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"Call A Spy" auf Kampnagel
Bestechend einfache Idee

Warum nicht einfach mal beim BND oder FBI anrufen und mit dem Gegenüber den Sinn und Unsinn des Agentenjobs diskutieren? Das Berlin Peng!-Collective macht genau das und bringt dabei nicht nur den Geheimdienstler, sondern auch den Anrufer in unvorhersehbare Situationen.

Von Juliane Reil |
    Ein Transparent mit dem Logo des Kampnagel Sommerfestivals 2016 hängt am 09.08.2016 in Hamburg auf dem Gelände der Kampnagelfabrik im Eingangsbereich an der Halle K6.
    Das Gelände der Kampnagelfabrik in Hamburg. (picture-alliance / dpa)
    Auf der Probebühne von Kampnagel in Hamburg: ein Wirrwarr aus Kabeln und acht roten Telefonapparaten. Zwei junge Männer kontrollieren, ob sie funktionieren.
    "Guck mal: jetzt geht's. Bei dir auch?" – "Das ist ja komisch." – "Bei dir auch?"
    Zum Test hält mir einer von beiden den Telefonhörer direkt ans Ohr:
    "To be connected with a spy of Bundesnachrichtendienst or Militärischer Abschirmdienst, please press one."
    Tipps von Telemarketing-Experten inklusive
    Es geht darum, mit einem Agenten des BND oder eines anderen internationalen Geheimdienstes zu telefonieren. Das ist kein Scherz, sondern Teil der neuen Performance "Call A Spy" des Berliner Peng! Collective. In ihrer neuen Arbeit richten die Medienaktivisten und Künstler ein Callcenter ein, um Agenten zum Ausstieg zu bewegen.
    Als Besucherin des internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel werde ich zur "Mitarbeiterin" des Callcenters. Wie in einem Workshop werde ich von einer Expertin für Telemarketing eingewiesen. Sie ist per Videokonferenz zugeschaltet und gibt für den Gesprächseinstieg entscheidende Ratschläge.
    "Etwas, was ihr heute schon am Rande mitbekommen habt, ist das Thema 'Künstlernamen erfinden'. Wenn man das tut, muss man das wirklich können. Es ist fatal, wenn man bereits am Anfang des Gesprächs nicht in der Lage ist, seinen eigenen Namen flüssig nennen zu können."
    Anonymität an erster Stelle
    Auch der junge Mann, der mir entspannt gegenübersitzt, hat ein Pseudonym angenommen. Paul von Ribbeck nennt er sich. Anonymität steht bei "Call A Spy" an erster Stelle. Keiner will die NSA oder den BND unter seinem richtigen Namen zum Feind haben. Mit seinen Kollegen vom Peng! Collective hat der 32-Jährige "Intelexit" ins Leben gerufen. Eine Aussteigerplattform für Agenten, die auch tatsächlich genutzt wurde. "Call A Spy" knüpft an diese politische Arbeit an.
    Mehr als Schauspiel
    Die Aktion hier auf Kampnagel ist jedoch stärker im Kontext der Kunst angesiedelt, erklärt Paul von Ribbeck.
    "Ich sehe schon, dass der Geheimdienst das eigentliche Publikum unserer Performance ist. Gleichzeitig ist es aber nicht nur Schauspiel, was wir da machen, sondern es sind reale Gespräche. Es sind teilweise auch berührende, bewegende Gespräche."
    Um mit den Geheimdienstarbeitern ins Gespräch zu kommen, werden den Anrufern verschiedene Rollen angeboten. Zum Beispiel kann ich mich als Studentin ausgeben, die sich nach beruflichen Perspektiven als Agentin informiert. Oder sogar als Mitarbeiterin von "Intelexit" auftreten.
    Auf der Probebühne knie ich inzwischen vor einem Telefon. Ich muss mich auf meine Rolle und einen falschen Namen konzentrieren. Meine Hand zittert. Ich kann meinen Herzschlag spüren, als ich den Hörer aufnehme.
    "Hello, this is Hellen Schmidt. I'm a journalist who is doing a report about the FBI. I was wondering if you could help me." – "But I am connected to the FBI, right?" – "Hello?"
    Die Person am anderen Ende hat aufgelegt. Unsicherheit lag in ihrer Stimme, von der ich merkwürdig berührt bin. Bis jetzt waren Geheimdienste für mich etwas Abstraktes, von dem ich keine wirkliche Vorstellung hatte. Jetzt scheint da auf einmal etwas Menschliches durch. Gleichzeitig ist das befremdlich, weil diese Menschen einer dubiosen Tätigkeit im Geheimen nachgehen.
    Ein abgelegter Telefonhörer
    Mit "Call A Spy" will die Peng!-Künsterkollektive Agenten zum Ausstieg bewegen. (dpa / picture-alliance / Rolf Vennenbernd)
    "Call A Spy" besticht durch die Einfachheit des Konzeptes und deren Durchführung: man ruft einfach beim Geheimdienst an. Dabei können die Gespräche mitunter auch relativ lang sein. Die NSA verliert dadurch etwas von ihrer Bedrohlichkeit als undurchdringliche Festung. Und man wird selbst zum Akteur, der eine seltene und zugleich emotionale Erfahrung macht. Nicht nur mir ging es so bei meinem ersten Anruf, sondern auch einem Mitarbeiter des Peng! Collective.
    "Ich fand es aufregend. Ich fand es irgendwie verwirrend. Ich wusste gar nicht, in welcher Rolle ich jetzt anrufe und was ich fragen soll. Das fiel mir jetzt gerade so schwer, mir das vorzustellen, weil es so völlig virtuell war. Ich kenne diesen Menschen nicht und ruf da einfach an."
    Denkanstoß per Telefonanruf
    Wer sich dem Thema "Geheimdienste" auf unkonventionelle Weise nähern will, ist bei "Call A Spy" genau richtig. Die Performance wird die Welt des Geheimdienstes nicht verändern. Es wird mit Sicherheit weiter spioniert, interveniert und politisiert. Trotzdem hoffen die "Call A Spy"-Entwickler mit ihren Anrufen einigen Geheimdienstlern einen Denkanstoß zu geben.
    "Das ist vielleicht naiv, aber ich glaube am Ende, wenn auch nur 20, 300 oder 500 Leute es schaffen, ein bisschen darüber nachzudenken, dass heute jemand angerufen hat und sich über die Ethik dieses Menschen sich mit ihm unterhalten wollte – dass das irgendwie etwas bewegen kann."