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Bush-Gegner und amerikanischer Patriot

Er war bekannt für seine Kritik an der Philosophie als solcher. Jetzt ist der amerikanische Philosoph und Kulturwissenschaftler Richard Rorty im Alter von 75 Jahren an Krebs gestorben. Sein Freund Jürgen Habermas sagte, er kenne keinen anderen zeitgenössischen Philosophen, der wie Rorty seine Kollegen mit neuen Einsichten überfallen und in Atem gehalten habe.

Von Klaus Englert |
    Am 31. Mai 2003 veröffentlichten Jürgen Habermas und Jacques Derrida in der FAZ ein viel beachtetes Manifest über die "Wiedergeburt Europas". Der unmittelbare Anlass war der bevorstehender Einmarsch der amerikanisch-englischen Truppen in den Irak und die weltweiten Anti-Kriegs-Demonstrationen am 15. Februar. Auch Richard Rorty meldete sich am 31. Mai zu Wort, in einem Aufruf, den die Süddeutsche Zeitung publizierte. Der amerikanische Philosoph unterstützte darin die Forderung seiner französischen und deutschen Kollegen nach einem geeinten "Kerneuropa", nach einem Gegengewicht zum "hegemonialen Unilaterismus der Vereinigten Staaten". Richard Rorty, der Komparatistik an der Stanford-University lehrte, deren Rektorin ausgerechnet Condoleeza Rice war, schrieb in seinem Artikel:

    Das Letzte, was Washington will, ist ein Europa, dessen Einigkeit und Selbstsicherheit es befähigt, die amerikanische Hegemonie in Frage zu stellen.

    Rorty war gleichermaßen ein bedingungsloser Verteidiger der amerikanischen Bill of Rights wie der europäischen Aufklärung. Doch den meisten Amerikanern war er zu europäisch. Deswegen muss er seinen Landsleuten verdächtig erschienen sein, als er den Europäern nahe legte, der Pax Americana zu misstrauen. Rortys Manifest bestätigt die politische Vision von Habermas und Derrida:

    Die EU wird der Welt eine Vision der Zukunft aufzeigen müssen, auf die Washington mit verächtlichem Spott reagieren wird.

    Dennoch zeigte sich Rorty gelassen:

    Wenn das Bewusstsein, Bürger eines europäischen Gesamtstaates zu sein, im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts ebenso tiefe Wurzel schlägt, wie es im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts das Bewusstsein von Amerikas Bürger tat, wird sich die Welt auf gutem Wege zu einer globalen Föderation befinden.

    Der an diesem Wochenende gestorbene Philosoph repräsentierte eine für die amerikanische Kultur typische intellektuelle Richtung: Er war ein verbissener Gegner der gegenwärtigen US-Politik unter George W. Bush, doch andererseits galt er als vehementer Verteidiger des amerikanischen Patriotismus. Selbstverständlich verteidigte Richard Rorty keinen kraftstrotzenden Nationalismus, sondern vielmehr eine humanistische Haltung, die er sowohl in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung als auch in den frühen amerikanischen Gemeinschaftsformen wieder fand. Als er vor zehn Jahren die amerikanische Linke zur "Wiederbelebung des amerikanischen Nationalstolzes" aufrief, dürfte der Text bei vielen deutschen Lesern Unverständnis hervorgerufen haben. Man fragte sich, ob Rorty nun abtrünnig geworden und das politische Lager gewechselt habe. Aber so einfach waren die Dinge nicht. Rorty kritisierte damals die endlosen Theoriedebatten und einen fruchtlosen Antiamerikanismus. Er wollte den linken Theorien über Sprachphilosophie, Psychoanalyse, Dekonstruktivismus und ökonomischem Determinismus eine uramerikanische Haltung entgegensetzen - nämlich inspirierende Visionen von Amerika zu entwerfen. Diese Geisteshaltung, die Rorty als "Bürger-Religion" verstand, erbte er von Walt Whitman und John Dewey:

    Diese Bürger-Religion hatte in der Liebe zum eigenen Land ihr Zentrum und wollte soziale Gerechtigkeit zum höchsten Ziel erheben. Wir sollten unser Land nicht lieben, weil es reich, mächtig und sieggewohnt ist, sondern weil es freundlicher und großzügiger zu sein verspricht als andere Länder. Wie Schwarze und Homosexuelle durchaus wussten, war dies eine Empfehlung von Verbesserungen und nicht eine Beschreibung von Tatsachen.

    Ganz im Sinne des Pragmatismus eines John Dewey wollte Richard Rorty an den Alltagssorgen der Menschen anknüpfen, nicht an utopischen Visionen. Er wollte die Gerechtigkeitsforderungen des politischen Liberalismus mit den Aufgaben des demokratischen Intellektuellen in Einklang bringen.

    Als Jürgen Habermas im Dezember 2001 anlässlich der Verleihung des Meister-Eckhart-Preises an Richard Rorty die Dankesrede hielt, charakterisierte er den Patriotismus seines amerikanischen Kollegen mit den Worten:

    ...und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wir's.

    Bücherliste
    Richard Rorty: "Kontingenz, Ironie und Solidarität"
    Taschenbuch, Suhrkamp, 13,00 Euro

    Richard Rorty: "Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie"
    Suhrkamp, 15,00 Euro

    Richard Rorty: "Eine Kultur ohne Zentrum. Vier philosophische
    Essays und ein Vorwort", Reclam, Taschenbuch

    Richard Rorty/Gianni Vattimo/Santiago Zabala: "Die Zukunft
    der Religion", Suhrkamp, 16,80 Euro

    Richard Rorty: "Solidarität oder Objektivität? Drei philosophische
    Essays", Reclam, Taschenbuch, 04,00 Euro

    Richard Rorty: "Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die
    pragmatische Philosophie (Passagen und Philosophie)",
    Passagen Verlag, 13,00 Euro

    Donald Davidson/Richard Rorty: "Wozu Wahrheit? Eine Debatte"
    Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 15,00 Euro