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Bundesweiter Lehrermangel
"Bildung hat einfach nicht den Rang, den sie haben sollte"

Auf Deutschland kommt ein dramatischer Lehrermangel zu: Bis 2030 werden rund 32.000 neue Lehrer eingestellt werden müssen. Jedes Jahr, so die Prognose der Kultusministerkonferenz, werden aber 700 Stellen unbesetzt bleiben. Die Politik habe geschlafen, so die Kritik von Lehrerverbänden.

Von Christiane Habermalz |
    Eine leere Schultafel und eine Schultasche.
    Lehrermangel betrifft besonders die neuen Bundesländer. (imago / Ute Grabowsky)
    Lange ließen sich die Bildungsminister der Länder gestern Abend Zeit, bis sie endlich die Zahlen auf den Tisch legten. Bis zuletzt waren Statistiken und Bedarfsmeldungen hin und her gerechnet worden. Doch das Ergebnis blieb verheerend: Bis 2030 werden bundesweit rund 32.000 neue Lehrer eingestellt müssen. Doch mit den ausgebildeten Pädagogen, die in dieser Zeit voraussichtlich die Hochschulen verlassen, wird dieser Bedarf nicht gedeckt werden können. Jedes Jahr, so die Prognose der Kultusminister, dürften deshalb 700 Stellen unbesetzt bleiben – jährlich. Auch im Westen tun sich Lücken auf, doch der größte Mangel betrifft die neuen Bundesländer.
    "Unterdeckung in Sachsen-Anhalt beträgt 50 Prozent"
    "Also die Unterdeckung in Sachsen-Anhalt beträgt 50 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 30 Prozent, in meinem Land Thüringen 20 Prozent, da wird schon deutlich, wo die Herausforderungen stehen",
    erklärte Helmut Holter, Bildungsminister in Thüringen, der zur Zeit turnusmäßig die Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz innehat.
    "Andererseits haben wir aufgrund der Schülerprognosen Aufwüchse bei den Schülerinnen und Schülern, damit auch einen erhöhten Lehrerbedarf, aber nach 2030 geht das auch wieder runter. Also wir haben da eine ständige Entwicklung. Und deswegen haben wir als KMK uns auch entschieden, dass wir diese Prognose ständig fortschreiben zu einem Stichtag pro Jahr, um auch immer aktuelle Zahlen zu haben, um eine vorausschauende Politik betreiben zu können."
    Das kommt viel zu spät, so die Kritik der Lehrerverbände. Die Bildungsminister hätten die absehbare Entwicklung, steigende Geburtenraten, Zuwanderung und Pensionierungswellen schlicht verschlafen. Lehrerbedarfsplanung sei kein Hexenwerk, kritisierte Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbandes und verwies auf das Beispiel Berlin, in dem aus der Not heraus bereits um die 800 Quereinsteiger und 900 Lehrer ohne Lehrbefähigung eingestellt worden seien.
    Überall Lehramts-Studienplätze abgebaut
    Bereits 2007 hat damals die Oberstudiendirektorenkonferenz von Berlin darauf aufmerksam gemacht, dass in den nächsten sieben Jahren ein zukünftiger Mangel von Fachlehrern vorhanden sei, wegen der anstehenden Pensionierungen. Also nicht Überraschendes. Das heißt, zwei Drittel der damaligen Mangelfachlehrer hätten damals eben schon vor einer Pensionierung gestanden und innerhalb der nächsten 10 Jahre ersetzt werden müssen.
    Lin-Klitzing kritiserte, dass außerdem in den letzten Jahren fast überall Lehramts-Studienplätze abgebaut oder mit hohen NCs versehen worden seien. Sie forderte eine jährlich aktualisierte Schülerstatistik in allen Ländern und vor allem die regelmäßige Feststellung des Lehrkräftebedarfs bezogen auf die Schularten – denn die variierten in hohem Maße. Mit der Politik ging die Philologenverbandsvorsitzende hart ins Gericht.
    "Bildung hat einfach nicht den Rang, den sie haben sollte. Und hier liegt ein eklatantes politisches Versagen, sowohl in Bezug auf die Planung als auch in Bezug auf die Einstellung in den einzelnen Ländern vor."
    Größte Lücken an Grund – und Berufsschulen
    Die größten Lücken tun sich an den Grund – und Berufsschulen sowie bei den Sonderpädagogen auf. Gymnasiallehrer dagegen können mit bestimmten Fächerkombinationen sogar arbeitslos sein. Bayern hat deshalb das Problem Lehrermangel minimieren können, indem es bereits seit einigen Jahren Gymnasiallehrer für den Einsatz in Grund- und Förderschulen umschult. Das Land konnte in diesem Schuljahr nicht nur alle freigewordenen Stellen mit Pädagogen nachbesetzen, sondern sogar für weitere Aufgaben 850 zusätzliche Lehrer einstellen. Ein weitere Grund dafür: Die Bayern zahlen besser. Das Problem, dass sich die Länder die Lehrer gegenseitig abwerben, bleibt groß, räumt KMK-Präsident Holter ein. Denn jedes Land sei sich erst mal selbst das nächste.
    "Dort eine Strategie zu entwickeln ist schwierig, denn jedes Land denkt da erstmal an sich, will sein Problem lösen, deswegen bin ich auch dafür, dass wir zu einer Harmonisierung bei den Gehältern kommen. Das ist aber ein Appell. Wir können da keine Verabredung treffen, der Wettbewerb um die Köpfe auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, der tobt."