Byung-Chul Han schreibt nur dünne Bücher: Mal etwas unter, mal etwas über hundert Seiten. Aber immer will er damit dicke Bretter bohren, griffige Ausdeutungen der Gegenwart liefern. Diesmal gibt sich der aus Südkorea stammende Philosoph als Mahner an einer Epochenschwelle:
"Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein. Episode heißt Zwischenstück. Das Gefühl der Freiheit stellt sich im Übergang von einer Lebensform zur anderen ein, bis sich diese selbst als Zwangsform erweist. So folgt auf die Befreiung eine neue Unterwerfung. Das ist das Schicksal des Subjekts, das wörtlich Unterworfensein bedeutet."
Schon diese ersten Sätze des lose in kurze Kapitel untergliederten Essays geben den Ton vor. In apodiktischen Phrasen wirft Byung-Chul Han seine zeitdiagnostische Skizze hin. Es bleibt nicht verborgen, dass er über Heidegger gearbeitet und sich darüber die Sprache verbildet hat. Bisweilen abenteuerliche Pseudo-Etymologie und Pathos vermengen sich ungut, um eine alarmistische Dringlichkeit heraufzubeschwören. So viel Raunen bräuchte es gar nicht für seine eingängigen, wenngleich nicht eben neuen Kernthesen. Eine davon: In Zeiten des Neoliberalismus schlage die vermeintliche, individuelle Freiheit in Zwang um.
"Das Leistungssubjekt, das sich selbst frei wähnt, ist in Wirklichkeit ein Knecht. Es ist insofern ein absoluter Knecht, als es ohne den Herrn sich freiwillig ausbeutet. Ihm steht kein Herr gegenüber, der ihn zur Arbeit zwingt."
"Der Neoliberalismus ist der Kapitalismus des Gefällt-mir"
Selbstausbeutung und Selbstoptimierung bis zur Erschöpfung zeichne die heutige Arbeitswelt aus: Alles schon gehört, nicht zuletzt von Han selbst in seinem Bestseller "Die Müdigkeitsgesellschaft." Auch aus anderen seiner jüngsten Bücher - etwa dem über "Die Transparenzgesellschaft" - recycelt er Versatzstücke. Etwa dies: Wenn zur Selbstausbeutung auch noch die digitale Selbstentblößung komme, dann sei die totale gesellschaftliche Kontrolle fast perfekt:
"Der digitale Big Brother lagert seine Arbeit gleichsam an seine Insassen aus. So erfolgt die Preisgabe von Daten nicht auf Zwang, sondern aus innerem Bedürfnis heraus. Darin besteht die Effizienz des digitalen Panoptikums."
Han interessiert sich dafür, wie gesellschaftliche Machtmechanismen funktionieren. Zu seiner Gegenwartsanalyse kommt er, indem er sich insbesondere am Denken des Strukturalisten Michel Foucault entlang hangelt. Dessen Machttheorie zufolge hielt der Staat die Bürger im 19. Jahrhundert noch über Strafen und Disziplinierungsmaßnahmen in Schach - in Schulen, Militärakademien oder Gefängnissen. Heute wirkt die Macht viel effizienter, meint Han:
"Die smarte Macht mit freiheitlichem, freundlichem Aussehen, die anregt und verführt, ist wirksamer als jene Macht, die anordnet, androht und verordnet. Der Like-Button ist ihr Signum. Man unterwirft sich dem Herrschaftszusammenhang, während man konsumiert und kommuniziert, ja während man Like-Buttons klickt. Der Neoliberalismus ist der Kapitalismus des Gefällt-mir."
Wie dieser Absatz mündet fast jeder in Hans Buch unerbittlich in eine zitierfähige Pointe. Manchmal bleiben zwar auch Wortruinen stehen, aber meist hätte es kein Werber besser formulieren können. Der Sog des Textes entwickelt sich, ganz wie in der Werbung, nicht über eine schlüssige Argumentation, sondern über Suggestion und Assoziation. Der Appell an Emotionen hält nicht nur Hans zahlreiche Leser bei der Stange: Er nimmt auch in seinem Thesengerüst eine zentrale Stellung ein.
"Die neoliberale Psychopolitik bemächtigt sich der Emotion, um Handlungen auf dieser präreflexiven Ebene zu beeinflussen. Über Emotion greift sie tief in die Person ein. So stellt sie ein sehr effizientes Medium der psychopolitischen Steuerung der Person dar."
... und der Steuerung ganzer Gesellschaften, behauptet Han.
Wer allerdings diese neoliberale Psychopolitik betreibt, wer die sogenannte "smarte Macht" verkörpert, wer von ihr profitiert, bleibt in schlecht strukturalistischer Manier im Dunkeln. Byung-Chul Han hat eine Machttheorie ohne Mächtige getextet. Das greift zweifelsohne zu kurz. Und wenn er sich mit Sätzen schmückt wie:
Wer allerdings diese neoliberale Psychopolitik betreibt, wer die sogenannte "smarte Macht" verkörpert, wer von ihr profitiert, bleibt in schlecht strukturalistischer Manier im Dunkeln. Byung-Chul Han hat eine Machttheorie ohne Mächtige getextet. Das greift zweifelsohne zu kurz. Und wenn er sich mit Sätzen schmückt wie:
"Im neoliberalen Regime existiert eigentlich kein Proletariat, keine Arbeiterklasse, die vom Eigentümer der Produktionsmittel ausgebeutet würde. In der immateriellen Produktion besitzt jeder ohnehin sein Produktionsmittel selbst."
Kein Like für den Gedankendichter Han
Wenn er sich also mit solchen Sätzen schmückt, dann vergisst er über dem Smartphone diejenigen, die es in China zusammenschrauben müssen. Natürlich würde es den Punkt verfehlen, einem Philosophen vorzuwerfen, er würde nicht empirisch arbeiten. Aber die Augen vor der Realität so fest zu verschließen, dass sogar falsche Tatsachenbehauptungen dabei herausspringen, ist ebenso unlauter. So gesehen, spricht auch wenig für Hans kulturpessimistische Exit-Strategie: Er empfiehlt, sich zum Idioten zu machen - im philosophischen Sinne:
"Angesichts des Kommunikations- und Konformitätszwangs stellt der Idiotismus eine Praxis der Freiheit dar. Der Idiot ist seinem Wesen nach der Unverbundene, der Nichtvernetzte, der Nichtinformierte. Er bewohnt das unvordenkliche Draußen, das sich jeder Kommunikation und Vernetzung entzieht."
In der Alltagssprache wäre "Idiot" eine Beleidigung. Außerdem lehren andere Zweige der Sprachphilosophie: Auch ein Null-Sprechakt ist ein Sprechakt. Im Netz gar keine Spuren zu hinterlassen, ist in westlichen Gesellschaften kaum mehr möglich. Kein Like also für den Gedankendichter Han und seinen Eskapismus - trotz aller Macht der Verführung.
Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, S. Fischer Verlag, 128 Seiten, 19,99 Euro.