Der sogenannte Tankrabatt, den die Bundesregierung angesichts hoher Spritpreise zur Entlastung von Autofahrern eingeführt hat, stand von Beginn an in der Kritik. Tatsächlich reichen die Mineralölkonzerne die Steuersenkung auf Kraftstoffe offensichtlich nicht vollumfänglich an die Verbraucher weiter, die Preise für Benzin und Diesel an den Tankstellen verharren auf hohem Niveau. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich deshalb für eine Übergewinnsteuer ausgesprochen, räumte aber jetzt im Interview ein, dass diese in der Ampel-Koalition nicht mehrheitsfähig sei. Stattdessen will er nun das Kartellrecht so refomieren, dass es einen ähnlichen Effekt haben kann wie eine Übergewinnsteuer. "Wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen", kündigte Habeck an.
Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Herr Minister, wir senken die Steuern und gehen davon aus, dass die Mineralölkonzerne das weitergeben werden. Wie blauäugig ist diese Bundesregierung?
Robert Habeck: Nicht ganz so blauäugig, wie es im Moment in dem Beitrag schien, denn die Senkung wird teilweise weitergegeben. Das ist natürlich überhaupt nicht befriedigend, aber ungefähr die Hälfte jedenfalls – heute habe ich auf die Tankstellenpreise noch mal geschaut – ist weitergegeben worden, wenn man den Startpunkt von vor der Senkung nimmt. Aber es ist schon richtig, auch andere Steuersenkungen – die Mehrwertsteuersenkung während der Corona-Pandemie oder der ermäßigte Umsatzsteuersatz für die Hotels – sind nicht voll weitergegeben worden. Deswegen war das nie unser Vorschlag oder unser Wunsch, diese Steuersenkung zu machen, aber wenn eine nicht so gute Idee schlecht läuft, dann muss man natürlich trotzdem helfen.
Verantwortung übernehmen für Tankrabatt-Schlamassel
Heinemann: Wer ist in der Bundesregierung dafür verantwortlich, dass möglicherweise ein großer Teil dieser drei Milliarden Euro in den Taschen der Konzerne landen werden?
Habeck: Das hilft jetzt nicht weiter, die Frage. Ich hab doch schon gesagt …
Heinemann: Das fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger.
Habeck: Die Frage ist, wer Verantwortung übernimmt, den Schlamassel ein bisschen weniger groß werden zu lassen, und dazu bin ich gerne bereit.
Heinemann: Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat am Wochenende bei uns im Deutschlandfunk mitgeteilt, dass die FDP nicht schuld ist.
Zitat Volker Wissing: "Es wäre besser gewesen, man hätte auf Christian Lindner gehört, denn sein Vorschlag war, dass eben an den Mineralölkonzernen vorbei diese Entlastung unmittelbar den Bürgerinnen und Bürgern zukommt."
"Der Tankstellenrabatt war nie unser Wunsch"
Heinemann: Warum haben SPD und Grüne nicht auf die FDP gehört?
Habeck: Weil der Vorschlag am Ende aufs Gleiche rausgelaufen wäre. Möglicherweise, so jedenfalls war das Konzept, das ich damals verstanden hatte, wäre es noch teurer geworden, weil man damit ja noch unter zwei Euro bleiben wollte. Das wäre quasi die Einladung zum Beutezug gegen den Staat gewesen. Ich will aber noch mal sagen, ich halte diese Debatte für nicht zielführend. Sie haben gerade die Bundesvorsitzende Ricarda Lang eingespielt: Sie – obwohl das nie unser Vorschlag war, obwohl wir das immer nicht so gut fanden – sagt, wir stehen zu den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag oder in dem Koalitionsausschuss, so sollten es alle handhaben. Das haben wir jetzt gemeinsam so beschlossen, auch wenn sich das zusammensetzt aus verschiedenen Wünschen, und dieser Tankstellenrabatt, wie eingeführt, war nie unser Wunsch. Aber wir stehen da jetzt alle gemeinsam zu und sollten nicht nachträglich ruminterpretieren, was hätte werden können, denn dann müsste man sagen, von meiner Seite auch, da gab es warnende Stimmen genug, die gesagt haben, das ist keine gute Idee, lasst das mal schön sein. So, tun wir nicht, ich will nach vorne gucken, und nach vorne gucken heißt, nicht sich in eine komplette Hilflosigkeit manövrieren zu lassen. Deswegen sind diese Vorschläge, ich sag mal, die Mineralölkonzernchefs einbestellen und mit ihnen ein ernstes Wort reden, natürlich auch ein gewisser Ausdruck der Hilflosigkeit.
"Übergewinnsteuer politisch nicht durchsetzbar"
Heinemann: Schauen wir mal nach vorne, Herr Habeck: Wann und wie sollte das Kartellamt Gewinne der Mineralölkonzerne abschöpfen können?
Habeck: Das kann es sogar theoretisch jetzt schon nach dem Paragrafen 34 des GWB, aber das ist schwer anzuwenden, weil der Nachweis erbracht werden muss, dass es ein Kartell ist. Man stellt sich das Kartell quasi so vor: Leute mit Sonnenbrillen sitzen in Hinterzimmern und verabreden sich. So läuft es natürlich nicht, deswegen ist der Nachweis so schwer zu erbringen. Um diesen Nachweis zu erleichtern, also diesen vermachteten Markt, der ja wie ein Kartell funktioniert, ohne dass ich davon ausgehen muss, dass es eine richtige Absprache - Sonnenbrille, Hinterzimmer - gibt, müssen wir das Kartellrecht reformieren. Und dann in der Tat kann man das machen, was die Übergewinnbesteuerung machen könnte, aber wohl politisch nicht durchsetzbar ist: Man kann dann bei Nachweis, dass es sich hier um eine kartellähnliche Struktur handelt, die Übergewinne einfach abschöpfen.
"Wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen"
Heinemann: Aber die sind ja vom Tisch, haben Sie gerade gesagt.
Habeck: Die Übergewinnbesteuerung scheint in der Koalition nicht mehrheitsfähig zu sein, also nutzen wir jetzt das Kartellrecht. Das müssen wir allerdings reformieren, weil es ist noch nie gelungen, diese Übergewinne abzuschöpfen, also den Nachweis zu führen. Das ist aber nicht akzeptabel, das steht ja im Gesetz jetzt schon drin – eine Idee des Gesetzgebers, die nicht zur Anwendung kommen kann, das ist ja unbefriedigend. Also ist mein Vorschlag jetzt, wir ändern das Kartellrecht, wir machen ein Kartellrecht mit Klauen und Zähnen, wir gehen zurück quasi zur Uridee der sozialen Marktwirtschaft – das ist ja die Tradition meines Hauses: Wettbewerb sorgt für günstige Preise, günstige Preise sind gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher, sind gut für Deutschland.
Heinemann: Herr Habeck, ganz kurz noch mal für unsere Kolleginnen und Kollegen in der Nachrichtenredaktion, die jetzt gleich eine Meldung formulieren werden: Die Übergewinnsteuer dieser Regierung ist vom Tisch, kann man das so festhalten?
Habeck: Sie ist nur dann möglich, wenn alle Koalitionspartner zustimmen – und Sie haben ja gerade den Bundesfinanzminister eingespielt. Ich weiß nicht, ob sich da noch was bewegt, ich kann sie nicht vom Tisch nehmen, ich halte sie ja für eine gute Idee, und werde sie auch nicht vom Tisch nehmen, aber was ich tun kann, ist, einen Vorschlag unterbreiten, der zielgenau einen ähnlichen Effekt hat. Und das machen wir jetzt, und deswegen versuchen wir jetzt, das Kartellrecht möglichst schnell zu reformieren.
Heinemann: Wieso benötigten Sie das Tankrabattfiasko, um zu erkennen, dass auf dem Mineralölmarkt die Zügel angezogen werden müssen?
Habeck: Nein, benötigten wir nicht. Das steht in Teilen schon im Koalitionsvertrag drin, dass wir das Kartellrecht reformieren wollen, das ist aber eigentlich eine komplizierte Operation. Das ziehen wir jetzt vor und nutzen die vielen Aufforderungen an mich, die gesagt haben, kümmere dich mal mit dem Kartellamt darum, um das Kartellamt in eine Lage zu versetzen, dass es sich überhaupt kümmern kann.
"Kartellamt kann noch nicht in die Bücher der Konzerne gucken"
Heinemann: Welche Hürden wollen Sie denn jetzt konkret senken, um den Nachweis erbringen zu können, dass Unternehmen eben vorsätzlich oder fahrlässig gegen das Kartellrecht verstoßen haben?
Habeck: Es beginnt damit, dass wir die sogenannte Sektorenuntersuchung tiefer gehen lassen. Das Kartellamt ist jetzt natürlich schon dabei, auch bei den Mineralölkonzernen zu untersuchen, wie sich die Preise zusammensetzen. Das kann es im Moment allerdings nur auf der Oberfläche, also schauen, wann wurden die Preise erhöht, ist das zeitgleich passiert und so weiter. Das Kartellamt kann im Moment noch nicht in die Bücher der Konzerne gucken, also zu welchen Preisen wurden die Rohölmengen präzise eingekauft, zeitgleich eingekauft, wie sind die Gewinne in den Unternehmen, wie effektiv arbeiten die Unternehmen, und dann einen Abgleich machen der Preise. Das ist sozusagen das Erste, dass man die Datengrundlage dann bekommt. Und dann zweitens, und das ist ja der weiter gehende Schritt und der weitgehende Schritt: Wenn die Wirkungen wie Kartell sind, dann gehen wir davon aus, dass es sich um ein Kartell handelt. Also das ist quasi eine Beweislastumkehr, wenn Sie so wollen. Und das ist der Schritt, der jetzt angedacht ist.
"Politik ist nicht so wehrlos, wie man manchmal denkt"
Heinemann: Und als Ultima Ratio, wie stellen Sie sich eine Zerschlagung von Mineralölunternehmen vor, deren Mutterkonzerne ja gar nicht in Deutschland sind, meistens in Großbritannien oder Italien?
Habeck: Ja, das Wort, das wir gewählt haben, ist Entflechtung, und das ist ja etwas, was die deutsche Marktwirtschaft kennt. Man muss sich wie bei so vielen Sachen in dieser Zeit mal in Erinnerung rufen, was wir an Gesetzen eigentlich alles haben. Denken Sie an das Energiesicherungsgesetz, das dem Staat weitgehende Möglichkeiten auch zur Energieeinsparung – also autofreier Sonntag und so weiter – einräumt. Das ist alles verstaubt und liegen geblieben. Aber Politik ist nicht so wehrlos, wie man manchmal denkt, und wir müssen uns mal wieder klarmachen, dass ein politisches Mandat eben ein Mandat zum Handeln bedeutet. Und diese Entflechtung gab es in Deutschland schon. Es gab Unternehmen, die, weil sie zu groß waren, weil sie marktbeherrschend waren, der Idee unserer Wirtschaftsordnung, der sozialen Marktwirtschaft geschadet haben. Und das heißt dann konkret, wenn eine Tankstelle in einer Region x Filialen, x Prozent besitzt und man der Meinung ist, dass damit eine marktbeherrschende Stellung einhergeht, dann kann man dafür sorgen, dass sie nur noch ein bisschen weniger als x Prozent besitzt.
"Das Stromnetz ist ein natürliches Monopol"
Heinemann: Es gibt ja das Beispiel des Strommarktes, da ist die Produktion und die Netzbetreibung längst getrennt. Wieso können Mineralölkonzerne bisher auch die Tankstellen betreiben?
Habeck: Die Tankstellenbetreiber sind ja durchaus unterschiedliche Personen, die dann unter dem Dach, ähnlich wie ein Rewe-Supermarkt sozusagen…
Heinemann: Wir machen hier keine Werbung.
Habeck: Ja, Entschuldigung, Sie wissen, was ich meine. Es gibt auch zwischen den Tankstellen selbst unterschiedliche Preise, also es ist nicht so, dass X bundesweit den gleichen Preis hat. Wenn Sie sich die Apps mal runterladen, die Preise schwanken schon durchaus, aber die Dynamik geht immer in die gleiche Richtung. Und der Unterschied, der logische Unterschied ist, die Netzinfrastruktur ist ja eine feste Infrastruktur, das ist quasi ein natürliches Monopol, man braucht das Stromnetz, alle brauchen das Stromnetz, entsprechend das Wassernetz, das Gasnetz. Es handelt sich da um ein natürliches Monopol. Bei den Tankstellen ist ja Wettbewerb. Man kann ja theoretisch von A nach B fahren und sagen, nee, ich tanke nicht bei A, sondern bei B. Das kann man im Strombereich ja nicht ohne Weiteres tun. Also das Stromnetz braucht man, die Anbieter kann man wechseln, aber man kann nicht sagen, ich brauche kein Stromnetz. Das ist der systematische Unterschied dazwischen, deswegen muss man verschiedene Dinge auch unterschiedlich behandeln.
"Die Leute sollen entlastet werden"
Heinemann: Herr Habeck, es ist auffällig, dass die FDP nach besten Kräften versucht, jetzt Ihnen die Schuld für die gesamte Geschichte zuzuschieben. Was erwarten Sie vor diesem Hintergrund vom Bundeskanzler?
Habeck: Vom Bundeskanzler erwarte ich, dass er ein guter Bundeskanzler ist, und das ist er.
Heinemann: Ach so. Was wenn Olaf Scholz jetzt weiter zaudert und zu Änderungen vielleicht gar nicht bereit wäre?
Habeck: Bei dem Kartellrecht? Nun, wir haben ja heute oder gestern gesehen, dass es Zustimmung von der SPD und der FDP gab, und ich habe schon gesagt, diese Mineralölsteuer war nie eine Idee, die wir jetzt besonders gut gefunden haben, die ich besonders gut gefunden habe. Aber auch eine schlechte Idee darf nicht dazu führen, dass Gewinne von Unternehmen entstehen, weil die eigentlich den Menschen helfen sollten. Also die Leute sollten entlastet werden, die Unternehmen machen die Gewinne, das ist ja inakzeptabel, auch wenn die Idee, die da hingeführt hat, keine glückliche war.
Heinemann: Wofür hätte man die drei Milliarden Euro sinnvoller ausgeben können?
Habeck: Es ist insgesamt so, dass Preisreduktionen nicht wirklich zu kontrollieren sind, und dass es in politischen Unterstützungsprogrammen meistens sinnvoller ist, Menschen direkt zu unterstützen. Also an den Preisen rumzuspielen, ist immer ein schwieriger Eingriff. Wenn man Menschen mit knappem Geld direkt unterstützt – durch Zulagen, durch höhere Sätze, was auch immer –, dann ist das meistens effektiver.
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