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Bundeswehr
"Von der Leyen will vom Chaos ablenken"

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat neue Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Ukraine und im Nordirak ins Gespräch gebracht. Damit wolle sie lediglich vom Chaos in der Armee ablenken, sagte Katrin Göring-Eckardt (Grüne) im DLF. Die Bundeswehr sei gar nicht in der Lage, neue Aufgaben zu stemmen.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Silvia Engels |
    Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt
    Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bemängelt das Chaos in der Bundeswehr. (dpa / picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Außerdem benötigten neue Auslandseinsätze eindeutige Mandate des Bundestages, sagte Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, im Deutschlandfunk. Es stehe außer Frage, dass man alles tun müsse, um die Situationen in der Ukraine und im Nordirak zu befrieden. Dass die Verteidigungsministerin diese Einsätze jedoch gerade jetzt ins Spiel brachte, sei ein Ablenkungsmanöver, sagte Göring-Eckardt. Das Chaos in der Bundeswehr sei groß - und offenbare, dass die Armee gar nicht in der Lage sei, die von von der Leyen geplanten Einsätze zu bewältigen.
    Die Vorgänger der Verteidigungsministerin, die allesamt aus der Union kamen, seien bei ihren Geschäften mit der Rüstungsindustrie nicht kontrolliert worden. Darin lägen die Ursachen für die Defizite bei der Rüstungsbeschaffung. Göring-Eckardt: "Es gab keine Transparenz und keine Offenheit." Niemand habe gewusst, was eigentlich mit den Unternehmen unter welchen Bedingungen ausgehandelt wurde.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Silvia Engels: Das Bundesverteidigungsministerium war auch an diesem Wochenende kräftig in den Schlagzeilen. Zum einen kündigte das Ministerium an, Soldaten mit Aufklärungsdrohnen in die Ukraine entsenden zu wollen. Auch im Nordirak sollen womöglich Bundeswehrsoldaten stationiert werden, um zu helfen, kurdische Kämpfer gegen die Terrormiliz IS auszubilden. Zum anderen wurden erste Details eines Prüfberichts bekannt. Der listet Defizite und Risiken bei Rüstungsbeschaffungsprojekten der Bundeswehr auf.
    Mitgehört hat Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
    Katrin Göring-Eckardt: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Wir haben es gerade gehört: Die möglicherweise neuen Missionen in der Ukraine und im Nordirak, da wird noch um Einzelheiten gerungen. Ob der Bundestag befasst ist, ist natürlich auch noch eine Frage. Wie sehen Sie das Ganze?
    Neue Missionen als Ablenkungsmanöver
    Göring-Eckardt: Auf jeden Fall muss bei solchen Einsätzen der Bundestag befasst werden. Das ist ja klar. Wir haben immer gesagt, der Waffenstillstand in der Ukraine muss kontrolliert werden, ist brüchig. Das ist eine Aufgabe der OSZE. Aber im Moment habe ich den Eindruck, dass Ursula von der Leyen zunächst mal von dem Desaster ablenken will, was sie da gerade zu bewältigen hat, und nach dem Motto handelt, ich tue an anderer Stelle was, dann fällt vielleicht nicht auf, was hier alles im Argen ist. Und wenn man sich das insgesamt anguckt, dann kann einem, ehrlich gesagt, nur noch richtig Angst werden, vor allen Dingen um die Soldatinnen und Soldaten, die mit solchem Gerät arbeiten müssen.
    Engels: Da kommen wir gleich drauf zu sprechen, was die Ausrüstungsprobleme der Bundeswehr angeht. Bleiben wir erst mal beim politischen Bereich. Ukraine unterstützen, Nordirak möglicherweise ein Ausbildungszentrum - wenn man von den parlamentarischen Hürden, die da noch zu nehmen sind, absieht, würden Sie denn diesem Ziel Ihre Unterstützung geben als Grüne?
    Göring-Eckardt: Wie gesagt, ich bin der festen Meinung, dass man alles das tun muss, dass befriedet wird in der Ukraine. Ich bin der festen Meinung, dass die OSZE dafür die richtige Organisation ist, um diesen Waffenstillstand und die Grenzsicherung vor Ort zu überwachen. Und wenn es ein konkretes Mandat gibt, dann werden wir das sehr ernsthaft prüfen. Das ist ja klar! Aber bei diesem konkreten Mandat, da gehört jetzt offensichtlich nicht mehr nur dazu, ist es möglich, ist es ein richtiger Einsatz, sondern inzwischen gehört auch die Frage dazu, ist es tatsächlich abgestimmt mit den Verbündeten und können wir das überhaupt. Ehrlich gesagt finde ich, dass das eine zusätzliche Belastung ist. Sie haben es eben in Ihrem Beitrag gehabt. Das ist der Einsatz Nummer 19 und wir wissen im Moment noch nicht, ob das überhaupt möglich ist, ob es überhaupt technisch möglich ist, den zu führen. Aber ich sage es noch mal: Es ist ganz wichtig, dass in der Ukraine Wahlen stattfinden können in einigermaßen Sicherheit. Es ist ganz wichtig, dass dort soweit wie möglich befriedet wird. Es ist ganz wichtig, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer eine Unterstützung von uns bekommen.
    Engels: Da haben Sie aber jetzt noch nichts zum Nordirak gesagt. Was halten Sie von einem Ausbildungslager in Erbil?
    Göring-Eckardt: Es gibt ja die Ausbildung im Moment hier bei uns und insofern sage ich natürlich, wenn das eine zweite Variante ist mit der Ausbildungsmission vor Ort, dann gehört auch dazu, dass es dann ein Mandat dafür geben muss, und ich sehe nicht, dass wir diese Möglichkeit tatsächlich und real haben. Das ist schon einige Chuzpe, wenn Frau von der Leyen jetzt ankündigt, dass das Engagement dort weit ausgeweitet werden soll, wenn hier der Laden noch nicht mal in Ordnung ist.
    Engels: Dann schauen wir auf die Probleme, die es beim Beschaffungswesen der Bundeswehr gibt. In der Tat: Die Ausrüstung hier wird zum Teil ausgeschlachtet, um die Auslandseinsätze noch möglich zu machen. Insgesamt - wir haben es gerade noch einmal gehört - bemängeln die Gutachter, dass die Juristen bei den Vertragsabsprachen mit der Industrie offenbar den Kürzeren ziehen. Sagen Sie mal, ist Ihnen, die Sie seit Jahren parlamentarisch tätig sind, in diesem Zusammenhang nicht schon vorher aufgefallen, dass da bei der Bundeswehr etwas nicht stimmt?
    Chaos beim Beschaffungswesen "ist allen sehr bewusst gewesen"
    Göring-Eckardt: Ja, wir haben das auch schon sehr häufig thematisiert. Wir haben gerade zum Beispiel eine Anfrage gestartet, da hätte man das Gutachten nicht dafür gebraucht. Da ist schon sehr deutlich geworden, dass die laufenden Rüstungsvorhaben gerade eine Verspätung von 1.400 Monaten haben und dass sie 4,3 Milliarden Euro mehr kosten werden als geplant. Das haben wir mit einer Anfrage gemacht, die das Verteidigungsministerium ganz einfach beantwortet hat. Und insofern - das ist uns, das ist allen sehr bewusst gewesen, dass da extrem viel Chaos herrscht, und man soll bitte nicht so tun, als ob da plötzlich jemand reingefallen ist und man jetzt unerwartet feststellt, was da los ist. Wir wissen das von der Zeit, als Herr de Maizière da war, als Herr Guttenberg da war, immer alles Unions-Minister, die offensichtlich mit der Rüstungsindustrie auch immer so zusammengearbeitet haben, dass, wenn es darum ging, ein Projekt zu planen, die Kosten relativ niedrig gehalten wurden, dann immer höher wurden und dass niemand ernsthaft kontrolliert hat, was da mit der Rüstungsindustrie eigentlich passiert. Jetzt kann Frau von der Leyen natürlich sagen, die Industrie ist schuld, aber ich sage ganz klar: Das was im Haus und was mit den Abläufen passiert im Verteidigungsministerium, daran ist die Industrie nicht schuld, und dass es nicht kontrolliert worden ist, daran ist die Industrie erst mal auch nicht schuld, sondern das ist im Verteidigungsministerium zu beheben und dort muss jetzt dafür gesorgt werden, dass Transparenz und Offenheit herrscht. Das ist das eine und das andere ist natürlich, dass endlich dafür gesorgt wird, dass die Verabredungen eingehalten werden, dass es anständige Verträge gibt. Über all das wird ja seit Jahren geredet.
    Engels: Ist das vielleicht aber auch eine Konsequenz, dass man bei der Bundeswehr zu viel eingespart hat und auch vielleicht merkwürdige Projekte auf die Schiene gesetzt hat, die sogar zum Teil schon in die rot-grünen Regierungszeiten zurückreichen? Muss sich da auch möglicherweise jeder im Parlament, der damals auch schon Verantwortung trug, an die eigene Nase fassen?
    Göring-Eckardt: 32 Milliarden Euro beträgt der Etat des Verteidigungsministeriums. Das ist einer der größten, den wir haben innerhalb des Bundeshaushaltes. Wir sind der drittgrößte Beitragszahler bei der NATO mit 35 Milliarden. Und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Im letzten Jahr wurden 1,5 Milliarden zurückgegeben, die gar nicht ausgegeben werden konnten, und man hat ganz offensichtlich auch bei der Beschaffung häufig im Sommer gemerkt, da ist möglicherweise Geld übrig, da müssen wir schnell jetzt noch dies oder jenes tun. Da muss Ordnung her und ich sehe überhaupt nicht, dass es mehr Geld braucht, sondern das Geld muss ordentlich geplant und ordentlich ausgegeben werden. Und man kann auch nicht immer von allem ein bisschen machen. Zunächst mal muss das Gerät, was da ist, in einen ordentlichen Zustand versetzt werden und dann muss man sich konzentrieren, nicht von jedem ein bisschen, sondern innerhalb der Europäischen Union, innerhalb der NATO verabreden, welche Schwerpunkte hat eigentlich wer. Das ist ein Teil dessen, was wir jetzt an Chaos da erleben, dass solche Schwerpunkte nicht gesetzt werden und dass das Gerät, was da ist, nicht ordentlich gepflegt wird, dass die Ersatzteile nicht beschafft werden. Stattdessen wird jetzt schon wieder über Euro-Hawk geredet. Auch das haben Sie vorhin in Ihrem Beitrag gesagt. Ich finde es echt absurd, dass die Verteidigungsministerin dieses Gutachten noch gar nicht gelesen hat, dass das noch gar nicht ausgewertet worden ist, dass wir im Parlament noch nicht darüber geredet haben, und jetzt kommt sie wieder mit dem Projekt, das ihr Vorgänger erst mal auf Eis gelegt hat, weil es viel zu teuer war und weil man ein Aufklärungssystem hat, wo man noch nicht mal weiß, bis heute nicht weiß, auf welches Trägersystem das eigentlich kommen soll.
    Engels: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Wir sprachen mit ihr über den heute vorzulegenden Prüfbericht über die Beschaffungsprobleme bei der Bundeswehr. Vielen Dank für das Gespräch.
    Göring-Eckardt: Frau Engels, ich danke Ihnen. Schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.