jahren noch eine Pensionierungswelle in allen zivilen Bereichen erleben werden. Also die geburtenstarken Jahrgänge scheiden jetzt so nach und nach aus dem Erwerbsleben aus und hinterlassen eine große Lücke, wo alle dann nach jungen Leuten fahnden werden, alle brauchen dann die Berufseinsteiger. Und da ist die Bundeswehr nur ein Arbeitgeber. Also die Konkurrenzsituation um junge Leute wird sich verschärfen. Andererseits schön zu lesen, in den letzten Tagen, dass möglicherweise die Familienpolitik der letzten Jahre nun langsam auch wieder Ergebnisse zeigt, nämlich die Geburtenrate in Deutschland, von der wir lange immer nur gehört haben, sie sinkt, steigt wieder.
Clement: Nun gut, das ist dann das Problem, was wir in 18 Jahren haben.
Bartels: Aber das wirkt sich nicht sofort aus.
Clement: Das könnte dazu führen, dass man vielleicht an der Struktur der Bundeswehr nochmal das ein oder andere verändern muss, allein aus demographischen Gründen.
Bartels: Die Veränderungen, die man aus demographischen Gründen vornehmen muss, also mit den längeren Verpflichtungszeiten und dem höheren Anteil von Berufssoldaten, diese Veränderungen sind jetzt vorgenommen oder werden gerade vorgenommen; es schüttelt sich jetzt eine neue Personalstruktur. Also das große Fehl sehe ich im Moment beim Anteil von Frauen, der über die ganze Bundeswehr bei gut zehn Prozent liegt, aber in einzelnen Teilstreitkräften bei fünf. Die zehn Prozent erreicht man nur, weil man im Sanitätsdienst bei Fifty-Fifty ist.
Clement: Herr Bartels, wenn Sie die Stimmung in der Bundeswehr heute beschreiben müssten, wie die Soldaten sich fühlen, was sie dazu sagen, wie würden Sie das zusammenfassen?
Es muss investiert werden in die kleiner gewordene Bundeswehr
Bartels: Also vor drei, vier Jahren sagte mal der damalige Vorsitzende des Bundeswehrverbandes als die damalige Reform gerade beschlossen wurde, die Bundeswehr sei in so einer Art Burnout-Phase. Das hielt ich damals für eine ganz gute Diagnose: Burnout wegen der Auslandseinsätze, die sehr fordernd waren und gleichzeitig die Reformen im Inland und eigentlich hat man immer nur Abbau erlebt. Die Bundeswehr ist immer kleiner geworden; der Etat ist immer ein Sparetat gewesen, aus dem man rausstreichen konnte. Das hat sich jetzt geändert. Also spätestens seit dem letzten Jahr ist die Wahrnehmung der Bundeswehr auch in der Öffentlichkeit eine andere geworden. Das ist nicht mehr der "Sparstrumpf der Nation", sondern die Bundeswehr wird gebraucht für Sicherheit in Europa. Wir reden jetzt nicht mehr nur darüber, wo man etwas wegnimmt, sondern auch wo etwas hin müsste - Stichwort "Vollausstattung". Wir reden über Attraktivität des Soldatenberufs und nicht mehr nur über die quantitative Reduzierung der Bundeswehr, wie die letzten 20 Jahre - denn wir kommen ja von 500.000 Soldaten und sind jetzt bei 185.000, also die Bundeswehr ist dramatisch kleiner geworden. Und das hat sich über Jahrzehnte ja auch in die Seele von Menschen eingebrannt, dass immer zu viele an Bord zu sein schienen. Die, die jetzt da sind, werden gebraucht! Das müsste jetzt das Selbstbewusstsein sein - ist es noch nicht ganz, aber ich glaube, es beginnt sich durchzusetzen. Also dieses Selbstbewusstsein, dass die Bundeswehr in dieser Größe, wie sie jetzt ist, dass sie in der Größe bleiben wird und dass sie nach vorne hin nicht sparen muss, sondern mit einem vielleicht gleich bleibenden Anteil von Finanzmitteln besser ausgestattet ist, attraktiver im Personalbereich, also mit auch besseren Unterkünften - Kasernen sind immer ein Thema gewesen. Also es muss investiert werden in die kleiner gewordene Bundeswehr. Und diese Bundeswehr - und das erleben auch viele Soldaten - ist ja durch die Einsätze viel internationaler geworden und jetzt durch einen sehr guten Trend, den wir in Europa haben, nämlich die Europäisierung von Streitkräftestrukturen. Also wir schließen uns mit Nachbarn zusammen. Das holländische und das deutsche Heer sind quasi auf dem Weg zu einer Fusionierung, also deutsche und niederländische Großverbände kommen zusammen, werden zu einem im Grundbetrieb - im Einsatz machen sie es sowieso zusammen, aber im Grundbetrieb. Mit dem gleichen Gerät werden die gleichen Übungen gemacht und es gibt eine gemeinsame Personalführung. Mit den Polen wird das angestrebt; mit anderen Nationen - den Franzosen - gibt es schon Zusammenarbeit, auch in der Ausbildung, Hubschrauberausbildung, diese Dinge. Also das ist auch etwas, was viele Soldaten, glaube ich, als ganz attraktiv wahrnehmen, diese Internationalität ihres Berufes.
Clement: Sie waren ja früher als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses auch schon auf Truppenbesuchen und jetzt kommen Sie als Wehrbeauftragter. Sie erleben - wenn ich das richtig zusammenfasse - eine Bundeswehr, die eigentlich ermutigt in die Zukunft schaut?
Bartels: Eine Bundeswehr im Umbruch, also mit noch vielen Schmerzen aus der alten Reform, aber auch Erwartungen daran, dass es besser wird. Und das sind eigentlich gute Erwartungen. Denn in der Vergangenheit hat es manchmal schon eher die innere Kündigung gegeben und das Deprimiertsein und eben diese Burnout-Situation. Also die Prognose ist: Es kann besser werden.
Clement: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Bartels: Ich danke Ihnen.