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Bundeswehreinsätze im Inneren
CDU-Politiker Scholz: "Man muss Rechtssicherheit haben"

Der Staatsrechtler und ehemalige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz befürwortet einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Um Rechtssicherheit zu erhalten, solle das Grundgesetz angepasst werden, sagte Scholz im Deutschlandfunk. Das Bundesverfassungsgericht habe unklare und lebensfremde Voraussetzungen für den Einsatz der Armee im Inland genannt.

Rupert Scholz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz
    Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz (Franziska Kraufmann, dpa picture-alliance)
    Scholz betonte, nur die Bundeswehr könne mit ihren Mitteln auf Szenarien wie schwere Terroranschläge, Flugzeugentführungen oder Angriffe beispielsweise mit chemischen Kampfstoffen reagieren. "In solchen Fällen ist die Polizei eindeutig mit ihren Mitteln überfordert", erklärte der CDU-Politiker.
    In anderen Ländern wie den USA und Frankreich, die ebenfalls vom Terrorismus bedroht würden, sei der Einsatz der Armee im Inneren selbstverständlich. Zudem sei die Entscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit nicht mehr so klar.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit dem Amoklauf von München ist sie wieder da, die Debatte um die Frage, ob die Bundeswehr auch im Innern eingesetzt werden soll oder nicht bei schweren Terroranschlägen wie dem von Paris zum Beispiel. Als die Lage noch unklar war in München, da hatte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Feldjägereinheit und Sanitäter vorsorglich in Alarmbereitschaft versetzen lassen und hat ihre Forderung nach einem Bundeswehreinsatz im Innern erneuert. Union und SPD hatten sich ja zwar nicht auf eine Grundgesetzänderung einigen können, im neuen Weißbuch hatte die Bundesregierung aber sich auf die bestehenden Möglichkeiten hingewiesen und gemeinsame Übungen zwischen Polizei und Bundeswehr angekündigt. Was also darf die Bundeswehr im Innern heute schon, was sollte sie können und weshalb soll dazu eine Änderung des Grundgesetzes nötig sein? Zu diesen Fragen begrüße ich jetzt Rupert Scholz von der CDU, er war 1988 bis 89 Bundesverteidigungsminister, er ist Staatsrechtler und Mitautor und Herausgeber des Grundgesetzkommentars Maunz/Dürig. Schönen guten Morgen, Herr Scholz!
    Rupert Scholz: Schönen guten Morgen!
    Heckmann: Herr Scholz, Sie haben sich ja bereits vor zehn Jahren, 2006 unter dem Eindruck der Terroranschläge von 2001, für den Bundeswehreinsatz im Innern ausgesprochen. Bevor ich zu der Frage komme, was die Bundeswehr bei Einsätzen im Innern darf und was nicht, zunächst mal zur Klärung: In welchen Fällen darf denn – Stand heute – die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden?
    Scholz: Das ist im Grunde unklar. Die klassische Unterscheidung, von der auch das Grundgesetz ausgeht, ist die: Innere Sicherheit ist eine Frage der Polizei, die äußere Sicherheit ist eine Frage, eine Zuständigkeit der Bundeswehr. Das Ganze ist relativiert worden verfassungsrechtlich über die Änderung des Artikel 35 Grundgesetz, wonach die Bundeswehr in bestimmten Bereichen, nämlich bei sogenannten Katastrophenfällen oder besonders schweren Unglücksfällen Amtshilfe leisten darf auch im Inneren. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu gesagt, dass auch Terroranschläge von besonderer Schwere einen Katastrophenfall darstellen können, aber das Ganze doch relativ im Dunkeln gelassen. Umso mehr deshalb, als das Bundesverfassungsgericht eine ganz merkwürdige Zusatzqualifikation gefordert hat, nämlich dass die Bundeswehr oder der Einsatz der Bundeswehr in solchen schweren Katastrophenfällen vom gesamten Bundeskabinett entschieden werden muss, obwohl eigentlich nach Grundgesetz sogar im Kriegsfall der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin alleine den Oberbefehl hat. Also eine schwer nachvollziehbare Entscheidung. Zumal, wenn ein solcher Katastrophenfall da ist, dann die zeitlichen und die möglicherweise äußerst umständlichen, schwierigen Regelungen erst zu ergreifen, das ganze Bundeskabinett einzuberufen, das ist eigentlich nicht nachvollziehbar.
    Polizei in bestimmten Fällen überfordert
    Heckmann: Aber wir halten fest, Herr Scholz: Es gibt zwei Fälle, in denen die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden darf, nämlich in einem solchen Katastrophenfall. Der andere Fall ist dann der innere Notstand, also sozusagen, wenn die Bundesrepublik oder einzelne Bundesländer in ihrem Bestand in Gefahr wären oder die demokratische Grundlage auch. Aber bleiben wir mal bei dem Katastrophenfall, dieser Terroranschlag, Sie haben es gerade eben gesagt: Schwere Terroranschläge, die werden unter einem solchen Katastrophenfall gehandelt. Was darf denn dann die Bundeswehr im Innern und wer hat das Kommando?
    Scholz: Ja, das ist genau das, was ich eben sagte, das Kommando hat dann im Grunde das gesamte Bundeskabinett. Schwer nachvollziehbar, wie das realisiert werden soll. Was ein solcher Katastrophenfall ist … Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage relativ eben unscharf beantwortet, aber man kann natürlich an die Fälle denken, etwa das, was 9/11 war, Flugzeugentführung, da kann im Grunde nur die Luftwaffe helfen. Oder man stelle sich vor, Terroristen arbeiten mit chemischen oder biologischen Kampfstoffen, in solchen Fällen ist die Polizei eindeutig mit ihren Möglichkeiten überfordert und da bleibt gar nichts anderes, als dass in solchen Fällen militärische Mittel herangezogen werden müssen, also die Bundeswehr.
    Heckmann: Und was darf dann die Bundeswehr? Darf sie lediglich logistische Hilfe leisten oder darf sie auch zum Beispiel Absperrungen vornehmen, Personenkontrollen durchführen, also polizeiliche Aufgaben übernehmen, auch bei der Verfolgung von Terroristen von der Schusswaffe Gebrauch machen, möglicherweise Panzer einsetzen? Darf die Bundeswehr das dann in diesen Fällen?
    Scholz: Die Bundeswehr ist in solchen Fällen immer nur Amtshelfer für die Polizei. Aber alles das, was dann an faktischen oder auch rechtlichen Möglichkeiten besteht, ist natürlich dann von der Bundeswehr auch wahrzunehmen. Das heißt, da geht es nicht nur um logistische Fragen oder um Absperrungen oder Ähnliches. Im Ernstfall muss dann natürlich auch beispielsweise geschossen werden, man denke etwa an den Fall einer Flugzeugentführung, dann muss die Luftwaffe möglicherweise eine entführte Maschine auch abschießen können.
    Gefahrenlagen und Bedrohungen haben sich verändert
    Heckmann: Jetzt sagen aber Bundeswehrverband und auch die Gewerkschaft der Polizei, damit sind wir gar nicht einverstanden, dass die Bundeswehr im Innern eingesetzt werden soll in solchen Situationen, wir sind weiterhin für eine Trennung von äußerer und innerer Sicherheit und die Polizei ist alles andere als überfordert in solchen Situationen, wie auch München gezeigt habe.
    Scholz: Das ist die klassische Sicht, die ich ja vorhin zitiert habe. Aber denken Sie nur an das, was der IS heute darstellt: Es ist kein Zufall, dass etwa von Präsident Obama bis zu Präsident Hollande in Frankreich man davon spricht, dass der IS gegen uns Krieg führt. Das ist faktisch schon Krieg. Eine sogenannte, wie man das auch nennt, asymmetrische Kriegsführung. Das heißt, die tatbestandlichen Unterscheidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, die sind längst ins Schwimmen geraten. Die sind nicht mehr so klar, dass man auf der einen Seite sagt, das ist innere Kriminalität, innere Sicherheit also gefordert, Polizei gefordert, oder es ist ein militärischer Angriff von außen, Stichwort Verteidigungsfall, Stichwort Bundeswehr gefordert.
    Heckmann: Das heißt, wir sollen uns also in einen Krieg, den der sogenannte Islamische Staat uns erklärt, dann auch so akzeptieren, so annehmen?
    Scholz: Nicht annehmen, akzeptieren, einen Krieg, das ist ein bisschen problematisch formuliert. Aber wenn solche terroristischen Anschläge, die der IS als Krieg vielleicht auch versteht und formuliert, wenn die mit gleichsam militärischen Mitteln laufen – ich nenne noch einmal die ganz besonders schlimmen Beispiele chemischer, biologischer Kampfstoffe –, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als hier die Bundeswehr mit ihren Möglichkeiten einzusetzen. Denn Bundeswehr wie Polizei sind insgesamt für die Sicherheit unserer Bevölkerung verantwortlich.
    Heckmann: Das heißt, es ist völlig naiv aus Ihrer Sicht, wenn die Polizeigewerkschaft beispielsweise sagt: Nein, nein, das brauchen wir überhaupt gar nicht, wir haben genug Möglichkeiten mit den Polizeikräften, die wir hier in Deutschland haben?
    Scholz: Man kann nur wünschen, dass die Gewerkschaft damit recht hat, mit der Einschätzung, ich fürchte aber, dass sie nicht recht hat. Und es ist ja auch kein Zufall. Nehmen Sie Frankreich: Die Franzosen haben überhaupt keinen Zweifel daran gelassen, dass sie nach den Anschlägen von Paris, Nizza et cetera natürlich hier auch die französische Armee einsetzen. Die französische Armee ist heute in Frankreich tätig. Das Gleiche ist auch für die Amerikaner selbstverständlich. Bei den Amerikanern wird das Ganze über die Nationalgarde gemacht. Die Nationalgarde ist ohnehin eine Institution, die sozusagen sowohl militärisch wie polizeilich aufgestellt und verantwortlich ist. Die Franzosen wollen jetzt auch eine Nationalgarde nach französischem Vorbild mit 84.000 Mann einrichten. Das heißt, es ist in allen Ländern, die vom Terror bedroht sind, die Frage längst entschieden in der Richtung, dass man das tun muss, was nötig ist. Und …
    "Man muss Rechtssicherheit haben"
    Heckmann: Jetzt haben Sie Frankreich angesprochen, Herr Scholz, und auch die USA. Aber weder Frankreich noch die USA haben eine ähnliche Geschichte wie Deutschland und die Trennung zwischen Polizei und Militär ist in Deutschland natürlich historisch bedingt aus der Erfahrung aus der NS-Zeit heraus. Macht da für Sie keinen Unterschied?
    Scholz: Das ist natürlich ein Unterschied und das hat auch guten Sinn gemacht, dass wir in der Frage im Grundgesetz zunächst strikt unterschieden haben. Aber da sich die Verhältnisse, die Gefahrenlagen, die Bedrohungen eben so evident heute geändert haben … Als das Grundgesetz 1949 diese klare Unterscheidung getroffen hat, gerade auf der Grundlage natürlich der traurigen historischen Erfahrungen, hat man an solche Situationen, an solche Gefahrenlagen noch gar nicht denken können, weil sie überhaupt nicht erkennbar waren. Aber ich muss … Verantwortliche Sicherheitspolitik bedeutet, dass man die Gefahren bekämpft, so wie es die Sicherheit gebietet. Und da wird, wie ich fürchte, uns nichts darum bringen können, auch hier die Frage einer militärischen Option aufzunehmen.
    Heckmann: Wir halten fest, Herr Scholz: Die Bundeswehr darf ja jetzt nach derzeitiger Rechtslage bereits bei einer Terrorgroßlage im Innern eingesetzt werden. Aber Herr Scholz, wenn das so ist, weshalb sollten wir dann das Grundgesetz ändern?
    Scholz: Das Grundgesetz ändern bedeutet meines Erachtens, dass die Rechtsklarheit da ist. Ich habe ja vorhin die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zitiert, die meines Erachtens viel zu unklar ist. Man muss Rechtssicherheit haben. Und es muss vor allem auch klar sein, dass, wenn es zu einem solchen Bundeswehreinsatz kommt, dass dann der Oberbefehl entweder beim Bundeskanzler, der Bundeskanzlerin oder beim Verteidigungsminister liegt. Es kann nicht sein, dass das ganze Bundeskabinett entscheiden soll. Man stelle sich vor, ein Flugzeug würde entführt und dann sucht man in Deutschland, wo gerade die ganzen Damen und Herren Bundesminister anwesend sind, damit sie da gegebenenfalls zustimmen. Das ist im Grunde lebensfremd. Und das sollte deshalb verfassungsrechtlich im Grunde klargestellt werden.
    Einsatz bei schweren terroristischen Angriffen sinnvoll
    Heckmann: Also, Ihnen geht es lediglich um eine Klarstellung oder geht es auch darum, Möglichkeiten auszuweiten?
    Scholz: Das ist im Grunde nicht klar beantwortbar in dem Sinne, weil das Bundesverfassungsgericht mit der kleinen Tür, die es sozusagen aufgemacht hat in der Auslegung des Artikel 35, Stichwort Katastrophenfall, im Grunde uns nicht klar gesagt hat, was denn nun ein besonders schwerer terroristischer Fall ist. Und wer soll das dann entscheiden in der Praxis? Wer soll sagen, ich bin in einem besonders schweren Fall schon oder ich bin noch nicht in einem besonders schweren Fall? Auch hier brauchen wir Rechtssicherheit. Und ich denke, deshalb wäre es richtig, in den Artikel 35 etwa die Formel aufzunehmen, neben dem Katastrophen- und Unglücksfall bei schweren terroristischen Angriffen oder schweren terroristischen Gefährdungen kann die Bundeswehr eingesetzt werden, unter dem Oberbefehl entweder des Bundeskanzlers, Bundeskanzlerin oder des Verteidigungsministers.
    Heckmann: Aber Sie wissen auch, Herr Scholz, dass eine solche Grundgesetzänderung keine Aussicht hat, realisiert zu werden. Die SPD und auch die Opposition ist strikt dagegen.
    Scholz: Im Moment ja, aber ich fürchte, der Tag wird kommen, in dem man auch in diesen Parteien die Geschichte sich noch mal sehr nachdrücklich wird überlegen müssen. Aber bitte, ich hoffe, mit allen anderen, auch mit der Gewerkschaft der Polizei, dass das Ganze nicht nötig wird, dass wir verschont bleiben von so schrecklichen Anschlägen. Aber die Gefahr ist da.
    Heckmann: Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz war das von der CDU, zugleich Staatsrechtler. Herr Scholz, danke Ihnen sehr für das Gespräch hier im Deutschlandfunk am frühen Morgen, und schönen Tag!
    Scholz: Ja, Ihnen auch, danke!
    Heckmann: Danke, tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.