Die Truppe diskutiert. Nur nach Außen dringt davon kaum etwas. Die Generalität und die aktiven Soldaten halten sich zurück mit Äußerungen zu Rechtsextremisten und Wehrmachtsfans in der Bundeswehr. Öffentlich zu Wort melden sich nur Soldaten, die den Dienst an der Waffe hinter sich haben:
"Was man definitiv merkt, ist, dass eine riesengroße Enttäuschung da ist, dass die Ministerin genau das gesagt hat, was sie gesagt hat!"
Dass die Bundeswehr insgesamt ein "Haltungsproblem" hätte, davon könne gar keine Rede sein, erzählt Björn Schreiber, Kapitänleutnant der Reserve. Zwölf Jahre lang hat er gedient, hat drei Auslandseinsätze, einen im Libanon, zwei in Afghanistan hinter sich. Seit zwei Wochen hat er besonders regen Mailkontakt zu seinen ehemaligen, noch aktiven Kameraden. Der Fall Franco A., das Vertuschen und Verschweigen seiner Vorgesetzten macht ihn fassungslos. In seiner Zeit bei der Truppe hat er keine Erfahrungen mit Rechtsextremisten gemacht:
"Was man allerdings sagen muss, ist, dass bei einigen Soldatinnen und Soldaten, die aus dem Auslandseinsatz zurückkommen, gerade die, die in Gefechten waren - teilweise aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung eine, ich will jetzt nicht sagen: traumabedingte Extremisierung vorherrscht, aber dass da schon eine gewisse Gruppenfeindlichkeit oder Gruppenskepsis besteht, gerade gegenüber Leuten, die halt afghanisch aussehen."
Rückbindung der Soldaten an eine demokratische Gesellschaft
Helfen könnte, das Prinzip der Inneren Führung, des "Staatsbürgers in Uniform", noch stärker in der Ausbildung zu verankern, meint Schreiber. Denn dieses Prinzip diene der Rückbindung der Soldaten an eine demokratische Gesellschaft, an demokratische Grundwerte und soll Radikalisierungen oder einen unkritischen Blick auf die Wehrmacht verhindern. Aber genau diese Ausbildungsinhalte würden vernachlässigt, so Björn Schreiber:
"Politische Bildung war immer so das, was - wenn ich wenig Zeit hatte, als Erstes hinten runter gefallen ist. Und wenn ich mir dann anschaue, dass 17-19-Jährige in die Bundeswehr eintreten, die sich vielleicht vorher nie mit Politik beschäftigt haben, nie politisch aktiv waren - wie reif sind die eigentlich in der Staatsbürgerkunde?"
Oberst Karl Trautvetter, Abteilungsleiter der Politischen Bildung im Zentrum Innere Führung in Koblenz will diese Kritik so nicht stehen lassen, räumt aber ein, dass nicht alle Kompaniechefs und Kommandeure dem staatsbürgerlichen Unterricht den gleichen Stellenwert beimessen:
"Es ist schon so, dass natürlich die Einsatzfrequenz, die wir haben, auch die unterschiedlichen Einsatzorte, die wir dabei bedienen müssen, natürlich ihre eigenen Schwerpunkte in der Ausbildung haben, sodass vielleicht Innere Führung gefühlsmäßig zu kurz kommt. Aber selbst unsere Untersuchungen vom ZMSBw - das ist unser Sozialwissenschaftliches Institut – das bestätigt das zum Teil, sagt aber auch, dass wir da eigentlich auf einem guten Weg sind."
Das Prinzip der Inneren Führung in den Köpfen und Herzen der Soldaten zu verankern, sei dabei eine immerwährende Herausforderung. Genauso wie die Mahnung daran, dass Tugenden nur so viel wert seien, wie die Werte, auf denen sie fußen. Insofern könne, so Karl Trautvetter, die Tapferkeit und der Gehorsam eines Wehrmachtssoldaten eben nicht unhinterfragt Vorbild sein. Weil ihnen die Werte eines nationalsozialistischen Systems zugrunde liegen. Der Münchener Historiker Detlev Bald hat in seinen Arbeiten den "Mythos Wehrmacht" jahrzehntelang kritisch erforscht. Detlev Bald ist von der Debatte über Rechtsextremismus in der Truppe und Wehrmachtsdevotionalien in deutschen Kasernen nicht überrascht:
"Die Bundeswehr hat noch bis vor ein paar Jahren für die Ausbildung der Rekruten, also der unteren Offiziersränge, Ausbildungshilfen gebraucht und gedruckt - das Heeresamt hat sie gedruckt - die ausschließlich, ausschließlich Befehle der Wehrmacht nach 1941 enthielten und Berichte darüber, wie man den Krieg damals führen sollte!"
Buchauszug: Pflichterfüllung, Mut und Kameradschaft haben immer Anerkennung verdient
Noch heute gedruckt und in Kasernen ausgelegt werden die schmalen Hefte, die Jan Peter Gülden ausgewertet hat: "Das schwarze Barett", "Der Panzergrenadier" und "Der deutsche Fallschirmjäger". Das Fazit seiner Masterarbeit am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik: die Zeitschriften enthielten nicht nur harmlose Berichte von Manövern, Gastbeiträge von Generälen oder Artikel über russische Panzer, sondern auch Texte, denen allzu oft eine kritische Distanz zur Wehrmacht fehle:
"Es gibt einen Hauptmann, den ich zitiert habe, der wäre vielleicht gar nicht schlecht... "Das schwarze Barett", Nr. 53 im Jahr 2015: 'Es ist unredlich, die soldatischen Leistungen früherer Zeiten nicht anzuerkennen, nur, weil sie zur falschen Zeit erbracht wurden. Zeitlose soldatische Tugenden wie Pflichterfüllung, Mut und Kameradschaft aber haben immer Anerkennung verdient und müssen bewahrt bleiben. Lassen Sie sich nicht beirren, meine Herren! Wir dürfen eine pauschale Verurteilung der Wehrmacht nicht zulassen!' Ist so schon heftig, wie ich finde!"
Jan Peter Gülden war für die Bundeswehr als Luftlandepionier im Afghanistan-Einsatz. Und hat dort auch erlebt, wie schwer sich Vorgesetzte damit tun, rassistischen Vorfällen nachzugehen:
"Ich glaube, dass hängt damit zusammen, dass es tatsächlich eine Kultur des Wegschauens gibt, dass es tatsächlich Momente gibt, in denen Vorfälle nicht gemeldet werden in der Bundeswehr. Sei es einerseits aus falsch verstandener Kameradschaft oder andererseits - wie auch die Ministerin gesagt hat - aus Konfliktvermeidungsverhalten von Vorgesetzten. Einfaches Beispiel: Wenn jemand den Hitlergruß zeigt, ist das ein besonderes Vorkommnis, das sofort an diverse höhere Dienststellen zu melden ist. Das bedeutet auf der anderen Seite aber viel Arbeit!"
Viel Arbeit, die am Ende aber vor allem der Truppe selbst und ihrem Ansehen helfen würde.