Wehrdienst
Geld gefunden, Soldaten gesucht

Die Verteidigungsfähigkeit steht im Fokus der deutschen Politik. Für die Bundeswehr stehen künftig wohl Milliarden Euro bereit, doch sie braucht auch Soldaten. Dafür könnte der Wehrdienst vor einem Comeback stehen.

    Boris Pistorius schaut durch ein Fernglas. Er trägt Anzug und Hemd, aber keine Krawatte.
    Wo sind all die Soldaten? Um die Bundeswehr personell aufzustocken, will Boris Pistorius einen freiwilligen Wehrdienst einführen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Deutschland und die Europäische Union sollen ihre Verteidigung in die eigene Hand nehmen, so ist eine Reaktion der Politik auf die jüngsten Entwicklungen in den USA. Dazu gehört, dass Deutschland als bevölkerungsreichstes Land der EU auch mehr Truppen bereitstellen kann. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 stagniert die Personalstärke der Bundeswehr.

    Inhalt

    Trotz Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz 2022, einem milliardenschweren Sonderetat und professionellem Werben um Freiwillige ist nicht viel passiert. Die kommende Bundesregierung steht vor der Frage: Wie lassen sich mehr Soldatinnen und Soldaten gewinnen?

    Erlebt der Wehrdienst ein Comeback?

    Über Parteigrenzen hinweg herrscht inzwischen Einigkeit darüber, dass es künftig eine gewisse Form des Wehrdienstes geben muss, weil sonst nicht genug Personal für die Bundeswehr gewonnen werden kann. Einzig die Linke und das BSW sprachen sich im Bundestagswahlkampf klar dagegen aus.
    Die FDP ist zwar gegen eine Dienstpflicht, möchte allerdings wehrfähige Männer und Frauen erfassen und Freiwillige werben. Angesichts dieser Stimmung und dem Druck, sich sicherheitspolitisch neu aufzustellen, scheint die Frage nicht mehr zu sein, ob ein Wehrdienst kommt, sondern wie diese ausgestaltet sein wird.
    Schon im vergangenen Jahr gab es einen Anlauf, junge Menschen wieder verstärkt in die Bundeswehr zu bringen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte das Modell eines auf Freiwilligkeit beruhenden Wehrdienstes vorgestellt. Sein Gesetzentwurf wurde aber wegen des Endes der Ampelkoalition nicht mehr im Bundestag debattiert.
    Rein rechtlich gilt die Wehrpflicht in Deutschland nach wie vor. Sie wurde lediglich vom Bundestag im Jahr 2011 für Friedenszeiten ausgesetzt.

    Kommt die „alte“ Wehrpflicht zurück?

    Es wäre dem Bundestag möglich, die geltenden Regelungen zum Wehrdienst zu reaktivieren. 2011 wurde in das entsprechende Gesetz lediglich ein Passus eingefügt, der besagt, dass die Dienstpflicht nur noch im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ gilt.
    Auf zwei Wegen könnte sie sofort wieder reaktiviert werden. Das Parlament könnte diesen einschränkenden Passus mit einfacher Mehrheit streichen. Oder der Bundestag stellt tatsächlich einen Spannungs- oder Verteidigungsfall fest. Dafür wäre eine Zweidrittelmehrheit notwendig, auch liegen die politischen Hürden hoch für eine solche Entscheidung.
    Es ist unwahrscheinlich, dass die bisher geltende Form des Wehrdienstes ein Comeback erlebt. Lediglich die AfD hat die Rückkehr zu einer klassischen Wehrpflicht im Programm, deren Dauer im Unklaren bleibt. Alle anderen Parteien, die sich nun für mehr Personal in der Bundeswehr starkmachen, verfolgen neue Konzepte.

    Welche Wehrdienst-Modelle werden diskutiert?

    Pflicht oder Freiwilligkeit beim Dienst an der Waffe – das ist der Unterschied zwischen den Formen des Wehrdienstes, die derzeit diskutiert werden. Die Union unter Friedrich Merz will ein verpflichtendes Dienstjahr für alle - Männer und Frauen - einführen. Wer nicht zur Bundeswehr möchte, muss sein "Gesellschaftsjahr" bei sozialen, kulturellen oder ökologischen Einrichtungen ableisten - entsprechend dem früheren Zivildienst.
    Wer aus diesem Kreis als tauglich gilt und seine Bereitschaft zum Wehrdienst erklärt hat, könnte dann einberufen werden. Experten der Bundeswehr müssten bei diesem Modell einer Kontingentwehrpflicht entscheiden, wie viele Rekruten pro Jahr gebraucht werden.
    Einzelstimmen aus der Union mahnen dabei zur Eile. Der JU-Vorsitzende Johannes Winkel fordert ebenso wie Roderich Kiesewetter und Florian Hahn von der CSU eine Einführung der Wehrpflicht noch in diesem Jahr. „Wir brauchen schon dieses Jahr 20.000 Soldaten mehr in der Truppe“, bekräftigt auch Parteikollege Patrick Sensburg, zugleich Chef des Reservistenverbandes der Bundeswehr.
    Die Parteiführung der SPD wendet sich bisher gegen eine Pflicht, ebenso wie die Grünen. Hauptargument: Mit der Aussetzung der Wehrpflicht sei auch die komplette Infrastruktur abgebaut worden. Es fehle an Ressourcen für die Musterung sowie an Ausbildern, Kasernen oder Ausrüstung.
    Der noch amtierende SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius hält deswegen an seinem Vorschlag aus der abgelaufenen Legislaturperiode fest. Demnach sollen im Rahmen einer Wehrerfassung alle Bundesbürger eines Jahrgangs einen Fragebogen erhalten.
    Junge Männer müssen diesen Fragenkatalog zum Dienst an der Waffe beantworten, für Frauen ist dies freiwillig. Aus dem Kreis derer, die Interesse an der Bundeswehr bekunden, sollen neue Soldatinnen und Soldaten angeworben werden. Ein ähnliches Konzept verfolgt die FDP, die aber nicht mehr im neuen Bundestag vertreten sein wird.

    Wie ist der Personalstand der Bundeswehr?

    Dass die Bundeswehr mehr Personal benötigt, ist bei Experten unbestritten. Zum Jahreswechsel dienten rund 181.000 Soldatinnen und Soldaten, das liegt deutlich unter der 2017 festgelegten Sollstärke von rund 200.000.
    Nach bisheriger Planung sollte die Bundeswehr bis 2031 auf 203.000 Mann anwachsen. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen in den USA könnten es deutlich mehr werden. CDU-Chef Friedrich Merz wollte sich auf keine genaue Zahl festlegen, sprach aber von „deutlich mehr“, die es brauchen werde.
    Ein Balkendiagram, das die Personalstärke der Bundewehr zwischen den Jahren 2000 und 2024 anzeigt.
    Personalstärke der Bundeswehr (Statista 2025)
    Zum Vergleich: Während des Kalten Krieges verfügte die Bundeswehr über knapp 500.000 aktive Soldaten. Durch Mobilisierung von Reservisten wäre im Kriegsfall eine Personalstärke von insgesamt 1,3 Millionen Soldaten möglich gewesen.

    jk