Eigentlich beginnt der Arbeitstag der Assistenzärztin, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte, um halb acht. Sie ist aber schon um kurz nach sieben da, nimmt den Patienten Blut ab, telefoniert mit Praxen und Laboren, schreibt Berichte – alles, damit sie abends wenigstens halbwegs zeitig aus der Klinik kommt, sagt sie.
"Das heißt nicht, dass ich dann pünktlich gehe. Um Gottes Willen. Also mindestens eine Stunde bleibe ich eh länger."
Schnell bei einer 50-Stunden-Woche
Rund 1,5 Stunden hängt sie so täglich dran und ist schnell bei einer 50 Stunden-Woche.
"Und da sind noch keine 24-Stunden-Dienste eingerechnet und noch keine Wochenenddienste. Die kommen noch da drauf. Das heißt also eine Wochenarbeitszeit von 60 – teilweise 70 Stunden ist sozusagen normal."
Und gesetzeswidrig! Denn in ihrem Vertrag steht eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 42 Stunden. Trotz der vielen Überstunden hat die 29-jährige Ärztin viel zu wenig Zeit für Ihre Patienten, was sie sehr belastet.
"Mir persönlich ist es wichtig, diese Zeit zu nehmen. Nur das heißt ganz klar, die halbe Stunde, 45 Minuten, kommt auf jeden Fall hinten dran. Und gleichzeitig kriegt man von der Verwaltung noch den Druck, die Patienten sind zu lang im Krankenhaus, die müssen schneller wieder entlassen werden. Das ist aber nicht umsetzbar. Ich glaube einfach, dass zu wenige Ärzte für zu viele Patienten da sind."
Laut der Ärztegewerkschaft Marburger Bund fehlen bundesweit aktuell 5000 Ärzte in den Krankenhäusern. Die Patienten müssen aber trotzdem versorgt werden, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Walter Machtemes, der eine Burnout-Tagesklinik in Oberhausen leitet.
"Das Arztbild ist das des rund um die Uhr tätigen Helfers. Aber dahinter steckt ein Mensch, der genau wie jeder andere ermüdet und Rekreationszeit braucht."
Aber offenbar können immer weniger Ärzte in der knappen Freizeit auftanken. Das fällt auch der jungen Assistenzärztin nicht so leicht. "Wir übernehmen tagtäglich Verantwortung für andere Menschen, aber das wir mal Verantwortung für unser Leben, für unsere Gesundheit übernehmen, das bleibt irgendwie übrig."
Noch mehr Fälle nur bei Lehrern
Viele Ärzte macht die Arbeit krank, weiß die ärztliche Psychotherapeutin Christiane Groß, die auch im Vorstand der Ärztekammer Nordrhein und des Deutschen Ärztinnenbundes ist.
"Also es ist so, dass man davon ausgeht, dass etwa acht bis 12 Prozent in einem Burnout stecken, weil sie überlastet sind. Weiterhin, dass etwa 20 bis 25 Prozent sich als burnout-gefährdet einstufen. Und ich finde, das ist schon eine ganze Menge."
Noch mehr Burnoutpatienten gibt es nur bei den Lehrern, bestätigt der Leiter der Burnout-Tagesklinik Walter Machtemes.
"Sehr viele Ärzte kommen mit deutlichen Erschöpfungssyndromen, depressiven Zuständen, Perspektivängsten, Panikattacken und dann die breite Gruppe der psychosomatischen Störungen: Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck. Und das schlimmste: die Suizidrate ist bei Ärzten nahezu doppelt so hoch, wie bei der Durchschnittsbevölkerung."
In Burnoutkliniken wie seiner, lernen die ausgebrannten Ärzte wieder auf sich zu achten, bekommen Entspannungsübungen und meditative Praktiken beigebracht, die sie in ihren Berufsalltag integrieren können.
"Einfach mal die Tür zuzumachen, zu sagen: so, fünf Minuten hab ich jetzt, mal keinen Patienten hier drin und ihr schickt mir auch keinen. Diese kleinen, ich nenne das immer Kleckerzeiten, einzubauen, das ist wichtig."
Kleckern im Kleinen und Klotzen im Großen, das würde helfen meint auch Christiane Groß von Ärztekammer Nordrhein. "Wir müssen gucken, dass wir noch mehr Ärztinnen und Ärzte bekommen. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass die ärztliche Arbeit, wie jede andere Arbeitszeit begrenzt ist."
Entsprechende Forderungen werden allerdings seit Jahren in den Tarifverhandlungen diskutiert. Bis auf Weiteres bleibt deshalb auch der 29-jährigen Assistenzärztin nichts anderes übrig, als möglichst gut auf sich und auf ausreichend Erholungszeiten zu achten: "Ich würde sagen, ich habe da meine Strategien. Ich hab meinen Sport, der ist für mich wichtig, ich hab meinen Freundeskreis, meine Familie. Das ist unglaublich wichtig zum Abschalten. Aber das ich zu den Menschen gehöre, die da gefährdet sind, da würde ich jetzt nicht hundertprozentig von Abstand nehmen. Aber wie gesagt, alles in allem ist es für mich ein ganz, ganz toller Beruf."
Und sie hofft, dass er das auch immer für sie bleiben wird.