Martin Zagatta: Der Bundestag will in den nächsten Tagen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr noch einmal verlängern, den längsten und verlustreichsten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr, und das, obwohl US-Präsident Trump amerikanische Truppen von dort abziehen will.
Selbst in der FDP, die bisher noch jedes Afghanistan-Mandat mitgetragen hat seit 2001, gibt es diesmal Bedenken, nicht so oder kaum so aber in der SPD, die Auslandseinsätze sonst auch schon kritisch gesehen hat. Warum das so ist, das kann ich jetzt Fritz Felgentreu fragen, den Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss. Guten Morgen, Herr Felgentreu!
Fritz Felgentreu: Guten Morgen, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Felgentreu, die USA wollen raus aus Afghanistan, die Bundeswehr soll bleiben. Warum stimmt die SPD da jetzt zu, das Mandat zu verlängern?
Felgentreu: Ja, also dass die Amerikaner abziehen wollen, wissen wir bisher nur aus Tweets von Donald Trump.
Zagatta: Der setzt die meistens aber auch um.
Felgentreu: Ja, aber konkret ist es immer so, es geht ja hier um einen NATO-Einsatz, die Resolute Support Mission, und die NATO beschließt alles immer einstimmig. Das ist ein eiserner Grundsatz in der NATO. Das heißt, wir sind gemeinsam nach Afghanistan gegangen, wir gehen auch gemeinsam wieder raus. Deutschland kann natürlich in Afghanistan nicht bleiben, wenn Amerika abzieht, das ist völlig selbstverständlich.
"Wir kennen keinerlei konkrete Pläne"
Zagatta: Wollte ich Sie fragen, was passiert dann, wenn Trump da seine Pläne umsetzt? Er will ja die Hälfte der Truppen dort, also 7.000 Leute etwa von insgesamt 14.000 Soldaten, will er abziehen.
Felgentreu: Wir kennen keinerlei konkrete Pläne. An den Rahmenbedingungen für den Einsatz hat sich für die Bundeswehr erst mal überhaupt nichts geändert. Für uns ist klar: Wir haben einen bestimmten Auftrag im Norden von Afghanistan, nämlich die Ausbildung der dortigen afghanischen Streitkräfte, den erfüllen wir mit einer ganzen Reihe von kleineren Partnern, die sich an Deutschland als Leitnation sozusagen da anlehnen. Und die Rahmenbedingungen für diesen Einsatz, die werden auch dadurch sichergestellt, dass die Amerikaner eben da sind und in anderen Teilen von Afghanistan für Sicherheit sorgen. Wenn sich daran jetzt was ändert, dann kann Deutschland nicht bleiben, aber daran ändert sich bisher nichts und insofern bleiben die Grundbedingungen so, wie wir sie immer gehabt haben.
Zagatta: In Presseberichten heißt es ja, die Bundesregierung erwäge sogar, die Zahl der deutschen Soldaten noch aufzustocken, wenn die Amerikaner sich dort zurückziehen würden oder teilweise zurückziehen würden. Habe ich Sie recht verstanden, das würden Sie nicht machen, das schließen Sie aus?
Felgentreu: Das ist sowieso ein Missverständnis. Die Bundeswehr hat für ihren Einsatz, so, wie er jetzt ist, immer auch ein paar Reserven vorgesehen für den Fall, dass mal eine dieser kleineren Nationen, die ich eben erwähnt habe, aus irgendeinem Grund ihre Verpflichtungen nicht erfüllen können. Dann müssen wir ja trotzdem in der Lage sein, den Auftrag auszuführen. Dafür sind Reserven vorgesehen, das war schon immer so. Das bewegte sich auch immer innerhalb des Rahmens des Mandats, den der Bundestag beschlossen hat. Und auch daran hat sich nichts geändert.
"Beide Seiten überzeugen, dass sie Frieden schließen müssen"
Zagatta: Experten sagen ja ohnehin, die Sicherheitslage in Afghanistan, die habe sich in letzter Zeit sogar noch verschlechtert, die afghanische Regierung, die kontrolliere nur noch die Hälfte des Landes, überhaupt, es gibt Mordanschläge, das zurückliegende Jahr war das tödlichste überhaupt. Was bringt denn dieser Einsatz überhaupt noch?
Felgentreu: Na ja, ein Grund dafür, dass die Kampfhandlungen in Afghanistan auch wieder an Gewalttätigkeit zugenommen haben, liegt genau darin, dass im Moment viel Druck gemacht wird auf beide Seiten dieses Bürgerkrieges, dass sie Frieden schließen sollen, und es laufen ja auch im Hintergrund eine Reihe von Verhandlungen. In dieser Phase versuchen beide, die Ausgangsposition für Verhandlungen zu verbessern, indem sie eben auf militärischem Gebiet stärker aktiv werden als in der Vergangenheit. Die Situation ist seit Längerem so, dass es eine Art strategisches Patt gibt zwischen beiden Seiten, und der Beratungs- und Ausbildungseinsatz der Bundeswehr trägt dazu bei, dieses Patt zu erhalten.
Die afghanischen Streitkräfte kontrollieren im Wesentlichen die großen Zentren, wo die meisten Menschen leben, und die Taliban können sich im flachen Land mehr oder weniger frei bewegen und auf diese Weise ihre Anschläge und Angriffe vorbereiten. Keine der beiden Seiten kann gewinnen, und so lange die ausländischen Kräfte in Afghanistan vorhanden sind, bleibt das auch so. Unser Ziel ist es, beide Seiten davon zu überzeugen, dass sie Frieden schließen müssen.
"Dass man miteinander redet, ist immer besser"
Zagatta: Herr Felgentreu, wir bilden die Streitkräfte der afghanischen Regierung aus, also Deutschland bildet die aus, und diese Regierung, mit der wir dort zusammenarbeiten, die beschwert sich, dass mit ihren Gegnern, mit den Taliban über ihren Kopf hinweg verhandelt wird. Die Taliban haben auch gerade wieder 20 afghanische Soldaten umgebracht. Kann man da verantworten, was da jetzt passiert, dass Deutschland da eine Friedenskonferenz in Aussicht stellt und will da auch die Taliban nach Deutschland einladen. Fällt man der afghanischen Regierung da nicht richtig in den Rücken?
Felgentreu: Also dass man miteinander redet ist immer besser, als dass man aufeinander schießt. Ich kann die afghanische Regierung verstehen, dass sie bei allem, was geschieht, immer auch einbezogen werden wollen. Für mich ist aber klar: Am Ende wird ein Vertrag zwischen den beiden Seiten dieses Bürgerkrieges geschlossen, also ein Vertrag wird nicht zustande kommen ohne Beteiligung der afghanischen Regierung, wie soll das gehen? Das ist offensichtlich.
SPD strebt eine Vollausstattung der Bundeswehr an
Zagatta: Kann man das aus deutscher Sicht überhaupt noch verantworten, deutsche Soldaten in Afghanistan zu lassen, wenn wir hören, in welch schlechtem Zustand die Bundeswehr ist, dass die beispielsweise auch nur, was jetzt ihre Grundausrüstung angeht, ihre wichtigsten Waffensysteme, dass die nur noch zu 70 Prozent einsatzfähig ist?
Felgentreu: Also die Bundeswehr ist in den vergangenen 20 Jahren Schritt für Schritt, wenn man es positiv formulieren will, auf die Einsätze hin optimiert worden, ist eine Formulierung, die ich mal gelesen habe. Das heißt, sie ist so aufgestellt worden, dass sie in erster Linie diese Einsätze durchführen kann. Das Problem ist, sie konnte so gut wie nichts mehr über die Einsätze hinaus. Das heißt, vor Ort, wo wir Einsätze durchführen, ist immer alles vorhanden, was die Soldaten brauchen, um sich selbst zu schützen und um ihren Einsatz erfolgreich durchzuführen. Oft führt das übrigens dazu, dass sie zu Hause, wenn sie sich auf den Einsatz vorbereiten, da schon das nötige Material nicht mehr haben, sondern die Einsatzmittel, mit denen sie dann arbeiten müssen, erst vorfinden, wenn sie am Ort sind. Natürlich, das kritisieren wir ganz heftig. Die SPD strebt an, eine Vollausstattung der Bundeswehr, 100 Prozent Ausrüstung mit Waffen, Gerät und Personal zu erreichen. Aber vor Ort in den Einsätzen haben die Soldaten, was sie brauchen. Insofern kann man das auch verantworten.
Zagatta: Sie sagen, die SPD steht da hinter den Soldaten, aber jetzt sollen die Verteidigungsausgaben ja auf Drängen der SPD weit weniger stark steigen als eigentlich geplant. Die Zusage der Bundesregierung an die NATO, die ja mitgetragen war von der SPD, war ja, die Ausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Das soll jetzt, so habe ich das zumindest gelesen, nach dem Willen der SPD nicht mehr gelten. Ist Deutschland da überhaupt noch ein glaubwürdiger Partner?
"Keine einsame Entscheidung eines einzelnen Ministers"
Felgentreu: Ja, also gelesen habe ich das auch. Ich bin bisher auch immer von dieser 1,5-Zahl ausgegangen, für mich ist das selber eine neue Entwicklung. Konkrete Zahlen kenne ich aber bisher nicht. Das sind Presseberichte, Medienberichte. Am kommenden Mittwoch wird es einen Eckwerte-Beschluss der Bundesregierung für den Haushalt 2020 geben. Auf den warte ich auch relativ gespannt. Nur man muss ja eines klar machen...
Zagatta: Darf ich Sie da kurz unterbrechen, Sie gehen davon aus, dass man sich an diese zugesagten 1,5 Prozent hält?
Felgentreu: Na, bisher bin ich immer davon ausgegangen. Ich war genauso überrascht wie Sie, als ich diese Berichte gelesen habe, nur …
Zagatta: Trauen Sie Ihrem Finanzminister das nicht zu, davon abzurücken?
Felgentreu: Ja, entschuldigen Sie, lassen Sie mich mal den Gedanken kurz zu Ende bringen. Dieser Eckwerte-Beschluss ist ja kein einsames Produkt der Hexenküche des Bundesfinanzministers, sondern es ist ein gemeinsam getragener Beschluss der gesamten Regierung, das heißt, wenn jetzt die Bundesregierung von diesem bisher angenommenen Ziel abrückt, dann wird sie dafür ihre Gründe haben. Ich will die dann aber auch wissen, wenn die Zahlen vorliegen und wenn ich weiß, wovon die Bundesregierung bei ihren Planungen für den Haushalt 2020 ausgeht. Es ist, wie gesagt, keine einsame Entscheidung eines einzelnen Ministers, sondern ein Kabinettsbeschluss.
Zagatta: Der Bericht über die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr, der soll in Zukunft geheim gehalten werden. Sie gehen davon aber aus, dass das nach wie vor alles transparent abläuft? Also Sie werden mehr erfahren als die Öffentlichkeit?
"Geheimhaltung hat es bei sensiblen Behörden immer gegeben"
Felgentreu: Na ja, die Geheimhaltung bedeutet immer, dass bestimmte Dokumente den Abgeordneten, denen sie vorgelegt werden, zugänglich gemacht werden in einem Geheimschutzraum des Bundestages.
Zagatta: Muss das, was die Bundeswehr angeht, gemacht werden? Das war doch mal eine Armee des Volkes, so hieß das doch mal.
Felgentreu: Das ist sie immer noch, aber Geheimhaltung hat es natürlich in der Bundeswehr wie auch in Polizei und anderen sensiblen Behörden immer gegeben. Wir waren vielleicht in der Vergangenheit mit der Frage von bestimmten sensiblen Informationen auch ein bisschen zu lax. Ob jetzt gleich der Schritt gegangen werden musste vom offenen Zugang zu diesem Bericht zu einer so strengen Geheimhaltung, das hat das Ministerium beziehungsweise das hat der Generalinspekteur so entschieden. Ich gucke mir diesen Bericht an und werde mir da mein eigenes Urteil bilden. Vielleicht sind da auch Kompromisse möglich in der Zukunft. Der Generalinspekteur hat in der Vergangenheit auch schon Berichte vorgelegt, wo er einen Teil öffentlich gemacht hat und einen anderen Teil geheim. Vielleicht sind solche Brücken für die Zukunft denkbar.
Zagatta: Heute Morgen im Deutschlandfunk, Fritz Felgentreu, der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Verteidigungsausschuss. Herr Felgentreu, ich bedanke mich für das Gespräch!
Felgentreu: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.