Hendrik soll entweder Pastor werden oder Professor. Denn der Sohn eines Baustoffgroßhändlers ist auserwählt. Prädestiniert, wie es im Calvinismus heißt. Hendrik, die Hauptfigur in Klaas Huizings autobiografisch gefärbtem Roman "Das Testament der Kühe", wächst in der Grafschaft Bentheim auf, einer Region an der deutsch-niederländischen Grenze. Dort sind die Altreformierten besonders stark vertreten, eine evangelische Freikirche, die sich auf den sittenstrengen "Heidelberger Katechismus" beruft. Huizings Roman erzählt ironisch-liebevoll von einer Kindheit in den 60er- und 70er-Jahren. Es ist eine Art "Generation Golf" für Calvinisten, wenn auch für eine überschaubarere Zielgruppe als Florian Illies' Erfolgsbuch. Die Altreformierten sind im deutschen Protestantismus eine Minderheit.
"Pastor Hendrikje fuhr sich mit dem Ärmel der Jacke über die Stirn, hob dann den Finger: "Liebe Gemeinde. Der Mensch ist ganz böse. Durch und durch böse. Hendrikje blickte Hendrik sehr streng an. "Glaube bloß nicht, dass du als kleines Kind nicht böse bist. Auch du bist böse. Seit du auf der Welt bist."
Klaas Huizing ist Schriftsteller und Professor für evangelische Theologie in Würzburg. Im Gespräch mit dem DLF sagte Huizing: "Die Sündenverdrießlichkeit im Calvinismus ist sehr markant. Der Mensch gilt als letztlich böse und durch und durch sündig." Kinder wuchsen mit einer Pädagogik der Angst auf. Bis heute, so erzählt er, habe er Probleme mit dem Sonntag, er liebe den Montag. "Für Kinder waren die Sonntage unerträglich. Die Sonntagsheiligung stand im Mittelpunkt, das war so etwas Ähnliches wie ein religiöser Lockdown". Man musste zweimal zur Kirche, die Predigten waren extrem lang. Freizeit nach dem Kirchgang gab es kaum. Freibadbesuche etwa waren am Sonntag verboten, weil man Geld hätte ausgeben müssen. "Damit hätte man sich mitschuldig daran gemacht, dass andere Menschen sonntags arbeiten mussten", erläuterte Huizing.
"In Demut macht uns keiner was vor"
Erziehungsideal war der gehorsame Sohn. Sein Vater habe ihm Sport verboten, weil die Handballspiele immer sonntags stattfanden. Die altreformierte Kirche hatte entschieden, diejenigen nicht zu konfirmieren, die wegen Ballspielen Gottesdienste verpassten. "Da sind Verwundungen und Vernarbungen geblieben", sagte der Schriftsteller im Gespräch.
Die Frauen seien sehr stark in calvinistischen Familien, seine eigene Mutter sei dominant gewesen. Vor allem habe Leistung gezählt, auch Glaubensleistung. "In Demut macht uns keiner was vor", lautete der calvinistische Standardspruch.
Als sich Romanfigur Hendrik Anfang der 1970er-Jahre halbnackte Frauen im Quelle-Katalog anschaut, wird er von der Schwester erwischt und von der Mutter zur Rede gestellt. Sie gibt ihm Tabletten gegen die Sündhaftigkeit. "Das Verhältnis zur Sexualität war wahnsinnig verkrampft", so Huizing. Es galt die alte augustinische Lehre, dass Sünde durch Sexualität weitergegeben wird.
"Ich musste mich von dieser Kindheit befreien", sagte Huizing. Er wechselte vor 20 Jahren von der altreformierten zur lutherischen Kirche. "Heute erkläre ich meinen Studentinnen und Studenten: Religion muss entlasten! Wenn Religion nicht entlastet, wenn es eher beklemmend wirkt, dann soll man es lassen. Die Stärke der Religion muss sein, dass sie ein Entlastungsprojekt ist." Er habe 40 Jahre gebraucht, um eine Distanz zu dieser Erziehung zu gewinnen. Mit dem heutigen Abstand könne er auch etwas Positives am calvnistischen Mileu sehen: "Es basiert auf der Idee, dass alle gleich sind, auch wenn das verwahrlost kommuniziert worden ist. Es wäre schade, wenn das unterginge." Mittlerweile werde man in der Grafschaft auch konfirmiert, wenn man sonntags Fußball spiele.
Klaas Huizing: Das Testament der Kühe. Klöpfer/Narr 2020. 252 Setein.