Musik: Gesualdo, In monte Oliveti
Eine fahle Leuchte, ansonsten ist es dunkel in Hamburgs "opera stabile", Nebel schwebt im Raum. Ein Keller, ein Gefängnis? Auf einem schmalen Streifen – zu beiden Seiten sitzt das Publikum – liegt am Boden zusammengekrümmt ein nackter Mann. "incurvatus in se" – der auf sich selbst verkrümmte Mensch – so formulierte es der Kirchenvater Augustinus. Der Mensch, nackt wie ihn Gott geschaffen hat, der sich jedoch von Gott abwendet. Ein starkes, archaisches Bild. Auch bei Luther heißt es, der Mensch komme als Sünder auf die Welt.
Musik: Gesualdo, In monte Oliveti
Sieben solistische Sängerinnen und Sänger, schwarz-weiß gekleidet, bewegen sich aus den Ecken des Raumes auf die arme Kreatur zu, aus schwarzen Plastikbeuteln holen sie Erde und bewerfen ihn. Einer scheint Mitleid zu empfinden und legt sich zu dem Mann. Dann erhebt sich der Nackte, er ist kahlköpfig. Wer einmal ein Bild von Carlo Gesualdo gesehen hat, kann Ähnlichkeit feststellen. Der italienische Fürst lebte in der Nähe von Neapel, er soll seine Frau und ihren Liebhaber ermordet haben lassen. Fortan soll ihn seine Schuld gequält haben, er litt an Depressionen. Musikwissenschaftler und Psychologen deuten seine dissonanzenreiche Musik als Ausdruck seines Seelenzustandes.
Musik: Gesualdo, "O dolorosa gioia"
Calixto Bieito interessierte es nicht, ob Gesualdo selbst den Ehrenmord an seiner Frau begangen hat. Auch szenische Aspekte kamen ihm bei Gesualdos Musik erst relativ spät in den Sinn.
Er habe zuerst an den Sinn des Lebens gedacht und sich daran erinnert, wie er als Kind gebetet habe aus einem unbegründeten Schuldgefühl heraus. Mit nur 12 Jahren sagte Bieito zu seiner Mutter, dass er nicht an die Institution Katholische Kirche glauben würde. Gleichzeitig habe er natürlich die katholische Erziehung gewissermaßen im Blut, und dabei sowohl die positiven als auch die perversen, negativen Aspekte.
Calixto Bieito wurde - wie Gesualdo - von Jesuiten erzogen, er hat im Internat viele Grausamkeiten erlebt. Immer wieder hat er in Interviews betont, dass seine Regie-Arbeiten jedoch keine Trauma-Verarbeitung seien. Für die Hamburger Produktion ist das auch nicht wichtig. Wer andere Inszenierungen Bieitos kennt, weiß, dass "¡Gesualdo" an der Hamburgischen Staatsoper seine Regie-Handschrift, seinen Blick auf die seelischen Motivationen der Menschen in äußerst konzentrierter Form zeigt. Es ist der Kontrast von extremer Schönheit – durch die Musik – und extremer Grausamkeit – durch Handlungen der Sänger.
Grausamkeit gehöre zur menschlichen Genetik, aber sie habe natürlich auch einen geschichtlich-sozialen Kontext. Doch der Mensch könne immer korrigierend eingreifen und sich für das eine oder andere entscheiden. Das mache ihn – manchmal wenigstens –, so Bieito, optimistisch.
Musik: Gesualdo, Già piansi nel dolore
Calixto Bieito hat 14 Stücke aus Gesualdos geistlichen Responsorien und späten, weltlichen Madrigalen ausgewählt. Immer wieder treten einer, mehrere oder alle Sänger auf den nackten Mann im Raum zu. Erst scheint er getröstet zu werden, doch im nächsten Moment schlägt Mitleid in Brutalität um. Er wird gekratzt, geschlagen, gestoßen. Immer mehr Blut und Speichel vermischen sich mit der Erde an seinem Körper. Zuletzt strömt Wasser von oben, die Sänger singen nun von einer Empore, sie werfen ihre Notenblätter nach unten – es geht im Text um Leid und Schuld und Sühne -, gierig, masochistisch fängt der arme Mann sie auf, und steckt diese "Schuldscheine" wenn man so will, in den Mund. Ein hartes, ein krasses Bild, mit dem das Publikum entlassen wird.
Musik: Gesualdo, Dolcissima mia vita
Musikalisch wurden die Sänger von einer kleinen Orgel, einer Gambe und einer Laute begleitet. Dabei hatten die zum Teil doch stark opernhaft ausgerichteten Stimmen anfangs Mühe, sich zu einem guten Ensemble-Klang zu mischen, was aber im Verlauf immer besser gelang.
Dieser Abend ist eindrücklich und bizarr. Die Spannung durch die grausamen Bilder im Kontrast mit der berührenden Musik macht nachdenklich. Und das ist viel!