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Bundeswehrverband: Personalbedarf der Truppe bei 60.000 jährlich

Oberst Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, sorgt die künftige Personalgewinnung: 40 Prozent des Nachwuchses konnte man bisher aus Wehrpflichtigen gewinnen. Nun müsse man in Wettbewerb treten mit Unternehmen - das müsse im Finanzbedarf der Truppe eine Rolle spielen.

Oberst Ulrich Kirsch im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat bereits letzte Woche Entwarnung gegeben: die Bundeswehr wird einsatzfähig bleiben, obwohl es die Wehrpflicht seit dem 1. Juli nicht mehr gibt. Mehr als 3.000 freiwillige Wehrdienstleistende werden heute in die Kasernen einrücken. Fachleute warnen davor, dass sich ab dem nächsten Jahr Lücken auftun könnten. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Bundeswehr effizient genug organisiert ist, oder ob sie zu teuer arbeitet.
    Jetzt sind wir mit Ulrich Kirsch verbunden, dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes. Herr Kirsch, guten Morgen!

    Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Herr Herter!

    Herter: Herr Kirsch, der Bundeswehrverband vertritt seit Jahrzehnten die Interessen der bei der Bundeswehr Beschäftigten. War Ihre Lobbyarbeit so erfolgreich, dass wir jetzt einen viel zu aufgeblähten Apparat haben?

    Kirsch: Nein, das denke ich ganz sicherlich nicht. Und es ist ja schon ganz spannend, dass gerade die European Defence Agency, die EDA, diese Studie in Auftrag gegeben hat, denn offensichtlich scheint es ja nun doch mal loszugehen mit europäischen Überlegungen, dass man sich miteinander vergleicht, dass man ganz offensichtlich auch mal etwas mehr ins Gespräch kommen will. Aber diese Ineffizienz, die hier geschildert wird, hat ja den ehemaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg gerade veranlasst, diese Reform zu beginnen, und ich darf daran erinnern, dass wir seit 1990 sechs Reformen hinter uns haben. Wir haben damals die Nationale Volksarmee in die Bundeswehr integriert und ansonsten hatten wir die Wechselbäder der Gefühle, die wir ja alle mitbekommen haben.

    Herter: Nun ja, das hat aber nichts genutzt. Wenn man das Resultat ansieht, dann stehen die kämpfenden Soldaten oder die Kampftruppen sozusagen völlig im Missverhältnis zum Verwaltungsapparat.

    Kirsch: Das ist richtig, ja, und da müssen wir ran. Das ist im Übrigen eine Auffassung, die der Deutsche Bundeswehrverband schon im Grunde genommen, seit Wegfall des Ost-West-Konfliktes auch immer wieder deutlich gemacht hat, dass wir zu aufgeblähte Stäbe haben, und in der Tat müssen wir genau an diesen Ansatz ran.

    Herter: Und warum waren 20 Jahre nicht Zeit genug, um daran etwas zu ändern?

    Kirsch: Ja gut, das hängt vielleicht damit zusammen, dass wir uns außerordentlich schwer getan haben, auch in den Köpfen sehr schwer getan haben, uns auf das auszurichten, was wir jetzt, so wie es auch die verteidigungspolitischen Richtlinien vorsehen, als die wahrscheinlicheren Einsätze im Rahmen der Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Kampf gegen den internationalen Terrorismus angehen. Das, denke ich, ist ein intensiver Umdenkungsprozess gerade in Deutschland gewesen, und der findet jetzt statt.
    Trotzdem lassen Sie mich eines noch dazu sagen: Die Wehrpflicht haben wir nicht mehr, die Grundwehrdienstleistenden wird es nicht mehr geben, und das wird auch den Charakter der Armee verändern. Darüber muss man sich im Klaren sein.

    Herter: In diesem Zusammenhang hat der Verteidigungsminister darauf hingewiesen, dass es keine Gammeldienste geben dürfte, weil die Bundeswehr sonst für Freiwillige nicht attraktiv würde. Legt er den Finger hier in die falsche Wunde?

    Kirsch: Dieses Thema Gammeldienste ist ja immer wieder ein großer Vorwurf gewesen, dass es eben Grundwehrdienstleistende gegeben hat, die nicht genügend zu tun hatten. Das gab es auch an verschiedenen Stellen, das darf man nicht bestreiten. Aber wenn wir mal die Frage stellen, in welche Wunde man den Finger tatsächlich legen muss, dann müssen wir auf das schauen, was auf uns zukommt. Ich freue mich ja sehr über die Zahlen, die jetzt da sind, und es gibt kaum jemanden, der sich mehr freut als ich darüber, wenn diese Streitkräfte mit gutem Personal versehen sind. Aber wir werden trotzdem künftig in besondere Herausforderungen hinein kommen, denn wenn man sich mal überlegt, dass künftig so in etwa 600.000 Neuankömmlinge auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten sind und die Bundeswehr alleine 60.000 – lassen Sie es ein paar weniger sein – im Jahr braucht, die in die Streitkräfte kommen, um dort die Aufgaben wahrzunehmen, dann wird deutlich, welche große Herausforderung wir vor Augen haben müssen.

    Herter: Herr Kirsch, Generationen von Fachleuten haben uns erklärt, dass die Wehrpflicht notwendig ist, um Zeit- und Berufssoldaten zu gewinnen, weil die jungen Leute dann schon mal im Apparat drin sind und man die sozusagen länger verpflichten kann. Das fällt jetzt weg. Ist das die entscheidende Gefahr für die Nachwuchsgewinnung?

    Kirsch: Nun muss man ja hier ganz nüchtern betrachten, dass es keine sicherheitspolitische Ableitung – so hat die Bundesregierung festgestellt; ich hätte mir auch gewünscht, dass das Parlament das auch noch so feststellt -, dass es diese sicherheitspolitische Ableitung für die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr gibt, und dann kann ich keinen jungen Mann mehr einberufen. Natürlich war das gut! 40 Prozent des guten Nachwuchses haben wir über die allgemeine Wehrpflicht bekommen. Gar keine Frage! Das ist aber vorbei und deswegen müssen wir uns neu ausrichten, und neu ausrichten heißt, dass wir im Wettbewerb mit großen, mittelständischen und kleinen Unternehmen eben eine Chance haben. Und die Chance haben wir nur, wenn wir hoch attraktiv sind, und das ist das, für das ich werbe, dass die Attraktivitätssteigerung ganz zentral auch in der Überlegung, wie finanziere ich künftige Streitkräfte, eine Rolle spielen muss.

    Herter: Brauchen wir dafür noch sieben Musterungszentren und 52 Kreiswehrersatzämter in Deutschland?

    Kirsch: Da muss man neu nachdenken, da braucht man andere Ansätze, man braucht vor allen Dingen die Ansätze, die erforderlich sind, um jungen Leuten in der Gesamtheit deutlich zu machen, was es heißt, Soldat zu werden. Ich werbe im Übrigen sehr dafür, das komplett deutlich zu machen und nicht nur die schönen Seiten des Soldatenberufes zu verdeutlichen, sondern hier kommt es besonders auf Seriosität an, was eben auch die Gefahren dieses Berufes angeht.

    Herter: Ist die Gefahr bei der Werbung, dass man vor allem junge Rambos – so nenne ich das mal – für den Soldatenberuf anwerben wird?

    Kirsch: Die wollen wir ja nun gerade nicht haben. Wir brauchen auch künftig den Soldaten, der in der Lage ist, richtig zu reagieren in schwierigen Lagen, in Einsatzgebieten, wie wir sie kennen aus Afghanistan, oder auch aus dem Kosovo heraus, und dazu gehört, dass jemand multikulturell ist, dass jemand interkulturelle Kompetenz hat, dass jemand aber eben auch in der Lage ist, verschiedene Sprachen zu sprechen. Ich will das jetzt nicht alles weiter aufzählen, aber es kommt also schon ein hohes Anforderungsprofil zusammen.

    Herter: Und man muss die jungen Leute auch darauf vorbereiten, dass Tod und Sterben zu einem Einsatz gehören kann?

    Kirsch: Ganz sicher! Das ist das, was ich vorhin damit zum Ausdruck bringen wollte, dass man umfassend deutlich machen muss, was der Soldatenberuf in letzter Konsequenz bedeutet.

    Herter: Das war Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, im Deutschlandfunk-Interview. Herr Kirsch, herzlichen Dank.

    Kirsch: Gerne, Herr Herter!

    Am 1. Juli endete die Wehrpflicht in Deutschland. Sie bleibt jedoch für den Verteidigungsfall im Grundgesetz verankert. Die letzten wehrpflichtigen Rekruten wurden am 3. Januar eingezogen.

    Der Generalinspekteur der Bundeswehr Wieker kündigte im Interview der Woche im Deutschlandfunk an, die Attraktivität der Streitkräfte verbessern zu wollen.