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Bundeswehr
"Von der Leyen könnte Teil des Problems werden"

Die Probleme bei der Bundeswehr zu lösen, sei eine langwierige und komplexe Aufgabe, sagte der Friedensforscher Otfried Nassauer im Deutschlandfunk. Ursula von der Leyen müsse sich aber entscheiden, ob sie die Probleme grundsätzlichen angehen wolle. "Wenn sie sich vorschnell auf die erstbeste Empfehlung einlässt, wird sie Teil des Problems."

Otfried Nassauer im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterhält sich in der Nähe von Erbil im Irak in einer Kaserne, in der kurdische Peschmerga-Kämpfer ausgebildet werden, mit Bundeswehrsoldaten.
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterhält sich in der Nähe von Erbil im Irak in einer Kaserne, in der kurdische Peschmerga-Kämpfer ausgebildet werden, mit Bundeswehrsoldaten. (dpa / picture-alliance / Maja Hitij)
    Der Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit sagte weiter: "Es wird notwendig sein, dass man sehr viel mehr Zeit und Geld da rein investiert, zu fragen, wie man die Konkurrenzen zwischen der zivilen und der militärischen Bürokratie der Bundeswehr möglicherweise beseitigen kann."
    Zum Beispiel sei das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz viel zu groß und müsse grundsätzlich reformiert werden. Gerade bei der zivilen Beschaffungsbürokratie gebe es noch nicht die Einsicht, selbst Teil des Problems zu sein.
    Dem Verteidigungsministerium sei nicht mit mehr Geld geholfen, betonte Nassauer. Stattdessen müsse die Politik die Behörde mit den richtigen Fragestellungen lenken.

    Das vollständige Interview mit Otfried Nassauer:
    Sandra Schulz: 1.200 Seiten soll das Dokument stark sein. Über 1.200 Seiten Pannen, Mängel, Risiken und Probleme bei der Bundeswehr und dem Beschaffungswesen im Bundesverteidigungsministerium. Schon seit Wochen beschäftigt uns die Pannenserie bei der Bundeswehr. Jetzt will Verteidigungsministerin von der Leyen für Durchblick sorgen und die Probleme angehen, damit sie nicht gar noch selbst unter Druck kommt. Gegen halb zwei will sie das Gutachten der Wirtschaftsprüfer KPMG vorstellen. Vieles ist schon bekannt und in der Diskussion.
    Am Telefon ist Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit. Guten Tag!
    Otfried Nassauer: Schönen guten Tag, Frau Schulz.
    Schulz: Mit dem Gutachten, das die Verteidigungsministerin heute vorlegen wird, ist damit ein erster Schritt gemacht, um die Probleme in den Griff zu bekommen?
    Nassauer: Ein erster Schritt vielleicht, aber der wird mit Sicherheit noch nicht ausreichen. Denn das Gutachten ist in seiner Analyse der Schwierigkeiten, die die Bundeswehr im Moment hat, und der Probleme, die dabei auftreten, sozusagen eine Bildaufnahme eines Teilbereichs. Es ist nicht das gesamte Problemfeld, vor dem die Bundeswehr steht, und von daher wird neben dem Gutachten noch vieles andere zusätzlich notwendig sein, um die Probleme zu beheben.
    Eine vertiefte Analyse wird notwendig sein
    Schulz: Was denn?
    Nassauer: Es wird mit Sicherheit noch mal einen genaueren Blick auf die Frage der Personalsteuerung bei der Bundeswehr und auf die Infrastruktur erforderlich sein. Es wird eine vertiefte Analyse bei vielen dieser Beschaffungsprojekte, die jetzt mal etwas oberflächlich angeguckt worden sind, notwendig sein. Und es wird notwendig sein, dass man sehr viel mehr Zeit und Geld darin investiert zu fragen, wie man die Konkurrenzen, die es zwischen der zivilen und der militärischen Bürokratie der Bundeswehr gibt, möglicherweise beseitigen kann.
    Schulz: Aber wenn das Ministerium nicht mal damit zurechtkommt, das Geld, das ihm zur Verfügung steht, auszugeben, wie ist dem Ministerium dann überhaupt noch zu helfen?
    Nassauer: Zunächst mal sicher nicht, indem man ihnen noch mehr Geld gibt, was sie dann nicht ausgeben können, sondern zu helfen ist dem Ministerium durch richtige, politisch gesteuerte Fragestellungen, und das, meiner Einschätzung nach, ist auch eine Aufgabe, die die Politik deutlicher wahrnehmen muss, als sie es in der Vergangenheit gemacht hat. Ich glaube, dass man das schon hinkriegen kann, aber es wird eine ziemlich langwierige und komplexe Aufgabe, denn natürlich gibt es wie bei allen großen Bürokratien die Tendenz der Selbstermächtigung, und diese Tendenz der Selbstermächtigung bedeutet natürlich auch, dass Bürokratie politische Kontrolle nicht immer gerne gucken lässt.
    Schulz: Ist das Verteidigungsministerium tatsächlich - und das heißt es ja jetzt immer wieder - eine Behörde mit einem besonderen Eigenleben?
    Nassauer: Schon von der Größe her ja. Natürlich! Aber es ist ansonsten auch eine typische Behörde.
    Schulz: Und diese Probleme, über die wir jetzt sprechen, wann haben die denn angefangen? Das ist ja alles nicht seit gestern oder vorgestern erst klar.
    Nassauer: Diese Probleme existieren eigentlich, seit die Bundeswehr wieder in Deutschland Rüstung beschafft. Das können Sie eigentlich, wenn Sie zurückgucken, von dem Schützenpanzer HS30 und dem Starfighter bis heute verfolgen: Immer dann, wenn viel Steuergeld an die Rüstungsindustrie (ob im Inland oder im Ausland oder in internationalen Kontexten) ausgegeben wird, dann wollen viele Leute mitverdienen und dann bilden sich Strukturen mit Eigenleben, die man permanent unter Kontrolle halten muss, und das haben in der Vergangenheit nur wenige Minister versucht, Helmut Schmidt zum Beispiel, und Frau von der Leyen kann man nur Glück wünschen, wenn sie diesen Versuch jetzt noch mal ernsthaft unternehmen sollte. Aber schon durch die Empfehlung, die die KPMG gegeben hat und die Frau von der Leyen jetzt sehr schnell übernimmt, habe ich an der einen oder anderen Stelle meinen Zweifel, dass es in die richtige Richtung geht - Beispiel die Wiederbelebung des Euro-Hawks und der Drohne Triton als Ersatzträger für den Euro-Hawk.
    Die strukturellen Probleme gab es schon früher
    Schulz: Aber ist es nicht richtig, dass man sagt, wir haben so viel Geld in dieses Projekt reingesteckt, das soll zumindest nicht alles verloren sein?
    Nassauer: Dazu müsste man erst mal wissen, ob mit der neuen Trägerdrohne Triton nicht das Signalerfassungs- und Aufklärungssystem ISIS, das die deutsche Seite beistellen will, neu integriert werden muss und ob die Zulassungsprobleme für die Triton denn lösbar sind, denn die Triton ist im Prinzip eine, in mehreren Schritten weiterentwickelte Global-Hawk, wie der Euro-Hawk auch, und da sind inzwischen so viele Änderungen eingetreten und es ist auch noch gar nicht klar, was die Amerikaner bereit wären, den Deutschen zu verkaufen. Da muss man, glaube ich, noch sehr, sehr viel genauer hingucken, als das bisher getan worden ist, und die schnelle Idee, einfach das modernere Trägersystem zu nehmen vom ähnlichen Typ, ob die sich umsetzen lässt, das werden wir noch sehen.
    Schulz: Sie sind eben bei den Problemen ziemlich weit in die Geschichte zurückgegangen, als Sie von Helmut Schmidt gesprochen haben. Lässt sich sagen, wer ist verantwortlich? Sind das die Verteidigungsminister der letzten Jahrzehnte?
    Nassauer: Im Kern sind als Verantwortliche für die jetzt auftretenden Probleme die Minister seit Herrn Jung zu benennen. Allerdings gab es die strukturellen Probleme auch schon früher.
    Schulz: Und von der Leyen ist ein Teil des Problems, oder Teil der Lösung?
    Nassauer: Sie muss sich entscheiden, was sie werden will.
    Schulz: Und das heißt?
    Nassauer: Sie muss sich entscheiden, ob sie die Probleme grundsätzlich angehen will. Dann würde sie Teil der Lösung werden. Wenn sie vorschnell sich auf die erstbesten Empfehlungen verlässt und die Probleme nicht grundsätzlich genug angeht, dann wird sie Teil des Problems.
    Schulz: Aber das heißt, Sie gehen davon aus, dass die Probleme grundsätzlich lösbar sind? Das ist ja recht zuversichtlich.
    Nassauer: Dass sie grundsätzlich lösbar sein müssten, ist von der Sache her gegeben, ja. Das sind keine Probleme, die ganz unlösbar sind.
    Die Bundeswehr sollte sich einer grundsätzlichen Reform unterziehen
    Schulz: Und was hat da jetzt Priorität?
    Nassauer: Priorität hätte für mich die Aufhebung - das habe ich auch schon erwähnt - beziehungsweise der Versuch, an der Stelle, wo sich das zivile und das militärische Bundeswehr-Management gegenseitig teilweise Konkurrenz machen und auch kooperieren müssen, steuernd einzugreifen und zum Beispiel mal zu gucken, ob das in Koblenz ansässige Amt für Bundeswehrbeschaffungen nicht inzwischen viel zu groß geworden ist und ob man das nicht mal ähnlich wie die Bundeswehr selbst einer grundsätzlichen Reform unterziehen sollte, ohne dass es zwangsnotwendig eine Agentur werden muss.
    Schulz: Aber das möchte ich gerne noch mal ein bisschen konkreter besprechen. Wir haben ja auch jetzt aus diesem Gutachten gehört, dass teilweise Leute fehlen. Kann dies das Problem sein, eine Behörde zu verkleinern?
    Nassauer: Die Bundeswehr-Beschaffungsbehörde in Koblenz ist in den letzten Jahren mit immer mehr Aufgaben betraut worden und immer größer und damit auch mächtiger geworden. Natürlich gibt es das Problem, dass Fachleute fehlen. Das ist aber das Problem, was ich auch am Anfang schon mal erwähnt habe, nämlich der Personalsteuerung, und da bedarf es genauso eines Eingriffs von der politischen Seite her mit einem Reformansatz, der dann dazu führt, dass die Dinge wieder effizienter ablaufen.
    Schulz: Aber wir hören ja jetzt schon, dass durch die Eingriffe, die von der Leyen schon gemacht hat, ihre Beliebtheit dadurch im Ministerium nicht unbedingt gewachsen ist. Ist das wirklich möglich, durch einzelne Entscheidungen ein ganzes Ministerium, ein ganzes Beschaffungswesen zu entproblematisieren?
    Nassauer: Wer etwas ändert, macht sich meistens nicht beliebt, es sei denn, dass alle einsehen, dass zwingend was geändert werden muss. Also muss man zunächst die Einsicht darin fördern, dass etwas geändert werden muss, und auf der militärischen Seite war die bei der Bundeswehrreform in den letzten Jahren eigentlich fast immer gegeben, und im zivilen Bereich der Bundeswehr, also bei der zivilen Beschaffungsbürokratie zum Beispiel, da muss man diese Einsicht durchaus noch möglicherweise einfach fördern, denn die müssen tatsächlich sehen, dass sie selber auch Teil des Problems sind.
    Schulz: ..., sagt Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit, heute hier in den „Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.