Daniel Heinrich: Am Telefon ist Thomas Poguntke, Politikwissenschaftler an der Uni Düsseldorf. Herr Poguntke, Boris Johnson mochte nicht, Michael Gove mochte nicht, Andrea Leadsom mochte auch nicht. Scheint ja richtig beliebt zu sein der Job britischer Premierminister?
Thomas Poguntke: Na ja, beliebt ist er eigentlich schon. Aber da ist natürlich hinter den Kulissen hart gekämpft worden. Nicht alles wird man so schnell erfahren, welche Spiele da gespielt wurden. Es war jetzt allerdings klar, dass Theresa May mit Abstand mehr Unterstützung in der Unterhaus-Fraktion hat. Und das ist unabdingbar. Nur die Unterstützung der Partei, da wäre Frau Leadsom vielleicht gar nicht so schlecht aufgestellt gewesen. Nur die Unterstützung der Partei reicht in der jetzigen Situation überhaupt nicht.
Heinrich: Sind das wirklich alle Gründe? Oder hatten die anderen einfach keine Lust, diesen ganzen Scherbenhaufen nach dem Brexit aufzukehren?
Poguntke: Ich denke, bis zu einem gewissen Grade ist man auf Spekulationen angewiesen. Es ist allerdings unverkennbar, dass Boris Johnson eigentlich vom Typ her eher der Entertainmentpolitiker ist und nicht jemand, der wirklich in die Verantwortung so richtig hineindrängt. Er hat ja auch in der Vergangenheit immer so ein bisschen von der Außenlinie die Politik begleitet und kommentiert. Und deshalb war es eigentlich nicht so völlig wesensfremd, dass er jetzt relativ schnell sich zurückgezogen hat.
Heinrich: Schätzen Sie die neue Frau an der Spitze, Theresa May, schätzen Sie die anders ein?
Poguntke: Theresa May ist eine, man sagt schon, eisenharte Politikerin. Sie hat sehr, sehr viel Erfahrung. Sie hat den Rekord im Vereinigten Königreich im Amt des Innenministers. Das ist gemeinhin ein Schleudersitz und sie hat das dort so lange wie kein anderer vor ihr ausgehalten oder auch mit Erfolg ausgefüllt. Von ihr kann man in der Hinsicht schon einiges erwarten.
Heinrich: Eine taffe erfahrene Frau. Sie war im Remain-Lager. Sprich: Sie hat zu den Brexit-Gegnern gehört. Gibt es da jetzt eine Rolle rückwärts in Brüssel?
Brexit bleibt Brexit
Poguntke: Nein, das gibt es garantiert nicht. Sie hat das auch ganz deutlich gemacht. Brexit bleibt Brexit, hat sie deutlich gesagt. Sie ist auch nicht eine von den ganz stark profilierten Euro-Befürwortern gewesen, sondern sie hat sich da wohl eher etwas taktisch verhalten und etwas bedeckt gehalten. Es gibt in der konservativen Partei einen relativ schwachen Flügel von wirklichen Europaanhängern. Die sind allerdings eher in der Minderheit. Dann gibt es die Pragmatisten und dann gibt es viele, ja man kann schon sagen, Europahasser. Und die wollte eigentlich Cameron mit seinem Referendum jetzt endlich mal ruhigstellen. Der Schuss ging nach hinten los, wie wir wissen. Cameron ist in wenigen Tagen Ex-Premierminister und Theresa May hat jetzt die große Aufgabe, dieser Lager irgendwie zusammenzuhalten. Und insofern ist sie da auch sehr gut positioniert, weil sie nicht ganz deutlich auf der einen oder anderen Seite steht.
Heinrich: Sie haben den Führungsstil von ihr schon angesprochen. Was kann man denn da in Brüssel erwarten?
Poguntke: Sie wird sicher - und das hat sie bereits mehrfach angekündigt - versuchen, das Beste und das Meiste für das Vereinigte Königreich rauszuverhandeln. Das ist aus britischer Sicht vor allem erst mal der Zugang zum Binnenmarkt. Für die Briten - und da spreche ich nicht nur für die konservative Partei, sondern für sehr viele andere Briten auch - war die EU immer in erster Linie ein Handelsplatz. Der normative Überschuss, den wir in Deutschland so gerne haben, von wegen Friedensordnung etc., das ist den Briten sowieso fremd.
Heinrich: Warum?
Poguntke: Ja, die sind historisch immer so ein bisschen außerhalb von Europa angesiedelt gewesen, nicht nur geografisch, sondern auch politisch. Und haben, auch wenn man sich die ganze Geschichte Großbritanniens anschaut, immer darauf geachtet, dass sie ein bisschen die Balance der Mächte halten oder dazu beitragen, dass keiner auf dem Kontinent, wie es aus britischer Sicht heißt, zu stark wird. Und sie fühlen sich nicht so hundertprozentig zugehörig. Das hat auch mit der Geschichte zu tun. Großbritannien war ein Empire, eine Weltmacht. Und bis zu einem gewissen Grade sind das noch Phantomschmerzen. Viel ist von der Weltmachtposition nicht mehr übrig, aber man schaut traditionell in Großbritannien nicht nur in Richtung Europa, sondern auch in Richtung Übersee.
Heinrich: Wenn wir schon von der britischen Innenpolitik sprechen: Die Labour-Partei zerfleischt sich gerade selber. Droht den Tories jetzt Ähnliches, oder ist da jetzt erst mal Ruhe?
Tories haben bemerkenswert schnell Nachfolge geklärt
Poguntke: Man muss die Tories eigentlich bewundern. Die haben das relativ schnell, wahrscheinlich auch mit einigen Intrigen und relativ brutal hinbekommen, innerhalb von wenigen Tagen eigentlich die Führungsfrage zu klären. Und sie ersparen sich jetzt sogar die eigentlich vorgesehene Mitgliederabstimmung. Die Briten lieben ja die Monarchie. Deswegen heißt es auch landläufig, was jetzt dort passiert, eine Coronation, weil es gar keine Wahl mehr gibt. Es gibt nur eine Kandidatin. Damit ist die Führungsfrage schnell geklärt. Die Labour-Party sieht da wesentlich schwächer aus.
Heinrich: Inwiefern?
Poguntke: Wir haben da einen Konflikt zwischen der Mitgliedschaft. Corbyn ist durch ein sehr starkes Votum der Mitglieder, der Parteimitglieder ins Amt gekommen. Aber er hat eigentlich die Unterhaus-Fraktion gegen sich weitgehend. Das hat sich jetzt kurz nach dem Brexit-Referendum noch mal deutlich gezeigt, als ungefähr 80 Prozent der Unterhaus-Fraktion sich gegen ihren Parteiführer ausgesprochen haben. Man kann aber in Großbritannien nur Parteiführer sein, wenn man auch gleichzeitig die Unterhaus-Fraktion führt, sodass es jetzt da zwei unterschiedliche Lager in der Partei gibt. Die Parteibasis, die Aktivisten, die lieben Corbyn. Und er würde da wahrscheinlich - es sieht so aus, als ob es eine neue Abstimmung geben könnte - wieder gewinnen. Gleichzeitig ist aber die Unterhaus-Fraktion fast geschlossen gegen ihn.
Heinrich: Herr Poguntke, zurück noch mal zu Theresa May. Sie haben es schon angesprochen: Sie galt als taff. Sie muss den Laden jetzt zusammenhalten. Vergleiche zu Margaret Thatcher drängen sich auf. Hinken die?
Poguntke: Vergleiche hinken natürlich immer ein bisschen, aber ich hatte den Gedanken auch schon. Man kann ihr durchaus zutrauen, dass sie hier mit relativ harter Hand auch ihr Kabinett zusammenhält. Das wird natürlich eine Herausforderung sein, das so auszubalancieren, vielleicht auch den einen oder die andere von den unterlegenen Kandidaten da einzubinden, damit die nicht von der Seitenlinie oder von der Rückbank Ärger machen. Aber es ist ihr durchaus zuzutrauen, dass sie hier eine erfolgreiche Regierungsmannschaft zusammenstellt. Wo es schwieriger wird, sind die Verhandlungen mit der Europäischen Union, weil die Briten eigentlich zwei Dinge wollen, die nicht zusammen gehen. Man kann nicht Freihandel haben ohne gleichzeitig Freizügigkeit im Bereich des Personenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit. Wenn die Europäische Union hier wesentlich nachgeben würde, dann würde sie einen ihrer zentralen Glaubenssätze opfern. Auf der anderen Seite ist aber das genau das, was die Briten sich erhoffen.
Heinrich: Kurze Frage noch zum Schluss. Zwei Power-Frauen, Angela Merkel und Theresa May. Wenn die aufeinandertreffen, was passiert dann?
Poguntke: Wahrscheinlich nichts Dramatisches, weil die beide auch Technikerinnen der Macht sind. Die werden sich auf dieser Ebene sicher gut verstehen. Theresa May ist keine besonders emotionale überschwängliche Person und mit solchen Politikern kann Frau Merkel sicher gut umgehen.
Heinrich: Der Politikwissenschaftler Thomas Poguntke - danke für Zeit und Gespräch.
Poguntke: Gerne.
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